Die verbotene Symphonie erstmals in kritischer Edition

Musikproduktion Jürgen Höflich (mph); Repertoire Explorer; Study Score 1566

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må aldrig opføres“ prangt noch immer auf dem Deckblatt des Manuskripts der einzigen Symphonie eines der beliebtesten Komponisten der Romantik, und verhinderte deren Rezeptionsgeschichte grundlegend. Im Deutschen heißt die Übersetzung: Darf niemals aufgeführt werden. Warum Edvard Grieg 1867 sein Werk für immer verbannt wissen wollte, ist bis heute ungeklärt. Fest steht nur, dass der Plan zu diesem großformatigen Werk, ebenso wie der Ansporn zu der einzigen Klaviersonate e-Moll op. 7 und der ersten Violinsonate F-Dur op. 8, dem dänischen Komponisten Niels Wilhelm Gade (1817-1890) zu verdanken ist. Nach Griegs Studium in Leipzig, zu dem ihm der überragende norwegische Violinvirtuose und Komponist Ole Bull (1810-1880) geraten hatte, nahm er in Kopenhagen Unterricht bei dem an Mendelssohn geschulten bedeutenden Symphoniker Gade, der die unverrückbare Überzeugung vertrat, ein wahrer Komponist müsse Sonaten und Symphonien schreiben. So versuchte sich Edvard Grieg in beidem, doch wurde er sehr bald schon von norwegischen Kollegen davon abgebracht und spezialisierte sich von da an vor allem auf eine „Musik, die [s]eine Heimat ehrt“, wie er noch in seinem Todesjahr Ole Bull zitierte (nachzulesen in Arthur M. Abells „Gespräche mit berühmten Komponisten“ von 1962). Miniaturen und Lieder wurden sein Schwerpunkt, Genres, in denen er hunderte großartige Meisterwerke schuf. Der großen Form frönte Grieg hingegen nur in wenigen Einzelfällen, nach den Erstlingssonaten sollten noch zwei für Violine und eine für Cello folgen, ansonsten gibt es eine hinreißende Ballade für Klavier und ein herausragendes Streichquartett, an dem sich Debussy sehr für sein eigenes Quartett in gleicher Tonart inspirierte, sowie natürlich sein Klavierkonzert a-Moll und darüber hinaus lediglich vier weitere längere unzertrennbar zusammengehörige Werke („Im Herbst“, „Aus Holbergs Zeit“, „Bergliot“ und „Altnorwegische Romanze mit Variationen“). Jedoch schon seit jeher sein größter Kritiker war Grieg selbst und so mussten sich etliche Werke unzähligen Revisionen unterziehen, die Orchesterstimmen seines Klavierkonzerts beispielsweise veränderte er immer wieder bis zu seinem Lebensende und auch zwei Sätze seiner Klaviersonate erhielten eine Zweitfassung. Doch die Symphonie geriet niemals unter Bearbeitung, sie wurde noch vor der ersten kompletten Aufführung verboten, drei Jahre nach der Fertigstellung 1864. Quellen gehen davon aus, die Rücknahme der c-Moll-Symphonie habe mit der Uraufführung der Erstlingssymphonie seines Landsmanns Johan Severin Svendsen (1840-1911) zu tun, deren orchestraler und formaler Qualität und insbesondere auch explizit nordischer Erscheinung sich Grieg unterlegen fühlte, wenngleich sein eigenes Orchesterschaffen viel eher Schumann zuneigt. Belegt ist diese Begründung freilich nicht, aber es kam jedenfalls zu jenem folgenreichen Verbot auf dem Vorsatzblatt, welches die Symphonie das ganze Leben ihres Schöpfers über ruhen und auch nachher ein Dreivierteljahrhundert lang stumm bleiben ließen. Nach dem Tod des Komponisten ging das Manuskript an die Öffentliche Bibliothek in Bergen, die seinem letzten Willen treu blieb. Erst dank den Kalten Krieg kam es zu einer überraschenden Wende: Russen verschafften sich eine Fotokopie des Manuskripts, und Vitalij Katajev führte die Symphonie ohne Zustimmung Norwegens im Dezember 1980 erstmals vollständig auf, die Sowjets machten gar eine Rundfunkeinspielung. Doch die Norweger holten sich ihr nationales Anrecht bald zurück, indem sie selber für die nunmehr geradezu rasante Verbreitung der Symphonie sorgten: Bereits im März 1981 wurde die erste Schallplatte produziert, und 1984 veröffentlichte C. F. Peters, der Stammverleger Griegs, die Partitur (Nr. 8500).

