[Anmerkung des Verfassers: Der folgende Text ist ein Bericht über das zweitägige musikwissenschaftliche Symposium, das die in Hamburg ansässige Pfohl-Woyrsch-Gesellschaft e. V. anlässlich des 30. Jahrestages ihrer Gründung im September 2024 veranstaltete. Der Verfasser ist selbst Mitglied der Gesellschaft und hielt im Rahmen dieses Symposiums einen Vortrag. Im Anschluss daran schrieb er auf Bitten der Organisatoren einen Bericht, um in knapper Form den Inhalt der Veranstaltung festzuhalten. Ursprünglich war angedacht, den Text an eine im Druck erscheinende Musikzeitschrift zur Veröffentlichung zu geben. Nachdem die Zeitschrift Bedenken angemeldet hatte, da es sich bei dem Verfasser um einen der Mitwirkenden handelte, entschied selbiger in Übereinstimmung mit den Organisatoren des Symposiums, das Maß voll zu machen und zur Personalunion von Teilnehmer und Verfasser noch die des Herausgebers hinzuzufügen. Ich betrachte die folgenden Zeilen als Bericht. Wenn er gelegentlich den Charakter einer Rezension, gar einer zustimmenden, annimmt, so geschieht dies in Anerkennung der wissenschaftlichen, künstlerischen und organisatorischen Leistungen meiner geschätzten Kolleginnen und Kollegen. N.F. Schuck, Januar 2025]
Seit 30 Jahren pflegt die Pfohl-Woyrsch-Gesellschaft das Andenken zweier Komponisten, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert maßgeblichen Einfluss auf das Musikleben Hamburgs ausübten: Ferdinand Pfohl (1862–1949) und Felix Woyrsch (1860–1944). Einander in gegenseitiger Wertschätzung verbunden, waren sie sehr verschiedene Künstler. Pfohl, der in einem impressionistischen Stil vorrangig Lieder, Klavierwerke und orchestrale Programmmusik schuf, war zugleich ein Virtuose des Wortes und als solcher einer der einflussreichsten Musikkritiker seiner Generation. Diese Tätigkeit ließ ihn zeitweise als schöpferischen Musiker verstummen, sodass die meisten seiner Kompositionen entweder Früh- oder Alterswerke sind. Im Gegensatz zu Pfohl geizte Woyrsch mit verbalen Äußerungen, sodass wir über seine Persönlichkeit wenig wissen. Sein Lebensmittelpunkt war Altona, die einst selbstständige Nachbarstadt, die erst nach Hamburg eingemeindet wurde, als ihr Städtischer Musikdirektor Woyrsch bereits in den Ruhestand getreten war. Neben seinem über vierzigjährigem Wirken als Kirchenmusiker und Leiter der Altonaer Singakademie gelang es ihm, erstmals in Altona regelmäßige Symphoniekonzerte zu etablieren. Sein kompositorisches Werk, im klassischen Gattungskanon verankert, ist sehr breit gefächert, wobei sich mit der Zeit der Schwerpunkt von Opern, Oratorien, Chören und Liedern auf Kammermusik und Symphonik verlagert und die Harmonik herber und kühner wird.
Anlässlich ihres 30. Gründungstages veranstaltete die Pfohl-Woyrsch-Gesellschaft am 20. und 21. September 2024 in Kooperation mit dem KomponistenQuartier Hamburg im Lichtwarksaal der Carl-Toepfer-Stiftung ein wissenschaftliches Symposium. Zwischen den beiden Vortragsreihen gaben der Sänger Johannes Wedeking (Bass) und die Pianistin Tatjana Dravenau einen Liederabend mit Werken beider Komponisten.
Der erste Tag des Symposiums war Woyrsch gewidmet. Andreas Dreibrodt (Neumünster), Pionier in der Erforschung des Woyrsch-Nachlasses, beschrieb die Rezeptionsgeschichte der Musik des Komponisten, ihr allmähliches Verschwinden aus dem Repertoire und die zunehmende Beachtung, die ihr seit der Wiederaufführung des Oratoriums Da Jesus auf Erden ging anlässlich des 800. Hamburger Hafengeburtstags 1989 zuteil wird. Einen entscheidenden Wendepunkt bedeutete der 150. Geburtstag Woyrschs 2010. Seitdem hat die Repräsentation seines Schaffens auf Tonträgern und im Notendruck bedeutende Fortschritte gemacht. (Es folgte der Vortrag des Verfassers dieser Zeilen über die sechs zwischen 1908 und 1941 entstandenen Symphonien Woyrschs: eine Betrachtung hinsichtlich Form und Harmonik, sowie der stilistischen Entwicklung des Komponisten.) Cornelia Picej (Graz) und Hazal Akyaz (Linz) verfolgten die Rezeptionsgeschichte des Oratoriums Totentanz in Österreich. Der Totentanz, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg international erfolgreich und eines den meistgespielten deutschen Oratorien, erklang in Österreich bislang nur zweimal. Picej und Akyaz berichteten über die Hintergründe der Aufführungen 1926 in Linz unter Georg Wolfgruber (Vater) und 1949 in Wels unter Georg Wolfgruber (Sohn), wobei sie auch biographische Irrtümer über die beiden gleichnamigen Dirigenten aufklären konnten. Ein Vortrag über Woyrschs bedeutendsten Schüler Ernst Gernot Klussmann (1901–1975), Autor von zehn Symphonien und fünf Opern, beschloss den ersten Teil des Symposiums. Der Komponist Wolfgang-Andreas Schultz (Wedel), Schüler Klussmanns (und Ligetis), erzählte vom persönlichen Umgang mit seinem Lehrer, umriss dessen Biographie und schilderte die Entwicklung Klussmanns von einer post-brahmsischen Tonsprache bis zur Dodekaphonie. Besondere Aufmerksamkeit widmete er Klussmanns persönlicher Zwölftonmusik aus dreiklangsbasierten Reihen. Die späten Opern des Komponisten klingen trotz strengster Reihenkonstruktion auffallend geschmeidig, eher an Richard Strauss erinnernd als an Schönberg.
Die zweite, Pfohl gewidmete Vortragsreihe, wurde am folgenden Tag durch Andreas Willscher (Hamburg) mit einer Einführung in Pfohls kompositorisches Schaffen eröffnet. Willscher, selbst Komponist, hat die erste Biographie über Pfohl samt Werkverzeichnis verfasst und zahlreiche von dessen Werken bearbeitet. Anhand von Kompositionen verschiedener Gattungen beschrieb er Pfohls Klangideal, das stets ins Orchestrale tendiert, sowie seine Vorliebe für Synkopen und Nonakkorde. Tristan Eissing (Halle) widmete sich dem Musikkritiker Pfohl und analysierte mittels statistischer Auswertung von Stichproben aus über 800 Rezensionen, welche Schwerpunkte dieser in seinem Schreiben über musikalische Aufführungen setzte. Beispielsweise nahm in seinen Opernkritiken die genaue Beurteilung der stimmlichen Qualität und interpretatorischen Leistung der Sänger und vor allem der Sängerinnen den größten Raum ein, während er die Werke selbst meist nur dann besprach, wenn es sich um Neuheiten handelte. Pfohls Beziehungen zur Hasse-Gesellschaft in Hamburg-Bergedorf wurden von Wolfgang Hochstein (Geesthacht) ausführlich dargestellt. Mehr als ein Vierteljahrhundert in Bergedorf ansässig, hielt Pfohl seit 1913 Vorträge im Rahmen von Veranstaltungen der Gesellschaft, wobei sich diese Zusammenarbeit in den 1930er Jahren intensivierte. Auch wurden Geburtstagskonzerte zu Pfohls Ehren durchgeführt. Da ein Großteil dieser Aktivitäten in die Zeit des Nationalsozialismus fällt, widmete sich Hochstein auch dem Verhältnis Pfohls zu den damaligen Machthabern. Zwar hat sich Pfohl als Bewunderer Wagners positiv zur Förderung der Bayreuther Festspiele durch die Nationalsozialisten geäußert, doch waren ihm, seit er 1933 in einem Vortrag anlässlich des 100. Geburtstags von Brahms dessen jüdische Freunde und Vorliebe für Zigeunermusik hervorgehoben hatte, Auftritte im Rundfunk untersagt. Als Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie kann Pfohl jedenfalls nicht bezeichnet werden. Johannes Wedeking (Haan), der Sänger des Liederabends, berichtete von dem Fund Pfohlscher Liedmanuskripte im Deutschen Literaturarchiv Marbach, der die Geschichte der „Halkyonischen Akademie für unangewandte Wissenschaften“ erhellt, einem von dem Dichter Otto Erich Hartleben gegründeten Künstlerbund. Die Manuskripte, darunter auch bislang unbekannte Lieder, belegen die enge Zusammenarbeit Pfohls und Hartlebens bei der Entstehung der Mondrondels auf Texte aus Hartlebens Nachdichtung von Girauds Pierrot Lunaire. Der letzte Vortrag stammte von Simon Kannenberg (Detmold), dem Anreger und Hauptorganisator des Symposiums, und befasste sich mit der Rhapsodie Twardowsky für Mezzosopran, Männerchor und Orchester, die u. a. von Max Reger geschätzt und aufgeführt wurde. Neben einer Einführung in den Sagenkreis um den „polnischen Faust“ Twardowsky, stellte Kannenberg das Werk ausführlich vor und ging seiner Aufführungsgeschichte nach, die 1932 mit einer Darbietung im Hamburger Rundfunk (vorläufig?) endete.
Der Liederabend, der nach Ende der ersten Vortragsfolge die Überleitung von Woyrsch zu Pfohl bildete, machte nicht nur die verschiedenen Ansätze beider Komponisten in ihren Liedkompositionen deutlich, sondern beeindruckte auch durch das ungewöhnliche Unterhaltungstalent Johannes Wedekings, der zwischen den Liedvorträgen geistreiche, leichtfüßig vorgetragene Überleitungen voller kulturgeschichtlicher und philosophischer Anspielungen einflocht.
Eine Veröffentlichung der auf dem Symposium gehaltenen Vorträge ist geplant.
In der Reihe MusikMuseum ist der Mitschnitt des Tiroler Weihnachtskonzerts 2023 herausgekommen. Chor und Orchester der Akademie St. Blasius musizieren gemeinsam mit den Gesangssolisten Stefanie Steger, Eva Schöler, Johannes Puchleitner und Stefan Zenkel unter der Leitung von Karlheinz Siessl Werke von Karl Pembaur, Robert Führer, Carl Santner, Richard Wagner und Franz Xaver Gruber.
Das Tiroler Weihnachtskonzert der Akademie St. Blasius kann mittlerweile als Traditionsveranstaltung gelten. Seit 2012 ist jedes Weihnachtskonzert des in Innsbruck ansässigen Chor- und Orchestervereins mitgeschnitten und auf CD veröffentlicht worden. (Nur 2020 konnte infolge der Covid-19-Restriktionen kein Konzert stattfinden.) Bestanden die ersten dieser Konzerte ausschließlich aus Weihnachtsliedern, die von einem Vokalquartett vorgetragen wurden, so gesellten sich 2014 erstmals Chor und Orchester der Akademie St. Blasius unter ihrem Dirigenten Karlheinz Siessl hinzu, von denen die Konzerte seit 2016 durchgängig bestritten werden. Seit 2019 erscheinen die Mitschnitte in der CD-Reihe MusikMuseum der Tiroler Landesmuseen.
