Barockes von Richard Strauss ohne Cinemascope

Naxos 8.574217; EAN: 7 4731342177 0

Vom französischen Barockmeister François Couperin hat Richard Strauss aus der umfangreichen, vielschichtigen Sammlung „Pièces de Clavecin“ für Ballettaufführungen zweimal eine Reihe von Stücken für Orchester gesetzt: 1923 als Tanzsuite (TrV 245), und dann nochmals 1940-41 als „Divertimento“ op. 86. Selten zusammen auf einer CD zu hören, hat sich nun Jun Märkl mit dem New Zealand Symphony Orchestra dieser unterhaltsamen Preziosen angenommen (Naxos).

Der hohe Rang von Richard Strauss‘ Orchestrierungskunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht außer Zweifel und ist sicher ein Hauptgrund für die nach wie vor ungeheure Popularität sowohl seiner sinfonischen Dichtungen wie auch etlicher seiner Opern. Relativ selten hat Strauss Werke anderer Komponisten bearbeitet (etwa Mozarts Idomeneo). Zweimal griff er dabei auf den immens vielschichtigen Fundus der immer relativ kurzen, aber geistreichen Pièces de Clavecin von François Couperin (1668-1733) zurück: 1923 mit der Tanzsuite, TrV 245, die er für eine Ballett-Soirée des Wiener Staatsopernballetts zusammenfügte und später (1940/41) noch einmal für den Münchner Ballettabend Verklungene Feste um sechs zusätzliche, mehrteilige Stücke ergänzte. Die neuen Bearbeitungen wurden dann nebst zwei weiteren als selbständiges Divertimento op. 86 veröffentlicht.

Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die Werke aber recht deutlich: Zwar sind beide Zyklen gleichermaßen für kleines Orchester gesetzt, und auch schon in der Tanzsuite finden sich natürlich bereits Instrumente, die es im Barock noch gar nicht gab (Klarinetten, Celesta, Englischhorn, moderne Harfe, Teile des Schlagzeugs…). Trotzdem gelingt es Strauss, in der Tanzsuite eine recht realistische Stil-Imagination von Barockmusik herzustellen, was der aus München stammende Jun Märkl – momentan in Malaysia und Taiwan vielbeschäftigt – mit dem Nationalen Symphonieorchester Neuseelands klanglich noch unterstreicht, etwa durch streckenweises non vibrato. Die typischen Sätze einer Barocksuite (Allemande, Courante, Sarabande…) erscheinen zwar in veränderter Reihenfolge und werden um Unerwartetes – vor allem das phantastische Carillon mit Glockenspiel, Harfe, Celesta und Cembalo – bereichert, aber insgesamt bleibt der Orchestersatz durchsichtig und eher intim, nur an wenigen Stellen wird die Harmonik leicht aufgepeppt. Das klingt alles sehr hübsch und unterhaltsam – Strauss‘ Konzept wird von den sehr präzise aufspielenden Neuseeländern konsequent und mit großem Schwung umgesetzt. Märkl nimmt eher frische Tempi und hält sich mit der Dynamik zurück, behandelt gerade das Blech wie Generalbass- bzw. Colla-Parte-Instrumente. Das wirkt jedenfalls noch stimmiger als etwa in der Aufnahme der Bamberger Symphoniker unter Karl Anton Rickenbacher. An die virtuose Shownummer von Rudolf Kempe mit der Dresdner Staatskapelle kommt Märkl nicht ganz heran; die klingt aber auch bewusst schon nur nach Strauss.

Das ebenfalls achtsätzige Divertimento, wobei pro Satz bis zu fünf der unverkennbar programmatischen Charakterstücke Couperins verwurstet werden, versucht erst gar nicht, die barocke Suite zu imitieren. Hier schlägt Strauss als Instrumentator lustvoll zu, paraphrasiert, ironisiert und verfremdet – nur mittels Klangfarben! – nach Herzenslust. Das erinnert dann einerseits mehr an historisierende Werke der Romantik wie Griegs Holberg-Suite oder Regers Suite im alten Stil op. 93 und nähert sich gefährlich dem Cinemascope-Sound. Den Witz der 25 Jahre älteren Symphonie classique von Prokofjew hat das andererseits halt auch nicht. So gesehen ist das Divertimento ein gar nicht so leichter Balanceakt: Jun Märkl gelingt er dadurch, dass er wie in der Tanzsuite vor allem auf Durchsichtigkeit setzt. Diese fehlt dem dirigentenlosen Orpheus Chamber Orchestra komplett: ein dicker, zäher Brei! Dennoch ginge das alles noch eine Spur federnder, elastischer und – was den Schluss betrifft – verrückter, wie Gerard Schwarz mit der New York Chamber Symphony bewiesen hat; Märkl ist aber schon sehr nahe dran.

Aufnahmetechnisch schlägt die Naxos-Einspielung dafür die gesamte Konkurrenz: das Klangbild und die Räumlichkeit sind nahezu perfekt, die Balance angenehm. Und – verglichen mit der total verunglückten CD des österreichischen Tonkünstler-Orchesters (Der Bürger als Edelmann, wo Strauss Lully verarbeitet) – bewegt sich Jun Märkl wieder auf gewohnt hohem Niveau. Wer beide Werke noch nicht hat, dem darf man das Orchester aus Wellington damit durchaus empfehlen.

Vergleichsaufnahmen: [Tanzsuite] Karl Anton Rickenbacher, Bamberger Symphoniker (Koch/Schwann 3-6535-2, 1998); Rudolf Kempe, Staatskapelle Dresden (EMI 5 73614 2, 1973) – [Divertimento] Orpheus Chamber Orchestra (DG 435 871-2, 1991); Gerard Schwarz, New York Chamber Symphony (Nonesuch 7559-79424-2, 1986)

[Martin Blaumeiser, Januar 2021]

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