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Wiedersehen macht Freude

Arthaus Musik; EAN: 4058407090854

Die neue 6-DVD-Box von Arthaus Musik macht erstmals fünf der legendären Gesprächskonzerte „Wege zur Neuen Musik“ mit dem Dirigenten Gerd Albrecht, die als Education-Projekt zwischen 1986 und 1995 vom SFB produziert wurden, der Öffentlichkeit zugänglich. Ein sechstes Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin für den RBB aus dem Jahr 2011 erscheint gewissermaßen als Nachtrag. Diese Präsentationen dürfen auch heute noch als Sternstunden in Sachen Musikvermittlung gelten.

Der 2014 verstorbene Dirigent Gerd Albrecht hat sich in seiner langen Karriere nicht nur als hochrangiger Interpret von Werken der Romantik und Moderne – unvergessen die Münchner Uraufführung von Aribert Reimanns Lear – einen Namen gemacht, sondern auch als einer der Ersten intensiv um Musikvermittlung bemüht. Schon in den 1960er Jahren als GMD in Kassel gab es von ihm moderierte Erklärkonzerte für Kinder und Jugendliche. Höhepunkt dieses pädagogischen Einsatzes Albrechts waren insgesamt 14 Live-Gesprächskonzerte der Reihe „Wege zur Neuen Musik“, die zwischen 1986 und 1995 vom SFB produziert wurden, und in denen jeweils ein zeitgenössisches Werk vorgestellt und mit dem anwesenden Komponisten diskutiert wurde. Fünf dieser Produktionen und als Nachtrag ein ähnlich aufgemachtes Konzert von 2011 für den RBB erschienen jetzt – endlich! –  bei Arthaus Musik in einer aufwendigen DVD-Box: Pendereckis Partita, Henzes Barcarola, Ligetis San Francisco Polyphony, Kagels Quodlibet, Yuns Muak sowie Widmanns Elegie.

Über die musikalischen Qualitäten dieser Darbietungen brauche ich hier nur wenig Worte verlieren: Sie sind allesamt erstklassig. Das Besondere an Albrechts Gesprächskonzerten ist die Art seiner pädagogischen Herangehensweise. Die üblicherweise knapp 70-minütigen Konzerte beginnen damit, dass er zwei, drei Minuten des Anfangs eines Stücks erklingen lässt, dann im Laufe des Gesprächs mit dem auf der Bühne sitzenden Komponisten unter Beteiligung des Orchesters vor allem die komplizierte Klanglichkeit, mit der uns Neue Musik zumeist begegnet, detailliert auseinandernimmt; abschließend wird das Werk komplett gespielt. Was hier so fasziniert, ist Albrechts große Empathie, mit der er den Komponisten teils sehr persönliche Äußerungen entlockt, wie sich seine Begeisterung für raffinierte Instrumentationskunst unmittelbar auf die Zuhörer überträgt. Gleichzeitig gelingt es, das vorgestellte Stück so in den jeweiligen Schaffenskontext zu stellen, dass hier echte Komponistenporträts entstehen. Es ist das Timing, die Eloquenz seiner Erklärungen und die Wortwahl, die sich zwar an ein mit klassischer Musik vertrautes Publikum, jedoch nicht an Experten richtet, die nie langweilt und immer zum Staunen anregt.

Nebenbei kommen so auch ein paar nette Charaktereigenschaften und Eitelkeiten der Komponisten zum Vorschein, die bereits für sich als historische Dokumente sehenswert sind. So berichtet der nachdenkliche, aber auch immer sehr selbstsicher, quasi als linker Aristokrat, auftretende Hans Werner Henze beispielsweise, dass er beim Komponieren einer extremen Trompetenstelle der Barcarola rein von der Klangvorstellung nachher Kopfweh bekam. Auf der nächsten DVD erwähnt Albrecht dies gegenüber György Ligeti, worauf der mit seinem unnachahmlich verschmitzten Humor begeistert diese Steilvorlage aufnimmt: „Also, ich habe sehr selten Kopfschmerzen.“

