Fesselndes von Graham Waterhouse, Transzendentes von John Foulds

Der bei München lebende Komponist Graham Waterhouse (geb. 1962 in London), Sohn des legendären Fagottisten und Musikologen William Waterhouse und einstiger Student von Hugh Wood und Robin Holloway, wird allmählich auch international bekannter, was durch die Tatsache, dass seine neuen Werke von Schott Music verlegt werden, gefördert werden dürfte. Waterhouse ist zudem ein versierter Cellist, und als solcher trat er am 13. November im Kleinen Konzertsaal der Münchner Großbauruine Gasteig in weitgehend eigener Sache mit der Pianistin Miku Nishimoto-Neubert auf.

Im ersten Teil gab es zwei Uraufführungen von Waterhouse: zunächst das zweisätzige Ex tenebris für Cello und Klavier, das mit metamorphischer Verarbeitung kurzer Motivik den rein musikalischen Versuch unternimmt, den uns umgebenden gesellschaftlichen Dystopien zu entkommen. Abgesehen davon, dass der Flügel das Cello öfters im Forte bis zur Unhörbarkeit übertönte, gelang die Aufführung gut.

Danach bot Waterhouse erstmals seine gleichfalls 2021 entstandenen elf Miniaturen Smithereens für Cello solo dar, in welchen in unerhört vielseitiger Weise unterschiedliche spieltechnische, kompositionstechnische, klangfarbliche und stimmungsmäßige Welten erkundet und verarbeitet werden. Dies ist ein besonders gelungenes Werk, im Einzelnen wie als sich in der Verschiedenheit kurzweilig ergänzendes Ganzes, und es zeigt, wie abstrakte Programmmusik in den Grenzbereichen der herkömmlichen Tonalität höchst reizvolle Klangräume erschließen kann. Waterhouse ist als Komponist ein Freund der strukturellen Konsequenz, seine Musik ist nicht einfach gemütlich idiomatisch seinem Instrument auf den Leib geschrieben, sondern fordert beim Spieler die hartnäckig-beharrliche Seite seines Wesens heraus. Waterhouse erwies sich als fesselnder Erzähler der musikalischen Kurz- und Äußerst-Kurzgeschichten, als leidenschaftlich eremitischer Barde auf seinem Instrument, der trotz aller kammermusikalischen Erfahrung und Passion eigentlich dann am meisten sagen oder zumindest dies am persönlichsten darstellen kann, wenn er ganz auf sich alleine gestellt ist. Die recht zahlreich erschienenen Hörer waren zu Recht ergriffen.

Der zweite Teil wurde mit Waterhouses knapp drei Jahrzehnte altem Praeludium für Soloklavier eröffnet. Es ist ein etwas umfangreicheres Vorspiel, als Bravourstück ein passendes Pendant etwa zu den Toccaten Schumanns oder Chatschaturians, dramaturgisch durchaus überzeugend angelegt, bei aller Forderung nach Brillanz mit harmonischem Feinsinn und subtilen Abschattierungen angereichert, kurzum: ein sehr gelungenes Stück, dem wir gerne öfter begegnen. Miku Nishimoto-Neubert, einstige Studentin von Conrad Hansen und Klaus Schilde, konnte mit ihrer bombensicheren Technik hier das Publikum in Atem halten und feierte einen durchschlagenden Erfolg.

Zum Abschluss spielten die beiden die Münchner Erstaufführung der 1905 komponierten und 1927 für den Erstdruck bei Senart revidierten, dreisätzigen Sonate für Cello und Klavier von John Foulds (1880–1939), dem zweifellos inspiriertesten, stilistisch unabhängigsten britischen Komponisten der Generation vor Benjamin Britten. Seine Cellosonate ist ein einsamer Höhepunkt in der Literatur, mehr als nur auf Augenhöhe mit den anerkannten zeitgenössischen Meisterwerken für Cello und Klavier von Enescu, Rachmaninoff, Reger, Tovey, Janácek, Magnard, Prokofieff, Debussy, Fauré oder Villa-Lobos. Alle drei Sätze bewegen sich auf höchstem Niveau, unverkennbar eigentümlich in der transzendent freisinnig fließenden, nie angestrengt arbeitenden Tonsprache, klar in der Formung, überraschend in den harmonischen Progressionen, elegant und zauberisch in den Übergängen, herrlich konzis in der Balance des Duoklangs. In die Bereiche reiner Magie dringen die beiden Vierteltonpassagen im langsamen Satz vor, wo die Grenzen der Zwölftönigkeit auf dem Cello für grenzüberschreitende Momente ins Abgründige rutschen, auf dem Gleis gehalten durch ein Zentralton-Ostinato des Klaviers. Das Finale ist ein funkensprühender Ritt auf der Lanze eines Fortschritts, der sich keinen Moment an den Messlatten der etablierten Fortschrittsideale orientierte. Zum Ende hin erscheint jenes geradezu zur Improvisation herausfordernde Bass-Ostinato, das später seine wunderbare Tondichtung April-England, sein heute vielleicht bekanntestes Werk, prägen sollte. Foulds starb tragisch früh an der Cholera in Kalkutta, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und ein halbes Jahrhundert lang vergaß man ihn komplett in seiner englischen Heimat. Doch seine Zeit wird kommen, man wird ihn als luziden, stets lichtspendenden Giganten seiner Epoche gleichberechtigt neben Bartók, Strawinsky und Berg spielen. Während der Sonate wurden sein einnehmendes Portrait und historische Bilder aus seiner Geburtsstadt Manchester an die Bühnenwand projiziert. Es ist das große Verdienst von Graham Waterhouse und Miku Nishimoto-Neubert, diese Musik endlich auch in die so gerne ausschließlich sich selbst feiernde bayerische Provinzkapitale gebracht zu haben.

[Christoph Schlüren, November 2021]

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