Archiv für den Monat: Februar 2016

[Rezensionen im Vergleich 4a:] Von Argentinien zu Bach und wieder zurück

Schuler_Bild

Der hierzulande noch unbekannte junge argentinische Klaviervirtuose Hugo Schuler gab am Sonntag, den 31. Januar 2016, um 20 Uhr, ein Klavierrecital im Freien Musikzentrum München und führte dabei Werke von Johann Sebastian Bach, Heinrich Kaminski, Reinhard Schwarz-Schilling sowie Julio García Cánepa und Alberto Ginastera auf.

Vorab sei gesagt: wie schön, dass uns das Freie Musikzentrum die Begegnung mit so außergewöhnlichen Musikererscheinungen wie Hugo Schuler oder zuletzt der legendären Pianistin Beth Levin aus Brooklyn ermöglicht. Man hätte viel mehr Publikum verdient, doch ist es nicht leicht, in einer Musikmetropole wie München auf sich aufmerksam zu machen.

Die Verknüpfung der beiden Komponenten Bach und Argentinien unterstreicht eine Tradition, die bereits seit Astor Piazzolla besteht. Doch am vorgestrigen Abend erreichte sie in Münchens Freiem Musikzentrum einen künstlerischen Höhepunkt, was auch einem ausgefeilten Konzept der Veranstalter zu verdanken ist. So war es Herrn Christoph Schlüren in seiner Konzerteinführung ein Anliegen, das Kontrapunktische von Bach bis hin ins 20. Jahrhundert zu verfolgen und mit argentinischer Musik zu kontrastieren.

Die Verkörperung der Symbiose von elaboriertem Kontrapunkt und lateinamerikanischer Lebensfreude ist Hugo Schuler selbst, eine der hoffnungsvollsten Pianistenbegabungen Argentiniens, der in seiner Heimat bereits als ein Spezialist auf dem Gebiet der Kontrapunktik und insbesondere Bachs gilt. Bereits in der ersten Konzerthälfte konnte er dies in den allbekannten Goldberg-Variationen BWV 988 Johann Sebastian Bachs beweisen. Wenn man bedenkt, dass dieses vielgespielte Spätwerk des Komponisten im Originaltitel eine Clavier Übung bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen darstellt, muss man gleich vorweg klären, dass Schuler sich an zwei Dinge nicht hielt: An die 2 Manuale, was aber nur Vertreter historisch informierter Aufführungspraxis gelegentlich berücksichtigen (und instrumental auf dem Konzertflügel unmöglich gewesen wäre), sowie an die Wiederholungsvorschriften, um die Länge des Recitals in menschlichen Grenzen zu halten. Durchweg glänzt der Argentinier durch absolute Texttreue und ein Gedächtnis, das jede Note dieses Konzerts auswendig wiederzugeben vermochte. Und durch eine beachtliche Musikalität: Die themengebende Aria nimmt er betont langsam, er lässt sich Zeit, jede Stimme, jede Artikulation und Verzierung ohne Routine auszuformulieren. Auch jeder noch so nebensächliche Akkord erhält bei ihm Bedeutung und wird Teil der logischen Entwicklung dieses Anfangs. Bei den meisten Variationen selbst nimmt Schuler den eigentlichen Zweck der Übung ernst und verbindet teils sehr rasche Tempi mit absoluter Tastensicherheit. Andererseits kann man nicht sagen, dass sein Spiel irgendwie auch nur ansatzweise trocken gelehrsam klänge, sondern schlicht belebt und jeweils mit Bedacht auf den Charakter jeder Variation. Wobei es natürlich einzelne Abschnitte gibt, die durch ihre starke motorische Ähnlichkeit in der Gestaltung charakteristische Gruppen bilden wie beispielsweise die Var. 9 bis 12. Immer wieder zeigt Schuler sehr originelle Ansätze, wie etwa in Var. 1, wo viele Pianisten das Tempo recht schnell nehmen, während er es gemäßigt nimmt und der Variation somit Raum für Entwicklung lässt. Seine eigentliche Stärke, die Kontrapunktik, wird ihm in manchen Stellen etwas zum Nachteil, so etwa in Var. 15 (die erste Variation in g-Moll). Da Schuler hier den kanonischen Charakter hervorhebt, geht der thematische Zusammenhalt im Gewebe leicht unter, trotz seiner artikulatorischen Kompetenzen. Allerdings sind dies Marginalien angesichts der Souveränität, mit der er den Zyklus beherrscht. Seine Anschlagstechnik, mal sehr direkt, mal sehr weich, doch meistens genau abgestimmt, fügt sich sehr harmonisch dieser anspruchsvollen Musik. Besonders intensiv gelingt ihm Var. 25, deren Lamentocharakter er dezent wiedergibt. Gleichzeitig betont Schuler die dissonanten Akkorde und gestaltet am Ende der Variation einen bewussten Höhepunkt auf dem Ton d3, was angemessen und auch logisch klingt und einen gewissen Mut erfordert, wenn man bedenkt, dass Bach und seine Zeitgenossen kaum dynamische Vorgaben machten.