Vielleicht mag dieses Format einem heutigen, jungen Publikum dann doch immer noch zu schulmeisterlich, zu antiquiert vorkommen. Ich wüsste jedoch nichts, was da live auf dem Gebiet moderner Musik herankäme, einschließlich Sir Simon Rattles Reihe „Die Revolution der Klänge“. Die DVDs können nicht mehr als die damals übliche TV-Qualität aus den alten MAZ-Formaten (stereo, 4:3) herausholen. Problematisch ist jedoch wie immer die Umwandlung von PAL interlaced ins NTSC-Format. Dafür kommt die Box mit einem zweisprachigen, 200-seitigem gebundenen Buch, das ganz exzellent recherchiert ist und sich neben den dargebotenen Werken ebenso umfänglich dem pädagogischen Vermächtnis Gerd Albrechts widmet. Dies entschädigt auch für den etwas hohen Preis. Schade, dass man nicht noch mehr dieser 14 Sendungen ausgraben konnte, wohl auch wegen ungeklärter Copyright-Fragen. Da wären noch ein paar gute dabei gewesen, etwa Tippett und Reimann. Trotzdem kann man Arthaus nicht genug für diese längst überfällige Veröffentlichung danken: meine ausdrückliche Empfehlung, nicht nur an Musikpädagogen.

 

[Martin Blaumeiser, Mai 2018]

Das Geheimnis hinter drei Saxophonen

Arthaus Musik, 109252; EAN: 4 058407 092520

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Adam Kahan beleuchtet Leben und Wirken von einer herausragenden Jazzgröße in seinem Film „Rahsaan Roland Kirk. The Case of the Three Sided Dream“.

Er war ein Träumer, ein Überzeugter, ein Rebell, ein Individualist: Rahsaan Roland Kirk. Sein ganzes Leben widmete er mit Hingabe der Musik, ohne Rast und Halt. Bis zum Tage vor seinem allzu frühen Tod 1977 mit lediglich 41 Jahren konzertierte er regelmäßig, ließ sich auch von einem Schlaganfall 1975 nicht daran hindern, der ihm die Funktionstüchtigkeit seiner rechten Hand raubte. Solche Hindernisse ließen ihn nur wachsen, beginnend mit seiner Erblindung im Alter von zwei Jahren waren sie schließlich stetige Begleiter, und so spielte er fortan eben mit einer Hand auf einem extra hierfür angefertigten Saxophon.

Von dieser Lebensgeschichte berichtet Adam Kahan in „Rahsaan Roland Kirk. The Case of the Three Sided Dream“ aus der Perspektive von Kirks Familie, seiner Freunde und Bandkollegen, sowie von Kirk selbst. Ohne kommentierende Stimme aus dem Off hat sich der Betrachter selbst das theoretische Grundgerüst aus verschiedenen Erzählungen zusammenzupuzzeln, dafür kann Kahan den Fokus auf das Wesentliche legen, was nicht durch einen Lexikoneintrag vermittelt werden kann. Er legt Gewicht auf die wichtigsten Aspekte im musikalischen Schaffen Kirks, seine Lebensumstände werden nebenher tangiert. Der Film thematisiert das Phänomen Multiinstrumentalismus und besonders das Spiel auf bis zu drei Saxophonen zeitgleich, Kirks auf nie dagewesenes Niveau gehobene Fähigkeit der Zirkuläratmung, seinen Glauben an den Traum und auch sein Rebellentum, Fernsehshows durch Pfeifen zu sabotieren, um auf den Jazz – die „Klassik der Schwarzen“, wie er ihn nannte – aufmerksam zu machen, der noch immer zu wenig beachtet und geschätzt war. Rahsaan Roland Kirk, den ersten Namen gab er sich nach einer Eingebung im Traum, war ein Freigeist und vertrat unerschütterlich seine Vision, dafür nutzte er alle Mittel. So stieg er weit auf, war nicht zuletzt aufgrund seiner rebellischen Haltung einer der ersten Jazzmusiker in Fernsehshows, und ließ sich auch dort nicht auf „gefälligen Geschmack“ ein, sondern trumpfte mit eigenwilligen Harmonien und Instrumentalkonstellationen und mit geräuschhaften Effekten auf. Dabei missbrauchte er keines seiner Gadgets für Show-Zwecke, ebenso wenig die Vielfalt seiner (oft zeitgleich) gespielten Instrumente. Dies alles diente ausschließlich dazu, seiner inneren Vorstellung gerecht zu werden und seinen Horizont immer weiter zu dehnen. Wir werden leider nie erfahren, zu was Rahsaan Roland Kirk noch allem fähig gewesen wäre, hätte er noch ein paar Jahrzehnte mehr auf dieser Erde verbracht.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2017]