Bei der Übertragung des Manuskripts geschahen damals unzählige, teils gravierende Fehler. Aus diesem Grund entschloss sich „Repertoire Explorer“ (in der Musikproduktion Jürgen Höflich [mph] in München), eine kritische Ausgabe zu erstellen. Grundlage dieser ist eine Gegenüberstellung des Manuskripts und der Studienpartitur durch den bereits 2011 verstorbenen bedeutenden Griegforscher Klaus Henning Oelmann, dessen Promotionsschrift „Edvard Grieg. Versuch einer Orientierung“ neben „Edvard Grieg. Mensch und Künstler“ von Finn Benestad und Dag Schjelderup-Ebbe die wohl umfassendste deutschsprachige Forschungsquelle zu dem berühmten Norweger darstellt. Auf den Seiten 484 bis 517 von Oelmanns Arbeit sind alle Abweichungen zwischen Autograph und Peters Ausgabe, exakt mit Taktzahl und Instrument angegeben, aufgelistet. Marius Hristescu wählte schließlich diejenigen davon aus, die ihm für eine Edition sinnvoll erschienen, da sie bei Peters sichtlich fehlerhaft sind, und nahm auch einige zusätzliche Ergänzungen vor, wo auch Grieg in seinem Manuskript beispielsweise eine Dynamikbezeichnung für ein Instrument vergessen hatte.

Es steht außer Zweifel, dass diese neue Edition wesentlich verlässlicher ist als die Peters-Ausgabe, wie der vierseitige kritische Bericht unmittelbar bezeugt. Die Urtext-Edition besieht alle Quellen und fügt begründet neue Änderungen in den Notentext ein und verbessert somit auch das Manuskript des Komponisten. Die häufigste Art dieser Eingriffe bezieht sich auf dynamische Angaben sowie Phrasierungsvorschriften, doch sind sogar auch ein paar falsche Noten korrigiert worden. Von einer gänzlich fehlerfreien Neuausgabe lässt sich trotz aller Fehlerbehebungen dann allerdings doch nicht sprechen, alleine in den ersten 100 Takten finden sich zwei marginale Druckfehler der Peters-Ausgabe, die Marius Hristescu übernommen hat, obgleich sie von Oelmann als fehlerhaft erfasst ausgewiesen sind (Takt 59: Piano der Klarinette fehlt, während es in der parallel verlaufenden Flöte vorhanden ist / Takt 94: Crescendo des zweiten Fagotts wurde vergessen, da das Crescendo des ersten Fagotts missverständlich gesetzt ist). Dessen ungeachtet ist die neue Edition wesentlich korrekter als die erste und bisher einzige Edition. Auch das Notenbild ist deutlich angenehmer zu lesen, durch den Abdruck aller Notenzeilen braucht der Leser nicht andauernd zu suchen, welche Stimmen nun gerade aktiv sind, außerdem sind die Systeme deutlich größer. Das Vorwort von Wolfgang Eggerking ist äußerst aufschlussreich und informativ geschrieben, zudem angenehm und fließend zu lesen. Die einleitenden Worte des Peters-Erstdrucks gaben zwar ebenfalls einige wissenswerte Fakten über die Symphonie preis, jedoch bei weitaus schmälerer Quellenlage und somit unter Einschluss von teils unpräzisen oder gar falschen Angaben wie beispielsweise dem Zeitpunkt der ersten Aufführung (angeblich 1981 in Norwegen und Russland). So sollte nicht nur einem jeden Freund der Musik von Edvard Grieg auf jeden Fall daran gelegen sein, die Ausgabe des „Repertoire Explorer“ in seine Sammlung aufzunehmen. Vor allem sollten die Symphonieorchester Kenntnis davon nehmen und ihre Archive mit der Neuausgabe „aufrüsten“.

[Oliver Fraenzke, September 2015]

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