Insgesamt handelte es sich um eine höchst erbauliche Darbietung der Goldberg-Variationen, welche an manchen Stellen noch etwas mehr Tiefe vertragen hätte, aber durch ihr durchdachtes und technisch ausgereiftes Spiel überzeugte. Die nach der Pause folgenden Komponisten Heinrich Kaminski (1886–1946) und Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985, Vater des Bundesministers a.D. und Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina Christian Schwarz-Schilling), verbindet nicht nur ihr Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern auch die Tatsache, dass sie in der europäischen Kunstmusik des 20. Jahrhunderts ihre eigene, durchweg humane Musiksprache finden wollten, auch als Haltung gegen die Weltkriege und den Hass, der sie umgab. Speziell Kaminski, so Schlüren, schuf eine neue Art des Kontrapunkts und der Metrik, die beide sehr melismatisch durchbildet sind. Das klangliche Ergebnis in Kaminskis Präludium und Fuge (in der ersten Hälfte der 1930er Jahren komponiert) bietet neben emphatisch auf- und abrollenden Stimmenverläufen auch jede Menge Ornamentik, die Schuler sehr organisch zu entfesseln vermag. Obgleich die Fuge an sich auf klarem f-Moll fußt, enthält sie viele chromatische Verwicklungen und geht mit ihrem tonalen Geflecht und ihrer Stimmverknüpfung sehr frei um. Schuler gelingt es, diese Musik Gestalt werden zu lassen, ohne ihre im weiteren Verlauf durchaus auch zerklaffende Struktur zu kaschieren. Gleiches gilt für die 1968 entstandene Klaviersonate von Schwarz-Schilling, die Herr Schlüren als klanglich am Orchester und in ihrem Klangcharakter und der eigenwilligen Dissonanzbehandlung als an Sibelius in seinen kühnen Werken wie ab der 4. Symphonie erinnernd beschreibt. Nicht zu Unrecht, und das eröffnende Vivace zeigt sowohl Ansätze eines Sonatenhauptsatzes wie einer Fuge und basiert selbst im Seitensatz auf dem Hauptmotiv des Anfangs, welches Schuler, wie vorgeschrieben, martellato spielt. Sind die strukturelle Bündigkeit und Technik nach wie vor die Stärken des argentinischen Klaviertalents, so ist es die Fähigkeit zur verfeinerten Lautstärken-Verteilung, an der der junge Pianist noch feilen müsste, gerade in der Sonate mit ihren zahlreichen dynamischen Gegensätzen und Überraschungen. Im zweiten Satz, Larghetto cantabile, hat Schuler damit kein Problem. Dieses meditative Intermezzo erscheint in seiner phrygischen Thematik und der renaissanceartigen Stimmführung bewusst schlicht geformt. Dabei versteht Schuler es abermals, klanglichen Leerlauf zu vermeiden durch sein pointiertes Spiel (das er bewusst-unbewusst durch Mitsummen begleitete). Unter seinen Händen erfüllen sich die Anweisungen Schwarz-Schillings, der „keine Unterbrechung des Flusses“ und den „Eindruck eines Gesamt-Zeitmaßes“ fordert. Für symphonische Symmetrie sorgt der dritte Satz, auch ein Vivace, der die Motivik des ersten aufgreift, gleichwohl anders weiterentwickelt und auf knappem Raum allerlei Formelemente, auch die einer Passacaglia, hervorbringt. Überflüssig zu erwähnen, dass Schuler auch dieses stürmische Finale vollendet beherrschte.

