Simax Classics, PSC1375; EAN: 7033662013753
Unter drei Dirigenten spielt das Bergen Philharmonic Orchestra drei Werke von Ketil Hvoslef. Zunächst hören wir das Klavierkonzert mit dem Pianisten Leif Ove Andsnes unter Stabführung Edward Gardners, dann „Ein Traumspiel“ unter Eivind Gullberg Jensen und zuletzt „Barabbas“ unter Juanjo Mena.
Vor einigen Jahren hörte ich einen Radiomitschnitt eines Klavierkonzerts: Ich weiß nicht mehr genau, unter welchen Umständen dies war, aber als die Musik begann, vergaß ich Zeit und Raum, war gefangen von diesen einmaligen wie packenden Klängen, die mich bis heut nicht loslassen. Als ich nachher auf die Uhr blickte, waren dreißig Minuten vergangen, die mir vorkamen wie nur wenige Augenblicke. Bei dieser Musik handelte es sich um das 1992 komponierte Klavierkonzert von Ketil Hvoslef, das nun der Widmungsträger Leif Ove Andsnes gemeinsam mit dem Bergen Philharmonic Orchestra unter Edward Gardner auf CD gebrannt hat.
Das Konzert öffnet mit einem Wirbel der großen Trommel und mächtigen Akkorden des Klaviers (beinahe eine Karikatur auf das a-Moll-Konzert Griegs); die Akkorde verklingen nach und nach zu einer Zweitonfigur, bis der Solist seine Finger von den Tasten nimmt – doch noch immer klingt die Figur weiter! Hinter der Bühne steht ein zweiter Flügel, etwas tiefer gestimmt als das Soloinstrument, und erzeugt eine einmalige Echowirkung. Das gesamte Werk strotzt vor solchen Überraschungseffekten, was die Spannung hoch hält. Vom Solisten wird enorme rhythmische Energie und Präzision verlangt, die Akzente der einzelnen Figuren gehen beinahe immer gegen die Taktstruktur und oftmals gegen das gesamte Orchester. So abstrakt die Motive teilweise erscheinen, so sehr gehen sie dabei ins Ohr und schaffen eine stringente Form, die auf enorme Kontraste und perfektes Timing beim Wechsel der einzelnen Abschnitte aufbaut. Im Mittelsatz kehrt das Echo zum zweiten Klavier wieder, hier noch enger geballt. Magisch wirkt der gewaltige Aufbau des ganzen Orchesters inklusive des Solisten, bis allerdings die Spannung kippt und das Orchester wieder verebbt, während aber das Klavier weiter in die Höhe treibt. Hvoslef revidierte das Werk bereits mehrfach, in meiner Partitur sind alleine drei Revisionen bis 1999 verzeichnet; für die vorliegende Aufnahme arbeitete der Komponist noch einmal an dem Konzert. Die Veränderungen betreffen das Finale, in dem eine überraschende Kürzung kurz vor Ende den Kontext strafft. Außerdem überarbeitete Hvoslef den Schluss, der nun nicht mehr so düster wirkt wie zuvor, sondern offener und mit Rückbezug auf das Echo-Klavier. Leif Ove Andsnes spielt das Konzert mit mechanischer Perfektion und präzise ausgearbeitetem Anschlag. Für große Emotion ist wenig Platz in dieser Musik, doch Andsnes gelingt es, ein gewisses Maß an Sentiment und Einfühlung in die Noten zu legen. Dynamisch setzt er minutiös die an die Grenzen der Realisierbarkeit stoßenden Vorzeichnungen um und reißt das Orchester mit, was zu erstaunlichen Kontrasten führt.
Bei den anderen beiden Werken dieser CD-Produktion handelt es sich um Archivaufnahmen: „Ein Traumspiel“ wurde bereits 2011 von Eivind Gullberg Jensen eingespielt, Barabbas geht auf das Jahr 2013 zurück. Das einsätzige Werk „Ein Traumspiel“ basiert auf dem poetischen Drama „Ett drömespel“ von August Strindberg und katapultiert den Hörer vom ersten Ton an in eine magische Welt. Es handelt sich um eines der lichtesten Werke Hvoslefs, das selbst eine ausgiebige tänzerische Passage zulässt (wenngleich die Musik wie fast immer bei Hvoslef im 4/4-Metrum verweilt). Jensen dirigiert das ihm gewidmete Stück mit viel Seele und intuitivem Gespür für Klang. Wie kaum ein anderer Dirigent unserer Zeit versteht Jensen instinktiv die Musik, erfasst organische Formen und große Kontexte, setzt diese auf eine Weise um, die den Hörer direkt ansprechen. Auffällig gerät besonders die Schattierung der kurzen Noten von extremem Staccato bis zu voluminös nachklingenden Akzenten.
Die Oper ohne Sänger „Barabbas“ ist das genaue Gegenteil von „Ein Traumspiel“: sie erkundet die Tiefen und hält eine düster-dramatische Aura aufrecht. Kaum ein Lichtblick glimmt in den drei Sätzen/Akten auf, die Musik treibt vorwärts in einem finsteren Sog voller Leid und Qual. Doch genau hierin liegt auch ihre ureigene Qualität, die den Hörer bannt. Die drei Sätze zeichnen die Geschichte nach um den Entscheidungsprozess, ob Jesus begnadigt werden soll, oder doch Barabbas. Juanjo Mena geht auf die düstere Haltung der Musik ein und fokussiert den Drang in die Tiefe. Wir kennen ihr hauptsächlich als Dirigenten spanischer Musik; hier zeigt sich, welch einen Tiefgang und Gespür er auch für die nordischen Meister besitzt.
[Oliver Fraenzke, Januar 2020]