Naxos, LC 05537; EAN: 7 4731338437 2
Émile Sauret: 24 Études-Caprices, Op. 64 Vol. 2 (Nos. 8-13); Nazrin Rashidova (Violine)
Die aus Aserbaidschan stammende, junge britische Geigerin Nazrin Rashidova hat sich vorgenommen, Émile Saurets (1852-1920) gewaltigen, durch alle Dur- & Molltonarten gehenden Zyklus der 24 «Études-Caprices» op. 64 für Violine solo einzuspielen. Dies ist die zweite Veröffentlichung (mit Nos. 8 – 13) des auf vier CDs angelegten Projekts bei Naxos.
Der französische Geiger Émile Sauret galt auf seinem Instrument als Wunderkind und war sogleich Schüler des für die belgisch-französische Violinschule des 19. Jahrhunderts so stilbildenden Violinvirtuosen Charles-Auguste de Bériot. Später studierte er in Leipzig noch Komposition bei Salomon Jadassohn. Neben einer internationalen, bis über den großen Teich reichenden Solistenkarriere war Sauret dann aber vor allem auch als Pädagoge in den großen Musikzentren (Berlin, London usw.) gefragt. So entstanden mehrere Kompendien von Violinübungen, die zum Teil sehr systematisch alle Spieltechniken des Instruments durchforsten. Die 24 «Études-Caprices» op. 64 aus der Zeit an der Londoner Royal Academy of Music (1903 bei Simrock erschienen) fallen aber allein schon deswegen aus dem üblichen Rahmen, weil die Einzelstücke respektable Längen bis zu 14 Minuten aufweisen.
So sind diese ungewöhnlichen Etüden dann natürlich mehrteilig und bieten in sich bereits Abwechslung, weil sie sich nie auf nur ein technisches Problem beschränken. Andererseits ist klar, dass sie nicht zyklisch (der Quintenzirkel wird im Quartabstand erschlossen, einer Dur-Etüde folgt jeweils eine im Moll-Parallelklang) aufgeführt werden können und sollen. Tatsächlich überrascht, wie vielgestaltig hier vor allem an der Vervollkommnung schönen, expressiven Klangs gearbeitet wird. Obwohl es auch kontrapunktische Abschnitte gibt (etwa die zweistimmige Fuge zu Beginn der Étude-Caprice Nr. 12 b-moll), liegt hier der Fokus – anders als bei den Solo-Violinwerken von Max Reger – eindeutig auf Schönklang. Und der gelingt Nazrin Rashidova wirklich bewundernswert. Zudem darf sie hier auf genau der Stradivari spielen, die selbst einmal Sauret gehörte und heute seinen Namen trägt. Einzeln für sich genommen sind Saurets Etüden auch musikalisch durchaus zwingend, aber die häufige Sequenzierung eines Motivs bzw. einer Spielfigur immer gleich durch alle Violinregister kann deren Übungscharakter dann doch nicht wirklich verbergen. Abgesehen von der Tatsache, dass es auch einige mehr oder weniger direkte Anspielungen auf berühmte Violinliteratur gibt, verfügt Sauret selten über wirklich eigenständige Ideen. Daran kann auch das Engagement der Solistin (die im Übrigen auch über diesen Zyklus promoviert) nicht viel ändern. Dennoch sind die Études-Caprices eine mehr als willkommene Repertoireergänzung bei den Werken für Sologeige um 1900. Nicht viele Violinisten dürften technisch und musikalisch die den Stücken adäquate Konzentration aufbringen, um hier gleichermaßen zu überzeugen wie Frau Rashidova.
[Martin Blaumeiser, August 2018]
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