Nach ihrer Duo-CD mit dem Klavierpartner David Fung legt die Geigerin So Jin Kim nun eine Produktion mit dem Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim vor. Für die schlanke Besetzung dieses Klangkörpers lag die Entscheidung für Mozarts Violinkonzerte KV 216 und 219 auf der Hand – Stücke, die erklärtermaßen wie eine Energiequelle für So Jjin Kim wirken. Mit Stefan Pieper sprach sie über diese Musik und die emotionalen Voraussetzungen dafür. Aber es ging auch um ihr Festival, das hoffentlich im Sommer im koreanischen Yeosu Premiere hat.
Wie geht es Ihnen unter den momentanen Umständen?
Ich habe viel freie Zeit. Zum Glück habe ich eine feste Stelle als stellvertretende Konzertmeisterin in einem Orchester und damit immer noch ein festes Auskommen. Aber es sind auch bei mir viele Konzerte ausgefallen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die Freelancer sind, haben jetzt ein echtes Problem. Für die, denen jetzt gerade eine fest geplante Tour platzt, ist es besonders schlimm. Es zahlt sich jetzt aus, gut vorgesorgt zu haben. Gut aufgestellt ist, wer auf eine Mischkalkulation aus verschiedenen Einnahmenquellen zurück greifen kann. Es überrascht mich die optimistische Stimmung, die in den sozialen Medien herrscht.
Teile Ihrer Familie leben ja in den USA und in Südkorea. Was ist anders dort?
Es kommt mir so vor, als ob in Korea die Menschen schon das Schlimmste mit der Corona-Epidemie überstanden haben und die Menschen die Situation in den Griff bekommen. Dort wurde meiner Meinung nach auch besser reagiert. Alle verdächtigen Personen sind sofort isoliert worden – und das Gesundheitssystem ist viel effektiver dort!
Wirkt sich eine andere Kultur/Mentalität aus?
Unbedingt. Der Lebensstil ist anders. Das zeigt sich schon im Alltagsleben: Alles wird in Korea online bestellt und geliefert und es drängeln sich keine Menschenmassen in den Supermärkten.
Wie gestalten Sie Ihre freie Zeit?
Es ist schön, Zeit mit dem Instrument zu verbringen. Ich blicke in die Zukunft und will das Repertoire erweitern, Solokarriere und Orchesterjob verbinden und ein eigenes Festival planen.
Warum haben Sie sich für Ihre aktuelle Aufnahme für diese zwei Mozart-Violinkonzerte entschieden?
Beide Konzerte sind eine Art Pflichtprogram für Geiger. Man kommt um diese Stücke nicht herum. Jeder Violinist muss sie spielen, zu allen Gelegenheiten: Für Bewerbungen, in Wettbewerben bei allen erdenklichen Jobs. Normalerweise symbolisieren solche Stücke viel Stress und Erwartungsdruck, weil so vieles davon abhängt. Auch ich habe das ganze durchgemacht.
Da bin ich jetzt aber sehr neugierig, warum Sie gerade mit diesen Konzerten ins Aufnahmestudio gehen. Und wo das Geheimnis liegt, dass schließlich doch so eine beseelte Musik heraus kommt!
Eigentlich ist es ganz einfach: Mozarts Musik erhebt sich auf Anhieb über alle schwierigen Begleitumstände. Beide Konzerte verkörpern für mich eine absolute Reinheit. Die Natürlichkeit der Phrasen erzeugt auf Anhieb so viel emotionale Wärme in mir. Die Außenwelt kann noch so aufreibend sein, sobald ich diese beiden Konzerte spiele, geben sie mir Momente, die ausschließlich mir gehören. Sogar in Wettbewerbssituationen haben mir Mozart (und auch Bach!) das starke Gefühl vermittelt, dass ich gerade etwas für mich mache.
Gibt es trotzdem so etwas wie Schwierigkeit?
Oh ja – und wie! Da ist der Prozess, um eine Idee im tiefsten Inneren nach außen lebendig zu machen und zwar so, dass diese in der Musik wirkt und diese lenkt. Kreative Ideen entstehen im Kopf – von da ab ist es ein langer Weg, diese zum Leben zu wecken. Da kommt immense Arbeit und viel Technik ins Spiel, bis schließlich alle Vorstellungen real sind.
Haben Sie bestimmte Bilder im Kopf?
Bei mir geht es in dieser Hinsicht nicht so visuell zu. Für mich steht Mozart für eine ganz bestimmte Emotion. Egal was Mozart komponiert, da ist nie etwas Angestrengtes im Spiel, kein negatives Gefühl oder gar Aggressivität. Andere Komponisten bringen häufig auch Affekte wie Tragik, Trauer und Wut zum Ausdruck. Auch dabei kann große Musik heraus kommen. Mozart markiert eine andere Welt. Er hatte ja wirklich ein verrücktes Leben, war aber fähig, daraus das Schönste, Dramatischste und Tiefste zu schöpfen.
Denken Sie überhaupt noch über Technik nach?
