Schlagwort-Archive: cpo

Ein vergessenes Meisterwerk

Feliks Nowowiejski (1877-1946): Quo vadis – Oratorium für Soli, gemischten Chor, Orgel und Orchester

Wioletta Chodowicz, Sopran; Robert Gierlach, Bariton; Wojtek Gierlach, Bass; Slawomir Kaminski, Orgel; Podlasie Opern- und Philharmonischer Chor (Violetta Bielecka, Chormeisterin); Poznan Philharmonisches Orchester (Lukasz Borowicz, Dirigent)

cpo CD 555089 – 2; EAN: 7 61203 50892 1

Als Henryk Sienkiewicz 1885 seinen Roman „Quo vadis“ veröffentlichte, dachte er dabei sicher weder an den Nobelpreis, den er 1905 dafür bekam, noch daran, dass sein Landsmann Feliks Nowowiejski ihn 1903 als Vorlage für sein gleichnamiges Oratorium verwenden würde. Aber beides geschah, und so wurde dieses Meisterwerk der Literatur in Musik umgesetzt – was damals in der europäischen und auch in der amerikanischen Musikwelt eine höchst erfolgreiche Aufführungsgeschichte zur Folge hatte.

Warum dieses Oratorium von der Bühne verschwunden ist, das hat sicher auch mit der Kulturpolitik des Dritten Reichs zu tun, denn ab 1939 verschwand das Werk aus dem Konzertleben und wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg wieder aus der Versenkung geholt.

Es behandelt in monumentaler Form die letzten Tage der Herrschaft Kaiser Neros, wobei der Chor als Stimme des Dichters Petrus mit den Augen des Geistes seinem Weg aus Rom fort und wieder zurück folgt.

Das Verdienst der Labels cpo in Bezug auf polnische Musik ist nicht nur die (Wieder-)Entdeckung der Musik von Sir Andrzej Panufnik unter Lukasz Borowicz in vorzüglichen Aufnahmen, sondern hier nun auch, die Bekanntschaft zu ermöglichen mit einem der größten Erfolge der Musikgeschichte, einem Werk von mitreißend heroischem Charakter und episch fesselnder Dimension. Ab 1911 – dem Jahr der Uraufführung der revidierten Fassung in Amsterdam – wurde das Werk tatsächlich weltweit über 200 Mal auf die Bühne gebracht. Der Komponist allerdings geriet international in Vergessenheit, nur in Polen, wo er lebte und komponierte, blieb er einigermaßen lebendig. Allerdings im Schatten der berühmteren Landleute wie Szymanowski oder Rosycki. Zum 70. Todestag des Nowowiejskis kommt also die Möglichkeit, eines der großartigsten Werke der Romantik neu zu erleben, wie gerufen. Das Booklet – übrigens mit einem Textbeitrag von Lukasz Borowicz selbst – gibt über die Handlung, die musikalische Struktur und die Hintergründe des Komponisten und seines Meisterwerkes erschöpfend Auskunft. Natürlich mit Bildern und Beschreibung der einzelnen Mitwirkenden, selbstverständlich.

Wie schon des Öfteren erwähnt, ist das Medium CD in den letzten Jahrzehnten zum idealen Vermittler für Entdeckungen auf dem ungeheuer reichhaltigen und noch immer faszinierende Gebiet unbekannter Musik geworden und ein mehr als nur geeignetes Mittel, der Geschichte Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, jenseits aller anderen Möglichkeiten im Internet (gar nicht zu reden von der klanglichen Qualität der silbernen Scheibe, wenn sie so vorzüglich aufgenommen ist wie die hier vorliegende). Eine große Empfehlung!

[Ulrich Hermann, Juni 2017]

Martin Luther und die Musik

Musik von  Wernern Fabricius (1633-79), Martin Luther (1483-1546), Hans Neusidler (ca. 1508-63), Thomas Stoltzer (1480-1526), Johann Walter (1496-1570), Heinrich Schütz (1585-1672), Johann Eccard (1553-1611), Michael Praetorius (1571-1621), Johann Rosenmüller (1617-84), Lukas Osiander (1534-1604), Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Monika Mauch, Ina Siedlaczek, Franz Vitzthum, Georg Poplutz, Nils Giebelhausen, Markus Flaig, Jens Hamann

Bach Chor Siegen  –  Johann Rosenmüller-Ensemble
Ulrich Stötzel

CPO 555 089 -2; EAN: 7 61203 50982 9

Rechtzeitig zum „Luther-Jahr“ erscheint diese CD, und schon auf den ersten Blick wird die unerhört spannende Bandbreite erlebbar. Von Luther selbst bis zu Bach, der sich ja in fast all seinen Kantaten sehr stark auf Luther stützt und beruft. Und wer hier etwa frömmelndes Protestantentum erwartet, wird sofort eines Besseren belehrt bzw. „be-schallt“. Nicht mit Pauken und Trompeten, aber mit Chor und Instrumenten kommt die Musik daher, so gar nicht akademisch und auch nicht historisch-hysterisch, nein, und „Jauchzet, Ihr Himmel!“ so heißt gleich das erste Stück.

Alles in allem zeigt diese CD, wie Musik zum Lutherjahr klingen kann und soll. Von Luther (1483-1546) und seinen Zeitgenossen Thomas Stoltzer (1480-1526) und  Johann Walter (1496-1570) über  Hans Neusidler (1508- 1563), Heinrich Schütz (1496-1570), Johann Eccard (1553-1611) und Michael Praetorius 1571-1621) bis zu Lukas Osiander (1534-1604), Johann Rosenmüller (1617-1684) – der auch dem Ensemble seinen Namen gibt –  und zuletzt Johann Sebastian Bach (1685-1750) spannt sich ein weiter Bogen. Sie alle haben Luther als Ahnvater und Ideengeber. So verschiedenartig die einzelnen Stücke auch sind in Instrumentation und Gesangs- bzw. Chor-Stil, beziehen sie sich doch alle eindeutig auf den Begründer des Protestantismus. Dieser selbst hat ja auch als Musiker die Kraft der Musik sehr hoch eingeschätzt als Trägerin der Glaubensinhalte und im Gottesdienst.

Die Ausführenden haben Spaß und Lust am Musizieren, das hört man an allen Stellen, die Sängerinnen und Sänger sind textverständlich, soweit das bei derlei polyphonen Kompositionen möglich ist.

Zum Lutherjahr 2017 also auch musikalisch eine gelungene Einspielung, die so manche andere CD – wie z. B. eine ebenfalls kürzlich bei cpo erschienene mit Musik von Praetorius – um Längen hinter sich lässt

PS. Das sehr ausführliche Booklet besticht mit ausgezeichneten Informationen und den Texten der einzelnen Stücke, was ein zusätzliches Verdienst dieser CD ist.

[Ulrich Hermann April, 2017]

Aktuelle Musizierpraxis

cpo 555 077-2; EAN: 7 61203 50772 6

Die dritte CD mit Kammermusikwerken von Niels W. Gade widmet sich dem großen Streichoktett op. 17 F-Dur, dem Streichquartett-Satz a-Moll sowie dem unvollendeten Streichquartett F-Dur. Es spielt das Ensemble MidtVest, im Oktett erweitert durch das Danish String Quartet.

