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Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises 2024 im Herkulessaal

Am Samstag, 18. Mai 2024 um 19 Uhr, fand – erneut im Münchner Herkulessaal – die Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises 2024 an die koreanische Komponistin Unsuk Chin statt. Die diesjährigen Förderpreise für Komposition und Ensembles gingen an Daniele Ghisi, Bára Ghísladóttir, Yiquing Zhu bzw. das Broken Frames Syndicate sowie Frames Percussion. Neben zwei Werken Chins – Gran Cadenza und das Doppelkonzertwurden auch die drei jungen Komponisten mit Live-Beiträgen vorgestellt.

Die Preisträger der Ernst-von-Siemens-Musikpreise 2024: Yiqing Zhu,
Unsuk Chin, Bára Ghísladóttir und Daniele Ghisi. Photo © Ernst-von-Siemens-Musikstiftung/Astrid Ackermann

Deutlich schlechter besucht als in den Vorjahren schien dem Rezensenten die diesjährige Preisverleihung der Ernst von Siemens Musikstiftung im Münchner Herkulessaal. Ebenso war die „Promi-Dichte“ heuer recht überschaubar. Vielleicht lag es an den bevorstehenden Pfingstferien. Man muss allerdings kritisieren, dass das Publikum das sehr lange Programm – gute 160 Minuten – ohne Pause absitzen musste und das Foyer für den anschließenden Empfang der Stiftung einfach unangenehm überakustisch wirkt. Annekatrin Hentschel vom Bayerischen Rundfunk moderierte die Veranstaltung, die übrigens am 18. und 20. Juni auf BR Klassik gesendet werden wird. Nach einem Grußwort durch die Bratschistin Tabea Zimmermann, Vorsitzende des Stiftungsrats, gab es die mit Spannung erwarteten Porträtfilme über die Förderpreisträger Komposition bzw. Ensemble von Johannes List. Leider fielen diese diesmal erheblich uninspirierter aus als in den letzten Jahren; geradezu nichtssagend die kurzen Filmclips zu den Ensembles: Broken Frames Syndicate aus Frankfurt am Main sowie Frames Percussion aus Barcelona. Umso erfreulicher, dass sich die jungen Komponisten auch mit jeweils einer Live-Aufführung vorstellen durften – hier gebührt Zoro Babel schon mal Dank für die gelungene Klangregie.

Wir hatten hier bereits kurz die diesjährigen Stiftungspreisträger vorgestellt. Daniele Ghisis drei Stücke aus Weltliche (2020) – für Klavier und Elektronik – mochten, trotz der engagierten Darbietung durch den britischen Pianisten Joseph Houston, nicht so recht überzeugen: Ghisi verarbeitet darin u. a. Material aus drei weltlichen Bach-Kantaten. In seiner Live-Elektronik, die akustisch ebenso auf den Korpus des Konzertflügels übertragen wird, verwendet der stark mathematisch orientierte Italiener zudem musique concrète. Das Ganze wirkte dann doch sehr verkopft; da halfen die teils sensiblen Klänge kaum weiter.

Einen völlig anderen Weg geht die isländische Komponistin und Kontrabassistin Bára Ghísladóttir. Wie in den meisten ihrer Kompositionen macht sie auch in RÓL (2023) – für Tuba und Elektronik – aus ihrer besonderen Liebe zum Tieffrequenten keinen Hehl: Was Jack Adler-McKean hier an bedrohlich Geräuschhaftem aus dem Instrument des Jahres herausholte, war wirklich beeindruckend, erschien geradezu wie ein Hurrikan in der Tuba. Und die intensive Live-Elektronik – endlich hatte man ein paar Lautsprecher im Herkulessaal aufgebaut, die tatsächlich satte Bässe hergeben – traktierte die Zuhörer gleichermaßen enorm körperlich, entsprechend Ghísladóttirs grundsätzlichem Bekenntnis zum Animalischen.

