Modernisten werden vorgestellt auf der neuen (nunmehr neunten) CD von Alarm Will Sound, zu hören sind The Beatles, Charles Wuorinen, Augusta Read Thomas, Wolfgang Rihm, John Orfe und Edgard Varèse, Dirigent ist Alan Pierson.
Obgleich durchaus gut gemacht, fällt es mir schwer, das Album „Alarm Will Sound Presents Modernists“ so ganz ernst zu nehmen (nicht zuletzt auch wegen des herrlich schrillen Covers), zu schnell schleicht sich das Bild der gehobenen bürgerlichen Hausdame ein, welche beim sittlichen Dinieren diese CD einlegt und den feinen Gästen eine nicht enden wollende Serie an schockierender Geräuschmusik um die Ohren schmeißt. Die Musiker sind allesamt professionelle und den großen Herausforderungen gewachsene Künstler, und doch ist die Überladung an Effekten, an Geräuschen, an Brüchen und an Chaos zu groß, als dass man das ewig Bürgerschreckhafte in dieser Zusammenstellung mit mehr als nur Humor nehmen kann.
Interessant gestalten sich insbesondere die beiden Klangstücke, die hier für Instrumentalensemble arrangiert einmal nicht elektronisch, sondern manuell ausgeführt erklingen. Revolution 9 von The Beatles stellt ihre Auseinandersetzung mit der Musik Stockhausens und Cages dar, es handelt sich um ein Gebilde aus wiederkehrenden Samples – für die vorliegende CD bearbeitet von Matt Marks. Varèses Poème électronique wurde bearbeitet von Evan Hause, auch dieses ist in der ursprünglichen Fassung eine rein elektronische Abfolge verschiedenartiger Ereignisse. Ein vergleichsweise dichtes Stück ist Big Spinoff von Charles Wuorinen, Wolfgang Rihms Will Sound (für das Ensemble als Kompositionsauftrag von „The Carnegie Hall Corporation“ geschrieben) hingegen verliert sich schnell im strukturlosen Chaos, welches nachzuvollziehen sich als Ding der Unmöglichkeit erweist. „Final Soliloquy of the Interior Paramour“ von Augusta Read Thomas setzt mehrere Ebenen des Klangs zwischen instrumental, gesungen und gesprochen zu einem recht ansprechenden Puzzle zusammen, das immer wieder von plötzlichen Aufschreien unterbrochen wird. Hektisch eilend gibt sich Orfes „Journeyman“, welcher stellenweise gar swingende Elemente einbezieht und geradezu etwas an Broadway gemahnt.
Alarm Will Sound unter Leitung von Alan Pierson zeigen ein etabliertes Verständnis der zeitgenössischen Musik und spielen in einstudierter Routine, die trotzdem nicht den Spaß am Musizieren überwiegt. Die ungehemmte Spielfreude ist den Musikern ein zentrales Anliegen, welches auch deutlich hörbar wird, wenngleich darüber einige Details verlorengehen und die Musiker gelegentlich noch schneller im Chaos dieser Musik versinken, als von den Komponisten ohnehin intendiert. Allerdings finden die Musiker auch in den verzweigtesten Passagen rhythmisch zusammen und bleiben durchweg synchron abgestimmt, die instrumentale Qualität ist – ohne je im Verlauf abzufallen – auf hohem Niveau. Während der Countertenor Caleb Burhans stellenweise hörbar mit den enormen Lagenwechseln in Thomas‘ Werk zu kämpfen hat, besticht die Altistin Kirsten Sollek mit glänzender Reinheit und geschmeidigem Ton.
Dass Alarm Will Sound nicht nur auf geräuschhafte, oberflächliche Effekte angewiesen sind, sondern tatsächlich auch klassische Qualitäten besitzen, zeigt ausgerechnet – man mag es kaum glauben – das Stück von Varèse. Die ursprünglich elektronischen Flächen instrumental darzustellen verlangt lang gehaltene Spannung, langsame und kontinuierliche Steigerungen fernab von Ungleichheiten, und einen klaren, deutlichen Ton. All dies bringt das Ensemble mit und wird von Pierson zu konzentrierter Linienführung angehalten, wodurch das finale Stück Varèses eindeutig zum Highlight dieser interessanten – und meines Erachtens auch nach wie vor amüsanten – Zusammenstellung avanciert.
[Oliver Fraenzke, August 2016]