Lob vom Kontinent und Kritik aus dem Norden, mit diesen Oppositionen hatte es Niels Wilhelm Gade zu tun. Als Schüler von Mendelssohn und gefördert unter anderem von Schumann gewann Gade schnell eine weitreichende Reputation, doch andererseits warfen ihm Ole Bull und später auch dessen Schützling Edvard Grieg „verweichlichten Skandinavismus“ vor, der das echt nordische verriete. Dabei stand Grieg als Schüler Gades lange Zeit unter dessen Einfluss, wurde durch ihn zu seiner Symphonie und seiner einzigen Klaviersonate (unter anderem tonartlich und motivisch mit unverkennbaren Gemeinsamkeiten zu Gades Klaviersonate gespickt) inspiriert – zumindest bis sein „guter Engel“ (so Grieg später) Ole Bull ihm sagte, würde er Gade weiter folgen, watete er nur im Schlamm. Gerade bei der Betrachtung von Gades Frühwerk ist dieser Vorwurf allerdings nicht zutreffend, in jungem Alter verfasste der Däne unglaublich inspirierte Musik in lebendiger Formung und von größtem Einfallsreichtum. Später wurde er verkopfter, akademischer, und ließ sich nicht mehr so sehr von seinem Naturell treiben. Auf vorliegender CD sind Werke seiner früheren Jahre zu hören, von den Quartett-Fragmenten 1836 (Gade war gerade einmal 19) und 1840 bis zum Oktett von 1848.

Das Ensemble MidtVest spielte bisher Holmboe, Jørgen Jersild, Abrahamsen und Bruun ein, ist bisher jedoch noch nicht im internationalen Bewusstsein angekommen. Vom Danish String Quartet, welches das Ensemble im Oktett ergänzt, ist man hohen Standard gewohnt, seine Aufnahmen von unter anderen Carl Nielsen, Brahms, Robert Fuchs oder der aktuellen Zeitgenossen Nørgård, Abrahamsen und Adès bestechen mit exzellenter Darbietung.

Das Ensemble MidtVest hält den vom Danish String Quartet gesetzten Standards nicht ganz stand, kommt nicht an die Ungezwungenheit und Inspiration der Kollegen heran. In den Quartetten ist dies klar wahrnehmbar, und auch im Oktett können die vier Musiker des Danish String Quartett in der zusammengestellten Konstellation keine deutliche Verbesserung bewirken. Stattdessen erlebt der Hörer ein Musterbeispiel für aktuelle Musizierpraxis: Alles ist klar und lupenrein, brillant in der Tongebung und oberflächlich schön anzuhören; doch geht man schnell verloren in dieser an sich nicht zu komplexen Musik, verliert den Sinn für Zusammenhang. Woran liegt dies? Die Musiker spielen alles, was in der Partitur steht und setzen es genauestens um. Hierbei vergessen sie allerdings, dass die Noten lediglich annähernde Hinführung an eine Manifestation von etwas Klingendem sind und nur einen Teil des zu erzielenden Resultats darstellen. Erst wenn die Korrelation der Töne erspürt wurde, eine natürlich den Spannungsgesetzen folgende Phrasierung der Musik durch inspirierten Geist Leben einhaucht, ist etwas Vollständiges wahrzunehmen. Immer mehr geht das Bewusstsein darüber verloren und wir hören „Verstaubtes“, lediglich die Partitur Wiedergebendes. (Ebenso häufig das zweite Extrem, die blanke Willkür, die durch unerhörte Freiheiten die physikalisch-musikalischen Gesetzmäßigkeiten verleugnet und am Kern der Musik vorbeigeht, sinnfrei wie ziellos herumexperimentiert.) Sowohl in den Quartetten wie auch im Oktett wird viel des Angemahnten vernachlässigt, von zusammenhängend erlebter Form kann keine Rede sein, und die Gestaltung ist nicht im Einklang mit den Spannungsverläufen, bis hin zur Betonung von offensichtlichen Auflösungen.

[Oliver Fraenzke, April 2017]

Historisch nicht hysterisch

Johann Sebastian Bach (1685-1750): Dialog-Kantaten
Ach Gott, wie manches Herzeleid BWV 58; Liebster Jesu, mein Verlangen BWV 32; Concerto für Oboe d’amore & Orchester BWV 1055R; Selig ist der Mann BWV 57

Hana Blaziková, Sopran; Dominik Wörner, Bass; Kirchheimer BachConsort; Alfredo Bernardini, Oboe, Oboe d’amore und Leitung

Cpo 555 068-2; EAN: 7 61203 50682 8

Bei dieser CD stimmt alles, das Tempo – gemessen und nie überhastet –, der Klang, die Phrasierung, die Stimmen, das Timbre, kurz: eine Entdeckung. Besonders das Konzert für Oboe d’amore und Orchester BWV 1055R ist ein echter Fund, aber auch die Dialog-Kantaten bereichern das Repertoire. Bei Bach –wie das kürzlich erschienene Buch von John Eliot Gardiner mit dem Titel „Bach – Musik für die Himmelsburg“ zeigt – gibt es immer wieder und immer noch Ungeheuerliches zu entdecken. Besonders das Verhältnis vom Text zur Musik ist in seiner ganzen Tiefe noch längst nicht ausgelotet. Aber auch bei den Instrumental-Stücken, wie das vorliegende Beispiel zeigt, ist noch Luft für Neues, Unerhörtes. Alfredo Bernardini leitet nicht nur gelassen und überzeugend begleitend die Kantaten, sondern ist auch als Solist auf der Oboe in allen Bereichen kompetent und vom Klang her – hin und wieder erinnert die Oboe d’amore fast an ein Cello – sehr gültig und beeindruckend.

Über Weiteres gibt das – wie bei CPO fast immer – umfassend informierende Booklet Auskunft. Mein Fazit ist also, dass diese CD ein überzeugender Treffer ist und das Bach’sche Œuvre auf CD erfreulich bereichert.

[Ulrich Hermann, Januar 2017]

Rundum gelungen

Sigmund Romberg: „The Student Prince“

Dominik Wortig  Tenor; Anja Petersen  Sopran; Frank Blees  Bass-Bariton; Arantza Ezenarro  Sopran; Vincent Schirrmacher  Tenor; Wieland Satter  Bass-Bariton; Joan Ribalta  Tenor; Theresa Nelles  Sopran; Christian Sturm  Tenor

WDR Rundfunkchor Köln; WDR Funkhausorchester Köln; Leitung: John Mauceri

Aufnahme: 18.-22.07. 2012, Köln, Klaus-von-Bismarck-Saal

cpo 555 058-2; EAN: 761203505821

Wem in Deutschland sagt der Name „Sigmund Romberg“ oder dessen Werkes Name: „The Student Prince“ etwas?

Vielen vermutlich: nichts!

Es handelt sich um eine Broadway-Operette, die in einem vergangenen Deutschland spielt. Der Kronanwärter eines fiktiven Königreiches beschließt, wohlberaten, seine Jugend im studentischen Milieu auszukosten – vulgo: sich die Hörner abzustoßen.

In Heidelberg!

„Lange lieb‘ ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du, der Vaterlandsschönste
Ländlichschönste, soviel ich sah“

Sträuche blühten herab, bis wo im heitren Thal,
An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.“

 

… schrieb Hölderlin, der, wie wohl jeder, der einmal dort war, dem Charme dieses Städtchens erlag. Der Ort, so lieblich am Neckar gelegen, umsäumt von Wald und Berg, gekrönt von einer Ruine aus alter Zeit – wie kann der nicht verzaubern?

Heidelberg! Ein Topos heiterer Heimatlichkeit. Samt jokoser Studentenschaft, Frühlingsstimmung pubertärer Gelauntheit und dem tief schwelenden Gefühl der Zuversicht: hier ist es gut und so wird es bleiben!

Nun bequemt sich also der Thronanwärter in diese magische Stadt und verliebt sich in eine fesche Gastwirtin, die seine Gefühle erwidert. Es kommt, wie es kommen muss: des Prinzen Opa scheidet dahin, der Prinz wird König mit allen Verpflichtungen – samt standesgemäßer Ehe -, wie es das Amt gebeut. Aber er schwelgt in Sehnsucht nach der unbeschwerten Heiterkeit und Jugend in Heidelberg mit saufseligen Kumpanen und: seiner immer noch geliebten Cathy.

