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Weihnachtliche Idyllen und Gefängnisgeschichten: Tiroler Weihnachtskonzert 2023

MusikMuseum 73, CD 13072; EAN: 9079700700696

In der Reihe MusikMuseum ist der Mitschnitt des Tiroler Weihnachtskonzerts 2023 herausgekommen. Chor und Orchester der Akademie St. Blasius musizieren gemeinsam mit den Gesangssolisten Stefanie Steger, Eva Schöler, Johannes Puchleitner und Stefan Zenkel unter der Leitung von Karlheinz Siessl Werke von Karl Pembaur, Robert Führer, Carl Santner, Richard Wagner und Franz Xaver Gruber.

Das Tiroler Weihnachtskonzert der Akademie St. Blasius kann mittlerweile als Traditionsveranstaltung gelten. Seit 2012 ist jedes Weihnachtskonzert des in Innsbruck ansässigen Chor- und Orchestervereins mitgeschnitten und auf CD veröffentlicht worden. (Nur 2020 konnte infolge der Covid-19-Restriktionen kein Konzert stattfinden.) Bestanden die ersten dieser Konzerte ausschließlich aus Weihnachtsliedern, die von einem Vokalquartett vorgetragen wurden, so gesellten sich 2014 erstmals Chor und Orchester der Akademie St. Blasius unter ihrem Dirigenten Karlheinz Siessl hinzu, von denen die Konzerte seit 2016 durchgängig bestritten werden. Seit 2019 erscheinen die Mitschnitte in der CD-Reihe MusikMuseum der Tiroler Landesmuseen.

In den Programmen der Tiroler Weihnachtskonzerte zeigt sich nahezu jedes Jahr ein anderer Schwerpunkt. So sind mehrere Alben dem reichen Musikleben der Tiroler Klöster gewidmet und stellen jeweils Werke vor, die im Bestand der betreffenden Klöster überliefert sind. 2019 stand der böhmische Komponist Johann Zach (1713–1773) im Mittelpunkt, der enge Kontakte nach Tirol pflegte und in zahlreichen Kirchen- und Klosterarchiven seine Spuren hinterlassen hat. 2019 kamen mit Franz Baur (*1958) und Elias Praxmarer (*1994) erstmals zeitgenössische Tiroler Komponisten zu Wort.

Das Weihnachtskonzert 2023, dessen Aufzeichnung vor kurzem als Folge 73 des MusikMuseums herausgekommen ist, präsentiert – abgesehen von Franz Xaver Grubers Stille Nacht, heilige Nacht, mit welchem die Konzerte traditionell schließen – Werke aus dem mittleren 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Auswahl ist weniger auf Tirol zentriert als in früheren Veröffentlichungen, sondern betont eher den kulturellen Austausch der Region mit dem übrigen Österreich bzw. mit Deutschland. Bezeichnenderweise entstand die einzige Komposition eines gebürtigen Tirolers, Karl Pembaurs Weihnachtsmesse G-Dur op. 18, in Dresden.

Zwei kurze Stücke mit Orchesterbegleitung machen mit der kirchlichen Gebrauchsmusik bekannt, wie sie um 1850 in ganz Österreich gepflegt wurde. Die beiden Komponisten, der Salzburger Carl Santner (1819–1885) und der in Prag geborene Robert Führer (1807–1861), der nach einem Wanderleben durch Bayern und Oberösterreich in Wien starb, gehörten zu den seinerzeit beliebtesten Schöpfern gut gesetzter, einfach auszuführender Kirchenmusik. Führers Chor Mit süßem Freudenschalle und Santners Sopransolo mit Chorrefrain Jesus an der Krippe orientieren sich deutlich an Mozart, den erst der Cäcilianismus aus seiner Stellung als allgemein anerkanntes Vorbild der österreichischen Kirchenkomponisten drängte. Bei Führer kommt noch ein starker Einfluss alpenländischer Pastoralmusik hinzu. Führer und Santner sind übrigens durch eine biographische Konstellation verbunden, die in der Musikgeschichte nicht allzu häufig sein dürfte: Nachdem Führer seine Stellung als Domkapellmeister in Prag wegen eines Betrugsvorfalls verloren hatte, kam er, zunehmend verarmend, immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und saß 1859 im oberösterreichischen Garsten eine Haftstrafe ab. Carl Santner, im Brotberuf Staatsbeamter, wirkte dort als Gefängnisdirektor und nutzte die Gelegenheit, sich bei seinem prominenten Gefangenen im Tonsatz weiterzubilden.