Mit den letzten beiden Komponisten würdigte Hugo Schuler seine Heimat und bewies, dass er nicht nur komplex durchstrukturierte Musik beherrscht. Die Suite A Don Benito, die der argentinische Komponist Julio García Cánepa, derzeit Dekan im Departamento de Artes Musicales in Buenos Aires, komponierte, bezieht sich auf drei Gemälde des berühmten argentinischen Malers Benito Quinquela Martin (1890-1977): I. Barco en el Astillero (Das Schiff in der Werft), II. A pleno sol (In voller Sonne), III. Cemeterio de Barcos (Friedhof der Schiffe). Allein die Auswahl der Titel vermittelt einen abstrakten Eindruck, den Cánepa in seinem Werk deutlich und stimmungsvoll artikuliert. Das dritte Stück dominiert eine markante Basslinie, die aber immer verkürzter erklingt, bis das ganze Spiel in einen einzigen Cluster mündet. Diese eigenwillige Schöpfung gibt Schuler satztechnisch lupenrein wieder, zudem vermag er es, die morbide Stimmung der Suite angemessen entstehen zu lassen. Gegensätzlicher dazu könnte das letzte Werk des Abends, die drei Danzas argentinas Op. 2 (1937) von Alberto Ginastera, der heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, nicht sein. Herr Schlüren bezeichnet dieses Werk gar als Stück im Stilo popolare. In gewisser Weise spannt Schuler mit dieser Wahl nun einen Bogen zu Bach, wie man schon dem ersten Tanz, dem Danza del viejo boyero (Tanz des alten Hirten) entnimmt. Dieser Tanz ist wesentlich von einer perpetuierenden Motorik geprägt, wie sie in vielen Toccaten Bachs, aber auch bei Sergej Prokofieff auftaucht. Die darauffolgende Danza de la moza donosa (Tanz des schönen Weibes) orientiert sich an den Rhythmen des Tango wie der Habanera und könnte leicht ins Triviale abgleiten, würde Schuler diesen Satz, der einige harmonischen Spannungen birgt, nicht mit solch unbestechlicher Konzentration vortragen und in seinen Nuancen geschmackssicher auskosten. Die abschließende Danza del gaucho matrero (Tanz des vogelfreien Gauchos) bestätigt final die Dreiersymmetrie: Ähnlich vital wie der erste Tanz, birgt dieser wilde Kehraus deutlich mehr verschachtelte Rhythmen und Harmonien, geht aber immer mehr in eine offensichtliche C-Dur-Apotheose über, die Hugo Schuler mit all seiner Fingerfertigkeit zelebriert, ohne je den geringsten Eindruck selbstverliebter Virtuosität zu machen.

Bei solch einem originellen und zugleich hintersinnigen Programm bleibt nur zu wünschen, dass Hugo Schuler, der kommende Bach-Exeget Argentiniens, auch weiterhin hier in Europa auf sich aufmerksam machen wird.

[Peter Fröhlich, Februar 2016]

Eine hohe Inspiration

Inspired by MOZART

Julius Berger, Violoncello
Margarita Höhenrieder, Klavier

Nimbus Alliance NI 6319
0 710357 631924

Ulrich0014

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Zwölf Variationen über das Thema „Ein Mädchen oder Weibchen“ aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ op. 66 (1798)
Ludwig van Beethoven
Sieben Variationen über das Thema „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ Kinsky-Halm WoO 46 (1801)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
„Anfang eines Adagios“ für Violoncello und Klavier nach dem Fragment KV 480a (1790)
Franz Xaver Mozart (1791-1844)
„Grande Sonate für Klavier und Violoncello (oder Violine) E-Dur, op. 19 Nottelmann WV VI: 13 (1814)
(Amadame Josephine de Baroni, geborene Comtesse Castiglioni gewidmet)
Ludwig van Beethoven
Sonate für Klavier und Violoncello A-Dur, op. 69 (1809)
(dem Freiherrn Ignaz von Gleichenstein gewidmet)

Wenn eine exzellente Pianistin und ein hervorragender Cellist eine CD mit ausgezeichneter Musik aufnehmen, kann eigentlich nur etwas Außergewöhnliches draus werden, oder? Wenn dazu noch ein hochqualifizierter Tonmeister zur Verfügung steht,  kann sich das Ergebnis sowohl vom Musikalischen als auch vom Tontechnischen her hören und sehen lassen, wie die vorliegende CD zeigt. So ein direkt aufgenommener Flügel und ein wohlklingendes Violoncello sind selten in der weitgehenden Balance, kein Wunder, dass die Musik wie im echten Raum zu entstehen scheint. Natürlich sind das – bis auf eine Ausnahme – keine Novitäten, die man da zu hören bekommt, aber das Wie ist es eben, das den Unterschied macht. Auch wenn ich mir an einigen wenigen Stellen das Klavier zugunsten des Cellos etwas weniger im Vordergrund gewünscht hätte, so höre ich doch die beiderseitige Lust am Spiel und an der Gemeinsamkeit des Musizierens. Mit aller Energie und Spielfreude wird hier gespielt. Und die Sonate von Mozarts Sohn Franz Xaver ist eine echte Entdeckung, die seine quälenden Selbstzweifel im Nachhinein Lügen straft, ein absolut gelungenes Werk, dessen drei Sätze durchaus beeindrucken. Besonders das Andante espressivo lässt an musikalischer Tiefe und melodischem Reichtum nichts zu wünschen übrig.
Die Beethoven’sche Sonate op. 69 ist zum Abschluss natürlich das Stück, um die Möglichkeiten dieser Instrumental-Kombination, die ja auch heute mit den verschiedensten Musiker-Persönlichkeiten gut im Konzert vertreten ist, besonders eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. So bleibt nur zu wünschen, die beiden Musiker nicht nur auf CD, sondern als Steigerung live im Konzert zu hören.

[Ulrich Hermann, Januar 2016]