Es gibt ein Rendezvous. Prinz Karl-Franz und seine Cathy begegnen sich erneut, beide aber in der Einsicht, dass die Tage der unbeschwerten Jugend vorbei sind und jeder der beiden, einen eignen Weg – vielleicht nicht des Glückes, aber der Bequemlichkeit – beschreiten werden.

Kitschig? Klingt nach einer Schlicht-Version von Fontanes „Irrungen, Wirrungen“.

Tatsächlich fußt das Werk auf dem tränenseligen Theaterstück von Herren Meyer-Förster, das 1901 seine Premiere erlebte und bis in die 1920er ein großer Erfolg war. Nötig zu sagen, was Brecht darüber dachte?

Romberg, entgegen der Vorlage, verfällt nicht dem Naheliegenden: aus dem Stoff eine sentimentale Geschichte zu zimmern mit Schmacht, Tränen und Sehnsucht nach verflossenem Glück.

Frisch, heiter und mit Zunder geht es da zu! Gefühlvolles kommt nicht zu kurz, wird aber keineswegs über Gebühr breitgetreten. Studentischer Marsch wechselt sich ab mit Dreiviertelseligkeit. Immer klar im Klang, bewusst der zu erzeugenden Stimmung. Hörbar einem „deutschen“ Klangideal verpflichtet. Da ist noch gar nichts von schmalzübergossenem Broadway zu hören. Schlank und sinnlich breitet sich alles dem Hörer dar.

Romberg: er schüttet kein Füllhorn an musikalischen Ideen aus, vielmehr vertraut er auf einige Linien, die er variierend präsentiert, dass diese sich, wie der bekannte Wurm, in‘s Ohr bohren.

Was bleibt außer: ein ganz großes Lob, als den Pour-le-Mérite- an das ganze Ensemble zu vergeben für ein rundum-gelungenes Vergnügen?

Das kleine Nichts, was dieses Stück nun mal ist: es wird mit Freude und Können dargeboten. Keinen Moment fällt man in die so wohlfeile Gefühl-Falle. Im Gegenteil: diese „Sachlichkeit“ wertet auf.

Rhythmisch sicher – das Orchester, seiner Farben bewusst.

Der Chor: Glanzleistung!

Das Funkhausorchester Köln, nun auch weit über Nordrhein-Westfalen hinaus bekannt unter der Ägide von Wayne Marshall, versiert im Gerne der vermeintlich leichten Muse, vollbringt hier Großes.

Herrn John Mauceri als Leiter unterläuft kein Fehler.

Vokal: Frau Petersen, deren schlanke Stimme so sehr passt und den warmen Tenor von Herrn Wortig im Duo hell und klar umrankt!

Romberg schreib keine Musikgeschichte. Aber ein kleines, sympathisches Stück, das – wenn es wie hier so anrührend in leidenschaftlicher Perfektion gegeben – mehr als lässliche Nichtigkeit daherkommt.

Das Ganze: kein Eskapismus – nur Gedenken an das Vergangene. Erinnerung, die im Leben jeden Tag mehr und mehr die Zukunft frisst und das Gewesene über Maß vergoldet.

Beckmesser: Libretto im Booklet…Essig! Nun aber ist das Ganze auf Englisch gesungen! Da bedarf es doch eines nachvollziehbaren Textes! Mutmaßlich dürften die Rechteinhaber auf zu viel Entgelt bestanden haben. Diese „geldige“ Zielsetzung wird der weiteren Verbreitung des Stückes indes wenig helfen – und damit den potentiell Begünstigten selbst.

Volle Punktzahl! Für das ganze Ensemble. Eine seltene Freude!

[Stefan Reik, November 2016]

P.S. Es existiert eine Filmversion des Stoffes von Ernst Lubitsch. Verfügbar im Netz – und sehr sehenswert.

Eine ungarische Hochzeit

Nico Dostal – „Eine Ungarische Hochzeit“
Franz-Lehár-Orchester; Leitung: Marius Burkert
Aufnahme: 17-19.08. 2015, Bad Ischl

dieklangschmiede
cpo 77 974-2; EAN: 7 61203 79742 4

Nico Dostals Operette fiel aus der Zeit. Komponiert in den 1930ern, uraufgeführt 1939 in Stuttgart, blieb sie der Vergangenheit verhaftet – nein, versuchte die entschwundene Zeit vergeblich wiederzubeleben. Der damaligen Gegenwart entkoppelt.

Operette, einst ein Medium subversiver Gesellschafts- und Sozialkritik in ihrer Hoch-Zeit, die mit großzügigem Augenzwinkern viele Heucheleien und Verwerfungen der ausgehenden, dann ausgegangenen Kaiserzeit unter die (versöhnlich gefärbte) Lupe nahm – hier ist davon nichts mehr vorhanden.

Die Handlung kurzgefasst: Graf tauscht mit Lakai die Identität. Einfaches Mädel verliebt sich in den scheinbaren Grafen – falscher Lakai verliebt sich in standesgemäß adäquates Fräulein, die hadert, nun einen vermeintlichen Diener anzuschmachten, aber ihn gegen die Widrigkeiten aller Standesdünkel dennoch liebt. Am Ende – wen wundert es – geht es gut aus. Das klingt nach Operette, ist es aber nur bedingt. Denn, wie oben angedeutet, war dereinst Operette nicht nur ulkiges Amüsement, sondern auch subtil formulierte Gesellschafts-, ja fast auch: Systemkritik. Das Libretto der „Ungarischen Hochzeit“ bietet hierzu nichts an. Sie stellt ein sinnfreies Abspulen von harmlosen Verwechslungen, Missverständnissen und gutem Ausgang dar. Am Ende behauptet sich das Ideal eines ständisch geordneten, monogamen Glückes – und sogar von der Kaiserin Maria Theresia (Frau Dolores Schmidinger – als Sprechstimme eindrucksvoll und launig dargeboten) als göttlicher Stimme in aller Güte verordnet und abgesegnet.

So flach wie die Handlung – auch die Dramaturgie und Musik. Dostal vermag durchaus gefällige Linien zu schreiben. Kehlengerecht und schmiegsam. Wie aber der lässliche Text, so auch die Musik: kein einziger Schritt über das geziemende Maß hinaus – keine burlesken, geschweige: grotesken Momente. Kein Versuch, aus den vorhandenen erotischen Spannungen leidenschaftliche oder abgründige Momente zu gestalten, Situationen, die das Wohlgefühl gefährden könnten. Dostal riskiert und gewinnt auch nichts. Das eckt nicht an, reißt nicht mit – plätschert.

Er nützt das Kolorit des Ungarischen nur als Würze aus dem Streuer. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Klängen und musikalischen Valeurs Ungarns klänge anders. Im Gegenteil – streckenweise vergisst er den Anspruch, auf überall „Paprika“ zu rieseln – und dann sind wir plötzlich bei einer beliebigen Gefälligkeit, die so viel – zu viel in den von oben gewollten Nichtigkeiten späterer Ufa-Filme erklingen sollte.

Dieses Stück Musiktheater hatte damals keinen Bezug zu seiner Zeit – somit noch weniger heute zu unserer. Kein Verbrechen, es zu inszenieren und einzuspielen. Bei letzterem Vorhaben sei allerdings die Frage gestattet, weshalb?

Die Musik enträt fesselnder Momente – eines Ohrwurms, eines Schlagers – Momente, wo Musik und Handlung sich fügen zu einer (wenn auch nur angedeuteten) Entgrenzung.

