Am 9. März 2024 vollendete Kalevi Aho sein 75. Lebensjahr. Wie könnte man das Jubiläum eines großen Symphonikers besser begehen als mit der Uraufführung seiner neuesten Symphonie? Als Aho vor genau einem Jahr anlässlich eines Konzerts zu Ehren seines 74. Geburtstags in Wien weilte, hatte er gerade den Kopfsatz seiner Symphonie Nr. 18 vollendet. Die Komposition war von der Saimaa Sinfonietta in Auftrag gegeben worden und wurde im finnischen Mikkeli am 8. Februar 2024 durch dieses Orchester unter der Leitung von Erkki Lasonpalo uraufgeführt. Das Konzert, in welchem Ahos Symphonie auf Beethovens Drittes Klavierkonzert (Solist: Olli Mustonen) folgte, wurde am Geburtstag des Komponisten von yle Radio 1 gesendet.
Ahos Achtzehnte Symphonie ist eine viersätzige Komposition von knapp 40 Minuten Spieldauer. Wie angesichts ihrer Vorgängerwerke nicht anders zu erwarten, spricht auch hier aus jedem Takt der virtuose Beherrscher des großen Orchesters. Feinheiten wie die aufhellende Beimischung eines Harfentons in den Oboenseufzer, der den ersten Satz abschließt, zeugen von Ahos Fertigkeit in der Modellierung von Klangfarben. Er ist ein Komponist, der nicht einfach nur instrumentiert, sondern wirklich orchestral denkt. Kontraste zwischen verschiedenen Orchestergruppen, aber auch zwischen hohen und tiefen Registern, prägen das Werk entscheidend. Der Verlauf, den die Musik nimmt, hängt eng mit der klanglichen Gestaltung zusammen.
Der mäßig bewegte erste und der langsame zweite Satz unterscheiden sich zwar charakterlich deutlich voneinander, entwickeln sich jedoch auf sehr ähnliche Weise. Zu Beginn werden jeweils scharfe Kontraste in den Raum gestellt, aus denen dann ein Dialog entsteht. Der Anfang des Kopfsatzes wird durchweg von martialischen Schlagzeugrhythmen grundiert, über denen Blechbläserakkorde und wellenartige Violinfiguren zu hören sind. Daraufhin erklingen die verhaltenen Rufe einzelner Holzbläser über Streichertremoli. Im zweiten Satz entsteht der Dialog weniger aus der schroffen Gegenüberstellung der Orchestergruppen als aus Registerwechseln: Die Musik beginnt in schimmernder Helligkeit ganz hoher Bläser und Violinen, denen tiefere Instrumente antworten. In beiden Sätzen entwickelt sich aus den Dialogen eine große Steigerung, die das ganze Orchester erfasst. Der zweite Satz verwandelt sich in eine Art Prozession, eingetaktet durch allmählich rascher werdende Paukenschläge. Nach dem Höhepunkt löst sich die Musik in Fragmente auf. Der Kopfsatz endet mit einem Seufzer, der langsame Satz fragend mit einem tiefen Streicherchoral.
Der dritte Satz lässt sich unschwer als das Scherzo dieser Symphonie erkennen. Die Gestaltungsweise der beiden ersten Sätze stellt Aho hier gewissermaßen auf den Kopf: Statt der Dialoge, die sich zu einem komplexeren Geschehen ausweiten, begegnet hier anfangs ein Durcheinander, in dem die verschiedenen Sektionen des Orchesters gleichzeitig das Wort ergreifen. Alle beharren auf ihrem Reden, ohne den übrigen Gehör zu schenken. Es entsteht eine fluktuierende Klangfläche aus rhythmisch verschiedenen Schichten, aus welcher teils die eine, teils die andere Gruppe heraussticht. Im Verlauf des Satzes klärt sich das Gewirr immer mehr auf, doch kehrt der Schlussteil zur Stimmung des Anfangs zurück.
Die Symphonie schließt mit einem lebhaften Finale, das wieder einen Verlauf analog dem ersten und zweiten Satz nimmt. Dem von knappen, vorübereilenden Motiven und grellen Effekten geprägten Anfang steht eine breite Melodie des Fagotts gegenüber, die sich über wogender Holzbläser- und Streicherbegleitung entfaltet. Sie wird später vom Blech aufgenommen und zum Höhepunkt geführt. Nach wuchtigem Schlagwerkeinsatz löst sich auch dieser Satz in seine Einzelteile auf. Ein dissonanter Tutti-Akkord verklingt im Decrescendo und ein Flötentriller mit Triangelschlag markiert das Ende.
Das Werk ist keine schwere, keine tragische Musik. Bei allem Ernst in der Grundhaltung hat sich Kalevi Aho eine spielerische Leichtigkeit bewahrt, die als Freude an brillanten Effekten auch in der Achtzehnten Symphonie durchaus spürbar ist. Im Großen und Ganzen wirkt das Stück sehr einheitlich, wie aus einem Guss. Keiner der Sätze fällt gegenüber den anderen ab. Nirgendwo zieht sich das Geschehen unangenehm in die Länge. Aho zeigt sich ein weiteres Mal als mit sicherer Hand gestaltender Symphoniker, der es meisterlich versteht, Spannung aufzubauen und große Formen zu schaffen. Man kann ihm nur wünschen, dass ihm die Kraft, über die er heute als 75-Jähriger verfügt, noch lange erhalten bleibt. Möge sie sich noch in vielen weiteren Meisterwerken manifestieren!
[Norbert Florian Schuck, März 2024]