Am tiefgründigsten erschien jedoch The Aether and Nether des stilistisch sehr breit aufgestellten Chinesen Yiqing Zhu, der selbst auf dem Podium dirigierend die Live-Elektronik – mit vielen verfremdeten Echo- bzw. Loop-Effekten – bediente und gemeinsam mit Liyi Lu an der Pipa (chinesische Laute) und dem Flötisten Rafał Zolkos mit einem erstaunlichen Wechselbad von expressiver Hochspannung und chillig-lässigem Jazz faszinierte. Große Zustimmung für die jungen Tonkünstler bei der Preisverleihung durch den nach 36 Jahren im Kuratorium nun ausscheidenden Vorsitzenden Thomas Angyan.

Nun folgte endlich Musik der Hauptpreisträgerin Unsuk Chin: Dazu hatte man das Ensemble intercontemporain aus Paris eingeladen, mit dem Chin durch eine bald 30-jährige Zusammenarbeit eng verbunden ist. In der für Anne Sophie Mutter und ihre Geigen-Eleven 2018 geschriebenen Gran Cadenza für zwei Violinen – selbst schon ein kleines Doppelkonzert – durften Hae-Sun Kang und Diégo Tosi alle Register ihres Könnens ziehen: eine technisch wie musikalisch ungemein wirksame, zweifellos phänomenale Wiedergabe. Die Laudatio für Chin, die mittlerweile in Berlin lebt, jedoch bereits als Schülerin von György Ligeti in Hamburg entscheidende musikalische Impulse bekam, hielt der langjährige Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort. Er betonte insbesondere den außergewöhnlichen Klangsinn der aus Korea stammenden Komponistin, für Orchester zu schreiben sowie die konsequente Umsetzung ihres vielzitierten Leitspruchs „Meine Musik ist die Abbildung meiner Träume“, die vielleicht in der 2007 in München uraufgeführten Oper Alice in Wonderland einen ersten Kulminationspunkt erreichte.

Nach der Preisübergabe und der ein wenig selbstgefälligen Danksagung der Geehrten gab es als krönenden Abschluss das Doppelkonzert, 2002 als drittes Auftragswerk für das Ensemble intercontemporain entstanden. Hier spielten nun dieselben Solisten wie bei der Uraufführung: Samuel Favre (Schlagzeug) und Dimitri Vassilakis, der am geschickt teilweise präparierten Steinway eine vielschichtige, aber nie vordergründig virtuose Klangwelt hinzauberte. Wirklich virtuos war jedoch das hochdifferenzierte, dabei dicht verschmelzende Zusammenspiel mit dem Ensemble – unter dem kongenialen, präzisen und nie aufdringlichen Dirigat seines seit letztem Jahr neuen Leiters: Pierre Bleuse. Dank eines etwas ungewöhnlichen Gewandes sah der agile, kraftstrotzende Herr beim Dirigieren von hinten ein wenig aus wie eine Fledermaus, beherrschte die herausfordernde Partitur dafür absolut souverän. Hier bewahrheitete sich nun offenkundig, mit welchem musikalischen Kaliber man es bei Unsuk Chin zu tun hat: Tosender Applaus im Saal – und sicher nicht die letzte Komponistin, die diesen Preis völlig zu Recht erhält.

[Martin Blaumeiser, 20. Mai 2024]

Unsuk Chin erhält den Ernst von Siemens Musikpreis 2024

Der internationale Ernst von Siemens Musikpreis geht 2024 an die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin. Die Auszeichnung für ein Leben im Dienste der Musik ist mit 250.000 Euro dotiert. Die Preisverleihung findet am 18. Mai 2024 im Herkulessaal der Münchner Residenz statt. Die mit je 35.000 Euro ausgestatteten Förderpreise Komposition gehen 2024 an Bára Gísladóttir aus Island, den Italiener Daniele Ghisi sowie Yiqing Zhu aus China.

