Für Hausmusik und Klavierunterricht: Klussmanns Xenien

Sikorski SIK0201; ISMN: 9790003033143

Sie suchen nach Klaviermusik des 20. Jahrhunderts für den Hausgebrauch? Nach Stücken von geringer Schwierigkeit, die trotzdem anspruchsvoll komponiert sind und ihrem Spieler Vergnügen bereiten? Antiquarisch fiel mir vor kurzem ein Heft mit sechs kurzen Klavierstücken in die Hände, von denen ich meine, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden. Es handelt sich um die Xenien op. 27 von Ernst Gernot Klussmann. Sie sind bei Sikorski erschienen und wurden erstmals 1951 veröffentlicht, können aber nach wie vor vom Verlag bezogen werden, weswegen hiermit ausdrücklich auf sie hingewiesen sei.

Ernst Gernot Klussmann wurde 1901 in Hamburg geboren, war also etwas jünger als Paul Hindemith und Johann Nepomuk David, gleichaltrig mit Ernst Pepping, und etwas älter als Günter Raphael und Kurt Hessenberg. Wie diese wuchs er noch in der Tradition des späten 19. Jahrhunderts auf – sein Kompositionslehrer war der als Symphoniker und Oratorienkomponist hochbedeutende Altonaer Musikdirektor Felix Woyrsch – und suchte ab den 1920er Jahren neue Wege. Auch für Klussmann wurde der Eindruck barocker Polyphonie bedeutsam. Eine Vorliebe für kontrapunktischen Tonsatz, die sich in zahlreichen als Choralbearbeitung, Passacaglia oder Fuge gestalteten Sätzen niederschlägt, prägt sein gesamtes Schaffen. Seit 1942 als Musikpädagoge in seiner Geburtsstadt wirkend, genoss Klussmann den Ruf eines hervorragenden Lehrers. Als Komponist war er vor allem durch seine ab 1928 entstandenen ersten fünf Symphonien bekannt geworden. Hatte er in diesen Werken streng tonal zentriert komponiert, so vollzog er in den 50er Jahren einen radikalen Stilwandel, indem er sich der Zwölftonmusik zuwandte. Unter Verwendung der Zwölftonmethode, die er, ähnlich wie Alban Berg, Nikos Skalkottas oder Alberto Ginastera, zunehmend frei behandelte, schrieb er bis zu seinem Tode 1975 weitere fünf Symphonien und mehrere Opern.

Die Xenien gehören zu den letzten nicht-zwölftönigen Werken Klussmanns. Es handelt sich eindeutig um Nebenwerke, allerdings um Nebenwerke eines reifen Meisters, der kurz zuvor seine Fünfte Symphonie beendet hatte. Der Symphoniker zeigt sich in diesen Stücken, von denen das kürzeste eine halbe, das längste drei Druckseiten umfasst, als konzentriert arbeitender Miniaturist. Kein Takt ist hier zu viel, und jeder hat Anteil an einer konsequent vorangetriebenen, in sich geschlossenen Entwicklung. Klussmann lädt den Spieler ein und macht ihm Mut, indem er mit einem sehr einfachen, zweistimmigen Stück beginnt, das nur 24 Takte dauert, „Modernismen“ ganz dezent einsetzt (erniedrigter Leitton, offene Quintparallele) und sich geradewegs vom Blatt spielen lässt. Nichtsdestoweniger werden beide Hände bereits hier selbstständig behandelt.

Nr. 2, in e-phrygisch, die durch einen ruhelosen, elegischen Ton besticht, steht in langsamem 3/4-Takt und wird von einem durchgehenden Achtelduktus getragen. Das Stück schult beide Hände gleichermaßen im Spiel gesanglicher Melodielinien: Erst tauschen Rechte und Linke nach vier Takten die Stimmen, dann erhält jede Hand eine ostinate Begleitung, zu welcher die jeweils andere auf einfache Weise mehrstimmig spielt. Herbe Dissonanzen, die sich aus der Stimmführung ergeben, verleihen der Musik zusätzlichen Reiz.

