Das immer um eine Erweiterung
der Diskographie weniger bekannter britischer Komponisten bemühte Lyrita-Label
hat dem erst kürzlich verstorbenen John Joubert (1927-2019) eine neue CD
gewidmet. Es erklingen das Klavierkonzert von 1958 sowie die 3. Symphonie
(2014-17). Das BBC
National Orchestra of Wales spielt unter der Leitung von William Boughton.
Obwohl in Südafrika geboren und anfänglich dort
ausgebildet, darf man John Joubert rückblickend – vor allem wegen seiner
Beiträge zur Chormusik – getrost zu den typisch britischen Komponisten zählen,
die einer eher konservativen musikalischen Ausrichtung treu geblieben sind. Zu
Jouberts Lehrern später in London gehörte neben Howard Ferguson aber auch
kurzzeitig Alan Bush; so verwundert es nicht, dass Joubert durchaus mit allen
modernistischen Strömungen vertraut wurde und in vielen seiner Werke ebenso
politisches Engagement zeigt. Ein Beispiel dafür wäre die 2. Symphonie (1970),
die das Sharpeville-Massaker in seinem Heimatland thematisiert.
Stilistisch irgendwo in der Nähe früher Moderne einzuordnen ist das Klavierkonzert von 1958. Einheitsbildend für alle drei Sätze ist schon das markante Eröffnungsmotiv aus vier wiederholten Noten. Die Ecksätze sind von vitaler Rhythmik geprägt; das Klavier kann brillieren, bleibt indessen gleichzeitig stets ins Orchestergeschehen eingebunden ohne dieses zu dominieren. Der musikalische Höhepunkt des Konzertes ist zweifellos der zweite Satz, formal den „Nachtstücken“ bei Bartók verwandt – ohne deren Naturschauder, dafür mit hochexpressiver Lyrik. Der erfahrene britische Pianist Martin Jones ist ein Garant für fesselnde Virtuosität und gleichermaßen konzentrierten Ausdruck. Dirigent William Boughton – ein Enkel des Komponisten Rutland Boughton – holt konsequent die klaren musikalischen Strukturen heraus und entlockt der sparsamen Orchestrierung doch eine erstaunlich breite Farbpalette. Jouberts Klavierkonzert ist über weite Strecken prägnant, freilich ohne an die Qualitäten von York Bowens oder gar Benjamin Brittens Gattungsbeiträgen heranzukommen.
Die fünfsätzige 3. Symphonie – über Themen aus der Oper Jane Eyre – verarbeitet Material aus Orchesterzwischenspielen des bereits 1997 fertiggestellten Bühnenwerks zu in der Tat symphonischen Sätzen von eindringlicher, abwechslungsreicher Ausdrucksqualität. Die Re-Instrumentation für volles Orchester mit dreifachen Bläsern sorgt zudem für einen Panoramaklang, der bei den Höhepunkten oft an Filmmusik (Bernard Herrmann!) erinnert, aber rührselige Kitschmomente vermeidet. Die einzelnen Sätze tragen allesamt Titel von Örtlichkeiten aus Charlotte Brontës Roman und verdeutlichen deren psychologische Bedeutung im Handlungsverlauf als verständliche Stimmungsbilder. Das wirkt wirklich liebenswert, bei aller handwerklichen Meisterschaft dann jedoch trotzdem immer noch recht altmodisch. Auch hier gelingt Boughton mit dem BBCNOW eine überzeugende und einfühlsame Darbietung. Da es bislang nur wenige kommerzielle Aufnahmen mit Musik von Joubert gibt, ist diese CD auf alle Fälle ein willkommener Beitrag, nicht nur für enzyklopädische Sammler.
Wenngleich der
Widmungsträger dieser CD mit nur einem kleinen Stück im Programm enthalten ist,
so dreht sich der Geist dieser Aufnahme doch vollständig um ihn. Die Rede ist
vom legendären Cellisten Pau, oder Pablo, Casals, dessen „Cant dels Ocells“ die
Hommage-CD beschließt. Davor zu hören sind zwei improvisatorische Préludes des
ausführenden Cellisten Yorick-Alexander Abel, „Lampes de Sagesse“ (2000) und
„Sagesse Amérindienne“ (2010), die er je Pau Casals gewidmet hat, Johann
Sebastian Bachs Suite in G-Dur BWV 1007, Enric Casals Suite Per Violoncel Sol
„A Pau Casals“ und Paduana von Arthur Honegger.
Dass die Cello-Suiten Bachs heute den ihnen zustehenden
Stellenwert in der Literatur für das Instrument besitzen, ist in erster Linie
Pau Casals zu verdanken (den man hauptsächlich unter seinem spanischen Namen
Pablo kennt). Dessen zutiefst empfundene und der Musik gänzlich alles
entlockende Aufführungen und Aufnahmen dieser Suiten führten zu einem
regelrechten Boom unter den Cellisten, der bis heute anhält. So kann eine
dieser Suiten auf dem Programm Yorick-Alexander Abels nicht fehlen. Abel
umrundet die Suite mit zwei eigenen Kompositionen/Improvisationen, den Préludes
„Lampes de Sagesse“ und „Sagesse Amérindienne“, von welchem vor allem das
zweite die natürlichen Schwingungen des Cellos auskostet und tief in den Nachhall
hineinlauscht. Das erste der Préludes hat einen orientalischen Touch, setzt
diesen aber auf westliche Weise um. Beide Stücke besitzen eine tief meditative
Aura, der bestärkende Kräfte innewohnen. Als Pau Casals im Jahr 1973 verstarb,
widmete ihm sein jüngerer Bruder Enric (selbst bereits über 80) eine
viersätzige Suite für Cello solo. Prélude und Elegía stehen im Zeichen der
Trauer, öffnen melancholische wie elegische Welten erhabener Schönheit.
Durchbrochen werden diese durch die ruppige Fassungslosigkeit des Scherzandos,
das beinahe dämonische Kräfte freisetzt. Das Finale setzt dort an, wo das
Scherzando aufhörte, kehrt aber nach und nach in die Resignation zurück. Im
Programm folgt Honeggers Pavane-artige Paduana, ein zutiefst erhabener und
tröstender Satz, der eine nie realisierte Suite einleiten sollte, in diesem
Kontext aber Enric Casals Suite um einen hoffnungsvollen Nachsatz bereichert.
Eines der meistgespielten Stücke für Cello stellt Pau Casals „Cant dels Ocells“
mit seinen bildlichen Vogelrufen zu Beginn und den nachfolgend hinreißenden
Kantilenen dar.