In den Programmen der Tiroler Weihnachtskonzerte zeigt sich nahezu jedes Jahr ein anderer Schwerpunkt. So sind mehrere Alben dem reichen Musikleben der Tiroler Klöster gewidmet und stellen jeweils Werke vor, die im Bestand der betreffenden Klöster überliefert sind. 2019 stand der böhmische Komponist Johann Zach (1713–1773) im Mittelpunkt, der enge Kontakte nach Tirol pflegte und in zahlreichen Kirchen- und Klosterarchiven seine Spuren hinterlassen hat. 2019 kamen mit Franz Baur (*1958) und Elias Praxmarer (*1994) erstmals zeitgenössische Tiroler Komponisten zu Wort.
Das Weihnachtskonzert 2023, dessen Aufzeichnung vor kurzem als Folge 73 des MusikMuseums herausgekommen ist, präsentiert – abgesehen von Franz Xaver Grubers Stille Nacht, heilige Nacht, mit welchem die Konzerte traditionell schließen – Werke aus dem mittleren 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Auswahl ist weniger auf Tirol zentriert als in früheren Veröffentlichungen, sondern betont eher den kulturellen Austausch der Region mit dem übrigen Österreich bzw. mit Deutschland. Bezeichnenderweise entstand die einzige Komposition eines gebürtigen Tirolers, Karl Pembaurs Weihnachtsmesse G-Dur op. 18, in Dresden.
Zwei kurze Stücke mit Orchesterbegleitung machen mit der kirchlichen Gebrauchsmusik bekannt, wie sie um 1850 in ganz Österreich gepflegt wurde. Die beiden Komponisten, der Salzburger Carl Santner (1819–1885) und der in Prag geborene Robert Führer (1807–1861), der nach einem Wanderleben durch Bayern und Oberösterreich in Wien starb, gehörten zu den seinerzeit beliebtesten Schöpfern gut gesetzter, einfach auszuführender Kirchenmusik. Führers Chor Mit süßem Freudenschalle und Santners Sopransolo mit Chorrefrain Jesus an der Krippe orientieren sich deutlich an Mozart, den erst der Cäcilianismus aus seiner Stellung als allgemein anerkanntes Vorbild der österreichischen Kirchenkomponisten drängte. Bei Führer kommt noch ein starker Einfluss alpenländischer Pastoralmusik hinzu. Führer und Santner sind übrigens durch eine biographische Konstellation verbunden, die in der Musikgeschichte nicht allzu häufig sein dürfte: Nachdem Führer seine Stellung als Domkapellmeister in Prag wegen eines Betrugsvorfalls verloren hatte, kam er, zunehmend verarmend, immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und saß 1859 im oberösterreichischen Garsten eine Haftstrafe ab. Carl Santner, im Brotberuf Staatsbeamter, wirkte dort als Gefängnisdirektor und nutzte die Gelegenheit, sich bei seinem prominenten Gefangenen im Tonsatz weiterzubilden.
Das umfangreichste Werk des Programms ist die bereits erwähnte Weihnachtsmesse für Soli, Chor, Orchester und Orgel von Karl Pembaur aus dem Jahre 1915. Als Sohn des Komponisten Josef Pembaur und Bruder des gleichnamigen Pianisten gehörte der 1876 geborene Karl Pembaur zu einer der bedeutendsten Musikerfamilien Tirols. Wie Vater und Bruder studierte er in München, dann ging er 1901 nach Dresden, wo er zunächst als Hoforganist, ab 1913 als Direktor der Hofkirchenmusik wirkte. Bis zu seinem Tode 1939 blieb er in der sächsischen Hauptstadt, wo auch seine bedeutendsten Werke entstanden. Pembaur komponierte nahezu ausschließlich Vokalmusik, widmete sich auf diesem Gebiet allerdings den verschiedensten Gattungen und Besetzungen vom Klavierlied bis zum Oratorium. Unter seinen größeren Werken befinden sich mindestens sechs Messen, die sich hinsichtlich des Umfangs und der Besetzung teils deutlich voneinander unterscheiden. Die Weihnachtsmesse ist nicht nur dem Namen nach für Weihnachten bestimmt: Pembaur verwendet hier neben den Texten des Ordinariums auch das weihnachtliche Proprium, wobei er Introitus und Kyrie als ein zusammenhängendes Stück vertont und damit das Proprium untrennbar mit dem Ordinarium verknüpft. Das Orchesternachspiel der Communio, das den Anfang des Introitus zitiert, unterstreicht den zyklischen Gedanken. Mit einer Aufführungsdauer von rund einer halben Stunde ist das Werk relativ kurz. Es enthält auch keine Fugen. Allerdings denkt Pembaur durchaus polyphon, behandelt Chor und Soli abwechslungsreich und hüllt die Singstimmen in vielfarbig schimmernde Orchesterklänge. Oboensoli, Blechbläserchöre, hohe Violinen und eine sanft registrierte Orgel sorgen für weihnachtliche Stimmung. Der Stil der Messe lässt deutlich werden, dass Wagner und Bruckner für den Komponisten keine Unbekannten sind. Insbesondere im Qui tollis des Gloria und im Crucifixus des Credo zeigt Pembaur sich als inspirierter, spätromantischer Harmoniker. Zwischen Gloria und Graduale wurde bei der hier festgehaltenen Aufführung ein weiteres Werk Pembaurs eingeschoben: das kurze Duett Vor der Krippe für Sopran und Alt mit Orgelbegleitung, das mit seiner volksliedhaften Melodik zu einem pastoralen Intermezzo wird. Zur Aufführung selbst lässt sich nur ein Einwand anführen: Warum wurden im Gloria und Credo nicht die traditionellen Intonationsformeln gesungen, mit denen Pembaur doch sicherlich gerechnet hat?
Vor dem abschließenden Stille Nacht erklang ein reines Instrumentalwerk, das mit Weihnachten nur indirekt verknüpft ist, aber mit seiner anmutigen Tonsprache sehr gut in ein solches Programm passt: Richard Wagners Siegfried-Idyll. Diesen symphonischen Nachtrag zum dritten Teil der Ring-Tetralogie hatte Wagner für seine Frau Cosima komponiert und anlässlich ihres Geburtstags am 25. Dezember 1870 erstmals dirigiert. Siegfried ist nicht nur der Name der Oper, aus der das thematische Material der Tondichtung entlehnt wurde, sondern auch der des Sohnes von Richard und Cosima Wagner, der ein Jahr zuvor zur Welt gekommen war. Mithin wird, wie im Falle des Weihnachtsfestes, auch mit dem Siegfried-Idyll der Geburt eines bestimmten Kindes gedacht.
Karlheinz Siessl lässt Wagners Werk in festen Tempi musizieren, kostet die Ruhepunkte aus ohne sich in ihnen zu verlieren und betont die feine Polyphonie, die sich durch die ganze Komposition zieht. Der Kontrast zwischen der spannungsvollen Harmonik und dem „Verweile doch, du bist so schön!“ der freundlichen Themen kommt trefflich zur Geltung. Mit der gleichen Sorgfalt werden die Vokalwerke dargeboten, für die hochmotivierte Chorsänger und ausgezeichnete Solisten (Stefanie Steger, Eva Schöler, Johannes Puchleitner und Stefan Zenkel) zur Verfügung standen. Wer sich zu Weihnachten musikalisch bezaubern lassen möchte, tut nicht falsch daran, zu diesem Album zu greifen.
Beim musica viva Konzert am 20. 12. 2024 im Münchner Herkulessaal war der Stargeiger Leonidas Kavakos zu Gast und spielte das 2. Violinkonzert „Scherben der Stille“ der diesjährigen Trägerin des Ernst von Siemens Musikpreises, Unsuk Chin. David Robertson leitete das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks außerdem bei der Uraufführung von Bernhard Langs „GAME 18 Radio Loops“ und der deutschen Erstaufführung von Philippe Manourys „Anticipations“.
Nicht nur die Bühne im Herkulessaal stand – trotz einer nur 50er-Streicherbesetzung – mal wieder randvoll, vor allem mit einer breiten Palette an Schlaginstrumenten. Auch das Publikum war äußerst zahlreich erschienen, zudem sogar alle drei Komponisten des anspruchsvollen Programms, das vom amerikanischen „Neue Musik“-Experten und ehemaligen Boulez-Schüler David Robertson geleitet wurde.
Der Linzer Bernhard Lang (*1957) bezeichnete sich in der Einführung sogleich etwas ironisch, aber absolut zutreffend, als „Wiederholungstäter“. Zumindest im deutschsprachigen Raum hat sich wohl kein Komponist so lange und intensiv mit dem Potential von Wiederholungen, gerade auch in Verbindung mit Live-Elektronik – Stichwort Loops – auseinandergesetzt. Lang verlangt für GAME 18 Radio Loops einen differenzierten Orchesterapparat aus praktisch individuellen Akteuren inklusive Synthesizer samt besonderer Lautsprecherinstallation in zwei Höhenebenen, großartig realisiert von Zoro Babel. Das Grundmaterial besteht – anlässlich des 75-jährigen Bestehens des BR – aus „Pausenzeichen“ (heute sagt man Jingles) nicht nur deutscher Rundfunkanstalten. Diese zerlegt Lang natürlich in seine atomaren Bestandteile, um daraus über etwa 40 Minuten eine faszinierend neue Klangwelt zu schaffen. Von den einzelnen Spielern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks erwartet der Komponist dabei in mehreren der – schon durch deutlich hörbare „Schnitte“ in der Beschallung – gut erkennbaren sieben Abschnitte ein Höchstmaß an Selbstverantwortung, da sie oft, wie aus einem Kartenspiel, das Material, das sie selbst konkret zum Klingen bringen wollen, quasi ziehen dürfen. Das knüpft – wenn auch mit viel weitgehenderer Freiheit – noch an die kontrollierte Aleatorik etwa Witold Lutosławskis an. Und so laufen längere Sequenzen völlig ohne Beteiligung des Dirigenten ab. Überraschend, dass das klangliche Ergebnis zwar undurchschaubar komplex, jedoch keinesfalls chaotisch wird, sondern – im Gegenteil – erstaunlich homogen. So gibt es eine durchaus witzig-groovige Passage, die nur vom Schlagwerk gestaltet wird; die Loops im Raum wandern teilweise in zwei gegenläufigen Kreisen rund um den Saal und erzeugen dann eine Art Weltraumatmosphäre usw. Im letzten Abschnitt generiert Lang u. a. naturnahe Geräusche. Da, wo Robertson eingreifen darf, gelingt ihm enorme Kontrolle. Der immer mit ausgesprochen freundlicher „Ansprache“ agierende Dirigent – schlagtechnisch sieht das bei Lang ähnlich „einfach“ aus wie bei Ligeti – kann trotz allem Klein-Klein in der Partitur vor allem präzise Charakterisierungen zustande bringen, die einfach Freude machen. Ganz am Schluss kommt dann – ausnahmsweise klar erkennbar – das BR-Sendezeichen, der Alte Peter. Große Zustimmung zu einem unerwartet kurzweiligen Werk.