Die vorliegende Aufnahme stellt dahingehend zufrieden, dass Handlung, Musik und deren Darstellung gut zusammenpassen. Hervorzuheben ist die sehr gute Textverständlichkeit, auch in den gesprochenen Partien.

Das Orchester macht alles richtig – allein die Leitung unter Marius Burkert verschenkt fast alles. Mit mehr Rubato, Gas-geben, Nachlassen, Wieder-anziehen, so wie man es von (meistens schlechten) „alla zingarese“-Darbietungen kennt, wäre doch etliches mehr an Attraktivität gewonnen gewesen. Auch das „Wenige“ gilt es ernst zu nehmen und mit Leidenschaft anzupacken. Take it for serious or leave it!

Blutleer – als ob das Ganze den Bohei eh‘ nicht wert gewesen sei. – also: con passione: Fehlanzeige, Herr Kapellmeister! Schade!

Die sängerischen Leistungen – achtbar.

Herausragend zu erwähnen: Frau Regina Riel als Janka, die in der Nummer 14, der Romanze, mit Leichtigkeit und schlankem, klarem Ton den einzigen Moment des Werkes, der etwas tiefer schürft, so tief, wie es die flache Musik erlaubt, sehr schön auszuloten weiß.

[Stefan Reik, Oktober 2016]

Händel in absoluter orchestraler Vollendung

Georg Friedrich Händel
Orgelkonzerte Op. 7 Nr. 1-6, Fassung für Klavier und Streichorchester
Matthias Kirschnereit, Deutsche Kammerakademie Neuss, Lavard Skou Larsen
cpo 777855-2 (EAN: 761203785520)

Georg Friedrich Händels unsterbliche Orgelkonzerte auf das Klavier zu übertragen: eine wunderbare Idee, denn nicht nur gibt es dadurch endlich auch von ihm Klavierkonzerte, die mehr als attraktiv für den Solisten wie für den Hörer sind, sondern es ergibt sich dadurch die Gelegenheit einer tatsächlich musikalisch differenzierten Gestaltung hinsichtlich Dynamik und Nuancierung der Artikulation, die ungemein belebend wirkt und die Orgel musikalisch weit hinter sich lässt, sofern der Solist der Sache stilistisch gewachsen ist und die innermusikalischen Zusammenhänge tatsächlich erfasst.

Um es vorweg zu nehmen: auch mit dieser abschließenden Folge ist man der ‚Konkurrentin’ Ragna Schirmer in jeder Hinsicht weit voraus, zu nivelliert und eintönig war ihr nur klanglich experimenteller Zugang, der ja damals in einem etwas missglückten Crossover-Versuch ‚kulminierte’. Doch auch Matthias Kirschnereits Darbietung hat ihre Schwächen, wenngleich auf verfeinertem Niveau.

Die eigentliche Sensation dieser Einspielung ist das Orchester. Wohl niemand heute ist in der Lage, Händels Geist in solch emphatisch beschwingter und zugleich endlich mal wieder auch die tieferen Schichten der Musik erspürender Weise aufzuführen. Wie wunderbar bewusst alles artikuliert und wie gesanglich phrasiert das durchgehend ist, wie unwiderstehlich die Themen herausgeschält werden und die Begleitung eben nicht in den eingeebneten Routinemodus verfällt, der sich einstellt, wenn die Inspiration an der Oberfläche – also lediglich auf die offensichtlichen Hauptstimmen bezogen – bleibt. Keine Spur davon. Dieser Händel ist ein Fest ohnegleichen, er knüpft im besten, aufgeklärten Sinne an an die unvergänglichen Dokumente, die wir beispielsweise von Wilhelm Furtwängler oder den Adolf Busch Chamber Players besitzen. Er hat also das Zeug, vielleicht irgendwann als würdiges ‚Weltkulturerbe’ erkannt und gewürdigt zu werden. Ja, in Neuss dreht sich die Uhr der Musik weiter, während sie vielerorts, wo viel mehr mediale Aufmerksamkeit eingefordert wird, stagniert oder sich im Rädchen vermeintlicher Perfektion „zurückdreht“. Man kann eben aus dem vollen Musizieren, muss keine Puppenstuben-Niedlichkeiten oder dümmlichen Grobheiten begehen, um in der Musik jene Ursprünglichkeit, Kraft und Freude wiederzuentdecken, die sie potentiell stets in sich getragen hat. Ungehemmt, ja geradezu ungestüm gelegentlich, in den langsamen Sätzen mit Würde, Tiefe, Pracht und – ja! – Erhabenheit, und niemals ins Willkürliche, Altmodische, Sentimentale abgleitend. Stets schlank, leicht, beweglich und geschmeidig, und dabei in strahlender Fülle und mit jenem innerlichen Prunk geschmückt, wie ihn nur Händel hat, und der, versucht man ihn zu vermeiden, wie eine Amputation wirkt. Skou Larsen und seine hellwache Truppe bringen das singuläre Kunststück zustande, sowohl offenkundig historisch informiert als auch zeitlos im Ausdruck zu sein – das können nur paradoxe Charakterisierungen fassen: spannungsvoll und vollkommen losgelöst, den weit ausschwingenden Bogen mit fein ziselierter Detailkunst überhaupt erst organisch erstehen lassend, rundherum hochkultiviert und immer von entschiedenem Charakter. Solist Kirschnereit hat derart traumhafte Bedingungen für sein Agieren, das bei aller Liebe zum Detail, pianistischen Finesse und wendigen Lyrik die klare Orientierung vor allem hinsichtlich der größeren Entwicklungszüge vermissen lässt. Da er alle dynamischen Möglichkeiten des Klaviers hat, bräuchte es eben nicht jene verspielten Rubati, die fortwährend die durchgängige Kraft und Linie unterbrechen oder schwächen. Doch das Orchester fängt all diese Schlingereien jedes Mal in souveränster und hinreißend klar konturierter Weise auf. So ist es insgesamt doch eine großartige Sache.

Niemand heute vermag Händels Musik auch nur annähernd so reich und charakteristisch aufzuführen. Es wäre der große Wunsch des Rezensenten, dass sich Lavard Skou Larsen und die Deutsche Kammerakademie nun auch der 12 Concerti grossi op. 6 – und, wenn noch ein weiterer Wunsch drin wäre, auch der Concerti grossi von Arcangelo Corelli – annehmen. So gespielt, würde jeder Hörer damit einen Sechser ziehen, mit passender Zusatzzahl, und das ganz ohne Lotto, sondern via cpo in Osnabrück. Nicht aufhören, unbedingt weiter so!

[Ernst Richter, August 2016]

Totentanz als Urthema

FRANK MARTIN (1890-1974)
Ein Totentanz zu Basel im Jahre 1943

ARMAB ORCHESTRA
SACRAMENTSKOOR
HINENI STRING ORCHETRA
BASEL DRUMS
Geofrey Madge, Piano
Bastiaan Blomhert, conductor

Cpo 777 997-2
7 61203 79972 5

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts  malte man auf die Friedhofsmauern des Dominikanerklosters zu Basel 37 Bilder, die das schon seit langem bekannte Sujet des Totentanzes darstellten. Zerstört im Jahr 1805, blieben nur wenige Stücke für die Nachwelt erhalten. (Bei Google gibt es ein Aquarell mit allen 37 Darstellungen!)