Durch allumfassende Innigkeit und Echtheit besticht das
Spiel von Yorick-Alexander Abel, seine musikalisch ehrliche und durchweg
natürliche Weise spricht den Hörer unmittelbar an und zieht ihn in den Bann der
Töne. Abel vermittelt die Musik und versetzt sein Publikum in die meditativen
Sphären, die er mit seinem Spiel verströmt. Jeder Ton ist erspürt, die
Beziehungen erlebt und die Struktur verstanden – dies verleiht der Musik eine
unentrinnbare und transzendierende Kraft. Die Ruhe behält Yorick-Alexander Abel
selbst in den aufbrausenden Sätzen von Enric Casals Suite, die dadurch nur noch
gewaltiger erscheinen; die elegischen Sätze erhalten durch sie eine
mitempfundene Trauer, die nie verjährt. Die Cellosuite Bachs bleibt so zeitlos
wie eh und je, noch immer aktuell in ihrer Aussage. Abel bringt die gesamte
vielstimmige Textur zum Vorschein, verbindet die einzelnen Phrasen gekonnt und
zaubert all die harmonische Feinheiten an die Oberfläche der Wahrnehmung.
Sonus Eterna hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Gesamtwerk des Komponisten Gordon Sherwood zu veröffentlichen. Nach einer CD mit Klaviermusik erschien nun die erste CD der Gesamteinspielung aller Klavierlieder mit der Sopranistin Felicitas Breest und der Pianistin Masha Dimitrieva. Wir hören die Five Love Songs op. 24, Four Songs for the Winter op. 30, Five Blues Songs op. 60 und Six Songs for Women’s Fashion oft he 1960s op. 53.
Vor anderthalb Jahren erschien auf The New Listener bereits eine Rezension der ersten Klavier-CD mit Werken Sherwoods, die beim Label Sonus Eterna erschien. Ein biographischer und stilistischer Überblick über den Komponisten ist dort zu finden.
Gordon Sherwood einem Stil zuzuordnen oder selbst, aus seiner Musik einen Personalstil herauszuarbeiten, gestaltet sich als schier aussichtslose Aufgabe. Charakteristisch für ihn ist lediglich, dass seinen Schaffen keinen verfestigten Stil aufweist. Als Neuerer verstand sich Sherwood ebenso wenig wie als Traditionalist, er beschritt schlicht und einfach den Weg, der sich für ihn richtig anfühlte. Konventionen, Kompositionsschulen und normative Einengungen ließen ihn dabei kalt. So kann man seine Musik vor allem als eines beschreiben: als natürlich und ungezwungen. Auf diese Weise schafft es seine Musik, den Menschen an sich anzusprechen und in sein Innerstes vorzudringen. Vielen dürfte seine Musik zugänglich sein, viele wird sie ansprechen, sofern sie diese erst einmal kennenlernen. Zugleich, das Wissen von drei herausragenden Lehrern im Hinterkopf, auf handwerklich meisterhaftem Niveau gesetzt und stimmungstragend konzipiert, befinden sich diese Werke in ausgeglichener Position zwischen dem einfachen, dem musikalisch geschulten und dem vollkommen ahnungslosen Hörer.
Die hier zu hörenden Lieder des morgen vor 90 Jahren
geborenen Komponisten entstammen je anderen Lebensabschnitten Sherwoods,
vereinen unterschiedliche Aspekte seines Schaffens, Einflüsse anderer Kulturen
und andere Umstände. Was sie verbindet, ist die Eigenheit bis hin zur
Eigenartigkeit seines Stils, die unbekümmerte Vermengung unvereinbarer
Stilwelten, deren klangliches Resultat in keine Schublade eingeordnet werden
kann. Sherwood darf als einer der konsequentesten musikalischen Einzelgänger
gelten, jegliche Strömungen und Moden, allgemein jegliche Limitierung kümmerten
ihn nicht – lediglich der Mensch, auf den seine Musik eine Wirkung erzielen
soll.
Die Five Love Songs op. 24 rumoren in ewigem Kampf für und
wider die Tonalität und wägen den schmalen Grad zwischen den beiden Polen ab. Sherwood
versetzt den Hörer in unstete Empfindungen, behalt vier Lieder lang die
Richtung im Unklaren, bevor das abschließende „In ev’ry song there is a dance“
mit strahlendem F-Dur das Ziel der verworrenen Reise markiert. In diesen
Liedern lassen sich am ehesten noch Einflüsse Sherwoods Lehrer erkennen,
namentlich besonders Philipp Jarnach und etwas weniger Goffredo Petrassi.
Traditioneller erscheinen die Four Songs for the Winter op. 30, die klares Moll
ausmachen und sich auf Schubert beziehen. Umso krasser wirkt der Bruch zu den
Five Blues Songs op. 60, in denen Sherwood es wagte, dem swingenden
Bluesklavier einen Koloratursopran an die Seite zu stellen, der mit Höhenflügen
à la König der Nacht aus Mozarts Zauberflöte kontrastiert. Beschlossen wird das
Programm von den skurrilen Songs for Women’s Fashion oft he 1960s op. 53, deren
humoristische bis erotisierende Texte auch aus Sherwoods Feder stammen.
Besungen werden verschiedene Stile, von denen Sherwood besonders die knappen
und Haut präsentierenden zu schätzen scheint: Wenn die Frau ihren Minirock
trägt, will er sie heiraten, bei Hot Pants gehen die Emotionen mehr in die
profane Richtung und die Maxi-Hosen beschimpft er gar für ihre Unförmigkeit. Am
Ende steht jedoch die erstaunlich weise Einsicht, dass doch jede Frau tragen
könne, was sie wolle.
Klanglich wirken die beiden Musikerinnen recht
differenziert, worin aber auch ein Reiz liegt. Felicitas Breest nimmt ihre
Sopranpartie opernhaft voll und mit unermüdlichem Vibrato, bleibt durch ihr
enormes Stimmvolumen immer eine Stufe über dem Klavier. In den Five Blues Songs
blüht sie besonders auf, die Koloraturen meistert sie spielerisch und bringt
eine kecke Note in die Musik – im Mini Skirt spielt sie humoristisch mit ihrer
Stimme, was beinahe Disneyartige Effekte evoziert. Im Gegensatz zu dem aufbrausenden
Gesang bleibt Masha Dimitrieva am Klavier schlicht, klar in der Linie und
konzentriert in der Ausführung. Sie braucht keine große Geste, lauscht einfach in
die Musik hinein und erfasst so den Kern der Aussage nicht nur für sich,
sondern setzt ihn auch nachvollziehbar um. Kein anderer Musiker kennt das
Schaffen Sherwoods derartig genau wie sie, der Sherwood auch sein
Klavierkonzert widmete und sie zur Erbin seines Musikvermächtnisses machte; entsprechen
souverän und bewusst erscheint so auch ihr Spiel.