Obwohl sie eigentlich „klassische“ Setups lieber meidet, hat sich die schon lange in Berlin lebende Koreanerin Unsuk Chin, Trägerin des diesjährigen Ernst von Siemens Musikpreises, gerade mit ihren Instrumentalkonzerten einen Namen gemacht. Ihr zweites Violinkonzert „Scherben der Stille“ – Anfang 2022 vom Widmungsträger und Solisten des Abends, Leonidas Kavakos, mit dem LSO unter Simon Rattle aus der Taufe gehoben – beginnt mit absichtsvoll brüchigen Flageoletts der Geige. Der praktisch über die gesamten 29 Minuten hochaktive Solopart steht in seinem technisch-musikalischen Anspruch fraglos auf dem Niveau des Berg- oder des großen Pettersson-Konzerts. Chin sieht das Stück als Porträt Kavakos‘, ihn sogar als „Hausherr“ des Geschehens, dessen Emotionalität dabei immer in einen Dialog mit dem Orchester tritt, dort durchaus nicht ohne Konflikte weiterentwickelt wird. Oft berückend schön sind die feinen, unaufdringlichen Schlagzeugfarben, aber etwa ebenso ein Zwischenspiel von vier Solo-Violinen des BRSO, das schließlich zu einem intensiven Flautando von Kavakos mit allen hohen Streichern führt. Robertson bleibt immer glasklar, ohne Mätzchen, kann jedoch, wo nötig, abrupt körperlich ganz energische Impulse geben. Das Orchester bewältigt alles mustergültig. Der unerwartet dramatische Schluss wirkt fast wie eine Erlösung von gewaltiger Anspannung. Dieses Konzert hat offenkundig das Zeug, zu einem Klassiker zu werden – langanhaltender Beifall und Bravos, insbesondere für die Komponistin.
Philippe Manourys (*1952) großbesetzte Anticipations (2019) wirken von Beginn an überwältigend: fasslich dichte, geradezu wuchtige Dramatik. Um es mit Hans Werner Henze zu sagen: wilder, schöner – allerdings weniger neuer – Klang. Wie Langs Live-Elektronik arbeitet Manoury geschickt mit gelenkter Aleatorik und dem Raum: Hier in Gestalt von zwei Bläsergruppen, die als „Whistleblower“ mit einem „Choral“ – als Gegenentwurf zum Geschehen auf der Bühne – von der Rückseite des Herkulessaals aus in mehreren Etappen das Podium entern und schließlich im Orchester zwar die angestammten Plätze einnehmen, aber ihre manipulativen Eingriffe fortsetzen. Das übrige Orchester muss sich damit auseinandersetzen: Das geht, bildlich gesprochen, von Verschmelzung über Konfrontation bis zu Ablehnung. Manoury kann hinreißend für Orchester schreiben: Trotz ungeheurer Intensität wird letztlich alles zu modernem „Schönklang“. Man staunt nicht schlecht, wie sein Schluss – ebenfalls mit einem Tam-Tam-Schlag, hier noch gefolgt von zaghaften Zuckungen der Streicher – dem von Chins Konzert ähnelt. David Robertson führt mit seiner Lockerheit und Konzentration das BRSO zu einem geradezu symbiotischen Musizieren. Alle Mitwirkenden und das Publikum sind anscheinend für derartige, fast konventionelle Formate, die für eine gelungene Realisation zwingend die Qualitäten eines Weltklasse-Klangkörpers benötigen, gleichzeitig dessen Höchstleistung noch zu beflügeln scheinen, sehr dankbar.
Am 22. Dezember 2024 jährt sich der Geburtstag von Franz Schmidt zum 150. Mal. Aus diesem Anlass hat die Beschäftigung mit dem österreichischen Komponisten, der heute im Schatten von Mahler und Bruckner steht, neuen Auftrieb bekommen. Seinerzeit genoss er im Wiener Musikleben hohes Ansehen: als Cellist bei den Philharmonikern, als Organist, Dirigent, Pädagoge und als Tonschöpfer, der die spätromantische Tradition fortführte. Davon zeugen insbesondere vier gewichtige Symphonien. Über die Neuaufnahme durch Jonathan Berman hat der New Listener umfassend berichtet, ein ergänzendes Interview mit dem Dirigenten über sein Franz Schmidt Project vertiefte das Verständnis für die Musik. Doch auch Schmidts Vokalwerke verdienen mehr Beachtung, obwohl sie mit zwei Opern, einem Oratorium und einer Kantate nur einen kleinen Teil innerhalb des Gesamtoeuvres einnehmen.
Sein Bühnenerstling Notre Dame bescherte dem Komponisten nach der Uraufführung 1914 in Wien einen Anfangserfolg. Die Vertonung von Victor Hugos Roman Der Glöckner von Notre-Dame wurde gelegentlich an der dortigen Staats- und Volksoper nachgespielt, in Deutschland gab es sie letztmalig 2010 in Dresden. Doch die gewisse Popularität verdankt sie allein dem melodiösen, wunschkonzerttauglichen Intermezzo, das als Esmeraldas Erkennungsthema das ganze Stück durchzieht. Wer Notre Dame als Ganzes hören will, muss momentan auf die bereits 1989 erschienene Studio-Aufnahme zurückgreifen. Christof Prick, im englischsprachigen Raum unter dem Namen Christof Perick besser bekannt, rückt mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin den instrumentalen Farbreichtum und die schillernden Harmonien der sinfonisch geprägten Partitur ins rechte Licht. Rollendeckend besetzt sind der balsamische Bass Kurt Moll als Mitleid erregender Quasimodo, der ungemein ausdrucksstarke Harmut Welker als Archidiakon und der charaktervolle Horst R. Laubenthal als eifersüchtiger Ehemann Gringoire. Das Liebespaar hingegen – Gwyneth Jones als Esmeralda und James King als Phoebus – setzt mehr auf hochdramatische Kraft denn auf lyrische Sensibilität.
Fredigundis
Orfeo, C5478, EAN: 845221054780
Dürftiger als Notre Dame ist die Rezeptionsgeschichte von Schmidts zweiter, 1922 in Berlin uraufgeführter Oper Fredigundis. Dort fiel sie durch und auch die Wiener Inszenierung zwei Jahre später wurde nur dreimal gespielt. Grund dafür mag das krude Libretto gewesen sein. Im Mittelpunkt steht die historische Frankenkönigin Fredigunde, die als über Leichen gehende Machtfrau gezeichnet wird und am Ende im Angesicht ihrer Schuld stirbt. Musikalisch macht der Dreiakter durch sängerische Expression und spätromantische Orchesteropulenz samt wiederkehrenden Bläserfanfaren Effekt. Die Wiener Konzertaufführung vom September 1979, deren Mitschnitt jüngst veröffentlicht wurde, bietet beides. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Leitung von Ernst Märzendorfer badet in üppigen Klängen, die Titelrolle singt Dunja Vejzovic, einst Karajans Kundry, mit furioser Attacke und fulminanten Spitzentönen. Großartig ist auch Werner Hollweg. Mit virilem, dabei äußerst kultiviertem Tenor gelingt es ihm, die Wandlung vom aussichtslos Liebenden zum Bischof, der die Königin vergeblich vom Pfad des Bösen abbringen will, stimmlich zu beglaubigen.
Das Buch mit sieben Siegeln
Somm, Ariadne 5026-2, EAN: 758871502627
Zwischen 1935 und 1937 schuf Schmidt trotz schwerer Herzprobleme das Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln, sein bedeutendstes Vokalwerk. Die musikalische Adaption der Apokalypse basiert auf den Offenbarungen des Johannes und führt in eine Klangwelt der Extreme zwischen Entfesselung und Entrückung, die eine gewaltige Herausforderung für den Riesenapparat, bestehend aus Soloquartett, Chor, Orgel (ein bevorzugtes Instrument Schmidts) und Orchester, darstellt. Sie inspirierte auch Regisseure: legendär ist die Inszenierung von Georg Tabori, die bei den Salzburger Festspielen 1987 einen Skandal auslöste und dann wegen Nacktszenen verboten wurde.
Das Buch mit sieben Siegeln liegt in verschiedenen prominent besetzten Aufnahmen vor. Einen besonderen Rang nimmt die anlässlich des Jubiläums wiederveröffentlichte Einspielung aus dem Jahre 1962 ein. Zum einen ist es eines der wenigen Tondokumente des Grazer Domkapellmeisters Anton Lippe, der den Domchor und die Münchner Philharmoniker zu höchsten Leistungen anspornt. Zum anderen singt Julius Patzak auf seine unverkennbare, interpretatorisch eindringliche Art die anspruchsvolle Partie des Johannes. Der Tenor war Schmidt besonders verbunden, er studierte bei ihm Komposition und Dirigieren, bevor er als Autodidakt seine große Gesangskarriere begann.
Der Vollständigkeit halber muss noch die Kantate Deutsche Auferstehung erwähnt werden. Schmidt komponierte diese Führer-Verherrlichung im Auftrag der nationalsozialistisch gesonnenen Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, konnte sie aber nicht mehr vollenden. Robert Wagner, ein Kenner seines Schaffens, stellte sie nach dem Particell fertig, die Uraufführung fand 1940 statt, ein gutes Jahr nach Schmidts Tod. Seinem Ansehen schadete das „Festlied“ posthum, er galt nach 1945 als Mitläufer. Heute jedoch ist es umstritten, ob Schmidt das Regime mit dem Stück tatsächlich hofieren wollte oder wie seine Haltung tatsächlich war. Was für ihn spricht: statt Deutsche Auferstehung abzuschließen komponierte der bereits Sterbenskranke zwei Konzertstücke für den jüdischen Pianisten Paul Wittgenstein.
Ein kurzer, nicht abschließender Bericht aus Wien in der Vorweihnachtszeit.
Die Inszenierung und Aufführung von Monteverdis Oper Il ritorno d’Ulisse in Patria in der Wiener Staatsoper war eine bunte und traurige Angelegenheit.
Eine Personenführung fand nicht statt, wo und wohin die Sängerinnen und Sänger sich bewegten, schien ratloser Willkür zu folgen, die teilweise schönen Stimmen waren im Vorfeld wohl nicht an die Klangwelt der Musik von Monteverdi herangführt worden; so blieb Penelope blass, auch Ulisses entfaltete keine stimmliche oder stilistische Strahlkraft, da die Regie aus ihm eine Karikatur des Monsieur Bonacieux aus der legendären Musketier-Verfilmung von Richard Lester aus dem Jahr 1973 machte (es gab also wenigstens eine Idee?), einzig Isabel Signoret als Minerva konnte wirklich darstellerische und stimmliche Präsenz entfalten. Erfreulich war auch das Trio der Freier von Penelope, die mit ihrer Stimmschönheit aber eher bei La Bohème ein Genuss zu hören wären, hier aber stilistisch nicht am rechten Platz waren.
Das Bühnenbild war ein sinnfreies Caroussel einer größeren Anzahl Sitzgruppen – den Göttern waren dabei originellerweise die Firstclass-Sitze eines Flugzeugs vorbehalten. Der Concentus Musicus als Platzhalter der Alten Musik in Wien lebt noch von der Vergangenheit: matt kam die Musik aus dem Graben, trotz der fordernden Gestik des musikalischen Leiters Stefan Gottfried, oder gerade wegen ihr: sie war zu viel des Guten, nicht am Metrum oder Takt, sondern meist am melodischen und rezitativischem orientiert; eine klare Eins hätte hier und da geholfen, und das Tastencontinuum wurde ja ohnehin von jemand anderem gespielt, was sein Wechseln vom Gestischen zum Tastenspiel in mindestens sportlichem Licht erschienen ließ.
Vielleicht ist es im Ganzen keine gute Idee, in einem Repertoirehaus solche Projekte in den Spielplan zu quetschen; möglicherweise gibt es einfach keine Zeit für eine der Sache Monteverdis angemessene gründliche Arbeit, um die Mühen der Freier, den Bogen zu spannen, nicht zu einem derartigen Klamauk verkommen zu lassen.
