Hans Rosbaud dirigiert Bruckner (8 CDs): Sinfonien Nr. 2–9 (Südwestfunk-Orchester Baden-Baden)
Katalog-Nr.: SWR19043CD / EAN: 747313904389
Als eine ganze neue Serie mit Aufnahmen von Hans Rosbaud bei SWRmusic angekündigt wurde, war ich überrascht. In meiner persönlichen Einschätzung war Rosbaud nun nicht eben ein Dirigent, dem ich, wenn ich Verantwortlicher eines CD-Labels wäre, eine Edition gewidmet hätte: Seine Verdienste um die (damals) Neue Musik sind unbestritten, und auch als Uraufführungsdirigent (u.a. für Strawinsky) hat Rosbaud sich seine Meriten wohl verdient. Es fällt mir jedoch auch jetzt noch schwer, ihn als bedeutenden Dirigenten einzustufen. Vergleicht man ihn etwa mit Michael Gielen, dem SWRmusic ebenfalls eine Edition gewidmet hat, ist kaum bestreitbar, dass Gielen (egal, was man von diesem Dirigenten halten mag, ich persönlich halte auch Gielen für keinen der „Großen“) im historischen Rückblick weitaus prägender gewesen ist als Rosbaud.
Zu meiner Überraschung angesichts des Beginns der Serie gesellte sich die Überraschung angesichts eines (fast) kompletten Bruckner-Zyklus, den Rosbaud anhand der Partitur-Ausgaben letzter Hand (die „Wiederentdeckungen der Urfassungen der Bruckner-Partituren war damals noch kein Thema) als damaliger Chef des SWF Sinfonie-Orchesters Baden-Baden für den Rundfunk unter Studiobedingungen eingespielt hatte.
Die grundlegende Überraschung war erst einmal, dass jemand wie Rosbaud überhaupt einen Bruckner-Zyklus hinterlassen hat. Die größere Überraschung aber war, dass er sich dann auch noch als einer der allerbesten Bruckner-Zyklen entpuppte, die ich bis dato zu Ohren bekommen habe.
In wirklich äußerst wohltuender Weise hat Rosbaud ab Mitte der 1950er-Jahre einen quasi idealen Kompromiss gefunden zwischen der feierlichen Würde, die diese Musik braucht (auch will) und dem gänzlichen Verzicht auf jeglichen überflüssigen pompösen Ballast. Auf geradezu geniale Weise spielt Rosbaud dabei auch die wirklich vorzügliche Mono-Tontechnik der damaligen SWF-Tonmeister in die Hände. Sie sorgt für einen (meistens) glänzend durchhörbaren Raum, der fast ganz ohne Hall auskommt, aber interessanterweise überhaupt nicht künstlich wirkt. Die Partitur scheint offen vor einem zu liegen, viele Einspielungen aus der Box klingen beinahe wie (sehr üppig besetzte) Kammermusik. Selbst bei ausgesprochenen „Boliden“ wie der Vierten oder der Achten wirkt das Orchester bis in die hinterste Stimme durchleuchtet.
Das war noch echte Tonmeisterkunst! Und was ist das für ein frappierender Kontrast zu den häufig verwaschenen, halligen Bruckner-Aufnahmen von heute und aus der jüngeren Vergangenheit! In der Tat hat man den Eindruck: Genau so, wie in diesen Mono-Aufnahmen aus den Jahren 1955 bis 1962 sollte Bruckner klingen – sowohl was das Dirigat angeht, als auch in Dingen der Tontechnik. Und das überrascht einen im Jahr 2017 dann doch.
Rosbaud ist mit diesem Zyklus ein wirklicher Geniestreich gelungen, der in seinem sonst gar nicht immer überzeugenden Nachlass als Dirigent, einzig dasteht. Der gesamte Zyklus wirkt wie aus einem Guss und braucht sich selbst hinter einschlägigen Bruckner-Referenzen nicht zu verstecken. Im Gegenteil: Ich denke, er wird bald selbst zu ebenjenen Referenzen gehören. Das größte Verdienst dieser fesselnden Mitschnitte ist es, dass sie so selbstverständlich klingen: Rosbaud hat es geschafft, dass man hier nichts, aber auch wirklich gar nichts infrage stellen möchte. Die komplizierte Konstruktion ist unhörbar, alles wirkt ganz organisch, die Tempi erscheinen optimal gewählt, nichts klingt aufgesetzt, nichts klingt bemüht, alles erscheint ganz leicht und flüssig.
Und so kann man nur konstatieren, dass diese Box eine wichtige, lohnende Veröffentlichung ist, deren einziges Manko darin besteht, dass sie eben (leider) kein kompletter Zyklus ist: Die erste Sinfonie fehlt. Nebenbei ist sie ein klingendes Plädoyer für das ganz erstaunliche klangliche Niveau, das die Mono-Rundfunktontechnik der 1950er-Jahre zu erzielen im Stande war.
[Grete Catus, Dezember 2017]