Alle Beiträge von Georg Glas

„Wie es alle machen“? Oh nein! – Mozarts Da-Ponte-Oper als makellose Interpretation von subtiler Schönheit

Erato, LC 04281; EAN: 8 25646 82306 2

Bekanntermaßen ist die Zahl der Mozart-Operneinspielungen gerade im Bereich der Da-Ponte-Opern äußerst vielfältig, ja man möchte sagen: unüberschaubar. Man denke nur an die diversen Aufnahmen des eingefleischten Mozart-Dirigenten Karl Böhm, sowohl unter dem EMI- und Decca- als auch dem Deutsche Grammophon-Label. Darunter finden sich mindestens jeweils drei Einspielungen und Mitschnitte einer jeden dieser Opern. Selbiges gilt beispielsweise auch in ähnlichem Ausmaß für die Aufnahmen von Sir Georg Solti oder Herbert von Karajan.

Die vorliegende Aufnahme nun, beheimatet unter dem Label Erato (heute ein Unterlabel von Warner Classics) versprüht einen ganz besonderen und einzigartigen Zauber. Es ist der nostalgische Flair einer vermutlich untergegangenen Welt, einer „aurea aetas“, der goldenen Zeit des karajanesken Musiktheaters. Beheimatet ist diese in einer der schaffensfreudigsten Perioden des Stereozeitalters. Es war eine Zeit unsterblicher Dirigenten und vergöttert-umjubelter Sänger, primadonnenhafter Diven und hinreißender, italienischer Tenöre. Außerhalb dieses elitären soziokulturellen Rahmens ist es auch eine Zeit politischer Veränderungen, die Zeit des Brusthaar-Toupets, die Zeit von LSD sowie noch von Led Zeppelin und Pink Floyd.
Wir schreiben das Jahr 1977. Der Frühling ist eingezogen, es ist Mai. Auch um den Palais de la Musique zu Strasbourg beginnt es zu diesem Zeitpunkt rundherum zu blühen, in welchem sich gerade eine herausragende Sängertruppe um den französischen Dirigenten Alain Lombard versammelt hat. Ihr gemeinsames Projekt: Mozarts schillernde Ensemble-Oper „Così fan tutte“.

Die Maori-stämmige Sopranistin Kiri Te Kanawa hatte ihr Platten-Debüt bereits 6 Jahre zuvor mit der kleinen Nebenrolle der Contessa Ceprano in Verdis „Rigoletto“ (EAN: 028941426925) neben Luciano Pavarotti und Joan Sutherland gegeben. Ihre warme, leicht dunkel timbrierte und wandlungsfähige Stimme war es vor allem, die sie zu einer der Lieblingssopranistinnen Sir Georg Soltis machte und für die Rolle der Fiordiligi geradezu prädestinierte. In den jungen Jahren ihrer Karriere verfügte Te Kanawa über ungeahnte lyrische Qualitäten sowie über genügend Flexibilität in den koloristischen Passagen, was für die großen Mozart-Partien nahezu unabdingbar ist – anders als in den mittleren und späten Jahren ihres Schaffens, welche sich durch eine dunklere Nachfärbung ihres Timbres und infolge der verbreiterten und schwereren Stimme auch durch weniger Agilität kennzeichnen. An ihrer Seite steht der glanzvolle und sinnliche Mezzosopran von Frederica von Stade, welche ihr Platten-Debüt gerade einmal zwei Jahre vor dieser Einspielung gab. Bekannt wurde die in New Jersey geborene Mezzosopranistin zumal durch die Interpretation von Mozart- und Rossini-Rollen sowie durch diverse Aufnahmen unter Herbert von Karajan (wie vor allem „Pelléas & Mélisande“ von Claude Debussy; EAN: 5099996672327). In der vorliegenden Aufnahme gestaltet sie die Rolle von Fiordiligis Schwester Dorabella. Interessant ist dabei auch, dass sowohl Kiri Te Kanawa als auch Frederica von Stade ihr gemeinsames US-Bühnendebüt am 30. Juli 1971 in Mozarts „Le Nozze di Figaro“ im Opernhaus Santa Fe in New Mexico begingen, Te Kanawa als Contessa und von Stade in der Rolle des Cherubino. Insofern verwundert es wenig, dass es sich in dieser Aufnahme bei beiden bereits um ein eingespieltes Team handelt.

