Begeisternde Einspielungen von George Antheils Violinsonaten

Naxos 8.559937; EAN: 6 36943 99372 9

Als Co-Produktion mit Deutschlandfunk Kultur haben die Geigerin Tianwa Yang und der Pianist Nicholas Rimmer in Berlin die vier Violinsonaten des US-amerikanischen Komponisten George Antheil (1900‒1959) für Naxos eingespielt. Die Veröffentlichung kann in allen Belangen überzeugen.

George Antheil war in den 1920er Jahren in der klassischen Musikszene Europas tatsächlich das enfant terrible schlechthin, bezeichnete sich nicht erst in seiner gleichnamigen Autobiographie (1945) ausdrücklich als Bad Boy of Music. Insbesondere durch rhythmisch äußerst aggressive, über Strecken dabei mechanistisch unterkühlte Musik – allem voran sein Ballet mécanique (1926, rev. 1952) – wusste er stets gehörig zu provozieren. Die dann auch immer vorhandenen Jazz-Einsprengsel taten ein Übriges. Genoss der Komponist in Europa seine Skandale, war ein Konzert in der New Yorker Carnegie Hall 1927 ein einziges Debakel. Als er 1933 zurück in die USA ging, ab 1936 in Hollywood arbeitete – nicht nur für die Filmindustrie – wurde er zunehmend „braver“, so dass er fortan kaum noch als Avantgardist wahrgenommen wurde und seine frühen, für uns heute umso erfrischender wirkenden Glanzlichter lange in Vergessenheit gerieten. Eine echte Renaissance erlebt sein Werk erst wieder seit den späten 1970ern.

Antheils erste drei Violinsonaten entstanden 1923 und 1924, genau während seiner Experimente mit dem Ballet mécanique. Der Komponist war 1922 nach Europa gereist, traf in Berlin sein Idol Igor Strawinsky und folgte ihm 1923 nach Paris. In der viersätzigen ersten Violinsonate erkennt man in den Ecksätzen Strawinskys Einfluss sehr stark (Les Noces, Histoire du soldat). Aber gleichzeitig gibt es hier bereits in der Violinliteratur bislang unerhörte, bewusst bis an die Grenze der Erträglichkeit sich wiederholende Barbareien, clusterartig klingendes, extremes Kratzen zwischen Steg und Saitenhalter, härteste irreguläre Akzente usw. Jedwede Formerwartungen an klassische Sonaten werden enttäuscht. Andererseits ist das 24-minütige Werk voller Exotismen und schöner Details, die den Hörer ebenso umwerfen.

Die aus Peking stammende, mittlerweile mit Preisen gerade für ihre CD-Aufnahmen (Sarasate, Rihm, Brahms…) überhäufte Violinistin Tianwa Yang ist bereits lange in Deutschland tätig, seit 2018 Professorin in Würzburg. Mit ihrem britischen Klavierpartner Nicholas Rimmer gelingt ihr schon hier eine Darbietung, die alle bisherigen Einspielungen weit in den Schatten stellt. Während etwa Vera Beths und Reinbert de Leeuw einerseits die Bruitismen nicht bis an die Grenze ausloten, andererseits die Musik – sicherlich absichtsvoll – völlig ohne innere Anteilnahme wie eine Maschine abspulen, atmet und lebt bei Yang/Rimmer jeder Moment. Alles ist hier auch emotional nachvollziehbar und verständlich. Der Klang beider Musiker –wunderbar flexibel und farbig – lässt niemals kalt, trotz haarsträubender Präzision. Selbst die barbarischsten Stellen klingen natürlich: zum Beispiel wie der Schrei eines Esels. Und der Schluss des Finales, nicht nur von den Bewegungsmustern her an den Schluss des ersten Teils von Le Sacre du printemps gemahnend, wirkt in seiner Raserei geradezu hinreißend. Rimmers Geschmeidigkeit bei Läufen ist staunenswert – das ganze Stück kommt so absolut großartig herüber.

Genauso begeisternd spielen Yang und Rimmer die übrigen Sonaten. Die Jazz-Einflüsse der Sonaten Nr. 2 und 3 sind (aber)witzig, haben Swing und wirken keinesfalls als Fremdkörper wie bei Beths/de Leeuw. Die vierte Sonate von 1947-48 beweist, dass der dann vermeintlich zahme Antheil nichts an Ausdrucksstärke eingebüßt hat, alles andere als zahnlos oder gar ein Langweiler geworden ist. Erinnert der Kopfsatz – mit ein, zwei Beinahe-Zitaten – an die besten Momente von Kammermusik Prokofjews, erreicht die Passacaglia enormen Tiefgang. Das Toccata-Rondo ist ein wenig konventionell, dennoch ein brillanter Abschluss. Aufnahmetechnisch vermag die CD ebenfalls mit Transparenz und Dynamik völlig zu überzeugen. Die Veröffentlichung kann nicht hoch genug gelobt werden und gehört wirklich in jede Sammlung: ein echtes Kleinod für diese Besetzung.

Vergleichsaufnahme: Vera Beths, Reinbert de Leeuw (Auvidis Montaigne MO 782022, 1989)

[Martin Blaumeiser, Juli 2024]

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