Das umfangreichste Werk des Programms ist die bereits erwähnte Weihnachtsmesse für Soli, Chor, Orchester und Orgel von Karl Pembaur aus dem Jahre 1915. Als Sohn des Komponisten Josef Pembaur und Bruder des gleichnamigen Pianisten gehörte der 1876 geborene Karl Pembaur zu einer der bedeutendsten Musikerfamilien Tirols. Wie Vater und Bruder studierte er in München, dann ging er 1901 nach Dresden, wo er zunächst als Hoforganist, ab 1913 als Direktor der Hofkirchenmusik wirkte. Bis zu seinem Tode 1939 blieb er in der sächsischen Hauptstadt, wo auch seine bedeutendsten Werke entstanden. Pembaur komponierte nahezu ausschließlich Vokalmusik, widmete sich auf diesem Gebiet allerdings den verschiedensten Gattungen und Besetzungen vom Klavierlied bis zum Oratorium. Unter seinen größeren Werken befinden sich mindestens sechs Messen, die sich hinsichtlich des Umfangs und der Besetzung teils deutlich voneinander unterscheiden. Die Weihnachtsmesse ist nicht nur dem Namen nach für Weihnachten bestimmt: Pembaur verwendet hier neben den Texten des Ordinariums auch das weihnachtliche Proprium, wobei er Introitus und Kyrie als ein zusammenhängendes Stück vertont und damit das Proprium untrennbar mit dem Ordinarium verknüpft. Das Orchesternachspiel der Communio, das den Anfang des Introitus zitiert, unterstreicht den zyklischen Gedanken. Mit einer Aufführungsdauer von rund einer halben Stunde ist das Werk relativ kurz. Es enthält auch keine Fugen. Allerdings denkt Pembaur durchaus polyphon, behandelt Chor und Soli abwechslungsreich und hüllt die Singstimmen in vielfarbig schimmernde Orchesterklänge. Oboensoli, Blechbläserchöre, hohe Violinen und eine sanft registrierte Orgel sorgen für weihnachtliche Stimmung. Der Stil der Messe lässt deutlich werden, dass Wagner und Bruckner für den Komponisten keine Unbekannten sind. Insbesondere im Qui tollis des Gloria und im Crucifixus des Credo zeigt Pembaur sich als inspirierter, spätromantischer Harmoniker. Zwischen Gloria und Graduale wurde bei der hier festgehaltenen Aufführung ein weiteres Werk Pembaurs eingeschoben: das kurze Duett Vor der Krippe für Sopran und Alt mit Orgelbegleitung, das mit seiner volksliedhaften Melodik zu einem pastoralen Intermezzo wird. Zur Aufführung selbst lässt sich nur ein Einwand anführen: Warum wurden im Gloria und Credo nicht die traditionellen Intonationsformeln gesungen, mit denen Pembaur doch sicherlich gerechnet hat?

Vor dem abschließenden Stille Nacht erklang ein reines Instrumentalwerk, das mit Weihnachten nur indirekt verknüpft ist, aber mit seiner anmutigen Tonsprache sehr gut in ein solches Programm passt: Richard Wagners Siegfried-Idyll. Diesen symphonischen Nachtrag zum dritten Teil der Ring-Tetralogie hatte Wagner für seine Frau Cosima komponiert und anlässlich ihres Geburtstags am 25. Dezember 1870 erstmals dirigiert. Siegfried ist nicht nur der Name der Oper, aus der das thematische Material der Tondichtung entlehnt wurde, sondern auch der des Sohnes von Richard und Cosima Wagner, der ein Jahr zuvor zur Welt gekommen war. Mithin wird, wie im Falle des Weihnachtsfestes, auch mit dem Siegfried-Idyll der Geburt eines bestimmten Kindes gedacht.

Karlheinz Siessl lässt Wagners Werk in festen Tempi musizieren, kostet die Ruhepunkte aus ohne sich in ihnen zu verlieren und betont die feine Polyphonie, die sich durch die ganze Komposition zieht. Der Kontrast zwischen der spannungsvollen Harmonik und dem „Verweile doch, du bist so schön!“ der freundlichen Themen kommt trefflich zur Geltung. Mit der gleichen Sorgfalt werden die Vokalwerke dargeboten, für die hochmotivierte Chorsänger und ausgezeichnete Solisten (Stefanie Steger, Eva Schöler, Johannes Puchleitner und Stefan Zenkel) zur Verfügung standen. Wer sich zu Weihnachten musikalisch bezaubern lassen möchte, tut nicht falsch daran, zu diesem Album zu greifen.