Über YouTube entdeckte ich das Stück „Prosperos Beschwörungen“ op. 53 von Egon Wellesz nach Shakespeares „Der Sturm“ mit Jörg Birhance als Dirigent des Orquesta Sinfónica de Xalapa.
Eines der wahrlich bedeutenden Stücke der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts taucht wieder auf. Auch wenn aufgrund mangelnder finanzieller
Förderung an ein CD-Projekt noch lange nicht zu denken ist, so kann man es nun
wenigstens über YouTube hören.
Die Rede ist von den fünf symphonischen Stücken mit dem Titel „Prosperos Beschwörungen“ op. 53 nach Zitaten aus Shakespeares „Der Sturm“ aus der Feder des Komponisten und Musikwissenschaftlers Egon Wellesz. Heute vollkommen in Vergessenheit geraten, zählte Wellesz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs als einflussreicher Tonsetzer und Musikschriftsteller. Er promovierte bei Guido Adler und entzifferte als erster die byzantinische Notenschrift des Mittelalters, zudem schrieb er die früheste Biographie über Schönberg, bei dem er zwei Jahre lang Kontrapunkt studierte. Als Wellesz „Prosperos Beschwörungen“ komponierte, wirkte er gerade als außerplanmäßiger Professor an der Universität Wien und wurde als erster Komponist aus Österreich nach Haydn zum Ehrendoktor in Oxford ernannt. Als die Nationalsozialisten Österreich übernahmen, emigrierte der jüdischstämmige Wellesz als „entarteter“ Komponist nach England, wo er nach dem Krieg begann, sich der Symphonik zuzuwenden und neun maßstabgebende Gattungsbeiträge vollendete.
„Prosperos Beschwörungen“ wurden zwischen 1934 und 1936 komponiert, die Uraufführung fand am 19. Februar 1938 im Wiener Musikverein statt, wo Bruno Walter die Wiener Philharmoniker dirigierte. Walter nahm die Stücke sogleich auch für sein kommendes Konzertprogramm in Amsterdam auf, wo sie Strauss‘ „Tod und Verklärung“ ersetzten. Wellesz konnte nach der Aufführung nicht mehr nach Österreich zurückkehren, da die Nationalsozialisten die Herrschaft bereits an sich gerissen hatten.
Dass dieses Stück dank des immensen Einsatzes von Jörg
Birhance (den ich vor einigen Jahren bereits mit Wellesz‘ Erster Symphonie
erleben durfte) nun wieder erklingt und das Konzert sogar mit Video aufgenommen
wurde, gibt Grund zur Hoffnung, den Namen Wellesz bald öfter wieder zu lesen.
Die fünf Sätze beruhen auf Zitaten aus Shakespeares „Der
Sturm“ und heißen „Prosperos Beschwörung“, „Ariel und der Sturm“, „Ariels
Gesang“, „Caliban“ sowie „Ferdinand und Miranda“ mit Epilog. Bei einem Blick in
die Partitur sticht unmittelbar die enorme Detailvielfalt ins Auge, mit der
Wellesz seine Noten versehen hat. Die Tempi sind minutiös ausgearbeitet, über
große Strecken ist sogar in Sechzehntelnoten zu schlagen und die einzelnen
Stimmen differenzierte er bis in die Vierundsechzigstelebene aus. Dabei gibt
sich die Musik dicht und intensiv, die brillante Instrumentation mit
geschickten Dopplungen und Klangkombinationen besticht. Die
durchchromatisierten Linien sowie die dissonanzengeschwängerten Harmonien
evozieren eine unwirkliche bis magische Sphäre, die schwer greif- oder
durchdringbar ist, dafür aber umso direkter wirkt. Fast durchgehend laufen
verschiedene Ebenen in der Musik zeitgleich ab, die zueinander in Beziehung
stehen, ohne auf Anhieb passen zu wollen – eine Art Ausgangspunkt für eine
„neue“ Kontrapunktik.
Jörg Birhance beweist nicht nur den Mut, solch ein
gewaltiges und enorm komplexes Werk aufs Programm zu setzen, sondern auch, die
extremen Tempi einzuhalten – weshalb das Stück auch zehn Minuten länger dauert
als in der Partitur ausgeschrieben. Doch diese Zeit füllt Birhance auch aus,
mit hinreißender Spannung, die einen alles um sich herum vergessen machen. Er
fügt die auseinanderklaffenden Stimmen in ihrer Verschiedenheit zusammen, setzt
feine Akzente und entlockt dem Orchester einen plastisch-mehrdimensionalen
Klang. Zwar mag das Orquesta Sinfónica de Xalapa nicht die
mechanisch-technischen Voraussetzungen der großen europäischen Orchester haben,
was sich bei der Synchronizität gerade der Bläser abzeichnet, dafür besitzen
sie die Offenheit, diese fünf Stücke auf sich wirken und sich auf ihre
Eigentümlichkeit einzulassen. Sie setzen den Perfektionismus Birhances um bis
in die ausdifferenziertesten Artikulationen, Dynamiken und Rhythmen. Spätestens
im Epilog fügt sich dann alles zusammen, wenn die Rückbezüge auf die vorherigen
Sätze zu einer formalen Geschlossenheit führen.
Auf ihrer Debut-CD mit
dem Titel „1939“ präsentiert Fabiola Kim drei Violinkonzerte einer politisch
zum Bersten geladenen Zeit, die alle die Lage ganz eigen darstellen. Zunächst
hören wir Sir William Waltons politisch distanziertes Violinkonzert h-Moll, dann
das Concerto funèbre für Geige und Streicher von Karl Amadeus Hartmann und
zuletzt Bartóks endzeitmäßiges zweites Violinkonzert. Unterstützt wird Kim von
den Münchner Symphonikern unter Kevin John Edusei.