Unsuk Chin, Komponistin aus Südkorea, in ihrer Berliner Wohnung (Rui Camilo © EvS)

Die Ernst von Siemens Musikstiftung hat die Preisträger 2024 für Komposition bekanntgegeben. Den Hauptpreis erhält die aus Südkorea stammende Komponistin Unsuk Chin (*1961), die nach Studien in ihrer Heimat mit einem DAAD-Stipendium 1985 in Hamburg Schülerin von György Ligeti wurde und seit langem in Berlin lebt – bei nunmehr 51 Preisträgern erst die fünfte Frau. Als vor zwei Jahren die Deutsche Grammophon die Aufnahmen der 1. & 3. Symphonie der farbigen Amerikanerin Florence Price unter Yannick Nézet-Séguin – zunächst – als erste CD des Labels überhaupt vorstellte, die dem Werk einer einzigen Komponistin gewidmet sei, lag deren PR-Abteilung daneben. Tatsächlich war bereits 2005 in der Reihe DG 20/21 ein Album erschienen, das ausschließlich Musik keiner Geringeren als Unsuk Chin enthielt, darunter zwei Schlüsselwerke: Xi für Ensemble und Elektronik sowie Akrostichon-Wortspiel. Darin vertonte sie – neben Michael Ende – schon Texte von Lewis Caroll, der Dichterin, die später Inspirationsquelle für ihre bisher einzige Oper Alice in Wonderland wurde – 2007 erfolgreich von Kent Nagano an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt.

Chin wurde insbesondere durch bis ins kleinste Detail ausgetüftelte, oft großbesetzte Orchesterwerke berühmt. Hier entwickelte die Komponistin eine ganz persönliche Klangsprache von berauschender Farbigkeit und Intensität. Ihre Instrumentalkonzerte – neben je einem für Klavier, Violine und Violoncello erstaunte Chin 2010 mit Šu für die chinesische Mundorgel Sheng – machen längst einen Siegeszug um die ganze Welt. Letzteres war – mit Wu Wei, freilich dem einzigen Solisten, der Šu bislang bewältigt – vor anderthalb Jahren bei der musiva viva in München zu hören. Darin zeigt sich auch, dass Unsuk Chin bei der Einbeziehung fernöstlicher Elemente einen ganz anderen Weg geht als etwa ihr Landsmann Isang Yun. Zu welchen vokalen Großtaten sie fähig ist, beweist nicht zuletzt die Komposition Le silence des Sirènes (2014), erst kürzlich in einer hinreißenden Aufnahme mit Barbara Hannigan und den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle erschienen.

Man darf schon jetzt darauf gespannt sein, welche ihrer Werke bei der offiziellen Preisverleihung am 18. Mai 2024 um 19.30 Uhr im Herkulessaal der Münchner Residenz zu hören sein werden. In diesem Rahmen werden dann auch wieder die drei Förderpreisträger Komposition in filmischen Kurzporträts von Johannes List vorgestellt werden – immer ein echtes, oft witziges Highlight dieser Veranstaltung.

Als diesjährige Förderpreisträger Komposition der Ernst von Siemens Musikstiftung wurden benannt:

Bára Gísladóttir (*1989), einmal mehr ein herausragendes Beispiel der für ein so kleines Land überaus aktiven Neue-Musik-Szene Islands mit geradezu erstaunlich vielen weiblichen Protagonistinnen.

Daniele Ghisi (*1984) – Der Italiener war u. a. Schüler des in Deutschland immer noch weit unterschätzten Stefano Gervasoni, studierte daneben Mathematik und untersuchte in seiner Dissertation Techniken für computergestützte Komposition.

Yiqing Zhu (*1989) – Der chinesische Komponist und Pianist schloss nach Jahren in Shanghai und Kopenhagen 2019 sein Studium in Stuttgart ab, u. a. bei Marco Stroppa. Neben der zeitgenössischen Musik setzt er sich auch mit der traditionellen östlichen Musik, der elektronischen Musik, dem Jazz, der Welt- sowie der Popularmusik auseinander.

Weitere Informationen – darunter ausführlichere Essays – zu den Preisträgern 2024 findet man auf der Website der Ernst von Siemens Musikstiftung. Entgegen weitverbreiteter Meinung ist der Besuch des Preisverleihungskonzertes keineswegs nur geladenen Gästen vorbehalten, sondern die Veranstaltung steht – wie bisher – auch dem interessierten Publikum offen, wenn man sich vorher bei der Stiftung anmeldet (preisverleihung@evs-musikstiftung.ch).

[Martin Blaumeiser, 25. Januar 2024]