The Gift of Music, CCL CDG1291; EAN: 6 58592 12912 0
Auf der Anthologie „Anything Goes“ hören wir zwanzig Aufnahmen von Ella Fitzgerald aus dem 1950er-Jahren. Von Gershwin über Rodgers and Hart bis zu Porter und Ellington ist dies eine bunte Sammlung geläufiger Jazz-Hits. Die CD erschien bei The Gift of Music.
Sie ist und bleibt eine der unverkennbaren und ergreifendsten Stimmen des letzten Jahrhunderts: Ella Fitzgerald. ’The First Lady of Song’ war einer der großen Ehrentitel, die sich die 1917 geborene US-Amerikanerin im Laufe ihrer 59-jährigen Karriere verdiente.
Alles begann mehr oder weniger durch einen Zufall: Ella Jane Fitzgerald, nach dem Tod ihrer Mutter auf sich allein gestellt, trat im Alter von 17 Jahren bei einer der Amateur Nights im Apollo Theater in Harlem, New York, auf. Sie plante, dort zu tanzen, doch entschied sie sich aufgrund der Konkurrenz und ihrer Nervosität spontan, im Stil von Connee Coswell vorzusingen, und gewann. Nur wenige Monate nach diesem Debüt wurde sie Chick Webb vorgestellt und tourte fortan mit seiner Band. Nach seinem Tod 1939 übernahm sie das Ensemble als „Ella and Her Famous Orchestra“, trat aber parallel auch mit dem Benny Goodman Orchestra auf und leitete eigene kleiner besetzte Projekte. 1942 verließ sie das Jazzorchester und startete eine Solokarriere bei Decca. Später gründete Norman Granz um sie als Leitfigur das Label Verve Records, dem sie bis zu dessen Verkauf 1963 treu blieb. Bis 1993, drei Jahre vor ihrem Tod, trat Ella Fitzgerald aktiv auf, machte 1991 ihre letzte Plattenproduktion und war in zahlreiche Film- und Fernsehproduktionen involviert.
Leichtigkeit und Klarheit sind Merkmale ihrer Stimme, deren Schönheit und empathischer Ausdruck bis heute berühren. Sie ist warm und emotional, lupenrein und absolut natürlich. Ihr Vibrato setzt sie nuanciert und kontextbezogen individuell ein, dekoriert damit nicht die ganze melodische Linie. Ella Fitzgerald vereint Zartheit mit Selbstbewusstsein und weiß, den Hörer mit ihrer Stimme „um den Finger zu wickeln“. Es gibt wohl nichts, was nicht „schön“ und angenehm klingt, wenn Ella es singt – treffliches Beispiel sind die Verse „I’ve been sitting on a fence and it doesn’t make much sense“ aus Sydney Robins und Charles Stavers‘ Standard Undecided, die bei vielen Sängern schlichtweg befremdlich wirken. So mag nicht verwundern, dass es Ella Fitzgerald war, die nach Aufkommen des Bebop wesentlich an der Entwicklung des ’Scat’ beteiligt war, worin sie mit ihrer drei Oktaven umfassenden Stimme instrumentengleich improvisieren konnte, ohne dazu sinnhafte Worte oder gar zusammenhängende Texte zu benötigen.
„Anything Goes“ ist eine Sammlung von 20 ikonischen Jazzsongs von 1950 bis 1959, viele in bekannten Aufnahmen. Sie sind allesamt tadellos remastered und klingen lebendig und frisch. Die Beschränkung auf die 1950er Jahre ergibt ein umfassendes Bild auf eine besondere Ära des Wandels. Weitere empfehlenswerte Sammlungen, die einen umfassenderen Überblick über Ellas gewaltiges Schaffen geben, sind „Ella Fitzgerald. Summertime. 40 Greatest Hits“ (2012, COIL Records) und „Ella Fitzgerald. Rhythm and Romance“ (2001, Black Box).
[Oliver Fraenzke, Januar 2018]