Als Karl Amadeus Hartmann sein Concerto funèbre schrieb, stand
er vor einer aussichtslosen Situation, die er in Töne bannte. Nach der
Machtergreifung der Nationalsozialisten blieb er in seinem Heimatland – trotz
aller Einschränkungen durch die Partei – und kehrte sich in ein inneres Exil
zurück. In den Randsätzen seines Violinkonzerts schimmert etwas Hoffnung durch,
die beiden finsteren Mittelsätze machen allerdings unmissverständlich, wie
schlimm die Umstände sind. Die Aufführung des Concerto funèbres 1940 in der
Schweiz blieb die letzte des Komponisten bis 1946.
Anders als Hartmann verließ Bartók seine Heimat, als die
Lage zu dringlich wurde. Den Plan dazu fasste er bereits einige Zeit zuvor,
doch haderte lange mit dem Vorhaben. In diese Zeit des Abwägens, der
Unschlüssigkeit und Unsicherheit fällt die Entstehungszeit seines zweiten Violinkonzerts,
das für diese CD eigentlich um einen Tag „zu früh“, am 31. Dezember 1938,
fertiggestellt wurde.
William Walton blieb vergleichsweise unbehelligt von der
politischen Anspannung, als er an seinem h-Moll-Konzert arbeitete. Erst als es
uraufgeführt wurde, bekam er die Zuspitzung zu spüren: denn er konnte England
nicht verlassen, um der Aufführung beizuwohnen. Statt politischer Umstände
verarbeitete Walton ein ganz anderes Thema, nämlich den Biss einer Tarantel,
den er im Mittelsatz als wahnwitzige Tarantella umsetzte.
Fabiola Kim taucht in diese drei gänzlich unterschiedlichen
Welten ein und zieht aus ihnen je den Kern der Stimmung, aus der heraus sie
entstanden sind. Besonders beklemmend gelingt dies bei Hartmanns Concerto
funébre, wo sie jeden Ton für sich auflädt und so die Linienführung
elektrisiert. In Bartóks Konzert holt sie besonders schwebende Zustände zum
Vorschein, bleibt zugleich präzise und virtuos. Die teils gewaltigen Brüche
nutzt sie für unvermittelte und doch zugleich organische Wandel der Situation.
Einzig verstehe ich nicht, warum sie in der Kadenz des ersten Satzes so stark
aus der Partitur heraustritt, wo doch die Rhythmik so dezidiert vorgezeichnet
wurde und zwischen Sechzehntel, Triolen und Punktierungen unterscheidet. Walton
erklingt deutlich freundlicher als die beiden anderen Konzerte, Kim findet
einen gänzlich verschiedenen Zugang zu dieser Musik. In der Tarantella blüht
sie auf und genießt die Verrücktheit und die subtilen Brüche z.B. zum
Walzer-Mittelteil.
Die Aufnahmetechnik stellt die Violine deutlich in den
Vordergrund, worüber das Orchester oftmals zurückbleibt. Gerade bei Bartók
vermisse ich orchestrale Nebenstimmen, die hier von der Geige überdeckt werden.
Bei Hartmann kommen sie Streicher besser zum Vorschein als in den anderen
Konzerten; hier blühen die Symphoniker auch am meisten auf, wallen dynamisch
mehr auf und kommen aus ihrem oftmals eher flachen und flächigen Spiel heraus
hin zu einer Plastizität.
Im Rahmen der Bayreuther Festspiele werden nun jedes Jahr auch Opern von Richard Wagners Sohn Siegfried aufgeführt. Pünktlich zu dessen hundertfünfzigstem Geburtsjahr startet dieses Projekt am 9. und 10. August mit seiner Oper „An Allem ist Hütchen Schuld!“ op. 11 aus dem Jahr 1915 im Markgräflichen Opernhaus. Die orchestrale Basis der Oper gibt das Karlsbader Symphonieorchester unter Leitung David Robert Colemans; es wirkt das pianopianissimo-musiktheater München und der Philharmonische Chor Nürnberg mit. Inszeniert wurde die Oper von Peter P. Pachl, die Bühne machte Robert Pflanz und die Kostüme Christian Bruns; Sebastian Rausch designte die Filmprojektion und Achim Bahr arbeitete an der Dramaturgie. Den (stummen) Kobold Hütchen spielt Niklas Mix, die Hauptrollen Frieder und Katherlies’chen Hans-Georg Priese und Rebecca Broberg. Alessandra die Giorgio hören wir als Frieders Mutter und des Teufels Ellermutter sowie als Sonne; Maarja Purga schlüpft in die Rollen der Trude, der Wirtsfrau und der Mächenfrau; Silvia Micu spielt das Hexenweibchen und eine von Frieders Schwestern; Daniel Arnaldos ist der Dorfrichter und der Sakristan; den Tod wie den Menschenfresser verkörpert Ulf Dirk Mädler; Axel Wolloscheck tritt als Teufel und Mond auf; Joa Helgesson sehen wir als Königssohn und als Müller; Müllerin und eine weitere Schwester Frieders erleben wir durch Sarah Marguerite Ring. Antonia Schuchardt spielt das singende, springende Löweneckerchen, den Stern und eine andere von Frieders Schwestern, zudem hören wir sie als Hütchens Stimme; weitere Rollen sind Sophie Catherin als die vierte von Frieders Schwestern, und die Nachbarn sowie Teufelsgeneräle Matthew Peña, Max Jakob Rößeler, Reuben Walker und Maximiliano Michaikovsky. Zu nennen ist zudem das stets präsente Filmteam Carolin Streckmann und Svenja Marzinowski unter Koordination von Robert Pflanz.
Söhne großer Komponisten haben es oftmals schwer, sich
durchzusetzen. Prominente Beispiele finden wir nicht nur bei Bach oder Mozart,
sondern auch bei Wagner, dessen Sohn Siegfried (zugleich ein Enkel von Liszt)
nicht weniger als 17 Opern und andere große Orchesterwerke wie ein
Violinkonzert schuf. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Bemühungen, sein an
den Rand der Wahrnehmung gedrängtes Oeuvre wiederaufleben zu lassen; einen ersten
richtungsweisenden Bühnenerfolg verzeichnet nun die Aufführung der Oper „An
allem ist Hütchen Schuld“ op. 11 im Rahmen der Bayreuther Festspiele, der in
den kommenden Jahren weitere folgen sollen.
