Farben und Düfte

Ondine, ODE 1304-2D; EAN: 0 761195 130421

Auf zwei CDs spielt Paavali Jumppanen alle 24 Préludes von Claude Debussy sowie den Zyklus ‚Children’s Corner’. Die Aufnahme erschien bei Ondine.

Die 24 Préludes von Claude Debussy gehören zu den absoluten Meisterwerken jener Stilepoche, die gegen den Willen ihrer Hauptdarsteller Debussy und Ravel als Impressionismus bezeichnet wird. Sie präsentieren den ausgereiften Personalstil des Franzosen in all seiner Perfektion, jeder Klang ist ausgewogen, jede Verzierung am rechten Ort. Zugleich bleibt Debussy Neuerer, überschreitet fortwährend Konventionen und widerspricht Hörerwartungen, ohne dies allerdings dem Hörer auf die Nase zu binden wie es die sogenannten Expressionisten beinahe zeitgleich taten. Er verlangt dem Pianisten in jedem seiner Stücke Neues ab, alles Gelernte muss neu überdacht und erweitert werden, das Altbekannte bleibt nur darum im Hinterkopf, um die Modernismen als solche zu verstehen und umzusetzen. Zur adäquaten Bewältigung all dessen braucht der Pianist einen höchst verfeinerten Anschlag mit einer zuvor nie dagewesenen Nuancierung des Piano- und Pianissimobereichs. Dann kann ein beinahe multimediales Gesamtkunstwerk aus imaginären Bildern, Farben und Düften, Poesie und Wortkunst, entstehen, wobei die Namen der Stücke ausdrücklich nicht als Programm, sondern als literarische Charakterisierung des jeweiligen Stücks im Nachhinein fungieren.

Children’s Corner entstand zwei Jahre vor den Préludes und ist der knapp dreijährigen Tochter Emma-Claude, Chouchou genannt, gewidmet. Die Stücke sind nicht für Kinderhände, sondern (wenngleich keineswegs nur!) für Kinderohren geschrieben, erwecken die Spielecke zum Leben und berühren auf schlichte und doch pianistisch anspruchsvolle Weise. Von rauschenden Inspirationen wie dem an Griegs Holberg-Suite erinnernden Doctor Gradus ad Parnassum und dem Tanzenden Schnee reichen die Miniaturen über sanfte Kinderlieder bis zu dem jazzig-swingenden Golliwogg’s Cake Walk (ein seinerzeit dem Ragtime angehöriger Tanz, der eben auch in den Préludes Anwendung fand). Eine zentrale Inspiration für Children’s Corner dürfte Mussorgskys Liederzyklus „Детская“, Kinderstube, gewesen sein, über den Debussy 1901 enthusiastische Lobeshymnen schrieb und dabei die Schlichtheit der Mittel und die verfeinerte Empfindung hervorhob.

Paavali Jumppanen, der sich durch seine Einspielungen vor allem von Beethoven und Boulez bereits als vielseitig befähigter Musiker erwies, tritt nun in die Welt Debussys ein. Sein Gespür für diese Musik ist hinreißend, jedem Prélude verleiht der Finne Individualität und Eigenständigkeit, vereint dabei die Pole von Bodenständigkeit und bodenlos-schwebendem Eindruck. Zart und einfühlsam gestaltet er jede dynamische Nuance und erteilt jeglicher Härte und Starrheit eine klare Absage. So lässt er wahrlich Farben und Düfte entstehen. Children’s Corner bleibt genauso schlicht wie farbenprächtig, so, wie Debussy das Werk auch konzipierte. Es handelt sich um eine rundherum gelungene Einspielung dieser gut einhundert Minuten Musik, wo weder etwas besonders hervorzuheben noch etwas zu tadeln wäre, da schlichtweg alles auf ein und dem selben hohen Niveau erklingt.

[Oliver Fraenzke, Februar 2018]

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