Beider Stimmen verschmelzen in den Ensemble-Nummern, insbesondere aber in den intimen Duetten, zu einer derart harmonischen Einheit, dass man meinen könnte, es müsse sich dabei um eine einzige Stimme handeln. Phrasierungen und Atempausen sind bis ins letzte wohllautende Sechzehntel exakt aufeinander abgestimmt, Legati, Portamenti und Koloraturen bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Gerade wenn man denken mag, eine so klangschöne Einheit rechtfertige den Verdacht des Langweiligen, ja Emotionslosen, wird man eines Besseren belehrt. Beide Diven gestalten ihre Rollen mit der idealistischen Frische ihrer blühenden Jugendlichkeit und größter Expressivität, denn auch in ihrer vollkommenen Einheit, ihrer geschlossenen Paarung spiegeln sich Kontrast und gegensätzliche Leidenschaften wider. Ein scheinbares Paradox, eine sprichwörtliche Quadratur des Kreises, möchte man meinen. Selten verspürt man eine dermaßen ausdrucksstarke mentale Einheit wie bei Te Kanawa und von Stade. Man höre sich nur die gänsehautverdächtigen Nummern „Ah guarda, sorella“ zu Beginn des ersten Aktes sowie mehr noch das „Ah che tutta in un momento“ am Schluss desselbigen an! Erst da wird einem bewusst, wie Mozart klingen kann. Allein wegen diesen beiden Ausnahme-Sängerinnen würde sich die Anschaffung dieser Aufnahme allemal lohnen, doch des Lobes ist an dieser Stelle bei Weitem noch nicht genug getan.

Als weitere Stars dieser Aufnahme müssen auch der Dirigent und sein Orchester genannt werden. Noch fern den Bewegungen der historischen Aufführungspraxis dirigiert Lombard einen äußerst feinsinnigen und gefühlvollen Mozart. Er lässt die Partitur atmen, gestattet jeder Phrase die Zeit, welche sie braucht, um sich zu entwickeln. Lombard ist der eigentliche Klangmagier dieser Aufnahme, denn mittels seiner kundigen Hände lotet er die filigrane Balance zwischen Sängerkorpus und Instrumentarium aus, wählt jeweils instinktiv immer das angemessene Tempo und gibt den Sängern stets den größtmöglichen Entfaltungsraum und die Sicherheit, um der subtilen Schönheit der Partitur zu größtmöglichem Glanz und Wohllaut zu verhelfen. Große dynamische Bögen werden auf überzeugende Art und Weise gestaltet, von zarten, melancholischen Tönen bis hin zu feurig-leidenschaftlichen Sequenzen, welche mitunter, wenn passend, auch ein komödiantisches Kolorit nicht vermissen lassen. In dem elsässischen Orchestre Philharmonique de Strasbourg hat der Dirigent einen höchst emphatischen und einheitlichen Klangkörper gefunden, der es aufs Beste versteht, besagte Balance mit der nötigen Transparenz und Differenziertheit auszustatten. Auch der engagierte Choeur de l’Opéra du Rhin verdient an dieser Stelle großes Lob.

Von den übrigen Sängern sind noch David Rendalls Ferrando und Teresa Stratas Despina hervor zu heben. David Rendalls Tenor ist von lyrischer Kraft und kerniger Agilität. Technisch weiß er durch ein samtenes Messa di voce, ausdrucksstarke Pianissimi und geschickte Verzierungen zu überzeugen. Aufgrund dieser versierten Eigenschaften ist es nicht allzu verwunderlich, dass Ferrando das Herz Fiordiligis, der Dame seines Wettkonkurrenten, in Null-Komma-Nichts zum Schmelzen bringt. Ein eindrückliches Zeugnis ist in dieser Hinsicht das Duett „Fra gli amplessi“ im zweiten Akt.

Die griechische Sängerin Teresa Stratas vermag mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten eine äußerst kokette und komödiantische Despina zu zeichnen. In der Rolle des anstiftenden Naivchens und der Verbündeten Don Alfonsos bringt sie ihren neckischen Soubretten-Sopran zu voller Geltung.

Als nicht unwesentlicher Rest der Sängertruppe um Lombard seien darüberhinaus noch der stattliche Bariton Philippe Huttenlochers in der Rolle des Guglielmo und der voluminöse belgische Bass von Jules Bastin in der Rolle des Don Alfonso gewürdigt.