Die Handlung ist dabei durchaus verworren: Siegfried Wagner mischte über dreißig Märchen von Jacob Grimm, mit dem er selbst als Minirolle seiner Oper in Konflikt gerät. Der Frieder will sein Katherlies’chen heiraten, die allerdings nur als Magd am Hof seiner Mutter arbeitet, weshalb er die reiche Trude heiraten soll, von der er wenig angetan ist. Hütchen schreitet ein und schiebt dem Katherlies’chen die Tasche von Trude unter, woraufhin sie als Diebin eingesperrt wird. Vor Scham will sie sich umbringen, doch Hütchen vertauscht Gift und Honig. Zeitgleich will Trude den Frieder an sie binden und lässt sich von einem Hexenweibchen das Rezept eines Zaubertranks geben. Im Gegenzug zur Freilassung Frieders und Katherlies’chens verlangt sie von ihnen je die Beschaffung der Zutaten und den Schwur, einander fern zu bleiben. Die beiden Getrennten befragen unabhängig voneinander Mond, Stern und Sonne, woher sie denn die eigenartigen Zutaten bekommen könnten, worauf diese sie unwirsch zum Teufel und zum Menschenfresser schicken. Frieder überlistet den Teufel, wodurch er nicht nur zwei Zutaten, sondern zudem das Tischlein-deck-dich, den Goldesel und den Knüppel-aus-dem-Sack erhält; Katherlies’chen rettet zuerst den Tod, von dem sie als Dank eine heilende Salbe erhält, und trickst dann den Menschenfresser aus, um das singende, springende Löweneckerchen zu bekommen, das Hütchen allerdings geschwind freilässt – zum Trost schenkt ihr eine Kröte ein Sternenkleid aus einer Nussschale. Die Liebenden sehen sich zwei Mal wieder, doch verzaubert Hütchen je einen von ihnen, den anderen nicht mehr zu erkennen. Sie kehren mit ihrer Beute zu Trude zurück, doch sind die Wunder verschwunden und nicht einmal die magischen Gegenstände funktionieren, was Frieder in die Ehe mit Trude zwingt. Trude ist derart entzückt vom Sternenkleid, dass sie dem Katherlies’chen dafür sogar eine Nacht mit Frieder verspricht – dem sie allerdings Schlafmittel beimischt, sodass ihre Konkurrentin die Zeit nicht nutzen kann. Doch kurz vor der Eheschließung wird Trude als Hexe enttarnt und verbannt; der Rest will jetzt die Hochzeit zwischen Frieder und dem Katherlies’chen feiern. Hütchen kommt erneut und lässt alle in Streit entzweien, was ihn amüsiert. Die Märchenfrau deckt Hütchens Identität auf und zeigt, wie er zu fangen ist. Katherlies’chen lässt ihn frei und Hütchen bringt aus Rache an den anderen das Haus zum Einstürzen, was nur seine Retterin und ihr Verlobter überleben. Tod und Teufel kommen, die Beute zu holen, doch Frieder kann sie verjagen und Katherlies’chen die Toten mit ihrer Salbe wiedererwecken. Alle geloben Hütchen, von nun an gut zu sein.
Anders als die Handlung gibt sich die Musik durchweg
verständlich und durchsichtig. Sie orientiert sich an französischen und teils
italienischen Opernstilen, lässt auch viel von Wagners Lehrer Humperdinck
durchhören. Auch sein Vater hallt stellenweise noch nach, von dem die Musik
sich aber durch ihren deutlich weicheren und fließenderen Stil scheidet und die
pompösen Elemente reduziert. Die
thematischen Gestalten tauchen größtenteils bereits im Vorspiel auf, wo auch
das scharfe Hütchen-Motiv bereits keck dazwischenfunkt. Allgemein ordnet sich
die Musik der Handlung unter, um diese verständlich zu machen, wodurch auch die
Gesangslinien sich nach der Verständlichkeit orientieren (mit wenigen Ausnahmen
wie der reich verzierten Stimme des Hexenweibchens).
Die Inszenierung am 9. und 10. August im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth basiert auf der Handlung entsprechend skurrilen und leicht überzeichneten Figurendarstellungen und einer Videoleinwand, auf die neben dem Bühnenbild auch die live gefilmte Handlung projiziert wird und die manche Elemente der Oper durch Einblendungen unterstreicht. Auf der Bühne selbst stehen meist nur drei Tische, die mit wenigen Requisiten geschmückt werden. Die Handlung wird durch neue Medien ins 21. Jahrhundert gesetzt, beispielsweise ersetzt ein iPad mit Facecam den Spiegel.
Das Konzept der Videoleinwand eröffnet ganz neue
Möglichkeiten, so können Elemente dargestellt werden, die sonst nicht sichtbar
wären beziehungsweise anders dargestellt hätten werden müssen. Den Blick in den
Spiegel kann man nun aus der Perspektive Trudes mitverfolgen, die drei
magischen Gegenstände des Teufels trägt Frieder in Taschenformat immer mit sich
rum und trotzdem stehen sie bei Bedarf groß im Bild. Andere Details wurden
dadurch jedoch überakzentuiert, beispielsweise, dass die „sich putzende Katze“
plötzlich bildlich auftaucht oder Trude in überdimensionaler Stretchlimousine
einfährt. Diese Elemente sowie die teils übervolle Bühne, auf der manchmal
einige mir nicht erklärliche Zweithandlungen ablaufen, lenken von der Musik ab.
Gerade das thematisch unentbehrliche Vorspiel wird durch zwei Handlungen
überdeckt. Mir scheint, diese Inszenierung sei für eine größere Bühne gedacht
gewesen, auf der manches freilich überdeutlich zum Vorschein treten muss, was
sich in einem kleinen Theater wie dem Markgräflichen Opernhaus problemlos
offenbart.
Hinreißend gelingen die Kostüme, die zwar teils recht überspitzt sind (Trude und Frieders Mutter als Oligarchen; der Müller mit der Müller-Tüte in der Hand; der Sakristan im Sadomaso-Outfit), oftmals aber den Charakter perfekt beschreiben. Hütchen sticht besonders hervor mit seinem blutenden, schwarzen Ganzkörperoutfit zwischen Dämon und Kobold; ebenso glänzt der ganz in weiß gehaltene Teufel mit dem fiesen Lächeln und der grimmige Menschenfresser mit seinem Löweneckerchen.
Von der schauspielerischen Leistung bleibt natürlich
besonders Niklas Mix als Hütchen in Erinnerung, dessen schadenfrohes Lachen und
allgemein dessen kecke Mimik den Zuschauer in den Bann ziehen. Ulf Dirk Mädler
gibt einen glaubhaften Tod und Menschenfresser ab, der mit düsterer Gestik
besticht; gleichso Axel Wolloscheck als naiver Teufel, der sich der
Konsequenzen seiner ungeschickten Taten nicht bewusst zu sein scheint. Als Tier
zwischen Raubkatze und Vogel lebt sich Antonia Schurchardt in das
Löweneckerchen ein, das teils Piept, teils Faucht. Verführend und sexuell
aufgeladen umgarnt Silvia Micu als Hexenweibchen die reiche Trude, um sie von
ihrem Trank zu überzeugen.
