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In Schönheit die Zeit still stehen lassen…

Ole Buck – Sinfonietta Works: ‚Fiori di ghiaccio’ für 9 Instrumente (1999), ‚A Tree’ für 13 Musiker (1996), [Untitled] für 8 Instrumente (2010), ‚Flower Ornament Music’ für 17 Instrumente (2001)
Athelas Sinfonietta Kopenhagen, Jesper Nordin

Dacapo CD 8.226589 (EAN: 636943658925)

Der 1945 geborene dänische Komponist Ole Buck zählt zu den überragenden Meistern seines Landes, ist jedoch wie auch Hans-Henrik Nordstrøm dort ein Außenseiter – aber wir wissen ja, dass die Außenseiter oft viel bedeutender sind als die üblichen Verdächtigen, die landauf landab gespielt werden… Von Buck war bereits 1996 bei Dacapo eine Debüt-CD mit Sinfonietta-Werken erschienen, damals mit dem zwischen 1992 und 1995 entstandenen Jahreszeiten-Zyklus ‚Landscapes’, der zum Schönsten gehört, was die jüngere nordische Musik hervorgebracht hat. Denn in dieser Musik geht es zentral um Schönheit, und nicht weniger zentral darum, die Musik aus sich selbst heraus wachsen zu lassen, in anscheinender Absichtslosigkeit, und mit einer extremen Zerbrechlichkeit, die nicht nur technisch-tonlich sehr herausfordernd und heikel ist, sondern auch setets den Bezug zur beinahe (und manchmal auch tatsächlich) eintretenden Stille hält. Buck liebt – wie beispielsweise auch Arvo Pärt, Peteris Vasks oder Pascal Dusapin unter den Heutigen – die introvertierten Sphären des den ganzen Satz durchwebenden Moll. Er liebt ostinate Figuren, die zart ineinander gleiten und mal subtil, mal mit plötzlich herausfahrender Geste umschlagen. Er liebt das Andeutende, Offenlassende, um es dann ebenso unerwartet mit dem Konkreten, überraschend Bestimmenden zu konfrontieren. Er liebt die pointillistisch oszillierende Instrumentation, und das naturhaft irregulär sich Aufbauende und wieder Ausdünnende. Obwohl diese Musik stark an unsere Emotionen appelliert, nimmt sie keineswegs gefangen, hat nichts Affirmatives und belästigt nicht auch nur mit einem Gramm Sentimentalität.

Das früheste Werk dieser neuen CD ist unmittelbar nach den ‚Landscapes’ entstandene, knapp viertelstündige ‚The Tree’, ein musikalische Lebewesen von unerhört feinsinnigem Zauber, von einer unergründlichen Schönheit auch in den dissonanten Reibungen, die auf der klaren harmonischen Folie wie Scherenschnitt seelischer Zustände wirken. Hier könnte man tatsächlich assoziieren, dass sich Per Nørgård mit seiner zeitenthobenen Entgrenzung und Arvo Pärt mit seiner innig psalmodierenden Versenkungskraft die Hand reichen, und doch ist die dabei gewonnene Sprache eine andere, eigene, die auch nicht den Mechanismen der Minimal Music, an welche sie immer wieder erinnert, verfällt.

Von 1999 stammt die wunderbar fein belebte, nur ein wenig kürzere Mollstudie ‚Fiori di ghiaccio’, eine Hommage an Nicolò Castiglioni, und doch nur in der fragilen Klanglichkeit diesem verwandt und nicht in der von seriellen Verfahren nicht affizierten Tonsprache. Dieses Stück führt uns so unwillkürlich in eine idyllisch verhangene Traumwelt hinüber – dem Komponisten zufolge „fällt die ganze Zeit über Schnee“ –, dass man nur ein gigantisches Kultpotenzial attestieren kann, das nur aus dem einen Grund nicht zum Tragen kommt, dass der Komponist ein Unbekannter ist. Es ist geradezu ideale Musik für New Age-Feingeister, und zugleich ist sie viel mehr. Umfang und insgesamt auch offenkundig facettenreicher ist die 22minütige ‚Flower Ornament Music’ von 2001, ein tönendes Bekenntnis zum Zen, und die Zeit vergeht wie in einem permanenten Schwebezustand, was nicht bedeutet, dass nicht auch Kraftvolles und Dramatisches vorkäme.

Klanglich eine deutlichen Kontrast bietet das kürzeste, kleinstbesetzte und jüngste Werk, [Untitled] von 2010 mit ihrer Gegenüberstellung von stachliger Obsession und tiefem Unterholzkriechen, außerdem ist hier die Faktur viel dissonanter, aber immer von unmittelbar sich übertragender Körperlichkeit und Authentizität. Hier hört man jedenfalls deutlich, dass auch Buck ein Komponist unserer zerrissenen, das Zärtliche zerstörenden oder wenigstens unterdrückenden Epoche ist.

Das Spiel der Athelas Sinfonietta unter Jesper Nordin ist von beeindruckender Präsenz, Präzision und Klangschönheit, das Klangbild geradezu ideal in der glasklaren Räumlichkeit fern trockener oder verhallender Extreme, und der Booklettext informiert über das Nötigste. Rundherum ein hinreißendes Album, das allen zu empfehlen ist, die offene Ohren für wirkliche Schönheit jenseits von Ideologien und Klischees haben (diese Musik ist eben auch kein „zurück zu…“!), die gerne die Zeit still stehen lassen und sich nicht mit der Befürchtung beschäftigen, jemand könne sie für naive Hörer halten.

[Lucien-Efflam Queyras de Flonzaley, September 2016]