Alles läuft zusammen

Festspiele in Bergen: Grieghallen, Griegsalen; Edvard Grieg, Ralph Vaughan Williams, Sofia Gubaidulina; Bergen Filharmoniske Orkester, Edward Gardner (Leitung), Gidon Kremer (Violine), Ah Ruem Ahn (Klavier)

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Festspiele in Bergen: Griegsalen; Gubaidulina, Kremer und das Bergen Filharmoniske Orkester (Foto von: Oliver Fraenzke)

Im letzten Konzert, welches ich im Rahmen der Festspiele in Bergen höre, läuft alles zusammen: Im Griegsaal der Grieghalle spielt das Bergen Filharmoniske Orkester unter Leitung von Edward Gardner das Offertorium der Festspielkomponistin Sofia Gubaidulina mit Gidon Kremer als Solist an der Geige, die Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis von Ralph Vaughan Williams sowie das Klavierkonzert a-Moll op. 16 von Edvard Grieg. Am Klavier sitzt die Gewinnerin des letzten internationalen Grieg-Wettbewerbs Ah Ruem Ahn.

Sofia Gubaidulina hört das Ende im Anfang, spinnt einen roten Faden durch das gesamte Werk, und erst im letzten Ton erfüllt sich der vollständige Sinn. Sich auf reine Intuition beim Komponieren zu berufen, genügt der gebürtigen Russin nicht, sie benötigt einen mathematischen Hintergrund, der eine zwingende Logik und Stringenz ermöglicht. Es ist die Mitte zwischen den beiden Extremen, die anzustreben ist. Offertorium gehört zu den meistgespielten Werken Gubaidulinas und entstand durch die gegenseitige Bewunderung Gubaidulinas und Kremers, der es auch heute darbietet, 27 Jahre nach der Uraufführung. Der religiöse Kontext bleibt unüberhörbar, wie der Titel suggeriert; die Melodie basiert auf Bachs Musikalischem Opfer BWV 1079. Kremer nimmt das Konzert zurückhaltend und mit gewisser Distanz, lässt sich nicht von den ungeheuren Gefühlswelten überrumpeln. Den Ausdruck verlagert er nach innen, spürt ihn mehr, als ihn aktiv herauszuholen. So entsteht eine ehrliche und glaubwürdige Wirkung der Spiritualität, welche diese Musik durchdringt. Zwar mischt sich im Griegsaal das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester nicht immer, aber doch hören wir kontinuierliche Interaktion zwischen Gidon Kremer und Edward Gardner, der die Bergner Philharmoniker zu enormer Klangfarbenpracht anhält.

In Ralph Vaughan Williams‘ Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis kommt der Streicherapparat des Bergen Filharmoniske Orkesters in voller Pracht zum Einsatz. Jede einzelne Stimmgruppe ist für sich vollendet, präsentiert runden und warmen Ton in zahllosen Schattierungen und dynamischen Details. Darüber hinaus verschmelzen sie zu einem miteinander wirkenden Ganzen, ein vielschichtiger und dreidimensional plastischer Klangraum entsteht, der zudem durch das Fernorchester bereichert wird.

Zuletzt hören wir Grieg im Griegsaal der Grieghalle in der Griegstadt Bergen. Die Gewinnerin des Griegwettbewerbs Ah Ruem Ahn präsentiert sein Klavierkonzert a-Moll op. 16, das schon von Franz Liszt in höchsten Tönen gelobt wurde und schnell seinen Weg in die großen Konzerthäuser fand, wo es heute nicht mehr wegzudenken ist. Wie auch schon bei ihrem Rezital in Troldhaugen verblüfft die Koreanerin durch ihr flüchtiges, hingeworfen wirkendes Spiel, das der Musik eine Ungezwungenheit verleiht, die an Improvisation erinnert. Sie lässt es zu, dass das Orchester sie im Kopfsatz teilweise dynamisch übersteigt, doch um so prächtiger kommt sie jedes Mal wieder aus der Tiefe hervor. Für das Bergen Filharmoniske Orkester gehört das Konzert zu den Evergreens, die sie stets auf neue darbieten müssen: Entsprechend bekannt ist allen Musikern diese Musik und jedes Detail des Zusammenspiels. Dennoch stumpfen die Instrumentalisten dadurch nicht ab, sondern nutzen die Werkkenntnis für feine Artikulation und bemerkenswertes Zusammenwirken, haben noch immer Freude an Griegs Musik.

Und mit dem Konzert klingt auch meine Zeit bei den Festspielen in Bergen aus, erfüllt von Musik und Eindrücken geht es zurück nach Deutschland. Doch Norwegen wird mich wieder anziehen: Die Offenheit der Musiker, die Ungezwungenheit und Suche nach immer umfassenderem Verständnis für die Musik gibt der Kultur in den skandinavischen Ländern einen besonderen Stellenwert.

        

[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

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