Von Franz Schubert kennt man die introvertierten Seelengemälde. Aber wer weiß schon, dass der Wiener auch als Virtuosen-Komponist brillierte – etwa, als er im Jahr 1826 dem Geiger Josef Slavik seine große Fantasie C-Dur auf den Leib komponierte. Slavik wurde nicht umsonst „der böhmische Paganini“ genannt. Heute stellt der in Odessa geborene Geiger Aleksey Semenenko dieses herausfordernde wie tiefgründige Werk ins Zentrum seiner jüngsten CD-Produktion. Komplettiert wird das Programm mit einer Hommage an Mario Castelnuevo-Tedesco, ebenso gibt es eine erstaunliche Rossini-Bearbeitung von Paganini, eine tief persönliche Grieg-Sonate und sowie Tschaikowskis Sérénade Mélancholique als Hommage an die eigene Heimat und jener seiner Partnerin Inna Firsova. Am 5. Mai stellt das Duo dieses aktuelle Programm bei einem Konzert im Münchner Gasteig vor!
Und auch sonst ist Aleksey Semenenko zurzeit vielbeschäftigt. Aktuell hat die amerikanische Musikwelt den jungen Ausnahmegeiger entdeckt. Was alles auf dem vollen Terminplan steht und worauf er bei der jüngsten CD-Produktion Wert gelegt hat, erläuterte Semenenko im Gespräch – sozusagen auf gepackten Koffern, bevor es am nächsten Morgen wieder an die amerikanische Westküste ging!
Das Interview führte Stefan Pieper
Herr Semenenko, wohin geht die Reise morgen?
Ich fliege ganz weit an die Westküste, und zwar nach Spokane im Staat Washington D.C. Dort spiele ich Lalos Konzert mit einem Orchester unter Leitung von Zakhar Bron. Danach geht es sofort nach Interlaken, wo ich – ebenfalls unter Zakhar Brons Leitung – Wieniewskis Konzert spiele.
Zakhar Bron ist ja einer der profiliertesten Violinpädagogen und auch Ihr Lehrer an der Kölner Musikhochschule gewesen. Was hat Ihnen Zakhar Bron, bei dem Sie Ihr Konzertexamen absolviert haben, vor allem vermittelt?
Ich kann hier gar keinen bestimmten Aspekt heraus stellen. Ich habe bei ihm alles gelernt, was man geigerisch lernen konnte.
Wie haben sich Ihre Kontakte zu Amerika entwickelt?
Es gab einige Wettbewerbe, die hier meinen Weg geebnet haben – von besonderer Bedeutung war der Wettbewerb „Young Concert Artists“ in New York im Jahr 2012.
Sie sind in den vergangenen Jahr zum „New Generation Artist“ der BBC gewählt worden. Worum ging es bei diesem Wettbewerb?
Vor allem dieser Wettbewerb verschaffte mir neue Kontakte und erweiterte meine Möglichkeiten, mit verschiedenen Orchestern Aufnahmen zu machen.
Welche neuen Erfahrungen machen Sie zurzeit im amerikanischen Konzertleben?
Das Publikum ist anders und auch die Haltung zur Musik. Alles wirkt nicht so streng wie in Europa. Vor allem geht es wesentlich lockerer zu als etwa in Russland oder der Ukraine. Das amerikanische Publikum ist extrovertierter und lebendiger. Die Leute zeigen viel mehr, was sie empfinden. Das ist eine sehr angenehme Erfahrung. Und auch die Haltung zur Musik ist sehr emotional und direkt. Diese Form von unmittelbarem Erleben sorgt dafür, dass der Konkurrenzgedanke nicht so hoch gehalten wird. Das ist zumindest meine Wahrnehmung.
Zugleich arbeiten Sie zusammen mit Ihrer Partnerin Inna Firsova sehr konzentriert an neuen CD-Projekten. Nachdem erst in letztem Jahr eine vielbeachtete Aufnahme mit französischem Repertoire das Licht der Welt erblickte, setzen Sie jetzt schon wieder mit einer neuen Veröffentlichung einen ganz anderen Akzent. Warum haben Sie und Inna Firsova gerade diese Werke ausgewählt?
Das war für uns wie eine logische Fortsetzung. Nachdem die letzte Aufnahme ganz im Zeichen Frankreichs stand, wollte ich mich jetzt einem Repertoire aus anderen europäischen Ländern widmen. Das Spektrum soll ja ausgewogen bleiben.
Edvard Griegs Sonate für Violine hat eine besondere Bedeutung für mich, da ich dieses Stück schon in meiner Jugend spielen und lieben gelernt habe. Diese Sonate war gewissermaßen mein Einzug in die Kammermusik. Die Aufnahme dieses Stückes war jetzt wie eine Wiederentdeckung für mich.
