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Bloß nie mehr aufhören!

Debütkonzert der Latin-Gruppe Magma Tirquaz
in der Münchner Seidl-Villa am 4. Juni 2016

OLYMPUS DIGITAL CAMERAFoto: Yamilé Cruz Montero

Die armenisch-stämmige argentinische Sängerin Sandra Nahabian ist den Kennern der Münchner Szene schon lange ein Begriff für ihre modulationsfähige, ausdrucksvolle, intonationsreine Stimme und ihre von Charme, Witz und doppelbödiger Ernsthaftigkeit sprühenden Auftritte. Nun endlich ist es ihr gelungen, die richtige Band um sich zu scharen. Am Samstag in der idyllischen Schwabinger Seidl-Villa war es, nach langen, intensiven Proben, endlich soweit: das Latin World Music-Quintett Magma Tirquaz feierte vor ausverkauftem Haus sein Konzertdebüt, dem hoffentlich bald nicht nur viele weitere Konzerte, sondern auch ein Debütalbum bei einem guten Label folgt. Der Erfolg war gigantisch, das begeisterte Publikum erklatschte seine Zugaben weit über das Vorgesehene hinaus, und auch dann sank die Qualität nicht ab, sondern steigerte sich weiter, indem der Fluss und die Präzision noch zuzunehmen schienen.

Es ist Sandra Nahabian gelungen, ein auf allen Positionen exzellent besetztes Ensemble zusammen zu bekommen: als ruhenden, allen Situation mit Wärme und Gelassenheit sich anpassenden Pol den mexikanischen Gitarristen David Bermudez, der besonders da hinreißend ist, wo er ganz Einfaches mit unprätentiöser Innigkeit zum Singen bringt – und nicht nur mit seiner Gitarre singt, sondern auch ganz authentisch mit seiner Stimme; sodann sozusagen als diametrales Element den peruanischen Pianisten Oswaldo Cruz, ein ausgesprochen spritziger Humorist, mit einer wunderbaren Neigung zum Verrückten, Kapriziösen, Zirkushaften – von Cruz stammte dann auch, in Uraufführung, als erste Zugabe das einzige rein instrumentale Stück, in welchem die vier Musiker – innerhalb der Struktur – so richtig „außer Rand und Band“ agieren durften. Sehr erfrischend! Ein ganz außergewöhnlicher Musiker ist der deutsch-chilenische Bassist Sven Holscher, diesmal ausschließlich mit seiner Bassgitarre, und sowohl in seiner Funktion in der Band von so schöner Klarheit wie alchimistischer Subtilität, wie auch ganz besonders in den Nummern, wo nur er alleine (oder zusammen mit dezentem Schlagzeug) die Sängerin begleitete beziehungsweise mit ihr dialogisierte, ein Barde im ursprünglichen Sinne des Wortes, ein Geschichten- und Märchenerzähler, gleichermaßen zuhause im Ekstatischen, Nostalgischen, Schauerlichen oder Absurden, und auch: ein echter Sänger auf seinem Instrument; und nicht hinter ihm zurück steht der griechische Schlagzeuger Christos Asonitis, längst eine feste Größe in der süddeutschen Jazz- und Fusionszene, ein Mann, der nicht nur im steten Permutations-, Metamorphose- und Variationsdrang niemals Monotonie aufkommen lässt, jedoch auch die Hörer nur bis an ihre Grenzen und eben nicht sinnlos darüber hinaus herausfordert, ein kreativer Geist, der in jedem Moment etwas Neues ersinnt und nicht nur uns, sondern auch sich selbst oft damit zu überraschen scheint; Asonitis’ Soli sind kompakt, klar und dabei unkonventionell aufgebaut, sie wirken eigentlich wie Kompositionen. Wenn ich jetzt sage, dass er einen fantastischen Groove und Drive hat, so riskiere ich, damit die anderen Beteiligten zu beleidigen, was ich zwar gelegentlich gerne mache, jedoch hier völlig unangebracht wäre. Alle haben sie Groove und Drive, und nur so konnte es zu einer derart kulminierenden zweiten Konzerthälfte kommen, nachdem das Publikum schon nach der ersten Hälfte „aus dem Häuschen“ war. Ja, und nicht zu vergessen die Hauptdarstellerin, Sandra Nahabian, die auch so wunderbar lasziv und mit so vielen Gesichtern Georg Kreislers ‚Vergessen’ vortrug, worin sie „zu vergessen vergaß“. Hier ist eine Meisterin der Stimme und der Stimmungen am Werk, und eine feinnervige, vielgestaltig faszinierende Kommunikatorin. Sandra Nahabian verfügt über die seltene Fähigkeit, ein Publikum einen ganzen Abend mit ihrer Stimme und Erscheinung zu beglücken, ohne dass man merkt, wie die Zeit vergeht, und dass man sauer zu werden droht, wenn sie aufhören will. Aber auch das gilt an diesem Abend für alle Beteiligten. Magma Tirquaz hat das Zeug, ganz schnell und nachhaltig eine der führenden Latin-Gruppen des europäischen Kontinents zu werden. Und eigentlich erwarten wir nicht weniger als das nach diesem Debütkonzert.

[Lucien-Efflam Queyras de Flonzaley, Juni 2016]