[Rezensionen im Vergleich 1] Resurrection

Aldilà Records, ARCD 020; EAN: 9 003643 980204

Auf dem Album Resurrection spielt das Orchestra Simfònica Camera Musicae unter der Leitung von Christoph Schlüren Werke von Johann Sebastian Bach, Reinhard Schwarz-Schilling, Wolfgang Amadeus Mozart, Giorgio Federico Ghedini, Douglas Lilburn, Paul Büttner. Als Solisten sind Joel Bardolet (Violine) und Raquele Magalhães (Flöte) zu hören.

Im Laufe der vergangenen Monate hat Aldilà Records kurz hintereinander drei Alben veröffentlicht, auf denen Christoph Schlüren als Dirigent zu erleben ist. Bei allen handelt es sich um Mitschnitte von Konzerten, zum Teil ergänzt durch „Studio-Live“-Aufnahmen, also quasi-konzertante Aufführungen ohne Publikum nach dem eigentlichen Konzertereignis. Die CD Quintessence, die ein Konzert der Symphonia Momentum in Lehrberg dokumentiert, vereint drei Werke für fünfstimmiges Streichorchester: Felix Mendelssohn Bartholdys Introduktion und Fuge (auch Streichersymphonie Nr. 13 genannt), Reinhard Schwarz-Schillings Bitten (die Bearbeitung eines A-cappella-Chorwerks), und Anton Bruckners Streichquintett in Schlürens Einrichtung für Streichorchester. Mit Zodiac erschien Schlürens erste Doppel-CD als Leiter eines großen Symphonieorchesters. Neben Arvo Pärts Festina lente und dem Adagio aus Benedetto Marcellos Oboenkonzert d-Moll enthält sie als Hauptwerk die Symphonie Nr. 3 von Martin Scherber, deren Uraufführung hier zugleich festgehalten ist. Wie im Falle von Zodiac, ist auch auf dem dritten Album Resurrection das katalanische Orchestra Simfònica Camera Musicae zu hören, nun allerdings in reiner Streicherbesetzung.

Resurrection basiert auf einem Konzert, das im Juli 2021 in Tarragona stattfand. Ganz wie man es von Schlüren kennt, wird man als Zuhörer auf einen Streifzug durch verschiedene Epochen und Stile mitgenommen. Im Gegensatz zu Quintessence, wo das konsequente Festhalten an einer Besetzung das Programm bestimmt, tritt das Streichorchester hier in Dialog mit zwei Solisten: dem Geiger Joel Bardolet und der Flötistin Raquele Magalhães. Die Vortragsfolge ist dabei so aufgebaut, dass Anfang, Mitte und Abschluss von einem Werk für Streichorchester allein bestritten werden; dazwischen erklingen jeweils zwei Kompositionen, in denen die Solisten zu hören sind. In Hinsicht auf die Entstehungsdaten der Werke lässt sich der Verlauf des Programms durchaus als sinusartig bezeichnen. In der Mitte steht Wolfgang Amadé Mozarts Fantasie f-Moll KV 608, in seinem Todesjahr 1791 für eine mechanische Orgel komponiert und im 20. Jahrhundert von Edwin Fischer für Streicher gesetzt. Ihr voran gehen zwei Werke Johann Sebastian Bachs, die Orgelfuge g-Moll BWV 578 und das durch Rücktranskription aus dem Cembalokonzert BWV 1056 gewonnene Violinkonzert g-Moll, die ein Werk Reinhard Schwarz-Schillings einrahmen: Da Jesus an dem Kreuze stund, eine 1942 vollendete kanonische Choralfantasie für Orgel mit Melodieinstrumenten ad libitum, hier als Streicherwerk mit Violine und Flöte aufgeführt. In der zweiten Hälfte der CD dünnt sich zunächst das Klangbild aus: Mit Giorgio Federico Ghedinis Canto, o della solitudine für Flöte solo (1962) erklingt das einzige Stück des Programms, das in seiner originalen Gestalt zu hören ist. In Douglas Lilburns Canzona Nr. 1, kommen die Streicher wieder hinzu, um die Flöte mit Pizzicato-Bässen und dezenten Arco-Linien zu begleiten. Die hier gespielte Fassung des Stücks wurde von Lucian Besciu erarbeitet, der auch die Bachsche Fuge und Schwarz-Schillings Choralbearbeitung transkribiert hat. Er kombinierte dabei zwei vom Komponisten selbst stammende Versionen: die Erstfassung für Violine und Viola von 1943 und die Überarbeitung von 1980 für Streichorchester. Wie in der ersten Fassung spielt ein einzelnes Instrument die Melodie (hier die Flöte), wie in der zweiten bildet ein Streichensemble das klangliche Fundament. Krönender Abschluss des Albums ist Paul Büttners Streichquartett g-Moll aus dem Jahr 1916, das mit dieser Aufnahme überhaupt erstmals auf CD gelangt – das Album ist offenbar vor allem wegen dieser Pioniertat Resurrection benannt. Von Christoph Schlüren für Streichorchester eingerichtet, erklang es als Streichersymphonie zum ersten Mal 2017 in Neuß.

