Anders Eliasson: Complete Works for Piano and Harpsichord
Label: NEOS; Katalog-Nr.:NEOS10831 / EAN: 4260063108310
Anders Eliasson war einer der enorm bedeutenden, wenngleich nicht gerade einer der einflussreichsten Komponisten des 20. und 21. Jh. Nun fragt man sich: Wie kann einer bedeutend sein, wenn er nicht einflussreich war? Dabei ist die Musikgeschichte reich an „Fällen“ wie diesem. Egal wohin man sieht: Anton Bruckner, Gustav Mahler, Franz Schubert und viele viele mehr – sie alle wurden zu Lebzeiten eher als musikalische Sonderlinge betrachtet, und ihre musikhistorische Bedeutung wurde erst Jahrzehnte nach ihrem Tod verstanden. Somit waren sie in der Nachschau sehr bedeutend, waren aber zu ihren Lebzeiten wenig einflussreich.
Ebenso, davon bin nicht nur ich überzeugt, wird es Anders Eliasson gehen. Schon jetzt, wenige Jahre nach dem tragischen Tod des schwedischen Komponisten, mehren sich die CD-Einspielungen seiner Werke, mehren sich die Stimmen derer, die Eliasson für eine der großen „Entdeckungen“ in der Musik des letzten Jahrhunderts halten.
Beim Münchner Label NEOS ist nun eine faszinierende CD erschienen, die in Form von Eliassons Klavierwerk einen eigentlich optimalen Einstieg in das Werk des Schweden erlaubt. Eliasson war ein Komponist, der zwar auch für große, ja, gigantische Besetzungen geschrieben hat. Doch seine musikalischen Keimzellen beruhen auf einem System, das im Grunde durch eine Reduktion musikalischer Querbezüge nach festgelegten Regeln eine erstaunliche, im besten Sinne unerhörte harmonische Freiheit gibt, die ganz anders funktioniert als das System der Serialisten und Dodekaphonen aber ebenso modern, eigentlich wesentlich progressiver ist.
Eliasson hat lediglich ein schmales Œuvre für Klavier und Cembalo hinterlassen, das bequem auf ein CD-Album passt. Die Auseinandersetzung mit dieser „Musik im kinetischen Schwebezustand“, wie der Booklettext sehr eindrücklich formuliert, wird jedoch lang anhaltend sein. Traditionelle Formen sucht man in Eliassons Klavierschaffen vergebens. Stattdessen gruppierte der Komponist seine Klavierwerke überwiegend in von ihm so benannte „Disegnos“ („Zeichnungen“). Da kommen vom Titel her erst einmal Erinnerungen an Debussys „Images“ auf. Doch die musikalische Wirkung ist ganz anders. Konnte man Debussys „Images“ einerseits in Anlehnung an die impressionistischen Maler verstehen und hatte der Komponist andererseits unverhohlen programmatische Titel vergeben, betont der Begriff „Disegno“ im Werk Eliassons eher eine Art von Skizzenhaftigkeit. Das wiederum soll nicht bedeuten, dass es sich um musikalische Skizzen, gewissermaßen nicht auskomponierte Werke, handeln würde. Es ist vielmehr ein klanglicher Eindruck. Während man sich Debussys Musik als Ölgemälde vorstellt, ist Eliassons Klavierschaffen eher eine kunstvoll reduzierte Kohlezeichnung auf Büttenpapier.
Andreas Skouras, der Pianist dieser Aufnahme, ist neben seiner Betätigung im Bereich des sogenannten Standardrepertoires ein ausgesprochener Fachmann für Neue Musik und ein begehrter Uraufführungspianist, der schon Werke von u.a. Wuorinen, Bolcom und Eliasson aus der Taufe hob. Auf CD legte er u.a. Einspielungen der Musik von Neutönern wie Isang Yun, Bernd Alois Zimmermann oder Kalevi Aho vor, und bewies dadurch Geschmack.
Vorliegende, in einer leider etwas kühl und vor allem zu dünn klingenden Akustik eingefangene Aufnahme (der Kammermusiksaal des Deutschlandfunks hat auf anderen Aufnahmen schon einmal besser geklungen, muss man leider sagen) ist ein wichtiger Beitrag zur Neuen Musik und eine bedeutende Repertoireerweiterung. Ob Skouras auch immer den richtigen Zugriff zur Musik findet, da bin ich mir hingegen nicht immer sicher. Gerade die zweifellos vorhandenen lyrischen Aspekte in Eliassons Musik und die dynamischen Abstufungen würde zumindest ich mir feiner (darf man sagen: empfundener?) wünschen.
[Grete Catus, Dezember 2017]