Das Zusammenspiel all dieser Partien erweckt den Eindruck eines eingespielten und perfekt aufeinander abgestimmten Ensembles, wie man es vielleicht noch am ehesten von Wiener Mozart-Ensembles der Nachkriegszeit um Dirigenten wie Josef Krips in Erinnerung behalten hat. Die großartige Aufnahme-Akustik und Räumlichkeit des Klanges setzt der vorangegangenen Liste des Lobes ein weiteres i-Tüpfelchen auf. Eine Aufnahme, die den Glanz dieses goldenen Zeitalters wieder heraufbeschwört und durch ihren nostalgischen Zauber sowie ihre absolute Einzigartigkeit besticht. Così fan tutte? Mitnichten!

So liegt hier meines Erachtens eine der besten „Così fan tutte“-Darbietungen der Plattengeschichte vor.

[Georg Glas, Juni 2016]

„Brittissimo!“ – Eine längst überfällige Kollektion im Gedenken eines großen Komponisten

Opus Arte, OA BD7189 BD; EAN: 80947807189

Georg0002

Die Opern von Benjamin Britten (1913-76) werden auf den heutigen Opernbühnen mit Ausnahme des Peter Grimes leider nach wie vor viel zu selten gespielt. In Anbetracht dieses Umstandes ist es nun umso erfreulicher, dass die meisten in vorliegender Box enthaltenen Produktionen als Hommage zum hundertsten Geburtstag an den englischen Komponisten im Jahr 2013 erstveröffentlicht wurden und nun in dieser Sammelkollektion erhältlich sind. Die Box besticht gleich auf den ersten Blick durch ihre geschmackvolle Aufmachung. Der Schuber, welcher markant durch ein gestrandetes Schiff illustriert ist, nimmt sogleich Bezug auf die häufig in Brittens Opern eingestreute Motivik um See und Seefahrer, was v. a. in Peter Grimes und Billy Budd deutlich wird. Zeit seines Lebens fühlte sich Britten den malerischen Landschaftsbildern der englischen Nordseeküste verbunden und gründete dort auch schließlich das Aldeburgh Festival, welches u. a. als Uraufführungsort diverser Bühnenwerke des Komponisten fungierte.

Drei der in der vorliegenden Box enthaltenen Mitschnitte möchte ich im Folgenden genauer herausheben:

Bereits die erste Produktion innerhalb des Schubers präsentiert das bedeutendste Opernwerk Brittens überhaupt: Peter Grimes. Uraufgeführt im Jahr des Kriegsendes war es zu dieser Zeit das Werk, welches Britten zu nachhaltigem Ruhm verhalf. Die äußerst anspruchsvolle Titelpartie des Grimes hatte Britten für seinen Lebensgefährten, den großen Tenor Peter Pears, geschrieben, mit welchem der Komponist dann auch im Jahr 1958 eine Studioproduktion für das Label Decca einspielte, die bis heute als unangefochtene Referenzaufnahme des Werkes gilt (Decca, 4757713; EAN: 0028947577133). Aufgrund der großen sängerischen Strapazen, mit welchen die Rolle verbunden ist, wird die Partie oftmals von Wagner-Sängern gesungen, darunter v. a. auch von bedeutenden Sängern wie dem kanadischen Heldentenor Jon Vickers, welcher die Rolle in der Gesamtaufnahme von 1978 unter Sir Colin Davis übernahm (Decca, 4782669; EAN: 0028947826699). Wenngleich auch nicht mit derart unerschöpflichen stimmlichen Mitteln ausgestattet wie besagte Vorgänger, so kann der britische Tenor John Graham-Hall doch in der vorliegenden Produktion der Mailänder Scala überzeugen. Auf bühnendarstellerischer Ebene mangelt es ihm in dieser Partie allerdings des Öfteren an Intensität. Das eigentliche Glanzlicht der Produktion ist die Besetzung der Ellen Orford durch Susan Gritton. Ihre lyrischen Qualitäten wie auch ihr intensives Spiel zeichnen eine Frau, die gegen das existentielle Dilemma und die Ungerechtigkeit des konservativen dörflichen Milieus aufbegehrt und letztlich daran scheitert. Susan Grittons Sopran ist bestens disponiert und versprüht eine Wärme, welche der darstellerischen Gestaltung ihrer Rolle aufs Eindringlichste gerecht wird. Unterstützt werden die Sänger vom routinierten Orchester und Chor der Mailänder Scala. Obwohl es dem jungen Dirigenten Robin Ticciati anfangs auch mangels Schwung nicht gelingt, aus Chor und Orchester einen einheitlichen Klangkörper zu formen, spornt er diese doch nach und nach zu voller Leistung an. Spätestens in den bedrohlich-düsteren „Sea Interludes“, v. a. aber im Sturm-Interludium des zweiten Aktes, in welchem das Orchester mit martialischer Kraft aufgepeitscht wird, gelingt es ihm, große Spannungsbögen und orchestrale Facetten von großer Transparenz zu zeichnen. Die teils moderne, teils konservative Inszenierung vermag dabei mittels gezielter Lichteffekte und kontrastreicher Kostüme interessante Eindrücke zu vermitteln und die innerdramaturgische Beklommenheit auf nachvollziehbare Art und Weise herauszustreichen.