Stimmig und gefasst war alles erst am Ende mit dem Auftritt des Chores und dem abschließenden, innig gesungenen Duett von Penelope und Ulisses, die endlich ganz bei sich waren, wunderbar eingeleitet und gestützt vom Chor.
Der gewohnheitsmäßige Jubel erinnerte daran, welch herrliches Haus die Wiener Staatsoper im Bewusstsein seines Publikums dennoch ist und bleibt.
Den odysseischen Bogen vergeblich zu spannen versucht hat auch Klaus Mäkelä, umjubelter und gleichzeitig, da man nicht nur in Wien beginnt, dem Braten nicht mehr zu trauen, skeptisch und irritiert zur Kenntnis genommener Chefdirigent einer Handvoll internationaler Spitzenorchester bei seinem Debut mit den Wiener Philharmonikern. Gespielt wurde die Sechste Symphonie von Gustav Mahler.
Diese zweite seiner großen Instrumentalsymphonien überbordet vor tief empfundenen Einfällen, entbehrt aber größtenteils einer geschlossenen Form; speziell im langsamen Satz und im ausufernden Finale tritt dies als Schwäche zutage. Dieses weiß dann so gar nicht, wo es eigentlich hinwill, bis der erste Hammerschlag daran erinnert, welchem Umstand die Symphonie ihre Berühmtheit verdankt.
Der Schlag des Schicksals wurde hier allerdings geschönt, da man zwar zur Ausführung einen optisch spektakulär großen Holzhammer wählte, der, wie von Mahler vorgesehen, jedoch nicht, wie in der Partitur gefordert, „wie ein Axthieb“ wirkte und sich zu homogen in den Gesamtklang einfügte. So blieb es hier eher bei einer Visualisierung jenes Dramas, das eigentlich musikalisch hätte wirken sollen.
Und damit sind wir bei Klaus Mäkelä, auf den diese Beobachtung ebenso zutrifft. Als Kind seiner Zeit ist seine Gestik einfach und klar impulsorientiert. Eine dirigentische Schlagfigur, die ursprünglich den Sinn hat, über einen einfachen Impuls hinaus eine Phrase musikalisch zu ordnen und ihr eine weiterführende Perspektive zu verleihen, sucht man vergebens, und was wie Frische und Spontaneität juveniler Gefühlswelt erscheint, entpuppt sich bald als durchchoreographierte Pose.
Bereits nach der ersten rhythmisch geprägten Phase des ersten Satzes hat Mäkelä denn auch seine Geschichte auserzählt. Seine gestische Spezialität sind Akzente im tiefen Register, die er mit publikationswirksamem Nachwippen seines Kopfes, dem der Sinn für etwas darüber Hinausgehendes fehlt, unterstreicht. Gestus ohne Ductus, Augenblicksgewerkel ohne Ziel, Plan und Weitsicht, und ohne Idee für die sich ausbreitende Klangfläche einer Symphonie, die aufgrund ihrer Komplexität eine andere Herangehensweise benötigen würde.
Auch rein kapellmeisterlich ist Mäkelä der Aufgabe an manchen Stellen überraschenderweise nicht gewachsen: Bei diversen Tempowechseln im 3. Satz überlässt er das Orchester sich selber, da er nur mitschlägt, statt ein neues Tempo vorzubereiten, was aber schon zum Handwerk jedes 2. Kapellmeisters eines Provinzopernhauses gehört. Das Orchester reagiert instinktiv, so dass diese Momente kaum merklich vorbeigehen.
Es fehlt hier schlicht an einer geistigen Einstellung, die über die Wiedergabe der äußerlichen Effekte der phänomenal instrumentierten Partitur hinausgeht, vielleicht aber einfach an Bedarf und Interesse, oder auch an einer sorgsamen Ausbildung, die ihn über diese elementare Ebene hinaus orientiert hätte. Wer sich als Hörer am Klangspektakel berauschen mag, wird es zufrieden sein. Für alle anderen ist es schwer, diese Leere auszuhalten.
Es wäre nicht weiter tragisch, und hier liegt ein grundsätzliches Problem, wäre Mäkelä als Dirigent nicht Protagonist einer Generation junger, künstlerisch unbedarfter und mehr und mehr austauschbarer Dirigentinnen und Dirigenten; mithin schon jetzt ein Vorbild für einen Nachwuchs, für deren komplexe Profession er künstlerisch keine Perspektive aufzeigt, die über eine möglichst gute Wirkung auf Photos und Videoclips und einen damit gesteuerten Hype hinausgeht; ganz zu schweigen vom Publikum, das auf diese Weise von der Tiefe und unbedingten Wahrhaftigkeit der Mahler’schen Musik entweder entwöhnt wird, oder gar nicht erst mit dieser Tiefe der musikalischen Empfindung in Berührung kommt.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass diese Dimension des menschlich-künstlerischen Ausdrucks, die Mahler durch seine unerreichte, aber doch sehr leicht als vordergründig misszuverstehende Kunst der Orchesterbehandlung erst möglich gemacht hat, hier als krachendes Orchesterspektakel von Mäkelä geradezu konterkariert wird.
Wo ist das Logentür-schmeißende, „Scandalo“-rufende Fachpublikum, für das Wien einst berühmt war? Stattdessen erfährt man in einer Pressenotiz im Internet, dass Mäkelä mit Freunden, Familie und seiner derzeitigen Freundin nach dem Konzert im Hotel Imperial speiste.
Neulich huschte ein Interview mit Egon Wellesz, der Mahler in seiner Jugend als Dirigenten erlebt hat, durch die sozialen Medien. Nach seinem Zeugnis waren Mahlers Dirigierbewegungen zurückhaltend und funktionell, fast benutzte er nur die rechte Hand, die linke fast nie, und er gebar sich keineswegs so wild, wie man es sich angesichts der berühmten Scherenschnitte von Otto Böhler vorstellen mag (Celibidache nannte ihn, Mahler, mehrfach den besten Dirigenten aller Zeiten). Diesem Beispiel zu folgen wäre eine andere Empfehlung für den Nachwuchs. Ein anderes kürzlich aufgetauchtes Video zeigt Otto Klemperer, wie er im hohen Alter die Siebte von Beethoven dirigiert. Dreht man den Ton ab, hört man trotzdem, was gemeint ist.
Als Chef großer Orchester ist jemand wie Mäkelä folglich nur geeignet, wenn er sich mit seiner Popularität für die Sicherung der Finanzierung und Marktbeteiligung der jeweiligen Institution einsetzt, und dafür im Gegenzug durch häufige Abwesenheit glänzt, da ansonsten der Klangkörper zwangsläufig leiden muss.
Wie gesagt, Mahlers Sechste ist ein sehr schwieriges Werk, und seine Kohärenz darzustellen ist nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch die ureigenste Aufgabe eines Dirigenten. Eben darum gilt es, durch Verständnis für Gestalt und Form, aus dem alleine die künstlerische Aussage eines Werkes zum Leben erweckt werden kann, den odysseischen Bogen zu spannen. Dazu reichte es bei Mäkelä aber nicht. Es ist ein Scheitern, und das nicht einmal auf hohem Niveau.
Dirigierkarrieren starten früh und geben einer notwendigen Entwicklung, abgesehen von einer kommerziellen, kaum einen Raum. Die Ausbildung scheint vor allem intellektuell verkürzt und auf das Praktisch-Pragmatische und Persönlich-Willkürliche beschränkt; daraus muss dann eine Marke entwickelt werden – anders lässt sich die grassierende professionelle Oberflächlichkeit in der Ausübung dieses Berufs wohl nicht erklären.
Es ist vollkommen klar, dass auch die Karajans, Kleibers, Klemperers, Wands, Boulez‘, Abbados, Mutis, auch ein Janssons, und viele andere mehr (die gibt es übrigens auch heute, aber abseits der dirigentischen Popkultur) eine Entwicklung nehmen mussten, aber ihre Arbeit hatte eine Grundlage, die eine solche ermöglicht hat. Davon ist heute bei den dem Publikum als Maßstab präsentierten Dirigentinnen und Dirigenten wenig zu spüren.
Gerettet wird das wie immer von der stupenden individuellen Qualität der Orchestermusikerinnen und Orchestermusiker (die es nicht nur in den nominellen Spitzenorchestern gibt!), und ihrer geballten und zu oft unfair missbrauchten Routine. Man darf gespannt sein, wie lange sie das noch auszuhalten bereit sind, und wohin dieses unsinnige Theater noch führen soll. Swarowsky (nein, nicht der mit den Perlen, der andere) hat’s gewusst – in welchem Beruf ist es eigentlich noch möglich, dass Können und Karriere folgenlos so enorm auseinanderklaffen?
Genug davon, hinweg damit, denn es gibt auch gute Nachrichten: die wichtigste Konzertreihe der Stadt findet alle paar Wochen im kleinen Ehrbarsaal statt: Das „Echo des Unerhörten“, veranstaltet vom ExilArte Institut der mdw. Letztens war der ins Exil vertriebene Komponist Egon Lustgarten zu entdecken. Als nach dem 1. Weltkrieg die Musikzeitschrift Der Anbruch erschien, „fiel allgemein der Leitaufsatz “Philosophie der Musik” auf. Darin waren die subtilsten und tiefgründigsten Probleme der Musik mit großer Klarheit behandelt. Die künstlerische Eigenart Lustgartens kam schon damals voll zum Ausdruck: seine schöpferische Phantasie benötigt in gleicher Weise Wort und Ton….Eine Oper “Dante im Exil“ ist eben beendet worden; sie ist voll der zarten, doch eindringlichen Musiksprache, die ihn seit langen Jahren zu einem der bekanntesten Vertreter der gediegenen Wiener Schule gemacht hat.“ (Karl Wiener, 1937).
Hier, liebe Wiener Opernhäuser, und in anderen liegengelassenen Werken dieser erst annulierten, dann und jetzt peinlich vernachlässigten Generation, liegt eine wirkliche Chance für eine Erfrischung der Spielpläne.
Unbedingt lohnend ist auch der Besuch in der Kammeroper, wo die Neue Oper Wien einen szenisch und musikalisch umwerfenden Der Prozess von Gottfried von Einem nach Franz Kafka auf die Beine gestellt hat. Auf Alice von Kurt Schwertsik im Odeon (Sirene Operntheater/Serapion-Theater) und die zu Weihnachten allfällige, über das Publikum hinwegfegende und mit immer wieder großäugigem Staunen und Applaus bedachte Hexe in Hänsel und Gretel in der Volksoper freut sich der Rezensent auch schon.
Am 7. und 8. Dezember erklang das Mysterium Da Jesus auf Erden ging von Felix Woyrsch durch den Monteverdichor Würzburg und die Jenaer Philharmonie unter der Leitung von Matthias Beckert in der Würzburger Neubaukirche. Die Soli sangen Mechthild Söffler (Sopran), Bernhard Gärtner (Tenor) und Hanno Müller-Brachmann (Bariton).
