Abgründig, tiefgründig

Coviello Classics, COV 91701; EAN: 4 039956 917014

Eine im Jahr 2000 gemachte Liveaufnahme von Lavard Skou Larsen und den Salzburg Chamber Soloists ist nun bei Coviello Classics wiederveröffentlicht worden: Darauf sind Schuberts vierzehntes Streichquartett D810 in d-Moll mit dem Beinamen „Der Tod und das Mädche“ in einem Arrangement für Streichorchester des Orchesterleiters und Schostakowitschs Kammersymphonie op. 110a, die Bearbeitung des 8. Quartetts durch Rudolf Barschai, zu hören.

Zwei abgrundtief schürfende Streichquartette begeistern in der neuesten Wiederveröffentlichung der Salzburg Chamber Soloists unter Lavard Skou Larsen, sie beide behandeln den Tod auf ihre ganz eigene Weise. Schuberts berühmtes Quartett trägt seinen Beinamen aufgrund von Zitaten aus seinem gleichnamigen Lied im zweiten Satz, dem knapp fünfzehnminütigen Herzstück des groß angelegten Quartetts. Schostakowitsch bezog sich auf einen Film über das zerstörte Dresden 1945, worauf er in nur drei Tagen eine Trauermusik in Quartettform komponierte, welcher er seine Initialen D-Es-C-H zugrunde legte. Das Quartett besteht aus fünf Sätzen, ist jedoch eigentlich ein einziges zusammengehöriges Gebilde. Ungeachtet aller stilistischen Unterschiede verbindet die Quartette ihr feines Gespür für harmonische Finessen, eine tiefgründige Komplexität und nachtschwarze Todesnähe.

Erst vor wenigen Tagen hörte ich das Orchester in Kempten mit Schostakowitschs Kammersymphonie, siebzehn Jahre nach vorliegender Aufnahme. In dieser Zeit hat sich der Zugang stark gewandelt, andere Aspekte rückten ans Licht und andere Schwerpunkte wurden gesetzt. Dies soll nicht bedeuten, dass die damalige Aufführung schlechter oder unvollständiger wäre als die heutige – es zeigt sich lediglich, dass sich Lavard Skou Larsen selbst nach einer wahrhaft gelungenen Aufnahme nicht zurückgelehnt hat, sondern ständig weiter an seinem Repertoire forscht und immer Neues hervorholt. Die Musik ist nie starres Endprodukt, sondern flexibel sich ständig aktualisierendes Eigenleben. Die Salzburg Chamber Soloists bestechen mit voluminösem Sound in technischer Vollendung und klanglich feinster Nuancierung. Nie driftet der sich ständig metamorphosierende Fluss ins Verträumte ab, nie wird haltlos nach vorne gestürmt, alles hat einen unentrinnbaren Sog, der den Hörer erbarmungslos durch die fünf bezwingend zusammengeschweißten Sätze schleift.

Eine der schwierigsten Aufgaben hinsichtlich zusammenhängender musikalische Gestaltung ist seit jeher die Musik Schuberts, dessen harmonisch bis ins letzte Details ausgearbeitete Sätze eine subtile und nur den wenigsten Musikern sich wahrhaft eröffnende Komplexität entfalten, über deren Abgründe und Feinheiten fast immer viel zu belanglos hinweggespielt wird – und damit am Kern der Musik vorbei. Dass Schubert adäquat dargeboten stets aufs Neue unwiderstehlich verblüfft, war mir durchaus bewusst, aber dass seine Musik eine solch elementare Wucht und unmittelbare Durchschlagskraft aufweist wie in dieser Aufnahme, hat mich nun doch zutiefst erstaunt. Die großformatigen Sätze sind aus einem Guss ohne jegliches energetische Einknicken erfasst, dabei werden auch versteckteste Nuancen blendend herausgefeilt und mit entfesselter Liebe in das Gesamtbild integriert. Gerade im zweiten Satz, in den meisten Aufführungen langatmiger Melancholie erliegend, entstehen magisch transzendente Augenblicke, die allerdings nicht isoliert, sondern in alles umfassendem Zusammenhang erstrahlen.

Zwei tragische Komponistenfiguren sind hier in selten bis nie dagewesener Qualität zu hören. Musikalisch so fein erarbeitete Werke sind eine absolute Rarität, und das mit solch einem sensiblen Gespür für den alles durchdringenden Strom der Töne – eine Pflichtlektüre für jeden Menschen, der die Subtilität seiner Wahrnehmung erweitern möchte.

[Oliver Fraenzke, März 2017]

 

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