Die Produktion des auf einer Erzählung von Herman Melville basierenden Bühnenwerkes Billy Budd kann als eine weitere Sternstunde realistisch-historisierenden Musiktheaters gesehen werden. Die tragische Seemannsoper entstand ursprünglich als Auftragswerk für das Royal Opera House, wo sie 1951 zur Uraufführung gelangte. Ebenso wie den Peter Grimes nahm Britten auch diese Oper zusammen mit Pears im Jahr 1967 für das Decca-Label auf (Decca, 4174282; EAN: 0028941742827). In der Rolle des befehlshabenden Captain Vere der vorliegenden Aufführung vom Glyndebourne Festival ist John Mark Ainsley zu sehen. Sein hellschlanker Tenor vermag, einen von Selbstzweifel geplagten Idealisten darzustellen, welcher letztlich zwischen Gesetz und eigenem Gewissen entscheiden muss. Spiel und Gesang sind von großer darstellerischer Überzeugungskraft. Die Titelpartie ist durch den südafrikanischen Bariton Jacques Imbrailo besetzt, welcher es als jugendlich-lyrischer Bariton aufs Beste versteht, der Figur die nötige Naivität angedeihen zu lassen. Sein tragisches Ende im Fadenkreuz des Spannungsfeldes zwischen Humanität und Ordnungsmacht ist von großer Wirkung und Eindringlichkeit. Hervorragend besetzt ist auch die Rolle des sadistischen Intriganten Claggart, gespielt mit dämonischer Intensität vom kanadischen Bassbariton Philip Ens. Eine besondere Bemerkung wert ist die herausragende Inszenierung von Michael Grandage, welcher die Handlung in das klaustrophobische Innere eines Schiffrumpfes versetzt. Die ungeschönte Brutalität zur Zeit der Revolutionskriege wie auch die Qual des Matrosenalltags werden realistisch nachgezeichnet und durch historische Kostüme ergänzt. Das ausgezeichnete London Philharmonic Orchestra unter der expressiven Stabführung von Mark Elder rundet das Bild dieser erstklassigen Produktion ab.

Brittens Death in Venice nach einer Adaption der Novelle von Thomas Mann wurde als letzte Oper des Komponisten im Jahr 1973 im Rahmen des Aldeburgh Festivals uraufgeführt.     Wie bereits in der vorgenannten Aufnahme des Peter Grimes hat man auch in dieser Produktion der English National Opera den Tenor John Graham-Hall mit der Titelpartie betraut. Und Graham-Hall liefert hier eine weitaus vielschichtigere Darstellung ab als in der Grimes-Produktion! Sein selbstquälerischer Zwiespalt zwischen Eros, also der Neigung zu dem Knaben Tadzio, und Ratio, also der Akzeptanz des gesellschaftlich Tabuisierten im Kontext seiner Reputation als berühmter Schriftsteller, nimmt man ihm ohne weiteres ab. Auch in stimmlicher Hinsicht ist er diesmal bestens disponiert, von fast gehauchten Piani bis hin zu aufschäumendem und stets sicher intoniertem Forte komplexer Melodielinien. Brittens stilistische Wandlung gegenüber den beiden vorgenannten Werken ist deutlich spürbar. In Anbetracht der komplexen Motivik, des archaisch anmutenden Schlagwerks und der farbig-dissonanten Harmonik als Spiegel der psychologischen Innenwelt Aschenbachs meint man immer wieder Komponisten wie den Strauss der Salome und Elektra und v. a. auch Strawinsky aus der Partitur herausblitzen zu sehen. Dieser Umstand wird mit großer Intensität durch die ungeheure Impression atmosphärischer Bühnenbilder unterstrichen, welche sich mit der Musik auf einer stimmungsvollen Verdichtungsebene vereinigen. Wenn auch sängerisch nicht vollauf überzeugend, so ist Bassbariton Andrew Shore doch in darstellerischer Hinsicht als Verkörperung der „Sieben-Personen-Rolle“ mit besonderem Lob zu würdigen. Chor und Orchester gelingen zudem unter der Leitung von Edward Gardner wahre Höchstleistungen.

