Hyperion, CDA68203; EAN: 0 34571 28203 9
Die ersten beiden der insgesamt vier Symphonien des in London geborenen Komponisten Michael Tippett sind auf vorliegender CD von Hyperion in einer Aufnahme mit Martyn Brabbins und dem BBC Scottish Symphony Orchestra zu hören.
Die frühen Jahre des britischen Komponisten Sir Michael Tippett waren in vielerlei Hinsicht traumatisch: Er erlebte als Kind den ersten Weltkrieg, bekam den finanziellen Ruin seiner Familie unmittelbar mit, wurde missbraucht, und seine frühen „Kompositionen“ wurden als wildes „Klimpern“ abgetan. Es dauerte einige Zeit, bis Tippett seinen Vater überreden konnte, ihn Musik studieren zu lassen – und er schaffte schließlich seinen Bachelor im zweiten Anlauf, kehrte aber, unzufrieden mit seinen bisherigen Werken, ans College zurück und arbeitete vor allem an seiner kontrapunktischen Ausbildung. Alle früher entstandenen Werke zog er zurück. Der Bookletautor Oliver Soden schreibt, Tippetts Wahl, Musik zu studieren, sei nicht einer genuinen Begabung entsprungen, sondern dem Wunsch, als Pazifist, Linker und Homosexueller gegen das herrschende politische Klima anzutreten. Erste Erfolge stellten sich dann schnell ein, mit A Child of Our Time gelang ihm 1944 der Durchbruch, ein Jahr später beendete er seine erste gezählte Symphonie.
Gegen den Strom wirkt auch diese Musik, trotzige Eigenwilligkeit durchzieht sie. Die volle Orchestergewalt nutzt der Komponist effektiv aus, überrollt den Hörer in manchen Passagen geradezu mit mächtigen Tutti-Walzen. In den beiden viersätzigen Werken schimmern noch klassische Ideale durch, jedoch sind Form und Inhalt demgegenüber weit expandiert. Bildhaft gestaltet sich das Finale der 1945 beendeten Ersten Symphonie, die Melodie entschwindet in immer höhere und fernere Regionen, während sich wuchtige Paukenschläge in den Vordergrund drängen. Musikalische Reflexion des Krieges? Tippett hatte Schlimmes erlebt bei den Bombardierungen, wodurch diese Frage berechtigt erscheint. Die Zweite Symphonie weist elaborierteren Stil und abgeklärtere Kontinuität auf, profiliert sich allgemein schärfer und kantiger als ihr Vorgängerwerk. Am meisten bezaubert hier der zweite Satz, pure und aufwallende Emotionen ergeben ein Bild unverfälschter Zärtlichkeit – natürlich, wie meist bei Tippett, immer wieder unterminiert durch subtile Skurrilitäten.
Die Musiker des BBC Scottish Symphony Orchestras unter Martyn Brabbins spielen auf technisch hohem Niveau. Freude ziehen sie vor allem aus den Klängen der Zweiten Symphonie, die Erste wird eher stoisch exekutiert. Dabei legen sie ihr Augenmerk auf Fülle und Wucht des Klangs, musikalisch hat Brabbyns nur bedingt gearbeitet mit dem vorrangigem Ziel, den Anforderungen einer Aufnahme bezüglich instrumentaler Perfektionierung zu entsprechen.
[Oliver Fraenzke, März 2018]