Unter John Storgårds spielen die Münchner Philharmoniker am 27. und 28. Februar sowie am 1. März 2019 Orchesterwerke aus dem Norden. Für The New Listener besuche ich das Konzert am 28. und höre dort die beiden Suiten aus Peer Gynt op. 46 und op. 55 von Edvard Grieg, das Violinkonzert op. 33 von Carl Nielsen mit der Solistin Baiba Skride sowie die Symphonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 von Jean Sibelius.
Als
Gastdirigent und Violinsolist mit dem Münchner Kammerorchester
machte sich John Storgårds bereits einen
Namen hier in München. Nun dirigiert er die Münchner Philharmoniker
mit einem rein nordischen Programm. Zu Beginn beider Konzerthälften
erklingt je eine der Suiten aus Peer Gynt von Edvard Grieg, die zum
größten Teil mit viel Liebe zum Detail erarbeitet wurden. John
Storgårds setzt die je vier Stücke nicht
lose nebeneinander, sondern schafft einen dramaturgischen Bogen, der
in der ersten Suite deutlich zwischen den voll orchestrierten
Randsätzen und den rein mit Streichern besetzten Mittelsätzen
kontrastiert, in der zweiten Suite immer weiter kulminiert bis zum
fulminanten Sturm, wonach die Musik zu Solveigs Sang verebbt.
Ausgerechnet das rein für Streichorchester gesetzte Stück Åses
Død stellt den einzigen Tiefpunkt der Aufführung dar: Es
fehlen dynamische Kontraste und ein facettenreiches Pianissimo, zudem
ist der Streicherklang zu weich und friedvoll. Hier wünsche ich mir
dieses ur-nordischen Timbre der Streicher her, wie es Juha Kangas mit
seinem Ostrobothnian Chamber Orchestra perfektioniert hat und das
auch Storgårds den Streichern des Lapland
Chamber Orchestras entlockt; in Ermangelung dessen bei den
Philharmonikern zieht John Storgårds das
Tempo an und versucht dadurch, die unpassende Reinheit des Klangs zu
überspielen. Überzeugen können dafür die Kontraste in Bruderovet
und die kontinuierliche Steigerung in I Dovregubbens Hall. Mitreißend
gestaltet sich auch der bildhaft dargebotene Sturm von Peer Gynts
Hjemfart, auch wenn bedauernswerterweise das letzte Aufbegehren der
Holzbläser etwas untergeht.
Das
groß angelegte Violinkonzert von Carl Nielsen gilt nach wie vor als
Rarität in den großen Hallen, obgleich einige prominente
Violinisten sich für dieses Stück eingesetzt haben. Das Stück
besticht durch seine eigenwillige Form, die gleichsam sperrig wie
auch faszinierend ist. Bei diesem Virtuosenkonzert steht das
Orchester im Hintergrund, wird zum Impulsgeber degradiert und erhält
kaum eine themengebende Funktion, ist allgemein selten ohne die
Solovioline zu hören. Den Solisten jagt Nielsen dafür durch fünf
kadenzartige Abschnitte, ihm überlässt der Komponist auch die
meisten Themen und deren reiche Verarbeitungen und Variationen. Trotz
zahlreicher Ornamentik und Figurationen gehen die Themen ins Ohr und
der Hörer kann die allmähliche Transformation der Keimzellen gut
mitverfolgen. Baiba Skride meistert den hoch anspruchsvollen Solopart
scheinbar mühelos, obgleich sie in den kurzen
Orchesterzwischenspielen doch froh um die Pause scheint: was wir aber
nur sehen und nicht hören! Selbst in den wildesten Passagen verliert
Skride nicht den thematischen (und auch nicht den harmonischen)
Überbau aus dem Auge, wodurch sie den Hörer im Mitverfolgen der
Musik unterstützt. Das Orchester ordnet sich ihr unter und hält
seine Mittel zurück, um sie nicht zu übertönen, greift dennoch
ihre Impulse gekonnt auf und setzt sie um.
Zum
Abschluss erklingt die grandiose Symphonie Nr. 5 von Jean Sibelius,
die durch ihr „Schwanen-Thema“ einen festen Platz in den
Konzertprogrammen gefunden hat. Hier wurde besonders intensiv
geprobt, wie man schnell erkennt: Die Keimzellen fließen ineinander
über, man kann dem Thema förmlich beim Entstehen zuhören und auch
sein Zerfasern aktiv miterleben. John Storgårds
fürchtet sich nicht vor den teils grellen Dissonanzen in dieser
Symphonie, die von anderen Dirigenten nach Möglichkeit entschärft
werden: nein, heute erhalten sie besonderen Nachdruck und verleihen
der Symphonie sogar erst ihre besondere Würze. Ohne übermäßige
Effekthascherei hält Storgårds selbst den
Mittelsatz formal zusammen und führt das Orchester unbeschwert
hinüber in das Finale, welches durch extreme Kontraste und die zwei
unvergesslichen Themen sowie ihr Ineinander-Übergehen überragt. Die
Sonne scheint aufzugehen, wenn sich das Schwanen-Thema langsam aus
der Hülle der energischen Streichermotive schält und die Musik in
ungeahnte Höhen transzendiert: Vom Staub zu den Schwänen.
Am
Kalevala-Tag, dem Tag der finnischen Kultur, dieses Monumentalwerk
hier in München zu erleben und darüber hinaus in solch einer
ausgeklügelten und inspirierten Darbietung der Münchner
Philharmoniker unter John Storgårds, das
hat etwas Erhebendes.
[Oliver Fraenzke, März 2019]