Musikalisch überzeugen Sänger wie Orchester. Sängerisch
seien besonders die Stimmen der Hauptrollen zu nennen, dargeboten von
Hans-Georg Priese und Rebecca Broberg. Priese besitzt ein unverkennbares Timbre
voller Klarheit und geschickt eingesetztem Vibrato, Broberg besticht durch
bestimmte Sanftheit. Alessandra di Girorgio hören wir in vielseitigen Rollen
mit einer äußerst flexibel wandelbaren Stimme und Antonia Schurchardt kann
sogar eine Kinderstimme frappierend realistisch darstellen, wo sie zuvor noch
als Vögelchen fauchte. Bei allem unentbehrlich, wenngleich bedauernswerterweise
selten nur im Vordergrund zu hören, das Karlsbader Symphonie Orchester unter
David Robert Coleman. Plastisch im Klang und dynamisch wohl abgestimmt
verhelfen erst die Instrumentalisten den Sängern zu ihren Höhenflügen, sorgen
für den fruchtbaren Boden, auf dem alles andere erblüht. Coleman sucht
Beziehungen zwischen den einzelnen Phrasen und Teilen, hält große Kontexte
zusammen und fokussiert die instrumentale Abstimmung, so dass alles in logischer
wie organischer Konsequenz abläuft und sich zusammenfügt. Dem Schwebenden und
Nicht-materialistischen misst er dabei besonderen Stellenwert bei, wodurch
impressionistische oder besser gesagt naturalistische Ausdruckswelten
entstehen. Überflüssiger Effekthascherei schwört Coleman ab, zieht die Energie
rein aus der vorhandenen Substanz, die er unmittelbar ans Publikum vermittelt.
Die neueste CD des tschechischen Pianisten
Jan Bartoš beschäftigt sich mit dem Klavierwerk Leoš Janáčeks. Das Programm
beginnt mit der Sonate „1.X.1905“, wandert „Auf verwachsenem Pfade“ und „Im
Nebel“ hin zu seinem Studienwerk Thema con Variazioni und endet mit seinem
letzten Klavierstück, Reminiscence.
Obgleich das
Klavieroeuvre von Leoš Janáček vergleichsweise überschaubar ist, umfasst es doch
einige seiner intimsten und überwältigendsten Werke. Auf der vorliegenden CD
wird die stilistische Vielfalt der Werke frappierend deutlich. Das frühe Thema
con variazioni weist noch klassische Züge auf und diente in erster Linie
Studienzwecken; doch der Komponist war so angetan von ihr, dass er sie später
als sein Opus 1 bezeichnete. In den einzelnen Variationen ahmt Janáček den Stil
verschiedener Komponisten nach, so dass Brahms, Liszt, Mendelssohn und andere je
in einem der knappen Abschnitte nachklingen. „Auf verwachsenem Pfad“ eröffnet
die Phase, in der sämtliche heute nachwirkenden Klavierwerke Leoš Janáčeks
entstanden. In dieser Zeit floppten mehrere Opern des Komponisten, persönliche
und politische Schicksalsschläge machten ihm zu schaffen: Am Klavier
verarbeitete er vieles. Janáček intendierte wohlgemerkt als junger Mann, eine
Pianistenkarriere anzustreben, bevor das Komponieren ihn für sich in Beschlag
nahm. „Auf verwachsenem Pfade“ besteht aus insgesamt fünfzehn relativ kurzen
Charakterstücken, die in drei Etappen entstanden: 1900 schrieb Leoš Janáček
sieben Nummern ursprünglich für Harmonium, von denen er zwei wieder strich,
1908 folgten fünf weitere sowie die poetischen Titel der nunmehr zehn Nummern und
1912 arbeitete er an der zweiten Reihe, von der manches allerdings erst
nachträglich durch den Hausausgeber auf Basis von Skizzen fertiggestellt wurde.
Jan Bartoš entschied, nur die zwölf von Janáček selbst fertiggestellten und für
die Reihe vorgesehenen Stücke auf CD zu brennen. Der Tod von Janáčeks Tochter
Olga war sicherlich maßgeblich für einige der Nummern, die immer wieder in
tiefe Resignation und düstere Einsamkeit zurückkehren. Noch beklemmender wirkt
die Sonate „1.X.1905“, die der Komponist in einem Anflug an Selbstzweifel in
die Moldau warf. Sie beschreibt die stürmischen Demonstrationen im Oktober
1905, die im tragischen Tod eines jungen Arbeiters kulminierten. In der
todesnahen Tonart es-Moll gehalten, wühlt die Sonate auf und bestürzt zugleich.
Zu Beginn hören wir eine isolierte Melodie im Sopran, der eine weltfremde
Arpeggio-Begleitung beigegeben wird; in der Mittelstimme funkt ein
peitschenartiges Motiv dazwischen, das immer weiter aufbegehrt, bis es die
Oberhand gewinnt. Die Aufteilung in drei derartige Ebenen ist typisch für Janáček,
doch selten derart unmittelbar wie hier; besonders auch im weiteren Verlauf, wo
triolische und duolische absteigende Linien sich aneinander reiben und den
letzten Funken Hoffnung in die Tiefe treiben. Der zweite Satz kreist ewig um
das immer gleiche Motiv, bevor ein grollender Bass die trübe Stimmung in blanke
Angst kippen lässt. Janáček schrieb einen dritten Satz, den er allerdings von
der Premiere in den Kamin warf. Die Pianistin dieser Premiere war es, die viele
Jahre später eine Abschrift der ersten zwei (also diejenige der aufgeführten)
Sätze fand und publizierte. „Im Nebel“ erkundet wieder neue Klänge und
Wirkungen, gerade die ersten beiden Sätze arbeiten mit unwirklichen Schwebungen
und undurchdringbaren Wendungen, wenngleich das Notenbild äußerst geordnet
aussieht. Im Finale bricht der fatale Realismus aus und zerbricht die
aufgebaute Stimmung. Bedrückte Rückblicke an vergangene Schicksalsschläge,
Verarbeitung und Resignation bestimmen das Bild der vier kurzen Nummern. Auch Janáčeks
letztes Klavierstück, Reminiscence, verweilt in dieser Melancholie.