1943 bat die Pantomimin Mariette von Meyenburg ihren Onkel Frank Martin um die Musik zu einer entsprechenden Theateraufführung. Leider ist nicht die gesamte Musik erhalten, einige Stücke wurden neu komponiert, andere aus anderen Kompositionen übernommen. Das hervorragende, mit mancherlei Bildern bestückte Booklet gibt ausführlich Auskunft und enthält auch die gesungenen Texte. Die Textverständlichkeit der Chöre lässt allerdings oftmals sehr zu wünschen übrig, was bei diesem holländischen Chor ein echter Makel ist. Zumal wo die Texte oft geistlichen Ursprungs sind, oder, wie auch das von ca. 1580 überlieferte Landknechts-Lied  mit dem Text „der grimmig Tod mit seinem Pfeil“ von Balthasar Bidembach (1533-1578). Also wäre ein Coach fürs Deutsche dringend nötig gewesen. (Beispiel gefällig: Kann ihm ent-rie-nen bzw. von hie-nen, statt entrinnen und von hinnen!!) Und das ist nicht der einzige Lapsus.

Die Musik, ausgehend von noch heute in Basel lebendigen Trommelstücken bis hin zu jazzmäßigen Einschüben aus Martins Kompositionen, fußt auf entsprechenden Liedern aus diversen evangelischen Gesangsbüchern, die meist mit kleinem Orchester begleitet werden. Sie beleuchten die verschiedenen „Paarungen“, die der Tod mit den Personen eingeht, die er sich holt, oder die ihn suchen. Martin, der seinen Stil aus Zwölftontechnik und klassischer tonaler Tonsprache entwickelte, komponierte neben einer ganzen Reihe von Vokalwerken (z. B. der Messe für zwei vierstimmige Chöre von 1922 und 1926) oder einem Requiem (1971/72) auch Instrumentalkonzerte für verschiedene Instrumente, Opern wie „Der Sturm“ von 1956 und Kammermusik. Seine Musik ist ansprechend ohne je simpel zu sein, so auch auf der vorliegenden CD von cpo. Neben Malern, die sich mit dem Thema „Totentanz“ beschäftigt haben, gibt es Tonschöpfungen, z. B. Franz Liszts (1811-1886Totentanz (1847-49), den „Danse Macabre“ von Camille Saint –Saëns (1835-1921) oder „Ein Totentanz“ von Wilhelm Kempff (1895-1991), und auch von Hugo Distler (1908-1942). Wolfgang Andreas Schultz (*1948) komponierte 1986 einen Totentanz. Frank Martins 1943 entstandene Komposition, die in Basel mitten im zweiten Weltkrieg auch ihre beeindruckende Uraufführung – und abgesehen von einer Wiederaufnahme 1992 einzige Aufführung – erlebte, wie die Bilder im Booklet  ebenfalls zeigen, knüpft an eine Vorlage an, die nicht nur für Maler wie Dürer und Holbein oder für Dichter wie Gryphius und Goethe oder Rilke Anlass schöpferischer Auseinandersetzung waren, sondern auch immer wieder Musikern wie Schubert, Mussorsky, Alban Berg oder Honegger und vielen anderen als Vorwurf zu ihren Kompositionen dienten.

[Ulrich Hermann, Juli 2016]

Wem Gott will rechte Gunst erweisen

Friedrich Theodor Fröhlich: The Complete String Quartets
Rasumowsky Quartett
Dora Bratchkova, Violine
Ewgenia Grandjean, Violine
Gerhard Müller, Viola
Alina Kudelevic, Violoncello
cpo 555017-2
EAN  761203501724

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Wer kennt nicht dieses strahlend optimistische Marsch-Wanderlied aus dem Anfang von Joseph Freiherr von Eichendorffs erzromantischer Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts? Aber kaum jemand kennt den Aargauer Komponisten Friedrich Theodor Fröhlich (1803-1836). Von ihm stammt (kaum älter als der Text) die Melodie dazu. Erst recht unbekannt sind seine vier Streichquartette, die nun erstmals komplett auf vorliegender Doppel-CD vom Rasumowski Quartett eingespielt wurden.

Weil es großartige Musik ist, obendrein großartig eingespielt, wird man traurig über den allgemeinen Stumpfsinn gegenüber Fröhlichs Werk, damals wie heute. Weil diese Ignoranz exemplarisch steht für die Rezeption von „Nicht-Titanen“, möchte ich mich dazu etwas breiter auslassen: In Wikipedia lesen wir: „Fröhlichs Musik ist durch erfrischende und natürliche Melodizität und Sinn für das Einfache und gleichzeitig Effektvolle gekennzeichnet. Seine Musik ist reich an gefühlhaftem Ausdruck und an unerwarteten Wendungen im Bereich des Harmonischen. Doch auch das starr Formelhafte und Schematische sowie die vielfachen Satzfehler in seinen Werken sind nicht zu übersehen. An diesen Mängeln wird erkennbar, dass Fröhlich wohl nicht nur an der provinziellen Enge seiner Umwelt, sondern auch an der wachsenden Einsicht in seine eigene künstlerische und kompositorisch-technische Unzulänglichkeit verzweifelte“. Ich musste erstaunt feststellen, dass viele gerade aus diesem sehr fragwürdigen Beitrag wörtlich abgeschrieben haben. Solche Worte gäben Fröhlich auch heute noch Grund genug, sich gleich noch einmal in die Aare zu stürzen. Ich konnte nicht herausbekommen, wie dieser Wikipedianer zu seiner „Meinung“ gelangt war. Wie dem Mitteilungsblatt des Naturschutzvereins Kloten (Schweiz) zu entnehmen ist, starb er (seinen Namen behalte ich für mich) 2010 (zwei Jahre nach seinem Beitrag über Fröhlich) im Alter von fast 83 Jahren, hoch geehrt für „sein Engagement für den Verein und für die Musik“. Über Musik zu schreiben war, neben seiner Vorstandstätigkeit im Verein, offenbar sein Hobby.

Wesentlich besser kommt Fröhlich bei Edgar Refardt, dem hochverdienten Hans Huber-Biographen, im alten MGG (Bd. 4, 1955) weg, der ihm eine „geradezu hochromantische Harmonik […] , eine Zartheit, Innigkeit und Intensität des Empfindens […], Stärke seiner Erfindung, Differenzierung der Gefühlsstimmung […]“ und „[…] eine außergewöhnliche Begabung für Erfindung charakteristischer Instrumentalfiguren […]“ attestierte, aber derlei eigenständige Beobachtung ist leider die Ausnahme.