[Norbert Florian Schuck, Dezember 2024]

Fortsetzungsoratorien

MusikMuseum, CD13013; EAN: 9 079700 069502

MusikMuseum, CD13028; EAN: 9 079700 700153

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Chor und Orchester der Akademie St. Blasius spielen auf zwei voneinander unabhängig erschienenen CDs die beiden großen Oratorien des tirolischen Komponisten Franz Baur, „Genesis“ und „Amartema – Der Sündenfall“. Andreas Mattersberger übernimmt die Rolle des Bassbariton-Solos, in barocker Manier Erzähler des Bibeltextes, Susanna Langbein singt Sopran und in ”Amartema” kommt Bernhard Landauer als Altus hinzu. Das Orchester wird von seinem Chefdirigenten Karlheinz Siessl geleitet.

Es sind Oratorien vom Beginn der Welt und Ursprung unseres heutigen Bewusstseins, Oratorien des Aufkeimens und schlussendlich des Falls in den Zustand, der unsere jetzige Realität darstellt. Entstehung und Verstoßung, der in Tirol geborene Komponist und Philosoph rollt die Bibel von ihren Anfängen her auf und erfüllt die ersten Kapitel mit seinen Klängen und Gedanken. Durch das aufeinander aufbauende Geschehen gehören die beiden Musikwerke letztlich zusammen, aber Franz Baur gestaltet sie auf vollkommen unterschiedliche Weise.

Das betrifft schon die Besetzung, denn während Genesis das Orchester stark zurücknimmt und nur Streicher, Schlagwerk sowie zum Höhepunkt hin zwei Hörner verwendet, spannt Amartema das gesamte Orchester ein, macht zudem ausgiebigen Gebrauch von drei Solisten, wo Genesis mit einer Bassbaritonrolle und einer kleineren Sopranpartie auskommt. Die Schöpfung hat eine ganz klare Aufteilung in die sieben Tage, welche durch kurze Sprechpartien unterteilt und doch musikalisch eben dadurch auch zusammengehalten werden, während der Sündenfall zwar in fünf Teile plus Epilog (erste drei Teile: Paradies; vierter und fünfter Teil: Sündenfall) gegliedert ist, diese jedoch bruchlos ineinander übergehen. So stellt sich Baur vor unterschiedliche Herausforderungen: in Genesis verwendet er für jeden Tag eine andere Kompositionstechnik, die er über diese Kontraste hinaus sinnvoll korrelieren muss, in Amartema hat er die gesamte „himmlische Länge“ eines Oratoriums musikalisch zu erfüllen, ohne dass Gleichförmigkeit entsteht. Genesis zieht viel klanglichen Reiz aus additiven Prinzipien, indem zu einem etablierten Ton neue Klänge hinzutreten und sich eine Kon- oder auch eben Dissonanz bildet, die der Hörer beim Entstehen mitverfolgen kann – wenn man so will, eine Weiterführung der Idee, die Ligeti zu Beginn seines Lux aeterna verfolgte. Amartema hat aufgrund der größeren Besetzung mehr Möglichkeiten, auf den Text einzugehen und diesen subtil zu illustrieren. Baur schafft es dabei, niemals plakativ zu werden, wobei die Stimme stets im Vordergrund steht. Oft haben die Instrumentalisten kleine Patterns, über denen sich Soli oder Chor aufbauen, gerne nutzt Baur eine zentrierende Orgelpunkt-Wirkung.

Von zentraler Bedeutung ist hier die sängerische Leistung der Solisten. Stimmlich können sie alle drei voll überzeugen und befriedigen mit voller Textverständlichkeit. Beim Bassbariton Andreas Mattersberger geschieht dies zwar um den Preis einiger Konsonant-Überakzentuierungen – was man allerdings durch die heute herrschende Mode so gewöhnt ist, dass man es kaum mehr wahrnimmt -, doch seine sonore Stimme und musikalische und zugleich parlierende Phrasengestaltung lassen leicht darüber hinwegsehen. Geschickt war die Wahl, Bernhard Landauer als Altus für die Schlange einzusetzen: Die Stimme ist lupenrein in der Höhe und verleugnet doch nicht, dass es sich um eine Männerstimme handelt, was der Schlange gewissermaßen die „gespaltene Zunge“ verleiht und damit einen besonders überzeugenden Effekt einbringt. Das Verhältnis zwischen Vokalen und Konsonanten ist fein abgestimmt bei Susanne Langbein, deren golden schimmernder Stimmklang fast schon prädestiniert ist für die Partie als Gott.

