Aldilà Records ARCD 005; EAN: 9 003643 980051
Ein scheinbar unkombinierbares Programm, vereint zu einem unzertrennbar wirkenden Ganzen ist auf dem ersten europäischen Album von Beth Levin zu hören. Inward Voice heißt die CD der amerikanischen Pianistin, die Schumanns Kreisleriana, Anders Eliassons Versione per pianoforte und Franz Peter Schuberts späte Sonate c-Moll D 958 zu kombinieren vermag.
Lange Zeit in größter Bescheidenheit dem internationalem Star-Rummel fern geblieben, tritt die Amerikanerin Beth Levin endlich ans Licht mit ihrer ersten CD-Veröffentlichung außerhalb der USA und bietet in dieser direkt ein atemberaubendes Programm dar. Jedes dieser Werke mit grundverschiedenem Gestus ist für sich schon eine technische und interpretatorische Herausforderung besonderer Güte, doch Beth Levin geht noch ein Stück weiter: Sie lässt die Werke in einem einzigen durchgehenden Bogen verlaufen, so fließt Schumann ohne merklichen Bruch in die eigenwillige, 135 Jahre später komponierte Versione des schwedischen Neuerers Anders Eliasson über, welche wiederum von Schubert so aufgefangen und zurück in klassische Sphären geworfen wird, als wäre es exakt so komponiert. Somit schafft die Pianistin ein wahres Gesamtkunstwerk, verbunden durch die zum Hörer durchdringende Zuwendung zu jedem Stück und zu jeder Note.
Das Cover macht fast den Eindruck, als handle es sich bei Inward Voice um eine etwas klein geratene Schallplatte mit seinem stilllebenhaften Schattenabbild eines Baumes und dem kleinen eingerahmten Schriftzug mit dem Inhalt der CD. Dies, malerisch anzuschauen und unmittelbar an alte Vinyltonträger erinnernd, trägt – ebenso wie die von Gil Reavill verfassten Gedichte zu den einzelnen Programmpunkten – zu einer einheitlichen Gesamterscheinung bei, zu jener überwältigend konzipierten Programmdramaturgie, die die Amerikanerin kunstvoll ersonnen hat. Nicht zuletzt Teil dieser Erscheinung ist ihr Spiel, welches sich nämlich komplett von der Masse heutiger Gepflogenheiten abhebt; sie erreicht eher die musikalischen Qualitäten der großen Musiker der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mittlerweile gebräuchliche Hörgewohnheiten und standardisierte Auffassungen lassen Beth Levin vollkommen kalt, sie folgt einem ganz eigenen Weg. Allgemein ist ihr Spiel äußerst feinfühlig und frei von jeder Gehetztheit, alles behält eine innere Ruhe; gerade in den sehr bewegten und lebhaften Stellen der Kreisleriana sowie dem meist zur Hetzjagd ausufernden Finale der Schubertsonate beweist sie unglaubliche Kontrolle und schafft damit absolute Referenz. Ebenso spektakulär ist das technische Vermögen der Pianistin, handelt es sich doch um eine ungeschnittene Liveaufnahme im Studio und dennoch lässt sich fast an keiner Stelle einmal eine punktuelle Unsauberkeit herausfiltern – auch bei genauer Kenntnis des Notentexts.
Beth Levin weiß genau, was sie will. Ersichtlich wird dies alleine schon durch die Tatsache, dass die Kreisleriana in dieser Einspielung ein einziger Track ist und nicht in die acht Stücke zersplittert wurde. Endlich wird man derart gezwungen, dieses Einheitswerk wirklich als Einheit zu hören! Auch innerhalb des Werkes ist exakt bedacht, welche Wiederholungen gespielt werden sollen und welche nicht, ebenso bei Schubert. Nicht vergessen sollten auch Beth Levins Notizen zur Kreisleriana im allgemein sehr lesenswerten und interessant illustrierten Booklet bleiben, die persönliche Assoziationen zu Schumanns Op. 16 und Tipps für Pianisten beinhalten. In keinem der Stücke scheute die Pianistin davor zurück, kleine dynamische Akzentuierungen vorzunehmen, um die energetische Linie herauszubringen anstatt stur zum Beispiel ein auf die Auflösung deplatziertes Sforzato übermäßig herausknallen zu lassen. Gerade bei Eliassons Versione per pianoforte, einem von nur fünf Klavierwerken des im vorletzten Jahr verstorbenen Meisters (welches im Übrigen hier als Ersteinspielung vorliegt), nutzte sie detailliert leichte dynamische Abweichungen, um die Lautstärke in ein dem Spannungsbogen entsprechendes Verhältnis einzugliedern. Dafür sind die dynamischen Unterschiede durchgehend umso beträchtlicher, in einer vollkommen ungewohnt geradezu orchestrale Kontraste schaffenden Weise. Alle rhythmischen Komplikationen meistert Beth Levin dabei spielerisch, egal ob ständige Taktwechsel oder abstruseste Positionierung kürzester Notenwerte, nichts bringt sie von einem gleichmäßigen Pulsieren ab, so dass auch die zwei Monate vor seinem Tod komponierte Sonate c-Moll Franz Schuberts mit ihren sprunghaften Wechseln von triolischem zu duolischem Denken keine Schwierigkeit, jedoch umso spannenderes Geschehen darstellt.
So bleibt nur, gespannt zu warten auf die hoffentlich bald nachfolgende nächste Einspielung von Beth Levin, für alle, die nach diesem großen Wurf sicherlich Lust auf mehr bekommen. Mit nur einem Tag Aufnahmezeit hat sie bewiesen, dass auch ohne Willkür und unreflektierte Eingriffe in den Notentext sowie ohne erkünstelte Manierismen, allerdings mit in seiner unwillkürlichen Wucht absolut fesselndem Rubato, das scheint, als könne es gar nicht anders sein, ein gänzlich eigener Stil geschaffen werden kann.
[Oliver Fraenzke, September 2015]
Beth Levin was the highlight- and a bright light she was- of the opening concert of a new Portland series Sunday afternoon in Portland Art Museum.