Die Technik auf der Violine ist kein Selbstzweck, sondern einfach da. Ich möchte die Emotion dahinter aufspüren. Auch wenn gerade Trauer dominiert, erwächst bei Mozart doch immer eine schöne Farbe daraus. Das wunderbare ist hier auch, dass diese Empfindungen von Menschen sehr unmittelbar geteilt werden, die gar keine Kenntnisse von Klassik haben. Mozart kann jeden an einen froheren und glücklicheren Platz bringen.
Was wollen Sie Ihrem Publikum mit einer CD-Aufnahme weitergeben?
Es geht immer darum, auf dem Weg der Musik den besonderen Moment zu finden. Aber alles, was wir machen, ist temporär. Daraus erwächst das Bedürfnis, etwas Dauerhaftes zu schöpfen. Etwas zu erzeugen, das man immer wiederholen möchte. Und mit dem sich ein gemeinsamer Nenner beim Publikum und bei den Hörern zuhause finden lässt.
Wie kam es zur Aufnahme gerade mit diesem Orchester?
Ein gemeinsames Projekt mit dem Kurpfälzischen Kammerorchester ist ein Glücksfall für mich. Ich hatte schon vorher von diesem Orchester gehört. Diese Musiker sind sehr offen und wunderbar flexibel. Allein deswegen wollte ich sofort mit ihnen arbeiten. Erst danach fiel die Wahl auf Mozart. Dass wir in der Mannheimer Epiphaniaskirche aufgenommen haben, geht ebenso auf meine persönliche Wahl zurück. Es hatte mehrere Alternativen gegeben.
Warum ist ein kleines Orchester für dieses Unterfangen so prädestiniert?
Die Instrumentierungen bleiben schlank und das passt unmittelbar zu Mozarts eigenem Schaffenskontext: Mozart schrieb für sich selber, dirigierte und spielte.
Sie spielen und dirigieren ja auch abwechselnd. Wie wirkt sich das auf die Kommunikation aus?
Der Dirigent ist normalerweise Kommunikator zwischen Solist und Orchester. Bei einem kleinen Orchester ohne Dirigent ist die Verbindung viel unmittelbarer. Davon profitieren auch die Proben: Sie machen viel Spaß und alles geht scheinbar wie von selbst. Das kommt nicht zuletzt den opernhaft-dramatischen Aspekten in Mozarts Kompositionen zugute.
Wie sehen Sie das spezifisch opernhafte in Mozarts Musik?
Oper heißt ja, dass die Musik Geschichten erzählt. Alles hat eine Bedeutung und sagt etwas. Mozarts Opern transportieren viel Menschlich-allzu-Menschliches. Egal ob die „Hochzeit des Figaro“ oder auch „Don Giovanni“ – alles kommt aus dem prallen Leben! Und diese Natürlichkeit im Ausdruck lässt bei Mozart immer den Funken überspringen.
Sie hatten gerade schon Ihr eigenes Festival angesprochen. Darüber möchte ich gerne noch mehr erfahren.
Es soll – wenn alles so kommt wie erhofft – in Yeosu in Südkorea stattfinden. Dort leben auch meine Eltern. Es ist ein ganz toller Platz am Meer. Im Jahr 2012 wurde hier anlässlich der Expo eine spektakuläre Halle gebaut. Ich habe mich für ein Festival mit klassischer Musik an diesem Ort stark gemacht. Ich möchte hier vor allem junge Musiker präsentieren, bevorzugt kleinere Kammerensemble. Dabei ist mir an einem zeitgemäßen Konzept gelegten, den Menschen in dieser Stadt die klassische Musik nahe zu bringen.
Was für Prioritäten setzen Sie hier?
Wir haben ja gerade schon über diese besonderen Momente gesprochen. Mir ist an Musikern gelegen, die so etwas transportieren können. Denn das kann Schlüsselerlebnisse für die klassische Musik vermitteln. Ein sinnvolles Festivalprogramm sollte einem klaren Narrativ folgen, denn es geht doch auch um die Geschichten hinter der Musik. Und zwar für ein Publikum, das nicht zu den Spezialisten gehört. Mein Ziel ist es, dass die Klassik das Elitäre abschüttelt und sich Schwellenängste abbauen. Das wichtigste bleibt aber, wie die Musiker spielen. Mittelmaß hat in klassischer Musik nichts verloren. In der Popkultur mag sich vieles über schöne Dekoration definieren. In der Klassik ist echte Substanz alternativlos und gerade dadurch geht diese Musikform einen bedeutenden Schritt weiter.
Wie motiviert man die medial dauerberieselten Menschen, diesen Schritt mitzugehen?
Es ist schwerer geworden. Die sozialen Medien diktieren eine Kultur der Kurzlebigkeit. Keiner guckt mehr ein Video, das länger als 5 Minuten ist. Jeder will alles immer kürzer. Das ist dass genaue Gegenteil von Klassik – und genau da wird die Vermittlung zur Herausforderung. Eine ganze Komposition hören, kann manchmal heißen, ein ganzes Leben zu durchlaufen.