Wenn Sie noch mehr Fundiertes zu Friedrich Theodor Fröhlich erfahren wollen, so empfehle ich Ihnen die Lektüre des sehr guten Booklet-Texts zur vorliegenden Einspielung, verfasst von Anneliese Alder. Dort kann man lesen: „Das mangelnde Interesse an einer Gesamtedition mag in den wenigen Untersuchungen begründet liegen, die den Streichquartetten handwerkliche Mängel wie Quintparallelen attestieren und Plagiate nachweisen.“  Zum Thema  Quintparallelen fällt mir ein: Am 25. Mai1826 schrieb der einflussreiche Zeitgenosse Carl Friedrich Zelter (generöses Lob für Fröhlich: „Schweizer, das hast du brav gemacht“) an seinen Freund Goethe über seinen Schüler Felix Mendelssohn Bartholdy (es geht um das fünfte Brandenburgische Konzert): „In der Partitur eines prachtvollen Konzerts von Sebastian Bach gewahrte mein Felix, als er zehn Jahre alt war [1819], mit seinen Luchsaugen sechs reine Quinten nacheinander, die ich vielleicht niemals gefunden hätte …“  Über Zelter bemerkte Fröhlich einmal bitter: „Ihm allein habe ich es zu verdanken, dass meine größeren Kompositionen noch nicht bekannt sind.“ Zum vorgeblichen Plagiats-Problem (W. Labhart: „Fröhlicher Themenklau“), das ja auf Gustav Mahler immer wieder angewendet werden könnte, fällt mir ein anderes prominentes Beispiel ein: Der Choral des vierten Satzes von Brahms‘ erster Symphonie erinnert oberflächlich, und wirklich nur oberflächlich, an Beethovens Finale aus seiner „Neunten“. Auf diese „Merkwürdigkeit“ angesprochen soll Brahms geantwortet haben: „[…] und noch merkwürdiger ist, dass das jeder Esel gleich hört!“ In Fröhlichs Streichquartetten findet man in der Tat mehrere Zitate, und wir freuen uns, wenn wir (als zuhörende Esel) etwas wiedererkennen. Da beginnt das g-Moll-Quartett  mit einem „verhalten melancholischen Thema“ (Alder) und auf einmal moduliert es nach Dur und mündet in „ … Blühe Deutsches Vaterland“ (genauer: Joseph Haydn, op. 76, Nr. 3, also das Kaiserquartett – den Text, den heute unsere Fußball-Nationalmannschaft singt, gab es damals noch nicht). Ich habe in diesem g-Moll-Quartett noch etwas Wunderschönes entdeckt: Carl Maria von Webers Freischütz war damals erst ein paar Jahre alt, aber Fröhlich hat die Oper sicher gekannt. In Agathes Arie „Leise, leise …“ ist die Stelle „Lied, erschalle! Feiernd walle …“ genau der Anfang und die Keimzelle von Fröhlichs Largo cantabile (hier allerdings dann mit einer ganz anderen Fortsetzung).

Es ist nicht einfach, Fröhlichs Kompositionsstil zu beschreiben; manchmal klingt er eher wie Schubert (z.B. im 1. Satz des f-moll-Quartetts), manchmal etwas nach Schumann, oft auch wie Weber (z. B. im 4. Satz des f-moll-Quartetts). Jemand, der frühromantische Musik liebt, aber nicht auf Namen fixiert ist, wird große Freude an diesen Streichquartetten haben, und obendrein: Er kann sie Freunden vorspielen und sie raten lassen – das wird sicher spannend! Kaum zu glauben, dass solch gute Musik bisher kaum beachtet und derart verschmäht wurde.

Noch ein paar Worte zum Rasumowsky Quartett: Ich muss (zu meiner Schande) gestehen: Zunächst dachte ich, hier habe das für seine „Nischen-Produktionen“ bekannte Label cpo  auch gleich noch einem unbekannten Ensemble eine Chance geben wollen. Weit gefehlt!: Das Quartett, zu dessen Kernrepertoire die Wiener Klassik gehört, und das auch schon zeitgenössische Werke (z. B. von dem mir unbekannten Leo Dick) uraufgeführt hat, ist schon für seine Gesamtaufnahme der 15 Streichquartette Schostakowitschs weithin mit Lob überhäuft worden. Was mir an der vorliegenden Einspielung so gut gefällt, ist das Unprätentiöse der Darstellung: Vielleicht auch, weil es nicht die dreihundertste Aufnahme der Streichquartette eines Beethoven oder Schubert ist, hatten die vier Musiker es gar nicht nötig, ihre Programmwahl durch eine sensationell neue Art der Interpretation zu rechtfertigen. Worte wie „exzentrisch“ „aufwühlend“ oder „atemberaubend“ sind hier fehl am Platz. Exzellent aufeinander eingespielt, bekennen sie sich zwar zur sogenannten historisch informierten Aufführungspraxis, haben aber kein Interesse daran, alles unbedingt „gegen den Strich“ zu bürsten. Vielmehr dienen sie „selbstvergessen“ der Darstellung dieser Musik mit vitaler Musikalität und Spielfreude. Und ihre Schostakowitsch-Quartette werde ich mir jetzt auch noch anhören!

[Hans von Koch, Mai 2016]

„Ein Kosmos feinsinniger Musik“

Georg Philipp Telemann: The Grand Concertos for mixed instruments Vol. 3
La Stagione Frankfurt, Conductor: Michael Schneider
CD 63‘09 Min., 5/2013 und 1/2014
©& cpo 2016, cpo 777 891-2
EAN  7  61203  78912  2

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Mag das (allerdings missverstandene) Diktum Strawinskys über das eine Konzert Vivaldis, das er sechshundertmal geschrieben haben soll, reichlich arrogant wirken (ich denke, es gibt sicher eine Anzahl doch im höheren zweistelligen Bereich von untereinander verschiedenen Repräsentanten Vivaldis etwa 500 erhaltener Konzerte), so kennen wir von Telemann, dessen Gesamtproduktion diejenige Bachs und Händels zusammen genommen noch übertrifft, über 100 Konzerte (leider nur ein Bruchteil dessen, was einmal existierte), und davon gleicht nun wirklich keines dem anderen.

Und so war es für mich ein Freudentag, endlich das Volume 3 der Sammlung The Grand Concertos for mixed instruments, die Michael Schneider mit seinem Orchester La Stagione Frankfurt, einem handverlesenen Ensemble von Experten für Alte Musik, in Händen zu halten. Vom gleichen Team gibt es bei cpo bereits Telemanns sämtliche verfügbaren Bläserkonzerte auf 8 Silberscheiben. Bei den 5 Konzerten der vorliegenden CD ist zwar diesmal keine Ersteinspielung dabei, aber das schmälert den Repertoirewert des Gesamtprojekts – abgesehen von der schwer zu toppenden Qualität –  keineswegs. So kenne ich zum Beispiel keine vergleichbar gute Einspielung des wunderbaren Quadrupel-Konzerts TWV 54:D1 für zwei Traversflöten, Solo-Violine und Solo-Violoncello. Das Gleiche gilt für das Tripelkonzert TWV 53:e2 für 2 Oboen und Solo-Violine. Michael Schneider, einer der ganz großen Experten für Alte Musik, sowohl in Forschung als auch in Lehre, und auch als Ausführender – 2000 hat ihm die Stadt Magdeburg den renommierten Telemann-Preis verliehen – präsentiert uns hier, wie schon bei seinen vorangehenden Produktionen, wieder „Telemann vom Feinsten“, wobei er bei einem Konzert auch selbst die Traversflöte spielt. Und er konnte für diese Produktion wieder die besten Solisten auf ihrem Gebiet verpflichten. Ich nenne dazu als Beispiel den Oboisten Hans-Peter Westermann (ebenso hätte ich den Oboisten Martin Stadler, den Traversflötisten Karl Kaiser, die Violinistin Ingeborg Scheerer und viele andere auswählen können): Man kennt Westermann schon vom Concentus Musicus, der Neuen Düsseldorfer Hofmusik, der Musica Antiqua Köln, dem Ensemble Anima Eterna oder den Sonatori della Gioiose Marca, und er ist darüber hinaus auch noch Inhaber einer Manufaktur für historische Oboen. Dass eine mit so viel Prominenz besetzte Produktion auch gelingt, ist durchaus nicht selbstverständlich (wofür es auch prominente Beispiele gibt), ist hier jedoch absolut der Fall. Nirgends habe ich Telemann schöner, „richtiger“ und kurzweiliger musiziert gehört.

Ein extra Lob gebührt an dieser Stelle dem Booklet-Text: Wie schon für die Reihe mit Telemanns Bläserkonzerten, so ist auch für die (auf 4 CDs konzipierte) Serie von Telemanns Gruppenkonzerten cpo der Coup gelungen, dafür als Autor Wolfgang Hirschmann zu gewinnen. Er ist Professor für Historische Musikwissenschaft an der Uni Halle-Wittenberg und Editionsleiter der Telemann-Ausgabe im Bärenreiter Verlag. Ich habe selten einen differenzierteren und informativeren CD-Begleittext gelesen. Nimmt man die Heftchen dieser 11 CDs (die zwölfte kommt hoffentlich auch mit einem Text Hirschmanns) zusammen, so hat man ein Büchlein über Telemanns Instrumentalmusik, zu dem in der heute am Markt verfügbaren Literatur schwerlich Alternativen zu finden sind.

