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Geniales in kongenialer Darbietung

ALBA, ABCD 399; EAN: 6 417513 103991

Werke von Pehr Henrik Nordgren sind auf „Storm – Fear“ des Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Leitung von Juha Kangas zu hören. Solist im Konzert Nr. 2 für Klavier, Streicher und Schlagwerk Op. 112 und dem Konzert für die linke Hand alleine und Kammerorchester Op. 129 ist Henri Sigfridsson, Monica Groop singt den Liederzyklus nach Gedichten von Edith Södergran Op. 123 für Mezzosopran, Streicher und Harfe.

„Storm – Fear“ ist ein wahrer Schatz auf dem aktuellen CD-Markt: Nicht nur, dass Pehr Henrik Nordgren (1944-2008) einer der substanziellen Komponisten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts war (mehr als einmal hörte ich, wie er als Finnlands bedeutendster Meister seit Sibelius gerühmt wurde), sondern auch Juha Kangas und sein Ostrobothnian Chamber Orchestra gehören zu den führenden Kammerorchestern unserer Zeit und bescherten uns bereits einige legendären Aufnahmen, viele davon gerade von nordischen Komponisten wie Grieg, Eliasson, Vasks oder eben Nordgren.

Auf vorliegender CD sind zwei der drei Klavierkonzerte des finnischen Komponisten zu hören, die allesamt für den Japaner Izumi Tateno verfasst wurden. Das dritte, das Konzert für die linke Hand, entstand auf Anfrage Tatenos, nachdem er aufgrund einer Hirnblutung seine rechte Hand nur noch teilweise bewegen konnte. Zwischen den beiden Werken ist ein Liederzyklus nach Edith Södergran auf schwedisch zu hören, alle Werke entstanden nach 2000. Der profund informierende Bookletttext entstammt der Feder von Kalevi Aho, des neben seinem Lehrer Rautavaara erfolgreichsten finnischen Komponisten der letzten Jahre, der auf dem Gebiet der Oper, des Solokonzerts und der Symphonik weltweit große Erfolge feiert.

Stilistisch war der 2008 verstorbene Nordgren ein Einzelgänger, er passte sich keiner Schule oder Traditionslinie an. Seine Musik entstammt seinem Inneren und reißt mit einer Vitalität und glühenden Lebendigkeit mit, ist erfüllt von kompromissloser Ungebundenheit, Zwanglosigkeit und Natürlichkeit. Alles befindet sich im Kontinuum, eines resultiert wie selbstverständlich aus dem anderen. Dabei ist der Grundgestus das, was wir als „nordisch“ bezeichnen würden: düster und nach unten gerichtet. Die Musik ist mystisch, umnebelt, geheimnisvoll brodelnd und im Verborgenen polternd; sie ist nicht direkt und schon gar nicht erwartungsgemäß, immer findet sie einen verhüllten und doch unmittelbaren Weg, erreicht so ungeahnte Wirkung. Am dunkelsten ist wohl das Konzert für die linke Hand nach der von Lafcadio Hearn aufgezeichneten japanischen Geistergeschichte Der Leichenreiter: Wie bildhaft all der Schrecken und die Furcht sich zeigen, beinahe sieht man die Geschichte vor sich ablaufen! Herausragend ist Nordgrens Umgang mit dem kleinbesetzten Kammerorchester, hier aus neunzehn Streichern bestehend, denn jeder hat eine eigene Stimme, und so entsteht eine multiple Klanglava, die manche Komposition für großes Symphonieorchester an Volumen spielend überbietet. Weder die Solokonzerte, noch die Lieder sind auf virtuosen Effekt oder Zurschaustellung aus, alles dreht sich um den musikalischen Sinn und die Stimmigkeit und Stringenz der Aussage.

Bis zu Nordgrens Tod arbeitete Juha Kangas an erster Stelle mit dem Komponisten zusammen, bei allen hier zu hörenden Werken leitete er die Uraufführung. Das Resultat aus der engen Kooperation und Kangas’ unbestechlichen Gespür für den Ausgleich zwischen horizontalem (Melodie) und vertikalem (Harmonie) Druck, für Bogen und Phrasierung sowie für die Korrelation des Ganzen als Einheit ist schlichtweg überwältigend. Henri Sigfridsson und Monica Groop passen sich beide selbstlos in das dichte Geflecht ein und finden ihren hervorgehobenen Platz in einer Einheit, die vollkommen aufeinander abgestimmt ist und an der absolut nichts auch nur ansatzweise auszusetzen wäre.

[Oliver Fraenzke, Januar 2017]