Das dritte Stück ist ein sehr sparsam gesetzter, nur in wenigen Takten die Zweistimmigkeit verlassender Ländler. Die linke Hand übernimmt kurz in der Mitte die Melodie, hat aber ansonsten eine durchgehend staccato vorzutragende, in gleichmäßigen Vierteln gehaltene Begleitung aus Quarten und Tritoni zu spielen. Die Dynamik muss der Spieler aus der Musik herausfühlen, da der Komponist lediglich den Schluss (in F statt des erwarteten E) mit einer Angabe versehen hat (pp).

Auch die „ruhig bewegte“, aber durchaus beschwingt wirkende Nr. 4 (g-Moll) gibt der linken Hand über weite Stecken eine gleichmäßige Begleitung zu spielen, diesmal allerdings in Form ständiger Quintsprünge. Harmonisch ist das Stück offensiver modern als die vorigen: Die rechte Hand spielt zahlreiche Sekundparallelen, und in den G-Schlussakkord mischen sich ein F und ein A. Spieltechnisch geschult werden die Hände hier durch die Umkehrung der Motive in der zweiten Hälfte des Stücks.

Die an fünfter Stelle stehende Invention, die gleich zu Beginn E und G in der Linken auf Es in der Rechten treffen lässt und die gleiche Konstellation zum Schluss in die Dissonanz E-G-D „auflöst“ (es wirkt tatsächlich entspannend), ist das einzige Stück der Reihe, das größere Ansprüche an die Fingerfertigkeit stellt. Die Hände tauschen hier untereinander eine melodisch prägnante Stimme und albertibassartige Sechzehntelfigurationen aus, wobei sich in letzteren eine latente Zweistimmigkeit verbirgt, die vom Spieler zur Geltung zu bringen ist.

Nach diesem verhältnismäßig „virtuosen“ Stück beschließt Klussmann seine kleine Sammlung mit einer Air in e-Moll (3/4-Takt), deren Schwierigkeitsgrad etwa demjenigen des zweiten Stücks entspricht. Wie dieses strahlt Nr. 6 strenge, apollinische Schönheit aus. In der rechten Hand entfaltet sich ein den Grundton immer nur streifender, sich erst am Schluss auf ihm niederlassender Melodiebogen, der im Laufe des Stückes mehrere Oktaven durchmisst, während die linke mit einer in gleichmäßigen Vierteln pochenden, meist dreistimmigen Begleitung grundiert. Sehr interessant ist es zu verfolgen, wie Klussmann mittels Sekundrückungen die Musik durch immer neue harmonische Zwischenstufen führt und sie dabei allmählich zu glühender Intensität steigert. Großartig wirkt insbesondere der Abgesang, der melodisch, erst in der Rechten, dann in der Linken, G-Dur durchmisst, dieses aber in der jeweils anderen Stimme mit der Quartsextakkordfolge E-, D-, C-, B-, As-, Ges-, F-, Es- und D-Dur umkleidet. Ich stehe nicht an, das Xenion Nr. 6 ein kleines Juwel zu nennen. Es dürfte sich auch ideal dazu eignen, Klavierschüler mit den Reizen freier Stimmführung bekannt zu machen.

Der Titel, den der Komponist der Sammlung gegeben hat, bezieht sich wohl nicht auf die Tradition spöttischer Epigramme, wie sie in der deutschen Literatur von den Xenien Goethes und Schillers begründet wurde – dazu sind Klussmanns eher introvertierte Stücke zu wenig keck. Eher scheinen mir hier im ursprünglichen Wortsinne „Gastgeschenke“ vorzuliegen – Dinge also, die ins Haus mitgebracht werden. Um Hausmusik handelt es sich eindeutig: um Stücke zum Selbstspielen oder zum Gebrauch im Klavierunterricht. Zu beiderlei seien die Xenien op. 27 von Ernst Gernot Klussmann wärmstens empfohlen.

[Norbert Florian Schuck, Februar 2022]

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