Eine doppelte Reise

Arthaus, 109317; EAN: 4 058407 093176

Unitel, 738104; EAN: 8 14337 01381 3

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Zwei Einspielungen der Winterreise von Franz Schubert erschienen nun im Vertrieb Naxos, beide als Live-Aufnahme und in DVD-Format: Arthaus publizierte eine 1979 in der Berliner Siemensvilla entstandene Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau und Alfred Brendel, Unitel veröffentlicht die am 8. und 15. Juli 2014 im Rahmen des Festival d’Aix-en-Provence in Frankreich aufgenommene Darbietung von Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser mit einer Hintergrundvisualisierung durch William Kentridge.

Nicht nur in Miroslav Srnkas Oper South Pole kann der Hörer gleich zwei Erkundungstouren durch Schnee und Eis erleben, nein, auch der Vertrieb Naxos ermöglicht derlei Gegenüberstellung durch zwei Neuerscheinungen von Franz Schuberts unvergänglchem Liederzyklus ‚Winterreise’. Fünfunddreißig Jahre liegen zwischen den Aufnahmedaten, und sowohl in akustischer wie in optischer Hinsicht sind deutliche Unterschiede zu verzeichnen.

Die Stimme Dietrich Fischer-Dieskaus prägte Generationen und entzieht sich aufgrund des massiven Einflusses fast schon einer objektiven Besprechung. Manche kritisieren seine Unbeteiligtheit am textlichen Geschehen und die Starrheit seines Tonfalls, andere bevorzugen eben diese nüchterne Passivität und Schlichtheit – und beide Seiten haben in gleichem Maße Recht. Mechanisierungen und gelegentliche, nicht dem musikalischen Phrasenfluss entsprechende Schwerpunktsetzungen stechen unangenehm ins Ohr, doch lässt seine Zurückhaltung Platz für freie Entfaltung der innermusikalischen Bedeutung, viele melodischen Finessen treten unerwartet hervor. Nicht der Sänger steht im Mittelpunkt, sondern die Musik. Legendär sind die Kontraste, die Fischer-Dieskau erschafft und damit bei präzisester Verständlichkeit einzelne Passagen stimmlich voneinander abhebt, geradezu schon, als wären mehrere Sänger am Start, die da zusammenwirken. Zu statisch hingegen agiert Alfred Brendel als Klavierpartner, der kaum Nuancierungen und dynamische Feinheiten plaziert. Er bleibt stets im Schatten des Sängers, verleiht ihm nicht den nötigen Widerpart, der auch durch die Tasten singen sollte.

Leidenschaftlicher involviert gibt sich Matthias Goerne in der neueren Einspielung aus Frankreich. Seine Stimme funkelt in unzähligen Abschattierungen und blühender Lebendigkeit, bleibt dabei immer klar und meist auch gut verständlich. Manchmal lässt er sich jedoch etwas zu sehr hinreißen von überschäumenden Emotionen und der Kontext bricht in sich zusammen, was gerade die so hinreißende Schlussnummer „Der Leiermann“ aufgebürdet bekommt, die ihre Simplizität und unschuldige Natürlichkeit einbüßt. Doch überwiegend stellt auch Goerne die Musik in den Mittelpunkt, reflektiert genauestens innermusikalische Prozesse und rückt vieles ans Licht, was meist verborgen bleibt. Erstaunlich sanft und flexibel ist Goernes Vibrato? Allgemein legt er eine introvertiert zarte Seite offen, der Oberflächlichkeit fremd ist. Am Klavier bleibt Markus Hinterhäuser wie schon Brendel eher im Hintergrund, doch auch dort phrasiert er konturiert und vernachlässigt nicht das harmonisch so ausgeklügelte Konstrukt, auf dem sich der Gesang erst entfaltet. Die Visualisierung durch William Kentridge bringt – gerade im Gegensatz zum dunkel-monochromen Erscheinungsbild bei Fischer-Dieskau und Brendel – Abwechslung und einige stimmungsvolle Elemente ein, lenkt dabei nicht übermäßig von der Musik ab, bringt allerdings auch keinen signifikanten Mehrwert in die Aufführung hinein.

