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Meisterliche Quartette

Das aus Emeline Pierre, Esther Gutiérrez Redondo, Sandra Garcia Hwung und Marion Platero bestehende Constanze Quartet spielt erstmalig alle drei Streichquartette des deutschen Komponisten Felix Draeseke ein, der zu den spannendsten Komponisten-Entdeckungen seiner Generation zählt. Auf der vorliegenden ersten CD sind zu hören das Quartett Nr. 1 op. 27 in c-Moll und das Quartett Nr. 2 op. 35 in e-Moll.

In Fachkreisen weiß man mittlerweile um Felix Draeseke als einen der bedeutendsten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; im Konzert hört man seine Musik dennoch nur in glücklichen Ausnahmefällen. Zeitlebens sah sich Draeseke im Zeichen des Fortschritts und doch wurde er in seinen späten Jahren als Reaktionär betrachtet, insbesondere nach seinem Mahnruf „Die Konfusion in der Musik“ gegen die Salome von Strauss. Dort schrieb er unter anderem: „Verständnislos wird man angeblickt, wenn wir die jugendlichen Hörer aufmerksam machen auf eine edel gestaltete Melodik, ein fein gefügtes Harmoniegewebe, interessant gegliederte Rhythmik, glatte und abgerundete Form, schön vermittelte  und überraschende Wiedereinführung von Themen. All diese ehemaligen Schönheitsmerkmale erscheinen ihnen wie böhmische Dörfer, die sie nie nennen gehört, und nur wenn von Instrumentation die Rede ist, horchen sie auf, weil nach ihrer Meinung dies neu hinzugetretene Element der Farbe die drei alten Hauptelemente der Musik weit überwiegt, und gut instrumentieren mit gut komponieren für gleichbedeutend angesehen wird. Darüber ist die Melodik fast versiegt, die Harmonik nach einer übertriebenen Verfeinerung durch immerwährende Steigerungen schließlich bei der absoluten Unmusik angelangt, während, wie dies leider in Deutschland von jeher der Fall gewesen, die Rhythmik zu wenig gepflegt, ja geradezu vernachlässigt erscheint.“ Dabei trifft er durchaus einen Kern der Problematik, mit der Musik des 20. Jahrhunderts bis heute zu kämpfen hat, und fand in seinen Thesen auch namhafte Unterstützer; nicht zuletzt Strauss selbst kehrte mit dem Rosenkavalier in die Sphäre der drei von Draeseke angeführten Grundpfeiler zurück: Melodie, Harmonie, Rhythmik. Und innerhalb dieser Pfeiler darf das Schaffen Draesekes fortwährend als modern bezeichnet werden. Er gilt vor allem als begnadeter Melodiker, der durch geschickte Verschmelzung verschiedener Motive große Tragweite in seinen Themen erreichte. In kontrapunktischer Meisterschaft führte er die Themen durch die einzelnen Stimmen durch und formal weiter. Dabei sticht eine erfrischende Rhythmik hervor, besonders für einen deutschen Komponisten (wie er es ja selbst im angeführten Zitat erwähnte). Sein harmonisches Geschick lässt sich auf seine frühe Begeisterung von Liszt und Wagner begründen, deren Ausdruckswelten Draeseke aber für sich weiterführte. Eine erschöpfende Darstellung von Leben, Stil und Werk kann auf zehn Seiten (!) im Begleittext der vorliegenden CD von Norbert Florian Schuck bewundert werden.

Die Streichquartett Draesekes überraschen durch ihre Subtilität, die gänzlich auf äußeren Effekt verzichtet, ebenso wie auf Herbheiten und triumphale Gesten. Erst wer die weitgespannte Melodik erfasst, wird den vollen Charme dieser Meisterwerke entdecken. In schier endlosen Themen bündelt Deaeseke die Kontraste und gibt Ausgangspunkt für große Entfaltung. Die Formen der Sätze muten klassisch an und auch die Ausdehnung der Quartette übersteigt nicht die von Quartetten aus der Wiener Klassik; wohl aber intensiviert der Komponist die harmonische Spannkraft und die kontrastierenden Elemente, was den Quartetten eine ungemein dichte Textur verleiht. In minutiös detailliertem Kontrapunkt herrscht eine konstante Vierstimmigkeit vor, welche die Dichte noch unterstreicht.

Durch konzentriertes, fokussiertes und inniges Spiel besticht das Constanze Quartet auf dieser ihrer Debut-CD. Die Musikerinnen zeigen sich innig ergriffen, ohne dies in äußerlichen Eskapaden darzustellen: so erhalten wir das Gefühl der Echtheit jeder Emotion, allgemein eine Purität in jeder Note. Es entsteht ein Glimmern und Funkeln von innen heraus, das die gesamte Musik wie eine Aura umhüllt. Das Constanze Quartet folgt den Melodien und spüren die subtilen Überraschungen auf, um sie ebenso plastisch wie charmant dem Hörer zu übermitteln. Dabei weben sie ein feines und transparentes kontrapunktisches Geflecht, in dem stets die Richtung klar und nachvollziehbar bleibt.

[Oliver Fraenzke, April 2020]