Am Nachmittag des 9. Dezember 2017 stellt Violina Petrychenko im Steinwayhaus München ihre CD „The Silent Voice of Vasyl Barvinsky“ vor. Abgesehen von drei Präludien ist es exakt das Programm ihrer CD inklusive des Klavierzyklus‘ ‚Liebe’ und der Ukrainischen Suite, außer den fünf Präludien spielt sie noch fünf Weihnachtsliederbearbeitungen als Zugabe.
Wie sich Vasyl Barvinsky als „Komponist als Noten“ bezeichnete, so lässt sich auch dieser Klaviernachmittag als „Konzert ohne Werbung“ betiteln. Dass zu Recitals oder Kammermusikveranstaltungen, die nicht durch die großen Veranstalter angeboten werden, nach wie vor nur eine Handvoll Zuhörer kommen – wovon sicherlich die Hälfte in persönlichem Kontakt zu den Musikern stehen –,wird mir immer schleierhaft bleiben. Hohe Qualität und bessere Sitzplätze zu vergleichsweise geringem Preis sind doch eigentlich mehr als verlockend! Vielleicht würde es ausreichen, genügend zu werben und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass überhaupt solche Veranstaltungen stattfinden. Denn davon war nichts zu sehen für dieses Konzert, und so musizierte Violina Petrychenko zu unrecht vor dem nicht einmal halb gefülltem kleinen Rubinsteinsaal des Steinwayhauses in München-Laim.
Konzerte sind intensivere Erlebnisse als CD-Aufnahmen, und so erfahre ich auch heute noch mehr als zuvor über die Musik des Ukrainers Vasyl Barvinsky, der bis Mitte der 1940er-Jahre hoch geschätzt und durch Auszeichnungen wie frühe Fernsehaufzeichnungen seines Schaffens geehrt, später allerdings durch Stalin geächtet und eingesperrt, dessen Werk verbrannt wurde. In der Musik wird seine Verwurzelung in der ukrainischen Tradition deutlich, doch auch das Böhmisch-Tschechische, der Einfluss durch seinen Lehrer Vítězslav Novák und dessen zu Antonín Dvořák zurückreichende Traditionslinie. Vielleicht lässt sich auch – wenngleich man es angesichts von Barvinskys Geschichte vielleicht nicht zu laut sagen sollte – eine dezent polnische und russische Färbung vernehmen, die mit der Musik Chopins und Rachmaninoffs in Verbindung steht. Das Melancholische, Traurig-Süßliche ist charakteristisch für die heute zu hörenden Werke, wenngleich vor allem im Klavierzyklus „Liebe“ immer wieder auch Hoffnung durchschimmert und sogar ein „Triumph der Liebe“ nach den Stationen „Einsamkeit“, „Leid“ und „Schmerz“ Einzug hält.
Petrychenkos Musizieren ist leidenschaftlich, aber doch gezügelt. Ein voluminöses Forte und eine nuancierte Pedaltechnik sind charakteristisch. Ihr Anschlag ist durch Präsenz und Kern gekennzeichnet, der Klang entsteht förmlich greifbar im Raum. Wo im Pianobereich größere Dynamikabstufungen gefordert sind, beweist sie ein breites Spektrum an Schattierungen im Mezzo und Forte, wobei sie nie blind drauf losprescht, selbst wenn die Musik durchaus dazu verleiten würde. Diese Mäßigung und Ruhe wirft einen angemessen edlen Glanz auf die Musik. Als Zugabe hören wir nach den Weihnachtsliedern noch die Karpatische Fantasie von Jurii Schamo, dessen raue Prägnanz einen angenehmen Kontrast zu der sanften Lieblichkeit Barvinskys schafft und den Hörer noch einmal besonders aufhorchen lässt. Schnell verstehen die Hörer, wie vielseitig doch die ukrainische Musiklandschaft ist, die uns, trotz Glière, Liatoschinsky und Stankowitsch heute beinahe vollkommen unbekannt ist – was, wenn nicht dieses Konzert, diente als vernehmbarer Appell, sie intensiver zu erkunden?
[Oliver Fraenzke, Dezember 2017]