Wer Chorkonzerte liebt und Abwechslung im Spielplan schätzt, der ist in Würzburg gut aufgehoben. Dem Monteverdichor und seinem Dirigenten Matthias Beckert ist es zu verdanken, dass die fränkische Bischofsstadt seit vielen Jahren zu den interessantesten Pflegestätten der Chormusik in Deutschland gehört. Beckert ist ein echter Entdecker, der bezüglich des Repertoires seines Chores auf maximale Vielfalt setzt. So finden sich auf den Spielplänen mit schöner Regelmäßigkeit selten gespielte Werke der Vergangenheit, aber auch zeitgenössische Stücke, teils als Ur- oder Erstaufführung. Wiederholungen werden nach Möglichkeit vermieden. Ein gutes Beispiel dieser Praxis sind die Adventskonzerte des Monteverdichors, bei denen man alle Jahre wieder darauf gespannt sein darf, welche Werke diesmal auf dem Programm stehen.
Das Adventskonzert von 2024, das am 7. und 8. Dezember in der Neubaukirche, dem Konzertsaal der Würzburger Universität, gegeben wurde, lässt sich als eine nahtlose Fortsetzung des letztjährigen ansehen. Damals stand neben Werken von Gabriel Pierné und Hermann Zilcher auch das Kurzoratorium Die Geburt Jesu von Felix Woyrsch auf dem Programm (zum Bericht siehe hier). Dieses Jahr erklang nun eines der drei abendfüllenden Oratorien Woyrschs, das 1917 uraufgeführte Mysterium Da Jesus auf Erden ging.
Woyrschs Jesus gehört zu den nicht wenigen Oratorien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, deren Handlung das gesamte Leben Christi umspannt. In einem Weihnachtskonzert ist es durchaus am Platze, da das Geschehen der Heiligen Nacht gegen Anfang recht ausführlich abgehandelt wird. Auf einen gewaltigen Eingangschor, der mit den Worten „Mache dich auf, werde Licht!“ anhebt, folgen ein Orchesterzwischenspiel mit pastoralen Bläsersoli, die Verkündigung durch einen Frauenchor, ein Hirtenchor in reizvoll wechselnden Taktarten auf den Text des schlesischen Volkslieds Auf dem Berge da weht der Wind, in welchen ein Duett Marias und Josephs eingefügt ist, eine orchestrale Bearbeitung des einstimmig gesungenen Chorals Euch ist ein Kindlein heut geborn (= Vom Himmel hoch da komm ich her) und schließlich ein eigener vierstimmiger Choral Woyrschs auf die bekannten Worte „Vom Himmel hoch, ihr Englein, kommt“. Jede Szene dieser Weihnachtsmusik hat ihren eigenen Klang und unterscheidet sich hinsichtlich der satztechnischen Komplexität von den übrigen. Die Spanne reicht vom chorsymphonischen Tutti und strenger Fugenarbeit bis zur Einstimmigkeit. Was hier im Kleinen an Abwechslung geboten wird, wird in den folgenden Teilen des Werkes weiter ausgeführt.
Woyrsch gliedert sein Oratorium in fünf große Abschnitte. Der Heiligen Nacht folgen die Seligpreisungen mit abschließendem Vaterunser, Christi Wandeln auf dem Meere, die Heilige Woche und der Gang nach Emmaus. Die Bezeichnung „Mysterium“ geht auf die mittelalterlichen Mysterienspiele zurück, deren Tradition sich im Text des Werkes insofern niederschlägt, als dass Woyrsch neben Auszügen aus Evangelien und Psalmen vor allem auf volkstümliche geistliche Dichtung zurückgegriffen hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im vierten Teil, in welchem das Geschehen von Christi Einzug in Jerusalem bis zum Karfreitag durch einen einzigen längeren Volksliedtext abgedeckt wird. Dieser ist ein Dialog zwischen Maria und Jesus, eingeleitet von einer instrumentalen Passacaglia und einem Vorspruch des Chores. Die Kreuzigung wird dabei textlich nur angedeutet („Ach Mutter, liebste Mutter mein, mög‘ dir der Freitag verborgen sein!“), musikalisch ist sie durch abrupte Harmoniewechsel und Dissonanzen an der entsprechenden Textstelle durchaus präsent.
Der dramatischste Abschnitt des Werkes ist der Seesturm in der Mitte. Packend schildert Woyrsch die heraufziehenden Windböen, die unruhige See und die Hilferufe der verzweifelten Jünger, bevor er das Ganze zur eigentlichen Sturmszene steigert, die rein musikalisch eine chromatische Fuge mit einem Choral als Cantus firmus ist – ähnlich wie in der verwandten Flut-Fuge in Franz Schmidts Buch mit Sieben Siegeln, mit der sie sich durchaus messen kann, wird hier größtes Chaos durch strengste Ordnung geschildert. Mit dem Erscheinen Christi beruhigt sich das aufgewühlte Meer und die Jünger stimmen erleichtert den Dankeschor an („Du bist wahrlich Gottes Sohn“), zu dessen Begleitung die Wellen nun sanft und angenehm rauschen. Die ganze Szene ist nicht nur ein Höhepunkt in Woyrschs Oratorienschaffen, man darf sie getrost zu den hervorragendsten Momenten der chorsymphonischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts rechnen.
Ja, Da Jesus auf Erden ging ist ein großes Werk, und die beiden Aufführungen in der Würzburger Neubaukirche ließen keinen Zweifel daran aufkommen. Mit der Jenaer Philharmonie und dem aus hochmotivierten jungen Leuten bestehenden Monteverdichor standen Matthias Beckert ausgezeichnet disponierte Kräfte zur Verfügung. Der Dirigent nahm sich die nötige Zeit, übereilte nichts, ließ namentlich den fugierten Schlusschor mit der gebotenen Wucht und Feierlichkeit ausführen, und widmete sich liebevoll der Ausgestaltung von Details. Sehr schön gelangen beispielsweise stets die Kadenzen der dem Chor zugedachten Abschnitte. Bernhard Gärtner (Tenor) überzeugte in den ihm zugedachten kurzen Soli und in der Rolle des Evangelisten ebenso wie Hanno Müller-Brachmann (Bariton) als Jesus. Neben diesen beiden sehr kräftigen Männerstimmen hatte es die Sopran-Solistin Mechthild Söffler mitunter schwer, sich zu behaupten. An Tonschönheit, Lyrik, Zartheit fehlt es ihr nicht, wie bei ihren Soli deutlich wurde, im Zusammenwirken mit dem Chor oder mit den anderen Solisten trat sie allerdings ein wenig zu sehr zurück.
Beide Abende waren sehr gut besucht und endeten mit enthusiastischem Applaus. Auf Felix Woyrschs Bedeutung als Instrumentalkomponist ist durch Einspielungen seiner symphonischen, kammermusikalischen, Klavier- und Orgelwerke in den letzten Jahren wieder stärker hingewiesen worden. Die Würzburger Aufführungen waren nun ein starkes Plaidoyer dafür, auch dem Chorsymphoniker Woyrsch wieder gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Möge Beckert darin würdige Nachfolger unter den Chorleitern finden!
Conductor Jonathan Berman has recorded the complete Symphonies of Franz Schmidt with the BBC National Orchestra of Wales for Accentus Music. The recordings were reviewed here. Norbert Florian Schuck spoke with Jonathan Berman about this project, Franz Schmidt’s music and more. The following conversation took place in the rooms of the Franz Schmidt Musikschule in Perchtoldsdorf. The music school possesses many furnitures from the household of Franz Schmidt himself as well as his own pianoforte.
The recording of Franz Schmidt’s piano playing mentioned in the conversation is the first performance of Alfred Einstein’s completion of Wolfgang Amadé Mozart’s Rondo for pianoforte and orchestra in A major K 386 which took place on 12 February 1936. Franz Schmidt was accompanied by the Vienna Symphonic under the direction of Oswald Kabasta. The performance was broadcasted from Austria to the United States, where it was recorded by an unknown radio listener. A collector, who had come into possession of the recording provided it to Norbert Florian Schuck, who showed it to Anthony and Maria Jenner of the Franz Schmidt Musikschule Perchtoldsdorf. The recording was never published commercially.
[Der Dirigent Jonathan Berman hat mit dem BBC National Orchestra of Wales für Accentus Music die sämtlichen Symphonien von Franz Schmidt eingespielt. Die Aufnahmen wurden bereits an dieser Stelle besprochen. Norbert Florian Schuck sprach mit Jonathan Berman über dieses Aufnahmeprojekt, Franz Schmidts Musik und mehr. Das Gespräch fand in den Räumen der Franz Schmidt Musikschule in Perchtoldsdorf statt, in welchen sich zahlreiche Möbelstücke aus Franz Schmidts Wohnung befinden, ebenso sein Klavier.
Bei der erwähnten Aufnahme, in welcher Franz Schmidt am Klavier zu hören ist, handelt es sich um die neuzeitliche Erstaufführung des Rondos für Klavier und Orchester A-Dur KV 386 von Wolfgang Amadé Mozart in der Vervollständigung durch Alfred Einstein, die am 12. Februar 1936 durch Franz Schmidt, begleitet von den Wiener Symphonikern unter Oswald Kabasta, stattfand. Die Aufführung wurde von Österreichischen Rundfunk in die USA übertragen, wo sie von einem unbekannten Radiohörer mitgeschnitten wurde. Dieser Mitschnitt gelangte in den Besitz eines Sammlers, der ihn Norbert Florian Schuck zur Verfügung stellte. Dieser wiederum machte Anthony und Maria Jenner von der Perchtoldsdorfer Franz Schmidt Musikschule mit der Aufnahme bekannt. Der Mitschnitt ist nie kommerziell veröffentlicht worden.]
TNL: Let’s start the conversation! What were your impressions when you came to Perchtoldsdorf the first time?
JB: I had made contact with Maria Jenner [headmaster of the Franz Schmidt School of Music in Perchtoldsdorf] when we released the CDs of the complete Franz Schmidt Symphonies. However, not really knowing what to expect I came to explore and found a treasure trove of things relating to Schmidt, even including his piano. I was fascinated by his piano as I had written about how the sound of his piano playing give us clues into how to interpret his music in the booklet of my recording. There is this certain approach that Schmidt has in creating his harmonic language out of counterpoint, and we can play and perform it in a way so that it really comes to life. I was thrilled when I played his piano, as it completely confirmed my impression of the sound of his piano playing, and thus his music, which I had found in his notes and throughout my research.
In preparing for the recordings of the Schmidt Symphonies I had studied all of his sketches which I could found, and I had even seen some counterpoint lessons he gave: there’s a book of lessons he gave to Ludovit Rajter, and also some counterpoint exercises of Susie Jeans, which are in the British Library.
That was a real moment for me, because in these exercises Susie Jeans writes a perfect counterpoint, but Schmidt corrects it, not that they are wrong, but his corrections are constantly saying, “This can be more beautiful, this can be stronger, this can have more gravitational pull of the contrapuntal melody.”
So these exercises show Schmidt’s search for beauty and artificiality?
I wouldn’t use the word “artificial”. I’d say he was looking for lines which were “more organic”, “more natural”. Think of the sentence from Goethe which Schmidt liked to quote when he was asked how he writes his music: “I sing how the bird sings” [“Ich singe, wie der Vogel singt”]. He was committed to his music sounding natural, and desired that each sound or tone creates the next ones naturally and organically whilst everything is connected at a fundamental level. It is almost as if Schmidt doesn’t write his music, but once it starts the music creates itself, which is something I searched for in these recordings to try and make the performances sound like the music was creating itself.
I have extrapolated a lot from this idea – even the photographs I commissioned for the CD covers, taken by my great friend here in Vienna, Kristina Feldhammer. They’re all analogue photographs created on film and then in the dark room, which I think mirrors Schmidt’s music (and something we have tried to find in the recordings as well). Kristina’s photographs create a sense of tactility – you can almost touch them, they are not hidden behind a modern shiny veneer which is absolutely my approach to bringing Schmidt’s music to life.