Pjotr Tschaikowskis „Sérenade Mélancholique“ soll einen typisch russischen Farbakzent setzen, der für die kulturellen Wurzeln von mir und vor allem auch von Inna steht. Aber vor allem ist es mir wichtig, dem Hörer neue musikalische Entdeckungen in die Hand zu geben. Mario Castelnuevo Tedescos „Figaro“-Paraphrase ist ein solches Stück, was viele Hörer überraschen mag.
Die Gegenüberstellung von Paganinis Variationenstück „I Palpiti“ mit Schuberts Fantasie C-Dur rückt den Komponisten Franz Schubert in ein ganz neues Licht.
Schuberts Fantasie stellt für uns den Kern dieses CD-Projektes dar – alles andere hat sich drum herum entwickelt. Überhaupt ist Schuberts Fantasie C-Dur eine faszinierende Musik. Unser Anliegen war es hier, den großen sinfonischen Bogen heraus zu arbeiten. Zugleich bietet diese Fantasie extreme spieltechnische Herausforderungen für die Violine. Man muss die lyrischen Tiefen ausloten. Es wird sehr viel mit der Wirkung verschiedener Tonarten gearbeitet. Der letzte Teil dieser Fantasie erinnert darüber hinaus an Franz Schuberts große Sinfonie C-Dur. Diese wiederum greift Elemente aus Beethovens Neunter Sinfonie auf. Mich erstaunt immer wieder, wie alles das zusammen hängt.
Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit dem Label ARS Produktion?
Speziell diese aktuelle Aufnahme hat ihre ganz besondere Vorgeschichte. Nach meinem Konzertexamen befinde ich mich aktuell an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln in einem Kammermusikstudium bei Prof. Harald Schoneweg. Hier wurde im letzten Jahr ein Wettbewerb ausgetragen, den ich zusammen mit Inna schließlich gewonnen habe. Der erste Preis war eine professionelle Studioaufnahme, die eben jetzt mit dieser CD vorliegt.
Die Klangqualität dieser Aufnahme sorgt dafür, dass man sich ständig für jedes Detail begeistern kann – alles steht wunderbar präsent im Raum, man kann die Spielfreude so unmittelbar erleben wie in einem guten Live-Konzert. Was war Ihnen bei der Aufnahme besonders wichtig?
Genau darum ging es ja auch. Ich bevorzuge bei Aufnahmen, in einem großen Bogen durchzuspielen – damit man in einen ähnlichen Flow hinein gerät wie auf der Konzertbühne. Natürlich bleibt es immer eine andere Situation, als wenn da ein Publikum sitzt, dessen Energien man unweigerlich aufnimmt. Aber wir versuchen, uns die Energie eines Konzertes zumindest vorzustellen.
Haben Sie auch selber Einfluss genommen, etwa auf die Abmischung?
Ja durchaus. Ich hatte schon eine bestimmte Vorstellung, wie es klingen sollte. Ich mag es nicht, wenn der Klang zu trocken ist. Ich habe auch zwischendurch mal den Wunsch gehabt, dass es in den hohen Lagen etwas runder wird, damit es nicht so schneidend obenrum klingt.
Bei Ihren vielen Gastspielen und Projekten ist es doch sicher auch schwierig, die künstlerische Zusammenarbeit mit Ihrer Partnerin Inna Firsova zu organisieren. Kommen Sie überhaupt noch genug zum gemeinsamen Musizieren oder wünschen Sie sich mehr Zeit dafür?
Dafür haben wir beide auf jeden Fall noch genug Raum, auch wenn Inna in Essen an der Folkwang-Hochschule studiert und ich in Köln bin. Wir geben ja auch viele gemeinsame Konzerte, das ist für uns beide ja auch ein tiefes Bedürfnis. Am 5. Mai spielen wir ein Konzert in München im Gasteig, auf dem Programm stehen Werke von Mozart, Debussy, Isaye, Wieniawskiy und ein modernes Stück des litauischen Komponisten Vykintas Baltakas.
Freuen Sie sich schon auf München?
Wir sind noch nie zuvor in München aufgetreten. Deswegen sind wir sehr gespannt auf diese Stadt. Aber bis dahin ist noch eine Weile Zeit.
CD
Aleksey Semenenko & Inna Firsova
„Romantic, Brilliant, Imaginative“
Werke von Edvard Grieg, Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Maria Catelnuevo-Tedesco, Niccolo Paganini, Franz Schubert
ARS Produktion 2018
Konzert-Tipp:
5. Mai 2018: München, Gasteig,Kleiner Saal
„Winners & Masters“
Aleksey Semenenko, Violine & Inna Firsova, Klavier
20:00 Uhr Kleiner Konzertsaal