Der Pianist Jan Bartoš
begegnet jedem der Werke auf eine eigene Weise. Im frühen Variationswerk lässt
er einen beinahe klassischen Geist à la Beethoven oder Mendelssohn auferstehen,
bleibt klar und virtuos in der Melodieführung. Die romantischen Miniaturen des
Zyklus‘ „Auf verwachsenem Pfade“ erhalten unter Bartoš‘ Fingern eine zarte,
melancholische, aber nicht verträumte Art, bei der die Transparenz gewahrt
bleibt. Janáčeks Dreistimmigkeit kommt dabei gut zum Tragen, Bartoš setzt die
parallel ablaufenden und zugleich gegensätzlichen Welten deutlich voneinander
ab. Die selbe Klarheit leiht Bartoš auch der Klaviersonate 1.X.1905, deren
brachiale Gewalt er in den Hintergrund stellt, um dafür die Isolation und den
Schmerz zu fokussieren. Mit einem Minimum an Kraft und mit gewisser
persönlicher Distanz will Bartoš die größtmögliche Wirkung entfalten.
Hineinziehen in die Musik lässt sich der Pianist nur in den ersten beiden
Sätzen von „Im Nebel“, deren Unmittelbarkeit niemand entrinnen kann. Hier
gelingt ein sensibel-fragiles Spiel, wie man es von gelungenen
Debussy-Aufnahmen kennt; in den letzten beiden Sätzen kehrt er zu seinem präzisen
und mit einfachen Mitteln enorm geladenen Spiel zurück.
Auf der CD
„springtime“ des Trios con abbandono hören wir Musik zwischen den Stühlen, von
Klassik bis Tango und Klezmer, alles bearbeitet für Klarinette, Cello und
Akkordeon. Das Programm bilden Astor Piazzollas Vier Jahreszeiten, Richard
Gallianos Tango pour Claude, Lisboa von Peter Ludwig, eine überlieferte
Klezmer-Suite, August Nölcks Ungarische Czárdás-Fantasie, eine Bearbeitung von
Beethovens Wut über den verlorenen Groschen, die Klarinettensonate von Bernstein,
Off Pist von Svante Henryson und Leroy Andersons Typewriter.
Die Kombination aus Akkordeon, Klarinette und Cello klingt
zunächst etwas eigentümlich, obgleich alle drei Instrumente in Tangoensembles
öfter zusammen erklingen; selten aber im Trio. Das Trio „con abbandono“ machte
es sich zur namensgebenden Aufgabe, mit voller „Hingabe“ Musik verschiedener
Welten zu verknüpfen und sie in teils witzigen und skurrilen Arrangements auch
an ein Publikum zu vermitteln, das in dieser Musik nicht unbedingt beheimatet
sein muss. Das Resultat ist ein heterogener Mix verschiedener Stile, die sich durch
den charakteristischen Klang der drei Instrumente klanglich annähern. Der Musik
lässt sich leicht folgen und kleine Gags heitern die Stimmung auf; dennoch ist
die CD nichts fürs reine Hintergrundhören, denn dafür sind die meisten der Stücke
zu komplex. Geschickt bindet das Trio auch moderne Musik ein, die normalerweise
nicht in solch ein Programm passen würde: In diesem Falle Bernsteins Klarinettensonate,
die oftmals stark an Strawinskys Sacre du Printemps gemahnt. Spannend gestaltet
sich das eigene Arrangement von Piazzollas Vier Jahreszeiten, in welchem die
Musiker die Vorlagen Vivaldis teils wörtlich einbinden als Gegenwelt zum Tango.
Die Bearbeitung von Beethovens Wut über den verlorenen Groschen durch Brack
Owlbick offenbart einige lustige Momente wie einschlafende Musiker, die jedoch
ihre Inspiration nicht aus der Musik, sondern von außen ziehen, und somit recht
gewollt erscheinen. Überraschend souverän gibt sich Otto Eckelmanns Arrangement
von Andersons The Typewriter, der eigentlich auf den Klang mehrerer Instrumente
angewiesen ist: Anderson gelang ein Welterfolg mit der abgedrehten Idee, die
Schreibmaschine als eine Art Orchestersolist fungieren zu lassen.
Musikalisch nähren sich die drei Musikerinnen Beate Funk,
Anne-Lise Atrsaie und Claudia Quakernack (in zwei Titeln unterstützt von Yoana
Varbanova am Schlagwerk) von der Leidenschaft, also von beschwingtem und
mitreißendem Spiel. Bei einem rein „ernsten“ Programm bliebe noch mehr die
Nüchternheit zu wünschen, selbst nicht zu sehr involviert zu sein und sich zu
sehr mitreißen zu lassen, sondern von innen heraus die Emotion zu übermitteln;
doch für solch einen Blumenstrauß größtenteils eingängiger Musik passt ihre
Einstellung vortrefflich, sie animieren dadurch den Hörer. Klanglich bleiben
alle drei Musikerinnen durchgehend präsent und stimmen sich dynamisch durchweg
aufeinander ab, wirken wirklich als Trio zusammen.
In der dritten Folge der
Klaviermusik des hierzulande noch weit unterschätzten schottischen Komponisten
Ronald Stevenson (1928-2015) widmet sich Christopher Guild dessen
Auseinandersetzung mit keltischer und chinesischer Volksmusik. Die Parallelen
zu Stevensons älterem Freund Percy Grainger werden dabei sehr deutlich. Gekrönt
wird diese CD dann auch mit der fabelhaften Transkription eines von Graingers Hauptwerken:
dem „Hill Song No. 1“.
Von Ronald Stevensons Klavierwerk ist bei uns – und
das auch lediglich durch mehrere CD-Einspielungen – im Grunde nur seine
monumentale (80 Minuten) Passacaglia on DSCH
bekannt geworden, die er natürlich Dmitri Schostakowitsch widmete. Neben diesem
Werk gibt es hunderte Klavierstücke und Lieder, die – größtenteils noch
unveröffentlicht – ihrer Entdeckung harren. Darunter sind neben hochvirtuosen Opernparaphrasen
und -transkriptionen in der Tradition Liszts oder Busonis besonders viele Volksmusikbearbeitungen,
oft keltischen Ursprungs. Die Leidenschaft, der Kunstmusik durch Integration
von Folklore wieder ein tragfähiges Fundament bei gleichzeitig größerer formaler
Freiheit zu geben, teilte Stevenson mit seinem Freund Percy Grainger (1882-1961), mit dem er bis zu dessen Tode in
engem Kontakt stand.