Look at her photo of the Strudlhofstiege steps, there is this sense of architecture, which she combines in the dark room with photographs of nature, of the Wienerwald and of the surrounding areas creating an image which is trying to find in this architecture, nature and the human, or the divine and the earthly. Additionally then, of course, they’re all self-portraits, which creates a sensuality, drawing parallels to the turn-of-the-century Klimt-esque, Schiele-esque, Schnitzler-esque exoticism and eroticism, which we see in the music of Strauss, Wolf, Zemlinsky (actually many composers of that time) and of course, most importantly, all through Schmidt’s music.
Coming back to Schmidt’s piano, I was really thrilled that I found that playing his piano matched what I had found in his music. For instance, certain keys which are traditionally expected to be “bright keys”, like E major… If you look at a passage in Strauss, in Beethoven, in Brahms – even although it’s quite rare for Brahms to write in E major –, it’s a slightly brash key. In Mozart’s operas E major is often almost militaristic: lots of sharps, everything’s a little bit raised and tense, and somewhat bright.
In Schmidt’s music that’s not the case. Playing his piano you hear that it’s the mellowest, softest E major which while it ‘proves’ nothing, for me just adds to weight to the characteristic of the keys which I find in his music.
Schmidt was of course one of the absolute greatest pianists, so his connection to the piano is important. Leopold Godowsky, when asked who was the best pianist of the time, said: “Well, the other is Franz Schmidt.”
Did your imagination of Schmidt as a piano player influence your concept of the recording?
At the time of recording the symphonies I did not know that there was a recording of Schmidt playing the piano (although I searched long and hard for one) so I developed an an idea of how Franz Schmidt might have played the piano, from writings about him, and above all from listening to recordings of other pianists of the era in particular the other students of Schmidt’s teacher Leschetizky, such as Leopold Godowsky. Closest to Schmidt’s playing though – as it was described by his contemporaries – were the recordings of Ernst von Dohnányi.
Interestingly they grew up in Pozsony (Preßburg) which is now Bratislava, only a few years apart from each other. Both played organ in the same church – the next organist of this church was Bartók. They all spoke Hungarian as a first language, Slovakian and German. Still there are a few people in Preßburg-Pozsony-Bratislava, who have this trilingual culture and live this multicultural approach to life. I recently spoke to Adrian Rajter, the son of Ludovit Raijter (a student of Schmidt’s who recorded the complete symphonies), who is a very passionate linguist and still believes in this three-cultural world.
Anyway, I learned a lot about the piano playing of Schmidt from listening to Dohnányi. I’m absolutely not a period performer at all, and I don’t think there is ‘authenticity’ in how to perform music ever. But what I can do is to research as much as I can, so that when I look at a written piece of music and I can use this research (for instances from recordings) to try and open it up, to try and find a key into the music, and discover how to translate the music from the page into sound.
Firstly there is transparency: all of these players play so that you can hear all the voices. There’s none of the heavy post-Soviet piano playing. It didn’t even exist in their minds. So in all the voicings of the chords – thirds are softer, fifths are a bit stronger, tonic bass notes are quite strong always, inner voices are very prominent – there is a sort of transparency of sound while still being resonant and sonorous and singing.
There is a great flexibility with tempo, which comes out of the harmony. It’s not a ‘Chopin-esque‘, or a ‘modern-Chopin-esque’, rubato which functions in order to expresses something about the performer or as some virtuoso trick designed to differentiate yourself from another player. It really is part of the music, and we can find examples of this style of tempo flexibility in the scores of Schmidt’s contemporaries.
Look at Mahler, or Schoenberg, or Webern, or Berg: Every bar, every two bars there’s some tempo marking, there’s an expression marking describing the changing and modulating tempi. With Schmidt’s scores it is very different: mostly there’s just one tempo at the beginning. And it’s very interesting: None of his sketches have tempos or dynamic markings and very rarely are his sketches orchestrated, although occasionally you see a instrumentation written in works around a certain phrase or line. For instance, in the Fourth Symphony very early on in the sketches is a trumpet solo, so he already was thinking in that way. But the drama of the music comes out of the notes he chose, out of pure counterpoint, and the rhythms…..
…the balancing of tension and resolve of harmony…
Exactly! In such a nuanced fashion, even the layering of multiple tensions and resolutions such as having one phrase over 16 bars, one over eight bars, and there is something else going on over four bars… I’m not talking about regularity, but about layering of different narratives so create (literally) deeper music.
Sometimes the music content is about deep or profound ideas as well (such as the 4th symphony), but depth doesn’t have to relate to the content, in music ‘depth’ can just be if there is a lot going on at one point.
To finish the story about the piano:
So now, thanks to both you and Maria [Jenner] I have now heard Schmidt playing, and it is almost exactly what I expected, but more! It’s more imaginative, more fantastical!
If you hear this recording of the Mozart, every gesture is taken care of in a very small scale way, but also as a view of a larger structure. Nothing is repeated the same. It’s what everyone always said about Schmidt: He never played the same thing twice. So if he played the same piece again he would play it differently, not in an improvisatory or extemporising sort of way though, but finding other opportunities which are presented by the notes. This was all because he understood the structure and underlying architecture of the music so well.
The piece is one big moment for him: In this special case the moment is 8 minutes long! In our digital age, you know with Formula 1 talking about 0.01 of a second, we think: “Well, that’s a single moment.” Our zeitgeist is all about discovering the smallest possible denomination of everything – in this case what constitutes a singular event. Actually, though ‘the moment’ in music can be much longer. A whole symphony can be a single moment. Schmidt’s Fourth Symphony is a single ‚moment’, I think the Third as well. The second consists maybe of two ‘moments’, and the first maybe of four. For me there is definitely some time travel needed to recover this idea of expanding ‘the moment’ and connecting more under a single idea (such as the Gestalt Principals of therapy [of Max Wertheimer, Kurt Koffka, and Wolfgang Köhler following Christian von Ehrenfels] do, or Heinrich Schenkers musical analysis do – both from the same time as Schmidt) rather than our modernist was of dissecting until the smallest is found.
Schmidt’s playing uses the structure, playing within its framework, with incredible discipline he found such freedom, fantasy and imagination. When you listen to this recording of him playing, the more you listen, the more you find, and that’s I find with his own music.
I’ve been working on his music now nearly 20 years, and in a great depth for seven years: recording the Symphonies, editing them, learning them, bowing them, spending hours and hours – and I still find more! Even more – I still am in love with his music, (which is not always the case)! There’s some very good music that you spend six months learning, and then a week with an orchestra, and then you’re happy to leave it for a few years. I always want to go back to Schmidt’s music. After a performance the first thing I do is: I open the score and want to explore more……
So every time you come back to Schmidt, it’s a new journey, a new experience for you?
Absolutely! It doesn’t have to be a hugely different journey, I re-experience it every time, but without ignoring the journeys I’ve already been on. I have a very short attention span and I get bored very easily; so, if I tried to just do exactly the same thing again (because that’s what I did the time before) I would get bored, and well before anyone else.
That’s the special sign of quality of Schmidt’s music?
Yes. Although, of course there are other composers who’s music gives you new experiences every time you engage with it. But I do think there is something very special in Schmidt’s music – you can hear it in his piano playing: the sheer vivaciousness, the delicacy, the gestures, the sort of gravity… I don’t mean gravity as in weight, I mean the gravitational pull of a gesture. It’s like a dance.
Considering the recording, I found it interesting that Schmidt criticised his teacher Leschetizky very much for his, as he said, abusive rubato playing. He himself is completely free in tempo, but it is every time in the right way!
The hidden question which you didn’t ask is: What would Schmidt think of my recordings which definitely have quite free tempi? But let’s leave that to the side for the moment.
I think there’s some very interesting things about composers and how they react to their own music, or how they play their own music compared with how composers play other people’s music. They are all connected, but often it’s like a Venn diagram: They don’t quite line up. When you talk about vibrato, when you talk about tempo flexibility, when you talk about rubato, it’s very easy to criticise somebody. It has become a fashion in our times to understand this criticism as a statement of existence or not existence as opposed to a criticism of quality: just think of of the comment of Leopold Mozart that vibrato shouldn’t sound like a meowing cat, a statement which many people have taken to mean that Leopold Mozart hated ALL vibrato (or even more extremely that vibrato didn’t exist) – as opposed to him just saying that vibrato should sound good not bad! So Schmidt criticised Leschetizky about his excessive rubato from which you can only understand that Leschetizky’s rubati didn’t work for Schmidt.
I have a theory about why that might be: When you hear Schmidt’s playing, or you read about his approach to performance, the most important aspect for him is that everything comes out of the music – out of the notes. However, we don’t know much about Schmidt’s relationship with composers where melodic inflection is one of the main modes of expression – Chopin for instance.
We don’t know what Schmidt thought of Chopin’s music or of playing Chopin – or at a least I don’t… Unfortunately, we don’t have a recording of Schmidt playing Chopin. Chopin writes music where the structure underlying the whole piece is simple, but the interest of the music is what happens on a single beat, coloured in very refined ways. So it’s very easy to stretch each moment, and move it around showing off all the minute colourings and small scale relationships.
If you apply that style of rubato then to Mozart or Beethoven, to the larger structures, the large scale harmonic structures of a movement, or the varied repetitions – so when a first subject comes back again, or when a second subject comes back, but in the tonic, not the dominant – the small scale rubato of Chopin just doesn’t work. When you hear someone like Dohnányi playing Beethoven – because there are recordings of him playing Beethoven –, it’s so free, but within this very structured framework.
So, to answer your your hidden question, I have interpreted or translated Schmidt’s criticism of other people of playing with bad rubato, meaning that for Schmidt they weren’t connected to a deeper underlying structure. And whilst I take a lot of tempo flexibilities, I actually try – I don’t know whether that comes off – to create them as a flexible tempo, not rubato. Rubato has this sense of stealing tempo from one moment to give to another. But when performing Schmidt (or Bruckner or Beethoven and many others) I have in my head a sense of pulse and subdivision, and that the tempo is expanding or contracting – a bit like a concertina. You have one movement, one pulse through the piece but, the tempo, the (modernist or absolute) metronome mark might change.
My flexibility often happens over whole phrases. So one phrase will go slower or faster than another phrase. This idea of time keeping is very pre-digital, pre-atomic-clocks, pre-idealised sense of regular time. So it’s much more about felt time: If a pulse feels the same, it is the same.
As a practical example look at the Third Symphony: the first subject of the first movement. It comes four times over the whole movement, and for me I play each time at slightly different tempi to create a sense of a phrase over the whole movement hopefully creating a sense of structure over the whole movement. The first time (right at the opening) is the first time you have heard the material, then you get the second time which is the repetition of the first time (repeat of the exposition), it has to say something different!
It reacts at this point to the music which has been heard before.
Exactly, and you recognise it but it can’t say the same thing twice! So, I take it slightly faster (and phrase it slightly differently connecting it under a longer phrase). Then at the beginning of the development, there is one with a diminished type harmony, which for me has to go slightly slower, because it’s a moment of questioning. The recapitulation then seems to comes out of nowhere, and can come back to a much more relaxed state. Finally the last manifestation of this first theme begins the coda. It is in a very foreign harmonic area and functions as the lowest point of the movement and so for me the slowest point of the movement. I hope that this will create a real journey and relationship between the opening phrase and the beginning of the coda.
