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Sehr und weniger Entdeckenswertes

Hyperion, CDA68268; EAN: 0 34571 28268 8

Linus Roth spielt die Violinkonzerte D-Dur op. 87 von Eduard Lassen, G-Dur op. 95 von Philipp Scharwenka sowie das Konzert BVN289 aus der Feder Rued Langgaards. Begleitet wird er durch das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Stabführung von Antony Hermus.

In der Reihe „The Romantic Violin Concerto“ von Hyperion entdecken Künstler zu wenig beachtete Konzerte der romantischen und postromantischen Epoche. Auch im nunmehr 22. Teil der Serie werden wieder Schätze gehoben, die man nur selten aufgenommen findet.

Besonders hervorzuheben ist hierbei die Aufnahme von Philipp Scharwenkas Violinkonzert G-Dur op. 95, das vom ersten Ton an fesselt und die Spannung das gesamte Werk über aufrecht hält. Den Namen Scharwenka verbindet man heute in erster Linie mit Philipps jüngerem Bruder Xaver, einem der gefragtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit, und dem von den beiden Geschwistern in Berlin gegründeten Musikinstitut. Außer Acht gelassen wird dabei meist die Tatsache, dass beide Brüder zu den substanziellsten Komponisten ihrer Epoche gehören. Das hier zu hörende Violinkonzert besticht durch große Bögen, orchestrale Vielfalt, ansprechenden Kontrapunkt und herrliche Melodien. Die rhythmisch mannigfaltigen Randsätze reißen mit, der Mittelsatz bannt den Hörer mit innigster Lyrik. Gerade im Vergleich weniger überzeugend erscheint das D-Dur-Konzert Eduard Lassens: die Läufe des Solisten brechen immer wieder ab, die virtuosen Passagen wirken holprig und gewollt, teils gar unpassend. Zudem langweilt der Orchesterpart durch rhythmische Eintönigkeit und mangelnde Stimmvielfalt, die im Kopfsatz in blanke Nacktheit umschlägt. Das Finale gelang am ehesten. Gewiss gibt es manch interessante Effekte wie eine stets mit der gleichen Note gedoppelte Passage und auch die Themen sind durchaus attraktiv, hingegen die Umsetzung in die große Form mit den Möglichkeiten eines Orchesterapparats scheiterte. Langgaard gehört dagegen wieder zu den Komponisten, die mehr beachtet werden sollten, aber noch zu Lebzeiten (schon nach der Uraufführung der ersten seiner sechzehn Symphonien) in Vergessenheit gerieten. Das einsätzige Violinkonzert wirkt konfrontiert mit anderen Gattungsbeiträgen der Zeit schlicht und unprätentiös, dafür umso intensiver, gespickt mit Finessen und inspirierten Details.

Der Solist Linus Roth stellt sich ausdauernd allen drei hoch anspruchsvollen Werken. Selbst durch den langatmigen Lassen kämpft er sich wacker und versucht, das Beste aus den verqueren Laufpassagen zu ziehen, oftmals eben dadurch, das Fragmentarische zu betonen und daraus eine Ästhetik werden zu lassen. Den knappen Orchesterstimmen versucht er eine volle Solopartie anbeizustellen, um den Gesamteindruck klanglich aufzufüllen. Bei Scharwenka vereinen sich Solist und das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Antony Hermus klanglich wie musikalisch – dieses Meisterwerk kann nur in enger Absprache und perfekter Symbiose bewältigt werden. Auch die Aufnahmetechnik spielt glücklicherweise mit und wir erleben die volle Vielseitigkeit und Fülle von Scharwenkas Musik. Auch bei Langgaard hält dies an; die Musiker präsentieren dieses traditionelle, aber doch mit Eigenheiten gewürzte Konzert in aller Frische und Lebendigkeit.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2019]

Eine kluge Wahl

CPO 777 740-2
EAN: 761203774029

5

August Klughardt (1847-1902)

Symphonie Nr. 4 c-Moll op. 57
Drei Stücke für Orchester op. 87

Anhaltische Philharmonie Dessau
Antony Hermus

Dass durch die CD der musikalische Kosmos sich enorm erweitert und vergrößert hat, gehört zu den Segnungen diese Mediums (auch wenn die Vinyl-LP bei einigen Enthusiasten wieder auf dem Vormarsch ist).
Zu diesen unzähligen Neuentdeckungen zählt auch die Produktion von CPO mit zwei Werken des Dessauer Komponisten August Klughardt (1847-1902). Das wieder einmal lobenswert umfassende, von Ronald Müller kenntnisreich verfasste Booklet verdeutlicht den Werdegang und das musikalische Umfeld des heute bis auf sein spätes Bläserquintett nahezu unbekannten Komponisten, der immerhin Anhaltischer Hofkapellmeister war und als glühender Wagner-Verehrer 1893 eine erste zyklische Aufführung des „Ring der Nibelungen“ in Dessau auf die Bühne brachte.
Sogar in New York erklang seine Vierte Symphonie 1893 drei Monate vor der Neunten von Antonín Dvorák!

Die Kritik bescheinigte Klughardt erstaunliches kontrapunktisches Geschick, was man beim Mitlesen der Partitur – sie ist bei IMSLP einzusehen – auch sehr gut nachvollziehen kann. Überhaupt hinterlässt Klughardts Werk einen durchaus überzeugenden Eindruck. Die Melodik des zweiten Satzes (Andante cantabile) ist von reicher Erfindung, wie auch die Kritik nach der Uraufführung bescheinigte. Seine Instrumentation ist natürlich von seinen Vorbildern nicht unbeeinflusst, die intensive Verwendung der Blechbläser und der poetisch bewegliche Einsatz der Holzbläser erinnern an Dvorák, stellen aber mitnichten eine Kopie dar. Klughardt ist ein konservativer Meister der Generation zwischen Brahms und Bruch einerseits, Strauss und Mahler andererseits, mit offenem Geist zwischen den Zeiten tätig.

Was immer wieder erstaunt, ist und bleibt die Verwirklichung der Partitur – zu einer Zeit, als es weder Notendruckprogramme noch Computer gab, alles musste also händisch zu  (Noten)Papier gebracht werden – in klingende Strukturen, in mitnehmende und ansprechende Musik. All das wieder aufleben zu lassen, ist bei dieser Aufnahme mit dem holländischen Dirigenten Antony Hermus und der Anhaltischen Philharmonie dem Label CPO wieder einmal sehr gut gelungen, das Klangbild ist wunderbar eingefangen, der Reichtum des Orchesterklangs und die transparente Vielschichtigkeit des Satzbildes machen die bislang ziemlich vergessene Musik von August Klughardt zu einer bemerkenswerten Neu- und Wiederentdeckung.

Die drei Orchesterstücke op. 87 – einer Gönnerin des Orchesters gewidmet – sind leichtere Kost, die jedoch Klughardts Kunst auch ansprechend widerspiegelt. Besonders die Harfe im ersten Stück bringt eine aparte, bei diesem Komponisten selten anzutreffende Farbe ein, der er viel Raum gibt. Das zweite Stück, eine Gavotte, haucht der vorklassischen Tanzform neues Leben ein, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen, doch auch da verdient die brillante Instrumentation Erwähnung. Ausnehmend gut gelaunt kommt die abschließende Tarantella daher, leichtfüßig und schwungvoll beschließt sie diese Orchester-Suite.

[Ulrich Hermann; Oktober 2015]