Beim Hören dieser CD fällt sofort auf, wie sehr sich der Klang des Streichorchesters im Verlauf des Programms verändert. Die deutlichen stilistischen Unterschiede der Kompositionen finden ihren Widerhall in ihrer klanglichen Umsetzung. So werden die beiden Bach-Stücke sehr leichtfüßig und agil vorgetragen. Mit athletischem Schwung bewegen sich die Sechzehntelketten der Fuge, doch auch dem Gesang der breiteren Gegenstimmen wird Genüge getan. Dieser Bach funkelt wahrlich hell! Unmittelbar anschließend wird der imaginäre Raum in Dunkel gehüllt: In Schwarz-Schillings Da Jesus an dem Kreuze stund geben die Streicher plötzlich Klänge von sich, die in ihrer kernigen Innigkeit an ein altes, hölzernes Orgelpositiv gemahnen. Mit Joel Bardolet und Raquele Magalhães hat Christoph Schlüren zwei Solisten gefunden, die sich wunderbar in dieses Farbenspiel einfügen. Bei Schwarz-Schillings sind sie gewissermaßen die Lichtstrahlen im gotischen Kirchenraum. Bardolet, den man von einer früheren Aldilà-Produktion (German Counterpoint) her bereits als exzellenten Kammermusiker kennt, erfüllt danach in Bachs Violinkonzert seine Stimme mit Anmut und langem Atem. Im Adagio vergisst er nirgends, dass seine Kantilenen von den Orchesterbässen gestützt werden, und in den Ecksätzen ist er dem Orchester ein anspornender primus inter pares. Raquele Magalhães ist eine Ausnahmeflötistin, die man getrost zu den ganz großen Meistern ihres Instruments rechnen darf. Selten hört man die Flöte derart menschlich, mit all den feinen Schattierungen, wie sie der menschlichen Stimme gegeben sind! Ganz auf sich allein gestellt, entfaltet Magalhães in Ghedinis Canto eine fesselnde Klangrede, die durch zahlreiche Atempausen gegliedert, aber nicht unterbrochen wird, wobei sie ihre farbenreiche Tongebung klug einsetzt, um die Spannung zu halten. Ebenso aus dem Vollen schöpft sie in der Darbietung der Lilburnschen Canzona auf der Altflöte, wobei dieses liedhafte Stück – ein Juwel schlichter Schönheit, das durchaus Ohrwurmqualität besitzt – ihrer „sängerischen“ Begabung besonders entgegenkommt. Die Stücke Ghedinis und Lilburns bilden als Monodie und instrumentales Arioso den Ruhepol der CD. Geschickt sind sie hinter ein Werk Mozarts platziert worden, das zu dessen exzessivsten kontrapunktischen Arbeiten gehört. Schlüren lässt das Orchester in der Fantasie KV 608 wuchtiger klingen als in den Bach-Stücken, wie gleich in den Einleitungstakten nach Art französischer Ouvertüren deutlich wird. Die beiden Allegro-Teile zu Beginn und am Schluss werden langsamer gespielt als in allen anderen mir bekannten Aufführungen des Werkes. Bezugspunkte für diese Tempowahl sind offensichtlich die darin enthaltenen Fugen, deren lebhafte Kontrapunkte sorgfältigst phrasiert dargeboten werden. Dadurch verhindert der Dirigent den Eindruck mechanischen Abspulens, der namentlich bei zu hastiger Aufführung des Schlussteils aufkommen kann. Das zentrale Andante, ein Variationssatz, klingt zart und gesanglich – nicht nur in den Violinen, sondern in allen Stimmen: Mozarts herrliche Polyphonie darf auch hier aufblühen.

Mit Paul Büttner ist man am Ende bei einem der großen deutschen Symphoniker des frühen 20. Jahrhunderts angelangt, einem Meister des opulenten Orchesterklangs, der zugleich – als Schüler Felix Draesekes – einer der geistvollsten Kontrapunktiker seiner Generation gewesen ist (man höre diesbezüglich einmal seine ganz aus Kanons bestehende Triosonate für Streichtrio!). Büttners Streichquartett g-Moll dauert etwas mehr als eine halbe Stunde und gliedert sich in fünf Sätze: Ein zentrales Scherzo wird von zwei langsamen Interludien umrahmt, diese wiederum von einem ausgedehnten Allegro-Kopfsatz und einem lebhaften Finale. Letzteres ist eine Art Rondo, das in seinen Zwischenteilen auf Themen der früheren Sätze zurückgreift und auch einen langsamen Doppelkanon über das Thema E-F-A (eine versteckte Widmung an Büttners Ehefrau) enthält. Das Quartett ist durchaus kein verkapptes Orchesterwerk – Büttner wirft nicht mit Doppelgriffen und Tremoli um sich und schreibt kaum homophon-flächig –, doch geht durch das ganze Stück ein Zug ins Große, der es mehr als rechtfertigt, es in chorischer Besetzung aufzuführen. Das Orchestra Simfònica Camera Musicae widmet sich hingebungsvoll der Ausgestaltung jedes einzelnen Moments, und tatsächlich meint man ständig, im Streicherklang versteckte Holzbläser, Hörner, Trompeten, Posaunen zu hören. Wer wissen will, wie man mit einem monochronen Klangkörper ein Maximum an Differenziertheit erzeugen kann, der findet hier ein vorzügliches Beispiel. Zum stillen Höhepunkt des Ganzen gerät das zweite Interludium – es ist keine bloße Floskel, wenn man angesichts dessen von einem Streicherchor spricht.

Ein sehr umfangreicher Einführungstext aus Christoph Schlürens Feder, der nicht nur viele interessante Fakten zur Entstehung der einzelnen Werke, sondern vor allem wertvolle Einsichten bezüglich ihrer Aufführung enthält, rundet diese wunderbare Produktion ab, die jedem Freund kultivierten Musizierens wärmstens empfohlen werden kann.

[Norbert Florian Schuck, November 2024]

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