You mean a moment of complete relaxation?
Well, it’s not complete relaxation but it’s a moment of complete unknowing of where you’re going, and it’s created by the harmony, the texture, and the orchestration. This music is different the last time we hear it in this movement, and what I have done is I’ve tried to make clear and amplify those characteristics I find in the music, so that as a listening, it is clear that the music is not just carrying on you have a feeling of “Oh what’s going to happen? Oh – what’s – going – to happen?”
You may criticise my performances, say that they are too obvious, say that I lose people, you may say my tempo flexibility is too much. But that’s fine, I want people to listen and react, and if they feel that this is the case, it’s great!
So the beginning of the coda is the moment you create the type of tension which makes the people curious about the second movement?
Exactly! And that for me is much more tempo flexibility as opposed to rubato, although there is some freedom in the phrases. I have no idea what Schmidt would think of it. I, of course, hope he would like it.
I do work a lot with living composers though, and again this idea of authenticity or correctness just doesn’t exist. Performing music is all about life, it’s about giving music life and drawing your listener on a journey! So I think Schmidt would have been very pleased with our recordings.
Of course, when the composer writes something, it is performed, it is out in the world, and it begins living on itself like the child begins to live without the parent.
Yes, you can affect it, and you can hope for it and be a part of it. It’s the same with making recordings. I mean, these are the first recordings I’ve made. I’ve done sessions for the radio, but a recording is not a live performance. It has to have life, but again you have to let it go.
I, of course, hope people put this on a really good stereo or really good headphones, they sit down, they take 45 minutes, and they listen to the whole thing in that space. I can’t control that, and I shouldn’t control it. People might hear it on Youtube, they might hear it in the Metro, they might hear it in the airplane, they might hear 20 minutes of it, they might turn their radio on in the car. And I hope that, whatever happens, the music grabs them, and they go: “Oh, this is interesting!”
But, like with the composer when composing, I feel that a performer should give everything they can to the recording, but then you have to let it live its own life.
Was it clear for you that you want to make your recording debut with Franz Schmidt, when you started to work as a conductor?
No, not at all. I love recordings, I have a huge record collection at home. It’s so big, I can’t even fit it in my house: CDs, LPs, even tapes… I love the medium of recording, and I think it can be incredibly powerful. What was very clear for me right from the beginning of my career was that I wanted to record meaningfully. The more you know about the record industry and what has been recorded, the more you question: “Why do I record this? Is there a real need for this new recording?”
There are different ways of answering that question, and different reasons. For me they had to be musical reasons, and it had to be something to really affect an audience, to draw them into the love which I feel for the music. So there was a moment, where I was thinking that it would be an interesting project to make a recording, and I was sort of looking around for what might be a meaningful project to record. I found Schmidt much earlier, I’d been performing some of the Symphonies, and I really felt that the music was underplayed, underrepresented by this point. (This was before Paavo Järvi had announced his cycle.) I felt that through the performance and through my study of Schmidt’s music there was a lot in the music which I could bring out to draw people into the music. I felt it was music very close to me, and the more I questioned it, the more meaning I found behind the idea of making a recording of it and of building content around the recording: the Franz Schmidt Project which I’ve set up! So I’ve been interviewing other musicians, putting a recordings list up online, and trying to stimulate performances.
So the Franz Schmidt Project and your plans to record the Symphonies grew organically from the same source?
Yes, they grew out of this sort of meaningfulness that I could find in recording his symphonies. I also was very clear that I didn’t want to make a recording just for me, or for my own career. I felt that recording Schmidt’s symphonies had real musical and societal reasons.
When I was starting to think about this project I approached lots of people and asked them whether they knew Franz Schmidt. Some people didn’t know him at all. Fine, that’s a great opportunity to bring the music to them! But the people who did know it, many of them had had an experience with Schmidt early in life, in their teenage years, where his music had really opened them to the power of music. If we can get people involved in, we can play music that has that power, and if we can show a commitment and a dedication to it then that’s a very positive thing. So I felt there was a personal reason to do it, there was a societal reason to do it, a musical-societal, not a sort of extra musical.
I felt that there was something in the music that I could draw out, which just perhaps hadn’t been drawn out before, either because some of the really great recordings had been back in the 60s, 70s, 80s – you know: the Ludovit Rajter [Symphonies No. 1–4], the Libor Pesek [Symphony No. 3], even the Zubin Mehta recording [Symphony No. 4]. The Neeme Järvi recording [Symphonies No. 1–4] has a certain viewpoint of all of the pieces, and I felt like it was worth presenting a different viewpoint. It’s not like doing a Beethoven cycle where almost every viewpoint has been covered.
You have mentioned Rajter and Järvi and other famous interpreters of Schmidt of the past. Are there some of them who you consider to be references for you?
Not really, no, because I think Schmidt’s been very lucky on that there aren’t really bad recordings, and it’s a testament to the depth of the music that many different viewpoints can work. There’s also a more recent cycle with Vassily Sinaisky from Malmö, which is good and the complete cycles of Rajter, Neeme and Paavo Järvi, Luisi, Sinaisky, they’re all absolutely valid viewpoints – I don’t say that with any cynicism. I do think that Mehta, Pesek, and Bychkov [Symphony No. 2], who did one Symphony each, are possibly the most interesting of the recordings, but the idea of a reference recording is a very specific thing, but I don’t think any of these are that, but they are all valid viewpoints.
One of the most important writers on Schmidt was British composer Harold Truscott. Would you say that there is a specific tradition of Schmidt in Great Britain?
To be honest it doesn’t feel like there is. Very little Schmidt is played now, at least. Until a few years ago I’d never heard his music live in Britain. The Vienna Philharmonic brought the Second Symphony to the proms about 5 years ago, and then the Berlin Philharmonic brought the Fourth to the proms about 4 years ago. But before those two works I’d never heard any of Schmidt’s music live in the UK and I only know of two orchestras who have played his symphonies recently (as I have conducted all those concerts!).
I know that there have been various recordings over time, and I’ve done a lot of research into the radio broadcasts that you can find, which are often very interesting. For instance Alfred Walter did a whole set of broadcasts of the Symphonies with the BBC Northern, which you can listen to at the British Library. Simon Rattle performed the Fourth Symphony, there is an archive broadcast.
Of course, Franz Welser-Möst conducted the Fourth Symphony with the LPO in a very good recording, very different performance from anyone else, which is fascinating. He also conducted Das Buch mit sieben Siegeln at the proms.
Truscott’s book on Schmidt is very good, and Truscott was a wonderful composer, very original, but also it’s very interesting that his music sounds like he could have studied with Schmidt. The other person who came to the UK and was a great supporter of Schmidt was Hans Keller. There are some criticisms and some musicological essays by him which are all quite brilliant. He wrote on Schmidt’s music along with much other music, and he was very involved with the BBC. When he was there he pushed Schmidt’s music, which is why we have some of the broadcasts. But I wouldn’t go as far as to say that there is a particularly British tradition of performing Schmidt’s music.
One of the things that I was very keen to do with the BBC Welsh Orchestra was to discover a Viennese – or a more central European – tradition of playing. We worked really hard at that, and I am proud of the results we got: for instance, making a more resonant tone, not playing too loudly, often slightly slower bow strokes, taking real care over the connection of lines, particularly in instruments like horns where you might not expect real, true legato over big intervals.
Schmidt writes wonderful horn lines, and I don’t think it’s too silly to say that you have to imagine yodeling, which is a real legatissimo multi-tessitura line. When you think of Ländler and yodeling you think of a sound world with transparency, but without losing depth of sound, also a profound understanding that lightness doesn’t have to be a lack of seriousness, which I believe is a very Viennese or central European idea. This ties together the slightly softer, warmer, resonant sound and along with more transparency so that the inner voices coming out, and so on. We really worked very hard at trying to find that. We tried and now it’s up to you to decide how successful we were!
The ‘Viennese tradition’ is wonderfully complex. To start with, it’s not just an Austrian tradition. Vienna has always been, and particularly in Schmidt’s lifetime, a multilingual, multicultural city.
Schmidt himself was not just Austrian, but also Hungarian and Slovak and there are many Hungarian elements in his music. The interesting thing about Schmidt is that for him the Hungarian music, the ‘Hungarisms’, that he writes are not just exoticisms, they are a founding element of style.
So within his Hungarian style he still writes nuanced music.
So to add this Hungarian style into the Viennese playing style means incorporating slightly rougher articulation, too, but still in a very acoustic and resonant way. There’s nothing ever metallic, there’s nothing ever bombastic. As you know, Schmidt’s music can get quite loud, for instance at the end of the Second Symphony, or in the two catastrophe moments in the Fourth Symphony but there’s never a loss of quality in the sound otherwise the harmonic tension of the piece is destroyed.
If you imagine playing a piano, you can play louder and louder and louder, and at a certain point the strings stop resonating fully. There’s certain music which really plays with these sounds that you then get at this point: some contemporary music, but also some old music, for instance Mahler is interested in this extreme area – let’s call it “the not-beautiful”. Schmidt never quite hits anything that’s this extreme in the creation of the sound. There is trauma in what he’s writing about, but not in the instrumental colouring.
What would you say as a conductor are the specific challenges of Schmidt’s writing for orchestra?
Well for all the players it’s ferociously difficult to play. He writes very difficult music to play, but never too difficult. There is this joke that he wrote the Second Symphony to challenge his colleagues in the Vienna Philharmonic. Whatever the truth in that, it is very much on the limit, but yet it is never difficult for purely virtuoso reasons. It’s a bit like Clara Schumann said about Schumann’s music that there is no such thing as passage work in Schumann. It’s the same with Schmidt!
You have to train and rehearse the orchestra, so that these immense difficulties of playing are never heard as difficulties and can be nuanced and phrased and coloured to the same degree as a very simple line in a Haydn symphony.
Another challenge is… although I don’t know if it’s really a difficulty… one of the opportunities that Schmidt gives is that there is very little written in the score. It looks like a Mozart score: There are some dynamics, mostly piano to forte, some ‘mezzo’ dynamics, some crescendos, occasionally fortissimos… The same with tempos: one tempo marking almost per movement – of course the Fourth Symphony has a few more, the variations in the Second Symphony have different tempos. But there is a lot of realising or comprehending that has to be done by the conductor – which is wonderful, because it involves fantasy and imagination: How can you color this, or build it in a slightly different way?
Balancing is not difficult per se, but needs real work and care taken over it, because, again, much of the musical drama or the musical function of any moment comes from the bass line and middle voices, not the melody line. So you have to be able to hear and react to the inner voices, meaning that you might have a single note in the melody which has to change color because of something that’s happening in the violas.
The finding of the sound takes some time in rehearsals (and is very important), the finding of the gestures and the way they function and lead on to each other, without ever becoming too contrite. Schmidt’s music should never sound like the conductor is making choices, it should always sound like the music is demanding the choices itself, or that every choice that is made comes out of the music.
I suppose the the real job of a conductor in the performance of the Schmidt symphonies is about connecting the moment and making it cultured and varied, graceful and nuanced without ever losing track of the whole. So you ask yourself where you’re going, what the function of this moment is within the larger moment of the symphony, because it is deeply architectural structured music, there is no improvisation within Schmidt’s music, its all planned and constructed.
