Naxos 8.574114; EAN: 7 4731341147 4
Die dritte Folge der hochengagierten Naxos-Serie „History of the Russian Piano Trio“ widmet das Moskauer Brahms Trio den Komponisten Alexander Borodin, César Cui und Nikolai Rimsky-Korsakow. Zumindest eine gewichtige Entdeckung ist darunter.
Das Moskauer Brahms Trio (Nikolai Sachenko, Violine; Kirill Rodin, Cello; Natalia Rubinstein, Klavier) hat mittlerweile die erste Serie der Geschichte des russischen Klaviertrios, bestehend aus fünf Naxos-CDs, die der Romantik/Spätromantik gewidmet sind, abgeschlossen. Wenn man auf die Webseite der Künstler geht, scheint aber zumindest geplant zu sein, zwei weitere Staffeln folgen zulassen, wohl mit Trios aus dem sogenannten „Goldenen Zeitalter“ (ein Begriff, der sich historisch nicht so ganz eindeutig von der Literatur auf die Musik übertragen lässt) und solchen der Sowjetzeit bis heute. Das wäre zu begrüßen, denn die bisher vorliegenden Aufnahmen können sämtlich überzeugen – nicht nur programmatisch, wobei sich die CDs jeweils mit einer noch genauer eingrenzbaren musikhistorischen Situation und deren Protagonisten beschäftigen, und neben einigen Klassikern wie Tschaikowsky oder Tanejew kaum bekanntes oder gar gänzlich unbekanntes Repertoire ans Licht bringen. Die Interpretationen selbst sind auf erfreulich hohem Niveau, reichen selbst bei den häufig zu hörenden Werken an die Spitzeneinspielungen heran.
Die dritte CD der Reihe nimmt nun die Klaviertrio-Beiträge des „Mächtigen Häufleins“ unter die Lupe. Bei den fünf nationalistisch gesinnten Novatoren fällt auf, dass die Kammermusik dort keine – im Falle Mussorgskys – bzw. nur eine untergeordnete Rolle spielt. Balakirew schrieb nichts für Klaviertrio, und die drei hier vorgestellten Werke von Borodin, Rimsky-Korsakow und Cui zeugen von einem zumindest nachlässigen Umgang selbst ihrer Schöpfer mit ihnen. César Cuis kurzes Farniente ist lediglich die Bearbeitung des zweiten Klavierstücks aus dem Zyklus À Argenteau op. 40, und wäre dabei ein liebenswerter Beitrag Pariser Salonmusik – Cuis Vater war Franzose –, allerdings mit einer Generation Verspätung. Die einschmeichelnde, fast süßliche Melodik bringt das Brahms-Trio mit Delikatesse herüber, ohne ins Kitschige abzugleiten.
Das frühe D-Dur-Trio Borodins – entstanden zwischen 1850 und 1860 – war entweder unvollendet, oder das Finale ist verschollen. Klar, dass ihm als Fragment der Weg in den Konzertsaal versperrt blieb. Hierbei handelt es sich bereits um ein musikalisch hochwertiges Stück, das noch stark an Mendelssohn orientiert ist und kaum etwas von Borodins späterer Farbigkeit erahnen lässt – als Tonkonserve trotzdem ein echter Hinhörer.
Eine ganz andere Nummer ist das gewichtige, über 40 Minuten dauernde Klaviertrio c-Moll Rimsky-Korsakows. Warum der Komponist das Stück aus seiner intensivsten Schaffensperiode (1897), in der er sich hingegen fast ausschließlich der Oper widmete, geringschätzte und es selbst nicht ganz bis zur Druckreife vollendete, bleibt unverständlich. Wir können froh sein, dass sein Schwiegersohn Maximilian Steinberg – als Komponist erst seit den 1990ern wieder im Gespräch – das Trio 1939 fertiggestellt hat. Getrost könnte man hier von einem Meisterwerk sprechen, das nur noch erstaunlich wenig von der national-gefärbten Grundhaltung des „Mächtigen Häufleins“ erkennen lässt. Vielmehr hören wir Kammermusik, die sich ganz bewusst in eine lange Tradition stellt, die von Beethoven (Kopfsatz) über zwei hochromantische Sätze bis zu einem ausufernden Finale mit einer mehrfach unterbrochenen, komplexen Fuge reicht. Wollte Rimsky-Korsakow hier Tanejews Postulat einer „eigenen nationalen Musik“ [„Was sollen die russischen Komponisten tun?“ (1879)], die nur durch kontrapunktische Auseinandersetzung mit dem russischen Lied denkbar sei, gerecht werden?
Jedenfalls nimmt das Brahms Trio Rimsky-Korsakows Komposition völlig ernst, lässt die Bezüge zur Tradition hörbar werden, aber auch, dass der Komponist hier einen konsistenten, persönlichen Beitrag zur Geschichte des Klaviertrios in Russland geschaffen hat. Der erste Satz verbindet recht klassische Formung mit der elegischen Stimmung, die man etwa aus Rachmaninows großem, zweiten Trio kennt, das ein paar Jahre zuvor entstand; und das lange Finale gelingt absolut überzeugend. Das Stück hätte so heute durchaus das Zeug, selbstverständlich ins Repertoire zu gehören. Klanglich spielen die drei Künstler sehr differenziert; da, wo es die Partituren verlangen, andererseits homogener als manches aus Superstars quasi ad hoc zusammengestellte Klaviertrio. Die Dynamik wird öfters für eine bessere Durchhörbarkeit zurückgenommen; die Emotionalität und erkennbare Empathie für diese Wiederentdeckungen leiden jedoch nicht darunter. Die Aufnahmen aus dem berühmten Konzertsaal des Moskauer Konservatorium sind keine Großtat, was Räumlichkeit betrifft; das Klangbild findet dabei eine sehr angenehme Balance zwischen Hall und Durchsichtigkeit – insgesamt äußerst gelungen. Wer seinen Horizont in Sachen russischer Kammermusik erweitern möchte, sollte hier auf jeden Fall zugreifen.
[Martin Blaumeiser, September 2021]