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Musikalischer Weltschmerz

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm; MDG 948 1937-6

Grete2

„Auf der Kunst unserer klassischen Meister fußend [ist Kaun] doch im besten Sinne des Wortes ein Moderner, einer der Neues macht“ schrieb Georg Richard Kruse 1910 über den deutschen Komponisten Hugo Kaun, den heute wie damals die wenigsten Deutschen kennen bzw. kannten. Der Grund für das fast völlige Vergessen Hugo Kauns beim deutschen Publikum dürfte vor allem an dem gut 15-jährigen Auslandsaufenthalt Kauns im US-amerikanischen Milwaukee liegen. Dass Kaun jedoch mit dem Leiter der Reichmusikkammer Peter Raabe eng befreundet war und die Nationalsozialisten in Kauns Musik Anlass dazu sahen, ihn eine Zeit lang (und wohlgemerkt nach Kauns Tod im Jahr 1932) als eine Art „Musterkomponist“ anzupreisen, dem es nachzueifern gelte, dürfte der Rezeption von Kauns Werken in der Nachkriegszeit ebenfalls nicht unbedingt geholfen haben.
Hört man sich die hier auf einer wunderschönen SACD des Labels MDG vertretenen Kompositionen jedoch unvoreingenommen und ohne politische Beweggründe an, so stellt man fest, dass man hier wirklich einen sehr interessanten Komponisten vor sich hat. Als eine Art „Missing Link“ zwischen Johannes Brahms und Richard Strauss könnte man Kauns Kammermusikkompositionen ebenso sehen wie einen musikalischen Jugendstilvertreter, dessen musikalischer Weltschmerz bestens in die dekadente, floral blattgoldumrankte Zeit der Jahrhundertwende passte.
Kauns Oktett ist die bemerkenswerteste Komposition auf diesem Tonträger. Besetzt mit Klarinette, Horn, Fagott, zwei Violinen, Bratsche, Violoncello und Kontrabass ergibt sich bei dem 17-minütigen, einsätzigen Stück der Eindruck einer kleinen, aber bemerkenswert ausdrucksstarken Kammersymphonie. Das Klavier- und das Streichquintett sind nicht weniger interessant, zeigen stärker das, was Kruse in seiner Rezension aus dem Jahr 1910 zu hören meinte („…auf der Kunst unserer klassischen Meister fußend“). So scheint insbesondere bei dem Streichquintett Op. 28 Schuberts berühmtes Werk derselben Gattung (zumindest teilweise) Pate gestanden zu haben.
Was man in dieser Musik nicht alles hören kann! Kauns Musik gibt in der Tat eine Ahnung davon, wie es mit der Musik in Deutschland vielleicht weitergegangen wäre, hätten das verbrecherische Nazi-Regime und der Zweite Weltkrieg nicht auch kulturell einen nie dagewesenen kulturellen Bruch herbeigeführt.
Aber dieses Album ist weit interessanter als nur unter rein musikhistorischen Gesichtspunkten. Wir haben hier wirklich vorzüglich komponierte Stücke mit sehr schönen Melodien, und das vielfach preisgekrönte Berolina Ensemble interpretiert diese Musik sehr gut, wenn auch die instrumentale Balance (vor allem in Sachen Lautstärkeabstimmung im Oktett aber auch im Streichquintett) nicht immer vollumfänglich zu überzeugen vermag.

[Grete Catus, November 2015]