So ist das Hauptwerk dieser CD dann auch die Bearbeitung
von Graingers Hill Song No. 1,
sicherlich eine seiner besten und eigenwilligsten Kompositionen – im Original
wegen der ungewöhnlichen Bläserformation (zwei Pikkolos, je 6 Oboen,
Englischhörner und Fagotte plus Kontrafagott) nur selten zu hören. Hier ist
sowohl Virtuosität als auch große Übersicht gefragt, denn im 22-minütigen Stück
wiederholt sich so gut wie nichts. Die größere Länge bei Stevenson ergibt sich
dadurch, dass er in seiner Bearbeitung zusätzlich noch Graingers Lied Dedication integriert.
Sicher ist das Engagement für das Volkslied bei
Stevenson aber auch politisch: Die Berücksichtigung afrikanischer Folklore – hier
in der Ghanaian Folk-Song Suite oder
im African Twi-Tune (ein Graingerismus) – ist
eine offensichtliche Reaktion auf das Apartheid-Regime in Südafrika, wo sich der
Komponist von 1963-65 aufhielt. Das kurze Stück kombiniert bereits 1964 die
damalige Nationalhymne mit einem Lied, das dann tatsächlich nach Ende der
Apartheid 1994 zur neuen Nationalhymne wurde! Als pazifistischer Sozialist mag
Ronald Stevenson mit Zyklen wie der Chinese Folk-Song Suite –
natürlich mit ausgiebiger Pentatonik –dann
auch Vorbild für weitaus radikalere Komponisten wie Cornelius Cardew oder
Howard Skempton geworden sein.
Der aus vierzehn Stücken bestehende Zyklus Sounding Strings kann auch auf der kleinen keltischen Harfe gespielt werden, ein Grund für den recht einfachen Satz, der in etwa auf dem Niveau von Villa-Lobos‘ Guia prático steht. Wirklich beeindruckend die drei zwischen 1978 und 1990 entstandenen Stücke Bonny at Morn, The High Road to Linton und Barra Flying Toccata. All das wird von Christopher Guild pianistisch perfekt und klangschön dargeboten, immer völlig unprätentios – tatsächlich spricht diese Musik von ganz allein aus ihrer Melodik und Rhythmik heraus, ohne Hinzufügen irgendwelcher subjektiven Finessen. Das hat Guild bereits in den ersten beiden Folgen auf Toccata Classics erfolgreich bewiesen. Der Hill Song erklingt fast panoramaartig symphonisch, entwickelt sich dabei völlig natürlich; dass die allein der Instrumentierung der Bläserfassung geschuldeten Schärfen hier weitgehend wegfallen, kommt dem anspruchsvollen Werk sogar noch zu Gute. Diese Einspielung, aufnahmetechnisch ebenfalls tadellos, langweilt den Hörer keine Sekunde und man darf bereits auf die nächste Folge von Stevensons Klavierwerk gespannt sein.
Konzert mit der
Kammerphilharmonie dacapo am 5. Juli 2019 im Künstlerhaus
Werke von Mozart (1756-1791), Weber (1786-1826), Grieg (1843-1907) und Nielsen (1865-1931); Klarinette: Sofia Molchanova; Leitung: Franz Schottky
Nach der Ouvertüre zu Mozarts Don Giovanni in der Fassung für Streichorchester von einem Komponisten namens Joseph Küffner (1776-1856) mit dem die Kammerphilharmonie dacapo das Konzert eröffnete, folgte das Hauptwerk des Abends, Carl Maria von Webers Klarinettenquintett in Bb Dur op. 34 mit der Solistin Sofija Molchanova und wiederum in der Fassung für Streichorchester. Die vier Sätze zeigten die unglaublichen Möglichkeiten dieses Instrumentes, vor allem, wenn es so überzeugend mit Leib und Seele alle Facetten ausleuchtend gespielt wird wie von Sofija Molchanova! Und dazu so kongenial begleitet von den Streichern der Kammerphilharmonie! Richard Wagner schätzte Webers Musik so hoch, dass er nach dessen Tod ein Chorwerk zu dessen Begräbnis schrieb. In diesem Quintett öffnet Weber das Schatzkästlein seiner Meisterschaft, sowohl von der Melodik als auch von der Dramatik her, genauso wie auch die tiefste elegische Seite seines Wesens zum Vorschein kommt. Die vier Sätze sind höchst vergnügliche tiefgreifende Musik, kein Wunder, dass Solistin und Orchester samt Dirigenten mit Beifall überschüttet wurden. Als Zugabe spielte sie uns einen fantasievollen Tanz aus ihrer serbischen Heimat.
Nach der Pause – Franz Schottky vergaß nicht, Sponsoren des Orchesters zu erwähnen – erklang noch einmal Musik von Mozart: das Divertimento in C KV 157. Es ist auch in Form für Streichorchester überliefert, also sehr passend für die Kammerphilharmonie. Die größere Überraschung waren allerdings die beiden folgenden Stücke von Edvard Grieg, die in ihrer melancholischen spätromantischen und doch schon in die Moderne weisenden Klangsprache dem Orchester die berückendsten Klangfarben und die ausgeprägteste Dynamik abverlangte. Vom fahlen Pianississimo bis zum Fortississmo- Ausbruch zogen die elegischen Klänge die Zuhörer in ein intensives und faszinierendes Musikgeschehen. Zum Anschluss eine typisch dacapo mäßige Entdeckung: Die Little Suite op. 1 vom dänischen Komponisten Carl Nielsen. Die drei kunstvoll komponierten Sätze sind eine Meisterleistung und zeigten zum wiederholten Mal die Musiker in Höchstform. Sie spielten mit Leib und Seele, jede Instrumental-Gruppe intensiv auf die anderen hörend und besonders herausheben möchte ich da die Bassgruppe der beiden Cellistinnen und den jungen Kontrabassisten, die für das unerlässliche Fundament sorgen. Über dem sich der ganze Reiz der tänzerischen Melodien und der rhythmischen Finessen der übrigen Mitspielerinnen und Mitspieler wunderbar entfalten konnte. Franz Schottky führte an diesem Abend „sein“ Orchester mit untrüglichem Gespür für Klang, Zusammenspiel und dem richtigen atmenden Tempo von einer musikalischen Kostbarkeit zur nächsten! Rauschender Beifall, Blumen, die er galant an die entsprechenden Damen der Kammerphilharmonie weiterreichte.