Sony classical; EAN: 8 89853 95702 6
Der Titel des Albums von Olivia Salvadori und Sandro Mussida stellt ein Wortspiel dar: Dare Voce. Bedeutet dare im Italienischen „geben“, so steht es im Englischen für „wagen“ oder „riskieren“. Und Salvadori (die übrigens auf beiden Sprachen singt) arbeitet mit beidem, sie gibt ihre Stimme dem Experiment hin und wagt diese abenteuerliche Reise.
Die Kombination aus klassischer Musik und elektronischen Komponenten zu einem in das weite Feld der experimentellen Popularmusik fallenden Klangresultat ist keine Neuheit und es gibt zahlreiche gelungene Wagnisse in diesem Bereich, so wie von Constance Hauman mit Falling Into Now. Dies bedeutet glücklicherweise keinesfalls, dass dieses Feld bereits ausgeschöpft ist und so kann sich auch „Dare Voce“ als eigenständige Neuheit hier eingliedern. Wie der Titel bereits kundtut, steht die menschliche Stimme im Vordergrund der Produktion. Bleibt diese elektronisch unangetastet, ist es hauptsächlich die instrumentale Untermalung, die auf diese Weise umgekrempelt und angereichert wird, sei es durch die Hinzunahme von Geräuschen aus der Umwelt oder durch rein elektronisch erzeugte Klänge.
Es ist eine glockenreine Stimme, die sich über der ungewohnten Kulisse aufbaut. Olivia Salvadori passt stimmlich sowohl in die klassische Oper als auch in ein Pop- oder Rockkonzert, demonstriert reine Intonation in großer Amplitude und makellosen Umgang mit Stimmtechniken aus scheinbar uneinbaren Gattungen. Im Mix verschmelzen Singstimme und Instrument nicht durchgehend zu einer zusammengehörigen Einheit und doch bleibt die resultierende Atmosphäre „stimm“-ig.
Jedes der neun von der Sängerin und von Sandro Mussida konzipierten Stücke hat eine andere instrumentale Aufstellung und eröffnet neue Räume. Die Klangreiche sind allgemein sperrig und schwer durchdringbar, stellen den Hörer anfangs auf eine schwierige Probe, sie zu ergründen. Sie haben keine erkennbare Stringenz oder mitreißende Geradlinigkeit, viel eher handelt es sich um live miterlebbares Experimentieren und Spielen mit Klang. Die Musik ist auf den magischen Moment in schillernden Farben und betörenden Augenblicken aus.
Ich maße es mir nicht zu, über eine solche Forschungsarbeit ein Urteil zu fällen, zumal wenn es sich wie hier um eine Art „work in progress“ handelt, die sich immer weiter verfeinert und sich ihrer Selbst bewusster wird. So bleibt, gespannt zu sein auf zukünftige Projekte von Salvadori und Mussida. Vielleicht werden diese nun auch noch die Struktur der Musik mehr berücksichtigen, ein erkennbares Gerüst errichten und sich der formellen Proportionierung bewusster sein. Dieses Feld der Musik steht noch für alles offen.
[Oliver Fraenzke, Februar 2017]