Gershwin parfümiert und geschminkt

Steinway & Sons 30132; EAN: 0 34062 30132 4

Die Pianistin Katie Mahan präsentiert den „Classical Gershwin“ mit ihrer bei Steinway & Sons veröffentlichten CD. Zu hören sind die Rhapsody in Blue und die Second Rhapsody sowie einige Songs des Komponisten in Klaviertranskriptionen: Embraceable you, Our love is here to stay, I got rhythm, They can’t take that away from me, Walking the dog, Fascinating rhythm und `s wonderful.

Die Idee, Gershwin als klassischen Komponisten darzustellen und nicht zu sehr in die Nähe der Jazz- und Unterhaltungsmusik zu bringen, kann nur zur Hälfte nachvollzogen werden: Einerseits sah sich Gershwin natürlich klar in der Tradition der europäischen klassischen Musik und träumte von großen Opern, Streichquartetten und Symphonien. Andererseits wollte er auch einen echt amerikanischen Stil schaffen und erkannte die Unumgänglichkeit, die Einflüsse des Jazz und der Light Music einzubeziehen, da sie fest mit der noch nicht alten amerikanischen Kultur zusammenhängen. Gershwin wirkte lange Zeit als Songwriter und hatte in dieser Anstellung regelmäßig Hits zu komponieren, weshalb prägnante Melodien und schmissige Rhythmen in seinem Stil verankert waren. Hören wir seine eigenen Aufnahmen am Klavier, so sticht der packende Swing hervor, mit dem er seine Hörer bannte: zwar notierte er Songs wie ‚I got rhythm‘ in ein klassisch-europäisches Dualsystem, seine Darbietung übersteigt die Notierbarkeit allerdings, indem er mehr in Richtung eines ternären Spiels geht, was erst den amerikanischen, swingenden und zwingenden Sog der Musik ausmacht. Gershwin vereinte beides und wir können nicht eine Seite von der anderen separieren.

Katie Mahan macht ihre Intention schon in den ersten Tönen der Rhapsody in Blue deutlich und nimmt Gershwins Musik wie schlecht gespielten Chopin: rhythmisch verzogen, gespickt mit verkopften, unorganischen Rubati und träumerisch frei. Wenn die Musik aufgewühlter wird, entarten diese Passagen zur Etüde, die nur so rauschen und äußeren Effekt darstellen. Alles wird übersteigert und überakzentuiert, die Musik also parfümiert und geschminkt, in eine unechte Maske gesteckt. Das Gefühl, das bleibt, hat nichts mit klassischer Musik zu tun; aber auch nichts mit Jazz – vielleicht am ehesten mit einer Art modernen Lifestyles, der auf Künstlichkeit beruht. Wenn überhaupt, so funktionieren noch die Arrangements von Embraceable you (arr. Wild) und Our Love is here to stay (arr. Mahan), die beinahe an Debussy gemahnen mit ihren schwebenden Klängen und fließenden Begleitfiguren. Die rhythmisch prägnanteren Songs I got rhythm und fascinating rhythm verlieren ihren Swing und damit ihren inneren Sog zugunsten oberflächlichen Effekten, Mahan beharrt präzise auf der Dualnotation und lässt die rauschenden Akkorde klirren. Die abschließende Second Rhapsody strotzt vor Härte und Unnachgiebigkeit – vielleicht ein Versuch, Brahms zu imitieren? Es bleibt definitiv ein Versuch, denn auch bei Brahms wäre solch eine Härte fehl am Platz.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

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