Das Orchester agiert zwar größtenteils recht ruhig im Hintergrund, doch dabei weiß es um seine Wichtigkeit für die volle Entfaltung dieser Oratorien. Entsprechend ist jedes noch so unscheinbare Motiv und jede noch so hintergründige Stimme integriert und reflektiert. Es muss eine gewaltige Anzahl an Proben hinter diesen Aufnahmen stecken, um solch eine subtile und ausdrucksvolle Untermalung zu bieten, die vermutlich vielen nicht einmal bewusst auffallen dürfte. Karlheinz Siessl dirigiert mit Liebe zum Detail und überhaupt zur Musik, was sich unüberhörbar auf seine Musiker überträgt. Die Akademie St. Blasius setzt nicht auf profitable Programme oder raschen Erfolg, alle dienen der Musik und den Komponisten, die sie für unterstützenswert halten – und so wäre es wünschenswert, dass auch dieses Orchester einmal groß unterstützt und ihm der Platz in der heutigen Orchesterwelt gegeben werden würde, der ihm eigentlich rein qualitativ zusteht.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]

Über den Tod hinaus

Zwei Premièren gibt es in am 15. Oktober 2017 in der Wallfahrtskirche Götzens bei Innsbruck mit der Akademie St. Blasius: Instrumentalensemble und Chor der Akademie spielen die Uraufführung von Franz Baurs „Himmlisches Jerusalem“ sowie die österreichische Erstaufführung von Alfred Schnittkes Requiem.

Nach den CD-Aufnahmen der beiden Oratorien Franz Baurs – ‚Genesis’ und ‚Amartema’ – mit dem Symphonieorchester St. Blasius unter Karlheinz Siessl gibt es nun mehr geistliche Musik des österreichischen Komponisten. „Himmlisches Jerusalem“ weist eine kleinere Besetzung auf als die Oratorien, neben den Stimmen sind lediglich E-Gitarre, E-Bass, Orgel und breit aufgestelltes Schlagzeug beteiligt, und misst nur etwa 20 Minuten Aufführungsdauer. Doch diese werden musikalisch und philosophisch breit erfüllt. Es beginnt alleine damit, dass Baur den Schlussakkord an den Anfang setzt, was er durch gesprochene Worte Paul Sartres begründet, und das restliche Werk auf diesem Endpunkt aufbaut: Der Tod – „Schlussakkord“ – ist nicht das Ende des Seins, die Existenz wirkt weiter fort. „Himmlisches Jerusalem“ ist flächig gestaltet mit Schwerpunkt auf die menschliche Stimme. Trotz der kleinen Besetzung entsteht eine voluminöse Atmosphäre, was vor allem aus dem nuancierten Wechselspiel zwischen Chor und Schlagwerk resultiert. Die Solisten werden geschickt in den Chorapparat eingebunden, besonders die lupenreine Stimme des Soprans und auch die als Fernstimme von der Kanzel aus verwendete Tenorstimme begeistern.

Zweiundvierzig Jahre nach der Entstehung des Requiems von Alfred Schnittke findet es seinen Weg auch nach Österreich und lässt mich nun doch fragen: Warum eigentlich nicht früher? Die vierzehn kurzen Sätze bestechen allesamt mit enormem musikalischen Gehalt, verinnerlichter Aussagekraft und subtilem Humor, sind gezeichnet von Inspiration und Unmittelbarkeit der Wirkung. Und keinen lässt es kalt, wenn zum Ende hin der erste Satz wiederkehrt: All das Aufbegehren umsonst, es ist zu Ende, Requiem aeternam. Das Requiem, als Schauspielmusik zu Schillers „Don Carlos“ geschrieben (nicht zuletzt, um auf diese Weise die Zensur zu umgehen!), ist ein Flickenteppich an Stilen, von Barock über Romantik bis his zu zeitgenössischen Techniken ist alles darin vorhanden. Doch Schnitte gelingt es, die Polystilistik dramaturgisch zusammenzuhalten und in seinem ureigenen Ton zu vereinheitlichen. Unvergesslich bleibt die Passage, in der ein Drumset urplötzlich groovende Rhythmen einwirft, die jedoch immer wieder unterbrochen werden und genauso unvermittelt abbrechen, wie sie begannen.

Souverän und feinhörig wirken Instrumentalensemble und Chor der Akademie St. Blasius zusammen. Nicht alle Instrumentalisten haben dankbare Stimmen und gehen doch mit Verve und Freude an der Musik an die beiden Werke. Der Chor meistert die Hürden der komplexen Polyphonie und der eigenwilligen Harmonik beeindruckend. Karlheinz Siessl führt die Musiker mit sicherer Hand durch die zerklüfteten Gefilde dieser anspruchsvollen Musikwerke und formt sie klanglich zur Einheit. Auffällig heute ist sein nach oben gerichtetes Dirigieren, womit er über weite Strecken selbst den Taktschwerpunkt an der Spitze seiner Bewegungen positioniert. Dies korrigiert nicht nur die Tendenz der zu tiefen Intonation, sondern öffnet den Weg „nach oben“, „gen Himmel“. So ebnet er den Weg ins „Himmlische Jerusalem“, durch den Tod – Requiem – hindurch in eine transzendente Wirklichkeit.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]