Neues im Sinn?

Solo Musica SM 352, EAN: 4 260123 643522

Die Violin-Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler treten gemeinsam als „The Twiolins“ auf und präsentieren „Eight Seasons Evolution“ mit den vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi und einer gemischten Auswahl an Tangos von Astor Piazzolla, jeweils arrangiert für zwei Violinen von Christoph Dingler.

Die Idee, Piazzolla und Vivaldi zu kombinieren, ist nicht neu; die Konstellation liegt auch nahe angesichts dessen, dass Piazzolla selbst Vier Jahreszeiten komponierte und diese mit thematischem Material aus Vivaldis Violinkonzerten versah. In dieser Konstellation wurden die „Acht Jahreszeiten“ auch mehrfach eingespielt, wobei ich besonders die tief empfundene, innig jubilierende Einspielung Liv Midgals mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin wie auch die rassige, triumphierend groovende Aufnahme Lavard Skou Larsens mit den Salzburg Chamber Soloists schätze, die beide 2016 erschienen sind.

Doch da The Twiolins sich auf das Banner schrieben, neudenkerisch zu sein, können sie die vorhandenen Werke nicht so stehenlassen, sondern ersetzen Piazzollas Jahreszeiten durch elf Tangos, die je zwischen die Vivaldi-Sätze geklemmt werden. Zudem arrangierte Christoph Dingler Vivaldi für ihre Besetzung.

Das Thema Evolution wird ansonsten nicht weiter tangiert. Die Aufnahmen sind nämlich keineswegs sonderlich eigenwillig, neumodisch oder individualistisch, sondern im Gegenteil glatt gebügelt ohne sonderliche Ausreizung der Kontraste oder der schon bei Vivaldi abenteuerlichen Klangeffekte. Einen Grund für die Modernisierung dieser Meisterwerke würde ich ohnehin nicht sehen, da schließlich kaum jemand überhaupt die Modernität des Originals näher zu betrachten scheint: Die bereits erwähnte Aufnahme Lavard Skou Larsens gehört zu den ganz wenigen, die die für damalige Zeit nahezu futuristisch anmutenden Klangeffekte stimmig zu vermitteln weiß. Diese fehlen jedoch vollkommen in der Darbietung der Twiolins. Und auch ansonsten findet sich nicht viel, was bemerkenswert oder spannend wäre, die Aufnahme tröpfelt recht ereignislos vor sich hin, fasern die Form in thematische Abschnitte auf und stützen sich beinahe ausschließlich auf die berühmten Melodien und einige ruppigere Abschnitte. Piazzolla mag ebenso wenig begeistern, es kommt kein Groove auf und jede Art des Temperamentvollen, tänzerisch Beschwingten fehlt. Piazzolla beweist in seinen Kompositionen beachtliches Gespür für ausgewogenen Klang, der in jeder Besetzung umsetzbar ist, wägt die aufkommenden Stimmungen wohl ab und weiß, diese am richtigen Moment aufzubrechen. Die Essenz des Tangos bewahrend, bezieht er Elemente der zeitgenössischen Musik mit ein, moderne Effekte und herbere Dissonanzen, neue Modalitäten und formale Gestaltungsweisen. Dies musikalisch zu erkunden ist eine Gradwanderung zwischen Bewusstsein und Intuition, Fokus und Befreiung, Andacht und Schwung – kurzum, eine besondere, vielseitige Beschäftigung erscheint als zwingend notwendig. Was The Twiolins in dieser Einspielung hören lassen, stützt sich jedoch lediglich auf die oberflächlichen Klangeffekte und die lateinamerikanische Rhythmik, die geradlinig umgesetzt wird. Die Noten werden befolgt.

So verstehe ich das Motto der CD nicht, welche das Duo ins Booklet schreibt: „Um nicht in einer einfachen Kopie zu verharren, war uns klar, dass sich die Eight Seasons weiterentwickeln mussten, durch eine eigene Inperpretation, eine Transformation und Wachstum. Kurz: Eine Evolution war notwendig.“ Ich zumindest entdeckte keine, abgesehen der Arrangements.

Über die musikalische Behandlung hinaus darf jedoch nicht das präzise aufeinander abgestimmte Zusammenspiel verschwiegen werden: Fein aufeinander abgehört und vollkommen d’accord in ihrer Klangvorstellung agieren Marie-Luise und Christoph Dingler in perfekter Harmonie, im gleichen Puls.

Die zu hörenden Arrangements Christoph Dinglers zeugen von guter Kenntnis der Möglichkeiten und Grenzen der Besetzung. Die Stimmverteilung wirkt stimmig. Ob der Notwendigkeit solch einer Bearbeitung für zwei Violinen von Vivaldis Violinkonzerten darf hingegen diskutiert werden, zumal die Tiefen des Basso Continuos fehlen, die doch entscheidend sind für den erdigen, stellenweise beinahe naturalistischen Klang, der den Konzerten innewohnt.

[Oliver Fraenzke, Februar 2021]

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