[Oliver Fraenzke, Juni 2017]

Pomp um Beethoven

Arthaus Musik; EAN: 4 058407 092483

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Alle Symphonien Ludwig van Beethovens einzuspielen: dieser Mammutaufgabe stellte sich nun Philippe Jordan gemeinsam mit dem Orchestre de l’Opéra National de Paris. Bei Arthaus Musik ist das Resultat in Bild und Ton auf vier DVDs erschienen.

Äußerst repräsentativ erscheint die große Box, mit welcher sich Philippe Jordan in den Kanon derer einreiht, die alle neun Symphonien Beethovens kommerziell festgehalten haben. In einer äußerst stabilen breitformatigen Box befinden sich ein Hardcover-gebundenes und reichlich mit Bildern bestücktes Booklet sowie drei DVD-Hüllen mit insgesamt vier DVDs, auf welchen die neun Meisterwerke sowie eine Dokumentation von Reiner E. Moritz über Philippe Jordan zu finden sind.

Auch die Bildaufnahmen können sich durchaus sehen lassen, die Aufnahmequalität ist bestechend scharf und makellos, die Kameras sind wohl positioniert. Die Schnitte sind allesamt recht musikalisch gesetzt, und auch die Kamerafahrten wirken nie planlos. Das Bild ruht nicht zu lange auf einer Stelle, springt aber auch nicht allzu wild herum, beleuchtet dabei oft auch interessante Details, die durch die visuelle Hervorhebung besonders nachdrücklich zu Gehör gebracht werden.

Mit großen Gesten und mächtigem Pomp geht Philippe Jordan an die Gratmesser-Werke seiner Zunft. Das Orchester intoniert triumphal wahre Siegesmärsche, glänzt in den höchsten Lagen. Die Tempi sind durchweg schnell und nach vorne drängend, auch die langsamen Sätze nimmt Jordan recht zügig. Dies hat unweigerlich die Unterbelichtung subtiler Details zur Folge, doch ist erstaunlich, dass das Orchester selbst in den hektischsten Passagen lupenrein synchron spielt, scheinbar vollkommen ohne Probleme. Die Bewegungen Jordans beim Dirigieren sind weit ausladend und machen optisch großen Eindruck, dienen jedoch oftmals mehr der Show als der Musik. Daraus resultierend verschleift gerne der Rhythmus, der nicht genau vorgegeben wird, besonders die Punktierungen leiden darunter – extrem zu hören ist dies im langsamen Satz der Eroica, im ersten Satz der fünften Symphonie (wo schon der zweite Einsatz nicht auftaktig wirkt) sowie im berüchtigten Kopfsatz der siebten Symphonie, vom dem Celibidache einst sagte, er sei das schwerste Stück der symphonischen Literatur. Eine zweite Konsequenz der Gesten des Dirigenten ist, da sie nicht immer der natürlichen Phrasierung entsprechen, dass das Orchester zu monochromer Gleichförmigkeit neigt, was gerade in den Tutti-Passagen – vor allem in der neunten Symphonie – zu marschähnlicher Pauschalisierung führt. Dies wirkt zwar sehr prächtig, pompös und eindrucksvoll, unterdrück jedoch in gleichem Maße alles Mannigfaltige, Flexible in diesen so minutiös durchstrukturierten Werken. Sehr angenehm klingen die Männersoli in der Neunten (Robert Dean Smith, Günther Groissböck), besonders der Tenor ragt durch klare Tongebung und eine außergewöhnliche Stimme hervor. Bedauerlich ist, dass die Mezzo-Sopranistin Daniela Sindram von der übermächtigen Sopranistin Ricarda Merbeth zugedeckt wird. Der von José Luis Basso einstudierte Chor ist streckenweise schlecht abgestimmt und gerade in der großen polyphonen Aufgipfelung, wo sich die einzelnen Themen noch einmal gegenseitig überlagern, geht dann doch eine ganze Menge unter.

Es ist letztlich der Pomp, der siegt, der große mitreißende Effekt, der die Zuschauer zum Jubeln bringt. Publikumswirksam ist diese Gesamtaufnahme aller Symphonien Beethovens zweifelsohne, sie erfüllt das Klischee vom zornigen Meister, wobei es leider durchaus an so einigem fehlt, was nicht weniger in diesen Meisterwerken auf subtileren, feinfühligeren Ebenen existiert, sofern man nicht lediglich dem Bann der extrovertierten Kraftdemonstration erliegen würde.

[Oliver Fraenzke, November 2016]