Aurora, ACD5093; EAN: 7044581350935
Als Concerto Grosso für Orchester, fünf Solisten und Rezitation bezeichnet Helge Iberg seine „Songs from the Planet of Life“. Wir hören den neunteiligen Zyklus mit dem Norwegischen Radioorchester unter Kai Grinde Myrann. Elise Båtnes spielt das Geigensolo, Christian Ihle Hadland das Klavier und Tom Ottar Andreassen die Altflöte; als Sänger wirken Marianne Beate Kielland und Frank Havrøy; Liu Tiegang rezitiert die chinesischen Originale und Sidsel Endresen die englische Übersetzung.
Obwohl Iberg dieses Werk als „Songs“ übertitelt hat, spielt die menschliche Singstimme nur eine Nebenrolle. Die chinesischen Dichtungen der Tang Dynastie dienen der Komposition mehr als inspirierende Idee und nicht als Textgrundlage, nur kurze Abschnitte werden in deutschen und englischen Übersetzungen tatsächlich gesungen; die Stimmungen der Dichtungen vermittelt das Orchester. Für „Songs from the Planet of Live“ wählte Helge Iberg sich Texte aus, die auch Mahler für sein „Lied von der Erde“ verwendete. Diese Texte waren im späten 19. wie im 20. Jahrhundert äußerst beliebt, wobei man sich auf Hans Bethges Übersetzungen berief, die er in der „Kinesischen Flöte“ publizierte. Lieder aus dieser Sammlung wurden von Weingartner und Strauss vertont, ebenso von Eisler, Braunfels, Busch, von Einem, Gál, Genzmer, Graener, Wellesz, Webern, Lehar, Krenek, Penderecki, Valen, Toch, Schönberg, Röntgen, Szymanowski, Sjögren und vielen anderen.
Der neunteilige Zyklus „Songs from the Planet of Life“ wird strukturiert durch die Rezitationen in chinesischer und englischer Sprache (durch Liu Tiegang und Sidsel Endresen), so dass zum einen der Originalklang zum Vorschein kommt und zum anderen der Hörer einen Eindruck davon erhält, worauf sich die Musik bezieht. Teils unterbricht hierfür die Musik, teils beginnt sie bereits im Hintergrund, sich aufzubauen und eine Stimmungsgrundlage zu schaffen. Die Musik selbst strahlt innige Ruhe aus, bleibt parallel aber im Fluss der ständigen Umformung, sie ist von dichter Textur und doch klar im Aufbau. So spiegelt sie die aphoristischen und gleichzeitig tiefgehenden chinesischen Dichtungen in ihrer Struktur wider, denn auch sie gibt sich flüchtig wie parallel spürbar reflektiert. Iberg verwendet dafür eine moderne Tonsprache mit vielen nahe beieinanderliegenden Tönen, teils gar clusterähnlichen Gebilden, denen er jedoch die Schärfe der Dissonanzen raubt, indem er weiche Artikulationen vorschreibt und betont auf den melodischen Aspekt setzt. Größtenteils fließt die Musik gemächlich, nur kurze rhythmisch markante Passagen sorgen für Kontrast. Die Solisten schälen sich gelegentlich aus dem Orchesterapparat heraus, bleiben diesem jedoch verbunden und stellen sich weder klanglich, noch artikulatorisch als Solisten vor, was zu einer Einheitlichkeit führt. Das Norwegian Radio Orchestra spielt unter den Händen Kai Grinde Myranns, der die Stimmungen erspürt und die meditative Ruhe zu vermitteln weiß. Er bändigt die Musiker, als Gemeinschaft zu wirken; er sucht Beziehungen in der Musik und hält so Musik wie Musiker zusammen.
[Oliver Fraenzke, Juli 2019]