Alles in allem handelt es sich hierbei um eine herausragende Sammlung der wichtigsten Bühnenwerke Brittens (noch dazu in augenbetörender HD-Qualität), die sich jeder gewissenhafte Musikliebhaber durchaus zu Gemüte führen darf. Ein anerkennendes „Brittissimo!“ wird in diesem Falle dem ein oder anderen im Anbetracht der herausragenden sängerischen und darstellerischen Leistungen mit Sicherheit von den Lippen schallen.

[Georg Glas, April 2016 ]

Geheimtipp des Verismo

CPO 7089707; EAN: 7 61203 79602 1

Georg0001

Die Stilrichtung des italienischen Verismo ist heute v. a. durch Opernkomponisten wie Giacomo Puccini, Pietro Mascagni, Ruggiero Leoncavallo oder Umberto Giordano bekannt. Der 1883 geborene Riccardo Zandonai dagegen, seines Zeichens selbst Mascagni-Schüler, ist heute fast völlig vergessen. Von seinen insgesamt elf Opern dürfte der tragische Vierakter ‚Francesca da Rimini’ allerdings jenes sein, welches Kennern noch am ehesten geläufig ist. Eine Aufnahme mit Ausschnitten aus der ‚Francesca’ unter dem Label Decca mit der Verismo-Diva Magda Olivero und dem berühmten florentinischen Tenor Mario del Monaco aus den späten 60er Jahren ist legendär. Die Geschichte um Francesca, welche sich gegen die arrangierte Ehe auflehnt und letztlich für ihre wahre Liebe stirbt, obendrein am Schauplatz eines von politischen Machtkämpfen zerrütteten Italien im frühen 14. Jahrhundert, hat auf den ersten Blick alles, was das Erfolgsrezept einer guten Oper ausmacht. Doch hatte es Zandonais Musikdrama seit seiner Uraufführung am 19. Februar 1914 in Turin schwer, sich einen Repertoireplatz auf den Bühnen der Welt zu sichern, zumal das damals allmählich aufkommende Medium des Films eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellte.

Die vorliegende cpo-Einspielung mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg unter der Leitung von Fabrice Bollon dürfte die erste Studioproduktion der kompletten Oper auf kommerziellem Tonträger sein. Allein dieser Umstand kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Sowohl das instrumentale Klangbild als auch die musikalische Verwendung der Singstimmen und des Chores erinnern in ihrer eindrücklichen Klangfülle und -gewalt an die Tonsprache anderer Zeitgenossen, wie vor allem Vittorio Gnecchi oder Richard Strauss. Gerade das leidenschaftliche Duett „No, Smaragdi, no! … Inghirlandata di violette“ aus dem dritten Akt, sowie das dramatische Finale der Oper, bei welchem beide Portaganisten ermordet werden, hinterlassen in dieser Hinsicht einen bleibenden Eindruck. In Bezug auf die alte Decca-Einspielung kommt besonders bei der Besetzung der Hauptdarsteller ein leichtes Déjà-vu-Gefühl auf. Der in der Rolle von Francescas Liebhaber debütierende deutsch-brasilianische Tenor Martin Mühle überrascht mit frappierender Ähnlichkeit zu Mario del Monacos bronzenem Timbre. Trotz insgesamt beachtlicher Leistung neigt seine klanggewaltige Stimme allerdings gelegentlich etwas dazu, sich in einem durchgängigen Forte zu verfestigen (interessanterweise eine Eigenart, die man auch bei del Monaco öfters beobachten kann). Christina Vasileva als lyrisch-dramatische Francesca reicht in ihrem Ausdrucksreichtum zwar nicht an Legenden wie die Olivero heran, vermag aber dessen ungeachtet durch ihre einfühlsame Stimmfärbung und -führung sehr zu gefallen. Ihre gefühlvollen Piani, zumal in den sehnend romantischen Passagen, sind besonderer Erwähnung wert. Anders als ihrem Kollegen Mühle gelingt es ihr auch besser, ein differenzierteres Charakterbild ihrer Rolle zu zeichnen. Das Freiburger Orchester unter Bollon ist für seine ausgesprochen solide Leistung besonders zu würdigen. Der Dirigent versteht es dabei auf hervorragende Art und Weise, die dramatischen Untiefen der Partitur filigran auszuloten und den gebündelten Klangkörper der 84 Musiker mit der nötigen Transparenz spielen zu lassen. Alles in allem eine unbedingt hörenswerte Einspielung.

[Georg Glas, Januar 2016]