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Zurück zur Kindheit

Ars Productions, ARS 38 212; EAN: 4 260052 382127

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Impressions d’enfance“ für Violine und Klavier Op. 28 von George Enescu sowie die – weniger gespielten – ersten beiden seiner drei großen Violinsonaten sind zu hören auf dem Album „Childhood Impressions“ von Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara, erschienen bei Ars Productions.

Der große rumänische Komponist George Enescu wird schon viel zu lange nur am Rande der musikgeschichtlichen Wahrnehmung der Konzertgänger gepflegt. Vielen ist sein Name zwar ein Begriff, doch steht er nach wie vor nur in Ausnahmefällen auf dem Programm – und dann höchstens seine dritte Violinsonate „dans le caractère populaire roumain“ oder andere volksmusikalisch angehauchte Werke. Seine fünf Symphonien, von denen drei vollendet sind, die vier frühen Jugendsymphonien oder die Konzerte wie auch die Concertante für Cello sind im heutigen Konzertleben gar nicht präsent.

Nachdem sie vergangenes Jahr bereits die dritte Sonate gemeinsam mit Werken von Bloch, Ravel und De Zeegant für Ars Productions eingespielt hatten, widmen sich Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara nun den beiden Vorgängern, den Sonaten Op. 2 in D-Dur und Op. 6 in f-Moll, beide vor Enescus 20. Geburtstag entstanden. Und was ergänzte diese Jugendwerke besser als die „Impressions d’enfance“, die Impressionen aus der Kindheit, Op. 28, wenngleich der Rumäne zur Kompositionszeit bereits fast seinen sechzigsten Geburtstag erreicht hatte. Beide Sonaten warten mit erstaunlicher Reife, mit virtuosem und spielfreudigem Passagenwerk, belebender Frische, inniger Lyrik, und auch mit ansprechenden Klangeffekten auf. Sie sind jeweils in klassischer Dreisätzigkeit gegliedert mit einem langsamen Mittelsatz, der von zwei belebten Sätzen umrahmt wird. Überhaupt dienen klassische Formideale als zeitlose Vorbilder, wenngleich sie durchaus gelockert und teilweise kurzzeitig in Frage gestellt werden. „Impressions d’enfance“ hingegen ist ein zusammenhängender Zyklus aus zehn Miniaturen, von denen die kürzesten nur knapp über 20 Sekunden andauern. Diese Miniaturen werden unterbrechungslos gespielt, gehen also direkt ineinander über, tatsächlich wie Eindrücke aus der Kindheit, deren Bilder und Laute vor dem inneren Auge vorüberziehen und sich zu einer emotionalen Landschaft verbinden. Das Werk hat eine ausgesprochen bildhafte Sprache, und oft scheinen diese Bilder auch ohne Wissen um die Titel unmittelbar erkennbar. Impressions d’enfance ist ein wunderbar ausgereiftes Werk, welches einen stringenten roten Faden durch die Miniaturen zieht, der diese Charakterstücke unwiderstehlich eint.

Üblicherweise gehe ich auf Albumcovers nicht ein, aber hier kommt man absolut nicht drum herum. Bei Childhood Impressions ist auch das optisch Äußerliche schon ein Kunstwerk, abgestimmt mit bunter Schrift, Kindermalereien im Booklet, Fotographien vom Spielen auf dem Feld (Stefan Tarara wirft auf einem Foto seine Geige hoch in die Luft wie einen Ball – hoffentlich fängt er sie auch wieder auf!), und doch behält alles einen seriösen und künstlerisch hochwertigen Eindruck.

Beide Musiker harmonisieren ausgesprochen gut und hören genau aufeinander, stimmen ihr Spiel maßvoll ab. Lora Vakova-Tarara am Klavier gibt den Werken einen soliden, harten und kompakten Ton, der eine betont maskuline Attitüde zur Folge hat. Sie ist präzise und lupenrein in ihrem Spiel, kann auch feine Dynamikabstufungen minutiös in die Waagschale legen. Der Violinist Stefan Tarara bringt sehr innige und feinfühlige Klänge aus seinem Instrument hervor, die sich allen musikalischen Gegebenheiten anschmiegen – wodurch auch  gelegentliche minimal abweichende Intonation gar nicht stört. Gerade bei klangmalerisch abbildenden Effekten kann Stefan Tarara auftrumpfen, besonders offensichtlich bei der Klangillustration der Grille (Grillon) und dem Vogel (Oiseau) aus den Kindheitsimpressionen sowie auch im Mittelsatz der zweiten Sonate – vor allem die Tiere wirken fast naturalistisch echt! Als Duett wirken Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara gemeinsam in einer lockeren und beschwingten Art, von fast naiver Leichtigkeit und doch mit ausgesprochenem Verständnis für die musikalischen Bezüge. Beide leben im gerade erklingenden Moment und können diesen in aller Pracht entstehen lassen. Bei den langen Sonatensätzen kommt jedoch teils der große Bogen, der sich unweigerlich von der ersten bis hin zur letzten Note erstrecken muss, nicht zustande. Wesentlich leichter nachvollziehbar ist die Linie durch die zehn Miniaturen der Impressions d’enfance, die in der Darbietung von Tarara und Vakova-Tarara eine klare Struktur aufweisen und auch in den Übergängen mit zwingender Sinnhaftigkeit fesseln.

George Enescu schrieb eine immer aufs Neue faszinierende Musik, durchtränkt mit echtem rumänischen Geist und von seinen namhaften Lehrern Fauré und Massenet geprägter satztechnischer Eleganz. Es ist unglaublich schwierig, Enescu wirklich zu verstehen, seine Musik aus dem Volkstümlichen und Naiv-Schlichten heraus entstehen zu lassen, ohne gekünstelt und steril zu werden. Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara schufen hier eine eindrucksvolle Aufnahme, die eben die kindliche Leichtigkeit und das innere Gefühl bewahrt, auf stilvolle Weise scherzen kann und die Musik unprätentiös hervortreten lässt.

[Oliver Fraenzke, Mai 2016]