Der vergessene Tiroler

Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 73

(zu erwerben ausschließlich üben:
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Da werde ich auf eine CD aufmerksam mit einem Komponisten, von welchem ich nie im Leben gehört hätte, von dem mir nicht einmal der Name ein Begriff war. Doch stellt sich heraus, wie phantastisch diese Musik ist, und so nutze ich den Anlass des einjährigen Jubiläums von The New Listener, diese schon etwas ältere CD von 2010 zu besprechen, deren Mitwirkende – zumindest zweien von ihnen – ich bereits in meiner allerersten Besprechung auf dieser Plattform rezensierte.

Emil Berlanda ist kein Komponist, der in Vergessenheit geraten ist – nein, er war noch nie im Bewusstsein der Hörer vorhanden, weder zu Lebzeiten noch danach. Sein nicht allzu langes Leben von 1905 bis 1960 war geprägt von Misserfolg und Krankheit: Kaum ein Konzert erhielt der in Innsbruck lebende Musiker, welcher sich das Orgelspielen wie auch das Komponieren autodidaktisch beigebracht hatte, lediglich für Rundfunkaufführungen oder für Laienbühnen wurde er engagiert; dabei wurde er immer wieder behindert durch die Multiple Sklerose, an der er die letzten ca. zwanzig Jahre seines Lebens litt. So kommt es, dass drei einige Werke zu Lebzeiten nie vor Publikum aufgeführt wurden: Die Musik für konzertantes Klavier und Orchester sowie die Sinfonietta erklangen lediglich im Rundfunk, die Sinfonischen Variationen, sein spätes Hauptwerk, waren gar nie gespielt worden.

Zum 50. Todestag des Komponisten wurde dies von Karlheinz Siessl und dem Orchester der Akademie St. Blasius nachgeholt. Initiiert von Manfred Schneider, welcher auch den ausführlichen und informativen Booklettext verfasste, führten die Musiker am 31. Juli und am 1. August 2010 in der Basilika Stift Stams einige Orchesterwerke Berlandas auf, darunter die drei genannten Uraufführungen. Bei www.musikland-tirol.at erschien der Mitschnitt auf CD.

Das Programm beginnt mit der dreisätzigen Suite für Orchester op. 13 von 1931, die Berlandas intensive Beschäftigung mit modernen Komponisten widerspiegelt und an Klänge unter anderem des frühen Schönberg, von Debussy und Strauss gemahnt, dabei jedoch eine unverwechselbar eigene Note hat und bereits Qualität von überregionalem Rang besitzt. Von ausgefeilter Form, herrlicher instrumentaler Farbigkeit und stringentem Spannunsverlauf ist die Sinfonietta op. 18 von 1933 geprägt, ein hochkomplexes Werk von knapp dreizehn Minuten Länge. Die Musik zu Georg Büchners Leonce und Lena op. 25 von 1934, bestehend aus Vorspiel und Melodram (Sprecherin ist Christine Schallbaumer), kann die gehässige Skurrilität der Literaturvorlage ausgezeichnet musikalisch charakterisieren und akustisch ergänzen – beißender Humor und absolute Prägnanz zeichnen diese Musik aus. Eine moderne Umsetzung der Musik von Berlandas Idol Johann Sebastian Bach in Form und Kompositionsweise ist die Musik für konzertantes Klavier und Orchester op. 31 (1936) – hier mit dem Solisten Michael Schöch –, in der eine unvergleichlich gelungene Synthese erreicht ist. Wohl der Gipfel seines Schaffens sind die Sinfonischen Variationen op. 43 aus dem Jahr 1942, die erst im hier aufgezeichneten Konzert 2010 zur Uraufführung kamen. Berlandas Musik ist gleichzeitig so unmittelbar wirkend, dass sie einen sofort in den Bann nimmt, andererseits derart komplex, dass es mehrfaches Hörens bedarf, um die Werke einigermaßen in ihrer Struktur verstehen zu können. Der Satz ist gezeichnet von Kontrapunktik und einem dichten Gewebe aus Stimmen, wobei sich diese auf rhythmisch markante Themen und Motive stützen, die durchaus auch im Ohr bleiben. Es herrscht eine stete Spannung, die stellenweise gar Gänsehaut erzeugen kann, so intensiv und durchdringend ist sie. Jedes Stück ist ein Solitär und trägt die eindeutige Handschrift Berlandas, Vergleiche zu anderen Komponisten der Zeit können definitiv nicht das klingende Resultat umschreiben. Hier liegt Musik von einem grandiosen Komponisten internationalen Ranges vor, dessen bisherige Unbekanntheit eine wirkliche Vernachlässigung der Musikforschung ist, die dringend aufzuholen ist!

Karlheinz Siessl leitet sein Orchester der Akademie St. Blasius auch hier in der von neueren Aufnahmen gewohnten überragenden Qualität mit größter Dichte, Einfühlungsvermögen und flexibler Reaktion auf das Erklingende. Es wird deutlich, wie sehr den Musikern an der Musik liegt, und ich frage mich, wie lange sie daran geprobt haben, um ihr auch gerecht zu werden. Der Dirigent nannte die Musik einmal das Beste, was er je eingespielt habe – und das will etwas heißen angesichts der Meisterwerke, die er sonst noch entdeckt und auf CD eingespielt hat. Karlheinz Siessl kann sein Orchester in jeder Stimme Leben entfachen lassen und alles hörbar machen, auch gelingt es ihm, die Spannung das gesamte Stück über aufrecht zu halten, ohne gelegentlich abzufallen. In dieser frühen Aufnahme des Pianisten Michael Schöch hört man noch etwas den gleichförmig kräftigen Anschlag der Orgel heraus, welche er ebenso wie das Klavier beherrscht (mittlerweile hat er den Anschlag am Klavier verwandelt und agiert feinfühliger auf die sensible Ansprache des Flügels). Doch schon 2010 zeigt sich sein herausragendes Talent und seine Gabe, die Musik fast wie absichtslos entstehen zu lassen. Schöch und das Orchester verschmelzen dabei erstaunlichem Einklang. Sie wirken in makellosem Einvernehmen zusammen, wie es nur selten zu hören ist.

Wie bereits gesagt, bei Berlanda herrscht dringender Nachholbedarf! Seit der Gründung von The New Listener war es mir ein stetes Anliegen, nicht nur den großen Namen eine weitere von unzähligen Besprechungen zu geben, sondern auch für das Unbekanntere einzustehen und dieses vielleicht etwas ans Licht zu rücken. Es wäre für mich der schönste Beweis, etwas erreicht zu haben in diesem einen Jahr, wenn es tatsächlich neue Aufführungen der von uns besprochenen Musik geben sollte, oder falls vielleicht ein Verleger oder ein Label dadurch auf diese Musik aufmerksam würde und sich auch dafür einsetzte. Hier kann ich den Finger heben und zeige auf Berlanda.

[Oliver Fraenzke, Juli 2016]

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