Ein Lob auch für die editorische Glanzleistung des Labels cpo in Sachen Telemann: Mit der in Aussicht gestellten vierten CD dieser Reihe (ca. 20 Konzerte), den 8 CDs mit den Bläserkonzerten (46 Stück), den 5 CDs von Elizabeth Wallfisch mit 22 Violinkonzerten (zuzüglich 5 Konzert-Ouvertüren mit Solo-Violine) ist man auf einem guten Weg zu einer Gesamtedition der Konzerte Telemanns. Und sie verdienen es alle, eingespielt  zu werden, ist es doch kein Zufall, dass Telemann der beliebteste und erfolgreichste Komponist seiner Zeit war, und nebenbei gesagt kann es das damalige Publikum an musikalischer Bildung und an gutem Geschmack durchaus aufnehmen mit unserem heutigen. An dieser Stelle kommt nun mein ganz großer Wunsch: Erhalten (wiederum nur ein Bruchteil des ursprünglichen Œuvres) sind auch noch 126 Orchestersuiten Telemanns. Ich kenne davon ungefähr die Hälfte und kann jetzt schon sagen: Auf diesem Gebiet gibt es – mehr noch als bei den Konzerten -, was musikalische Qualität, Abwechslungsreichtum, Geschmack und Esprit anbelangt, nichts Vergleichbares aus der Feder anderer Komponisten. Die 30-40 CDs, die man für eine Gesamteinspielung etwa brauchen würde, würden mich kaum langweilen, vorausgesetzt, die Produktion ist in den richtigen Händen. Und momentan traue ich solch ein Projekt am ehesten Micheal Schneider zu. Ähnlich wie Christopher Hogwood mit seinen Haydn-Symphonien sind bisher auch die Versuche einer Gesamt-Edition der Ouvertüren Telemanns gescheitert: Beim Collegium Instrumentale Brugense war nach 8 CDs (33 Suiten) vorläufig Schluss, bei Pratum Integrum nach 7 CDs (23 Suiten). Letzteres ist besonders bitter, weil diese 7 CDs mit das Beste sind, was an Telemann’scher Orchestermusik momentan zur Verfügung steht. Einzig  Micheal Schneider, mit Wolfgang Hirschmann als Booklet-Autor, könnten mich über diese Enttäuschung  hinwegtrösten! So kann ich nur bekräftigen, was Letztgenannter (als er sich bei der achten Folge der Bläserkonzerte eine Fortsetzung mit gemischten Solobesetzungen wünschte) geschrieben hat: „(…) entfalten Telemanns Konzerte einen Kosmos feinsinnigster Musik, in den einzutauchen auch heutige Hörer auf das Reichste beschenkt und zugleich erfahrbar macht, warum Telemann seinen Zeitgenossen schlicht als (…) überragende Musikerpersönlichkeit galt.“

[Hans von Koch, April 2016]

cpo schlägt wieder zu

Friedrich Gernsheim  (1839-1916)

Violinkonzert Nr. 1 op. 42 in D-Dur
Fantasiestück für Violine und Orchester op. 33 in D-Dur
Violinkonzert Nr. 2 op. 86 in F-Dur

Linus Roth, Violine
Hamburger Symphoniker
Johannes Zurl

cpo 777 861 – 2
7 61203 78612 1

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Friedrich Gernsheim? Nie gehört!
Und wieder hat cpo „zugeschlagen“ und eine CD veröffentlicht, die grandiose unbekannte Musik bereithält. „Das Wichtigste in der Musik, mein Freund, ist die Melodie!“, soll Gioacchino Rossini zu Gernsheim in Paris gesagt haben. Gernsheim hat sich daran gehalten, denn seine drei Kompositionen auf dieser CD – die beiden Violinkonzerte und das Fantasiestück für Violine und Orchester – stecken voller erinnerungswürdigen Melodien – welch eine wunderbare Neuentdeckung eines Komponisten, an dem sich sicher viele seiner Vorbilder fest machen lassen, der aber doch einen ganz eigenen Stil und seine ureigensten Klänge und musikalischen Strukturen komponiert hat, die äußerst ansprechend und mitreißend sind.

Schon der Anfang des ersten Konzerts, bevor der Solist – hervorragend Linus Roth! – nach 54 Takten einsetzt, sind überraschend und machen neugierig auf das, was folgt. In Satz 1 und 2 hat der Solist Gelegenheit, in zwei brillianten Kadenzen seine ganze Kunst und sein Können zu zeigen. Von D-Dur im ersten Satz moduliert der zweite nach E-Dur, und dann ist H-Dur dran, also nicht allzu klassisch. Wobei dem Komponisten, der schon früh als Wunderkind auf Klavier und Geige reüssierte – das Booklet von Jens Laurson gibt reiche Auskunft über Weg und Schicksal des Komponisten –, das allzu Klassische vermutlich kaum wichtig gewesen sein dürfte. Seine Musik klingt jedenfalls so überzeugend und frisch, dass es hoffentlich bald viele weitere CDs mit Musik von Friedrich Gernsheim geben wird.

Auch das Fantasiestück op. 33 für Violine und Orchester ist eine gelungene, melodiöse Komposition, und ganz besonders das zweite Violin-Konzert op. 86 in F-Dur, das mit einer unerhört spielfreudigen und bewegenden Musik aufwartet. Der dritte Satz ist ein richtiger rhythmischer und  virtuoser „Reißer“.

Wie gut, dass der interessierte Hörer, die interessierte Hörerin vieles von Gernsheim via Internet mitlesen oder sogar ausdrucken kann, das gibt doch einen ganz anderen Einblick in die Kompositionen, in die Potenziale dieser Musik. Zusammen mit den engagierten Plattenfirmen wird so der sowieso schon riesige Kosmos der Musik auf erfreuliche und oft überraschende Weise erweitert, auch wenn der allgemeine Musikbetrieb – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer noch die gleiche Repertoire-Einfalt breit und breiter vor sich herschiebt. Aber freuen wir uns über das Erfreuliche, denn dort liegt die Zukunft, auch wenn sie vor langer Zeit ins Leben gerufen wurde. Neben Mendelssohn, Schumann, Brahms, Bruch, Strauss, Busoni und Pfitzner, auch den großen Außenseitern Hermann Goetz und Hans Huber, hat das deutschsprachige Musikleben der romantischen Epoche so wunderbare Violinkonzerte wie die beiden Gernsheim’schen hervorgebracht, das lässt uns beinahe ungläubig staunen, wie hoch die Qualität des Wiederzuentdeckenden sein kann.

[Ulrich Hermann, März 2016]

Kinderlachen

Carl Reinecke (1824-1910)
Die wilden Schwäne op. 164
Dichtung nach Hans Christian Andersens Märchen von Karl Kuhn
Für Soli, Frauenchor, Harfe, Cello, zwei Hörner, Klavier und Deklamation

Kirsten Labonte, Sopran
Gerhild Romberger, Alt
Markus Köhler, Bariton
Shuang Shi, Sopran
Rebecca Blanz, Mezzosopran
Christian Kleinert, Erzähler

Mirjam Petri, Harfe
Hugh McGregor, Cello
Norbert Stertz und Peter Gulyka, Horn
Schwanen-Ensemble Hagen Enke, Ensembleleitung

Peter Kreutz, Klavier

CPO 777 940-2
7 61203 79402 7

Ulrich0016

Carl Reinecke (1824-1910) gehört mit seinem reichen kompositorischen Schaffen (es sind fast 300 Opera) zu den Vergessenen. Obwohl er nicht nur als Pianist, Dirigent und Komponist, sondern auch als Musikschriftsteller tätig war, ist seine Musik – bis auf wenige Ausnahmen – aus dem Repertoire verschwunden.  Umso begrüßenswerter ist die vorliegende cpo-CD, zu der auch ein sehr informatives Booklet wie selbstverständlich gehört.  Eine Märchenoper nach Hans Christian Andersen (1805-1875) ist natürlich ein zutiefst romantisches Sujet und nur eines der vielen Märchenstücke, die Carl Reinecke in Musik setzte.

Die Besetzung der wenigen weiteren Instrumente neben dem Klavier ist ad libitum und der Chor ist ein kleiner Frauenchor, so dass einer Aufführung im erweiterten häuslichen Rahmen wohl nichts im Wege stand. Wären da nicht die Solorollen oder der Erzähler.

Hätten in einer Privatwohnung unter den Zuhörerinnen und Zuhörern nämlich auch Kinder gelauscht, sie wären spätestens bei der ersten Arie der Königin in hysterisches Lachen ausgebrochen – ungeachtet einer guten oder schlechteren Erziehung. Und so ist es leider mit dem ganzen Stück auf dieser CD: Die völlig verkünstelte – fast opernhafte – Inszenierung, noch dazu mit einem fürchterlich langweiligen und uninspirierten Erzähler, erweist der Komposition einen echten Bärendienst.

Wer sich die Aufnahme zum zweiten Mal anhört, muss entweder ein Fan eines der Darstellerinnen oder der Darsteller sein, oder gerade diese Art von Märchen-Oper besonders lieben. Nicht, dass die Musik nicht ihren Reiz hätte, auch die Instrumentation ist durchaus passend und hörenswert, aber diese „verbildete“ Art des Gesangs ist für eine damals für gutbürgerliche Kreise auch von seinem Schöpfer gedachtes Werk alles andere als zielführend. Vibrato in allen Ehren – oder eben eher nicht –, aber die spontane Reaktion eines Kindes auf solch eine „Opernstimme“ ist vorhersagbar staunendes Lachen oder gar Entsetzen. Weniger wäre auch hier sehr viel mehr und würde den tatsächlichen Reiz dieses Märchen-Musicals nicht nur erhöhen, sondern überhaupt erst hörbar machen.

Da könnten sich viele der heutigen, mit viel zu hohen Ansprüchen aufgeladenen Inszenierungen sogenannter Kinderopern ein gutes Stück von den Musical-Darstellern und ihren Bühnenfassungen abschauen, falls sie sich nicht ein Beispiel nähmen an adäquaten – meist amerikanischen – Verfilmungen solcher Stoffe.

Schade, denn die Musik ist sehr ansprechend in ihrer (auch in den Chorpartien) teils einstimmigen, immer eingängigen Melodik, auch die obligate – natürlich schlichte – Klavierbegleitung, die das Orchester vor allem dann ersetzt, wenn die anderen vorgesehenen Instrumente, also Harfe, Cello und zwei Hörner, nicht zur Verfügung stehen sollten, ist hörenswert und bindet das Ganze zusammen. Die mögliche „Orchestration“ erweist sich durchaus als Bereicherung des romantischen Kolorits und weist den Komponisten als erfahrenen Musiker aus. Schließlich war er dreißig Jahre lang Kapellmeister des Leipziger Gewandhaus-Orchesters.  Bleibt als Fazit:  Sängerisch und sprecherisch hätten der dichterische Stoff und die Komposition eine hochklassigere Aufführung verdient.

[Ulrich Hermann, Februar 2016]

Geheimtipp des Verismo

CPO 7089707; EAN: 7 61203 79602 1

Georg0001

Die Stilrichtung des italienischen Verismo ist heute v. a. durch Opernkomponisten wie Giacomo Puccini, Pietro Mascagni, Ruggiero Leoncavallo oder Umberto Giordano bekannt. Der 1883 geborene Riccardo Zandonai dagegen, seines Zeichens selbst Mascagni-Schüler, ist heute fast völlig vergessen. Von seinen insgesamt elf Opern dürfte der tragische Vierakter ‚Francesca da Rimini’ allerdings jenes sein, welches Kennern noch am ehesten geläufig ist. Eine Aufnahme mit Ausschnitten aus der ‚Francesca’ unter dem Label Decca mit der Verismo-Diva Magda Olivero und dem berühmten florentinischen Tenor Mario del Monaco aus den späten 60er Jahren ist legendär. Die Geschichte um Francesca, welche sich gegen die arrangierte Ehe auflehnt und letztlich für ihre wahre Liebe stirbt, obendrein am Schauplatz eines von politischen Machtkämpfen zerrütteten Italien im frühen 14. Jahrhundert, hat auf den ersten Blick alles, was das Erfolgsrezept einer guten Oper ausmacht. Doch hatte es Zandonais Musikdrama seit seiner Uraufführung am 19. Februar 1914 in Turin schwer, sich einen Repertoireplatz auf den Bühnen der Welt zu sichern, zumal das damals allmählich aufkommende Medium des Films eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellte.

Die vorliegende cpo-Einspielung mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg unter der Leitung von Fabrice Bollon dürfte die erste Studioproduktion der kompletten Oper auf kommerziellem Tonträger sein. Allein dieser Umstand kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Sowohl das instrumentale Klangbild als auch die musikalische Verwendung der Singstimmen und des Chores erinnern in ihrer eindrücklichen Klangfülle und -gewalt an die Tonsprache anderer Zeitgenossen, wie vor allem Vittorio Gnecchi oder Richard Strauss. Gerade das leidenschaftliche Duett „No, Smaragdi, no! … Inghirlandata di violette“ aus dem dritten Akt, sowie das dramatische Finale der Oper, bei welchem beide Portaganisten ermordet werden, hinterlassen in dieser Hinsicht einen bleibenden Eindruck. In Bezug auf die alte Decca-Einspielung kommt besonders bei der Besetzung der Hauptdarsteller ein leichtes Déjà-vu-Gefühl auf. Der in der Rolle von Francescas Liebhaber debütierende deutsch-brasilianische Tenor Martin Mühle überrascht mit frappierender Ähnlichkeit zu Mario del Monacos bronzenem Timbre. Trotz insgesamt beachtlicher Leistung neigt seine klanggewaltige Stimme allerdings gelegentlich etwas dazu, sich in einem durchgängigen Forte zu verfestigen (interessanterweise eine Eigenart, die man auch bei del Monaco öfters beobachten kann). Christina Vasileva als lyrisch-dramatische Francesca reicht in ihrem Ausdrucksreichtum zwar nicht an Legenden wie die Olivero heran, vermag aber dessen ungeachtet durch ihre einfühlsame Stimmfärbung und -führung sehr zu gefallen. Ihre gefühlvollen Piani, zumal in den sehnend romantischen Passagen, sind besonderer Erwähnung wert. Anders als ihrem Kollegen Mühle gelingt es ihr auch besser, ein differenzierteres Charakterbild ihrer Rolle zu zeichnen. Das Freiburger Orchester unter Bollon ist für seine ausgesprochen solide Leistung besonders zu würdigen. Der Dirigent versteht es dabei auf hervorragende Art und Weise, die dramatischen Untiefen der Partitur filigran auszuloten und den gebündelten Klangkörper der 84 Musiker mit der nötigen Transparenz spielen zu lassen. Alles in allem eine unbedingt hörenswerte Einspielung.

[Georg Glas, Januar 2016]