We are surrounded here by Schmidt’s Oriental Furniture [the original furniture of Schmidt’s living room, now situated in the Franz Schmidt Musikschule], and so it’s not too out of place to talk about what I’ve learned from Eastern philosophies and Japanese ideologies: That there’s an idea that two things, which are often seen as contrasted, opposites or dichotomies can be combined to be held under the same singular idea. In Schmidt’s music everything is always objective and subjective, everything is always thought through, created, built and constructed, and it is also felt, emotional, dramatic, storytelling, and if you, as a conductor, or a performer, or a musician, can find a way of drawing those together in the moment of performance – that moment might be 45 minutes long – you’re on to something.
Of course, Schmidt lived in this Viennese Jugendstil sphere, with all these ornaments and floral structures. But when you compare his scores with their sparse articulation and dynamic marks with Mozart, would you say that in his music there is a classical, or even baroque spirit below a Fin-de-siècle surface?
100%! As a comparison you can look at Viennese architecture, at Otto Wagner and Adolf Loos. People often see them as opposites. So Wagner is the ‘floralist‘, the artist of the surface, and Loos is the enemy of ornament, but they are still examples of the same underlying structures. Loos is really opposed to ornaments, but yet the balance, lines and the structures he creates are beautiful, Wagner still has to build buildings that stand and with beautiful lines and structures all in balance, even if they have surface ornamentation.
As an aside, something I love about Otto Wagner’s creations is that things are individual. So you look at a set of windows, which from a distance look all like they have the same motif, but over the six windows there is still a progression one way or another, so there is still an understanding of the structure. And look at his railings! I know, I’m a musician, I shouldn’t be talking about railings, but I find them fascinating.
The railings are not in the style of American minimalism in pattern, they change and they shape; it must have been so expensive to make them (Wagner never takes the cheap of easy option). It’s sort of anti-industrial-revolution, against the thinking of everything has to be the same.
In Vienna between 1890 and 1930 there is this conjoining of architectural structure and ornament. The ornament must be so much part of the structure that it is unseen as an ornament as is the case in both Loos and Wagner but in very different degrees. One of the great examples in literature is Heimito von Doderer, a complex personality with a complex relationship to history. He wrote one of the most highly constructed books, where the structure of the book is meant to represent Die Strudlhofstiege, where you take elongated routes to get to your destinations (again never the easiest of simplest route). Its very ornamented, nothing ever goes in straight lines, and things cross over, but all important moments happen on the steps. I think that Schmidt is absolutely in the heart of that movement. Look at Schoenberg, who’s seen as a modernist – and I’m not saying he wasn’t –, but what is Erwartung or the Sechs kleine Klavierstücke if not a representation of the idea that things should never be the same which is an ideal that Schmidt absolutely stood by.
When I perform Schoenberg I treat him as I treat Schmidt. Of course, in Schoenberg there’s the modernist things and the ideology and the construction of a new framework, but actually that all comes out of a gravitational and contrapuntal thinking where every note has to create the next. When you compare Webern with Schmidt’s Fourth Symphony, you see that Schmidt and Webern occupy a very similar world much like Loos and Wagner.
It you think of the compositions of Franz Schmidt, which would you think would be a good example to introduce this composer to a person who does not yet know his music?
Well, I think the ‚correct’ answer is the slow movement from the Fourth Symphony, because of its approachability. It is something quite concrete: a funeral march with a moment of grief, then a moment of anger, and then a moment of grief returning, which has been changed by the anger. It’s phenomenal music. You follow it, you can’t not get caught up in it. That is a wonderful place to start! However, I think if you start there you might love that, but you might still need to make a jump to the rest of his music, because Schmidt’s music is so created to go from the very beginning to the very end of a symphony, and the apparent concreteness or extra musical ideas behind this second movement are not very present in Schmidt’s other music. So I think, if you enter Schmidt’s music from that point, and you look for this special kind of expression in other pieces of Schmidt, you might be disappointed.
I would really encourage to give yourself 46 minutes, lock the front door – maybe you are with some friends, maybe you’re not –, take a nice glass of wine or whiskey, sit in your most comfortable chair, put on the best headphones or speakers or sound system that you can, and play the Fourth Symphony from the beginning to the end. If you commit 46 minutes to that, you will never go back. I don’t want to say it will change your life – because you’re not going to suddenly grow six feet, or lose weight, and there’s not going to be World Peace –, but your experience of music and of Schmidt will have been changed, and, I think, you will be rewarded for it.
So, if someone never has heard Schmidt: sit down and listen the 46 minutes of Symphony No. 4.
Are there other composers, you can imagine to do the same for them as you did for Schmidt?
Very simply, yes! We are thinking at the moment to do another project with Accentus Music, and we are looking at what that might be. I won’t mention anything yet, because we are in the process of thinking about it, but I am very clear that it must fulfil many of the same criteria. Any new recording must be meaningful and it must be needed. I have no interest in doing something just for me; actually, I don’t want it to be about me – the Franz Schmidt Project was about the Franz Schmidt Symphonies, not about me.
I think there is a lot of music that’s not very well known, and not very often played and that there is great, great need to diversify in classical music programming. We must really find things off this central line, we must find things to believe in and really stand behind, because they are imaginative, honest, daring, vulnerable, fragile. The music that I am attracted to has all of those qualities. So yes, there will be another project!
In Innsbruck spielte am 10. November 2024 das Orchester der Akademie St. Blasius unter der Leitung von Karlheinz Siessl Musik Alexander Zemlinskys in Bearbeitungen von Richard Dünser. Es erklangen das Streichquartett Nr. 2 als Kammersymphonie und die Sieben Lieder von Nacht und Traum. Als Sängerin war Anne Schuldt, Mezzosopran, zu hören.
Alexander Zemlinskys 1918 uraufgeführtes Streichquartett Nr. 2 gehört zu den herausragenden Gattungsbeiträgen des frühen 20. Jahrhunderts und kann als bedeutendste Leistung seines Komponisten auf dem Gebiete der Kammermusik gelten. Mit einer ganzen Reihe anderer Streichquartette dieser Epoche – z. B. Max Regers op. 74, Arnold Schönbergs op. 7, Friedrich Kloses Es-Dur-Quartett, Josef Suks op. 31 und Hans Pfitzners später zur Symphonie orchestriertem op. 36 – teilt es die Tendenz zur formalen Expansion und zur äußersten Ausreizung der klanglichen Möglichkeiten der vier Streicher. Wie die etwas älteren Werke Schönbergs und Suks besteht es aus einem einzigen Satz, dessen Unterabschnitte sich aber ungefähr mit den Satzcharakteren einer mehrsätzigen Sonate decken. Innerhalb des 40-minütigen Verlaufs kommt es zu extremen Kontrasten. In Hinblick auf harmonische Kühnheiten kann es Zemlinsky ohne weiteres mit dem späten Mahler und dem frühen Schönberg aufnehmen. Die Musik wechselt zwischen manischer Aktivität und introspektivem Verharren, bleibt mitunter unsicher in der Schwebe, steigert sich dann wieder zu leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen und erstirbt letztlich, nachdem sie sich zuvor noch durch dornige Chromatik winden musste, in lichtem D-Dur. Ohne Zweifel ist dieses Quartett ein Bekenntniswerk. Kein Ton ist darin, der klingt, als wäre er einem bloß artistischen Bedürfnis entsprungen. Hier spricht sich eine zutiefst erschütterte Seele aus.
Anders als Schönberg, sein Schüler und Schwager, hat Zemlinsky nicht den Weg zur Kammersymphonie eingeschlagen, sondern großorchestrale Symphonik und Kammermusik voneinander getrennt kultiviert. Das nichtsdestoweniger im Zweiten Streichquartett vorhandene orchestrale Potential reizte den Komponisten Richard Dünser, dieses Werk zu einer Kammersymphonie umzuformen. Hinsichtlich der Besetzung orientierte sich Dünser an Schönbergs Kammersymphonie op. 9 und verzichtete lediglich auf das Kontrafagott, womit seine Bearbeitung des Zemlinskyschen Quartetts auf 14 Stimmen kommt. Dünsers Instrumentation zeichnet einerseits Zemlinskys Linien mit kontrastreicheren Farben nach, anderseits fügt sie dem Werk neue Ebenen hinzu, indem sie Gegensätze schafft, die im Original höchstens angedeutet waren. So schafft Dünser bereits in den Anfangstakten, die Phrasierung interpretierend, ein Wechselspiel zwischen Streichern und Bläsern, indem er die Bläser an jenen Stellen einsetzen lässt, die Zemlinsky in der Oberstimme durch Akzente hervorgehoben hat.
In dieser Gestalt erklang das Werk am 10. November 2024 im Innsbrucker Kulturzentrum Vier und Einzig durch das Orchester der Akademie St. Blasius unter der Leitung von Karlheinz Siessl. Man hörte 19 Instrumente spielen, da die Violinen auf sechs, die Bratschen auf zwei aufgestockt wurden; angesichts der Stärke der Bläser eine durchaus sinnvolle Entscheidung. Die Darbietung des anspruchsvollen Werkes gelang außerordentlich gut. Karlheinz Siessl ist ein äußerst sorgfältiger Kapellmeister, der, die Takte genau ausschlagend, präzise das Tempo vorgibt. Eine starke, ausladende Geste ist bei ihm immer mit einer spezifischen Bedeutung verknüpft und nie zufällig. Mit sicherer Hand lenkte er die Kräfte seiner hochmotivierten Musiker und wog die einzelnen Sektionen des Orchesters gegeneinander ab, sodass ein in kräftigen, stark kontrastierenden Farben strahlendes Klangbild entstand, in welchem es aber nie grob und unbeherrscht zuging.
Den zweiten Teil des Konzerts bildeten die Sieben Lieder von Nacht und Traum, ein Zyklus, den Richard Dünser aus verschiedenen, getrennt voneinander veröffentlichten Klavierliedern Zemlinskys zusammengestellt hat. Nachdem er seine Auswahl unter den Gesichtspunkten persönlicher Vorliebe und Eignung zur Orchestrierung getroffen hatte, stellte Dünser fest, dass sich alle in einer nächtlichen Szenerie abspielen oder von Träumen handeln – darum der Titel. Das Orchester entspricht demjenigen der aus dem Zweiten Streichquartett gewonnenen Kammersymphonie, erweitert um eine Harfe. Der Verschiedenheit der Gedichte, die von sieben Dichtern unterschiedlicher stilistischer Ausrichtung stammen, entspricht die Vielseitigkeit der Vertonungen Zemlinskys. Herrscht im ersten Lied (Der Traum) ein volksliedartiger Ton vor, und erinnert das zweite (Das verlassene Mädchen) an ein altdeutsches Lied der Renaissance-Zeit, so geben sich Stücke wie Um Mitternacht und Und hat der Tag all seine Qual als kleine symphonische Szenen, bei denen durchaus Richard Wagner, auf dessen Spuren Zemlinskys raffinierte Harmonik ohnehin wandelt, Pate gestanden hat. In Schlaf nur ein mischt sich mit den titelgebenden Worten immer wieder, wie von außen kommend, volksliedhafte Schlichtheit ins spätromantische Zwielicht, und Vöglein Schwermut, das letzte Lied, hebt wie ein Volkslied an, um als symphonischer Gesang zu schließen. Immer wieder beeindruckt, wie Zemlinsky durch die Begleitung Atmosphäre schafft, sei es tonmalerisch, wie in den Vogelrufen im Traum, und den nächtlichen Unwettern in Um Mitternacht und Ich geh nachts, sei es als Darstellung der sich steigernden Erregung und schließlichen Resignation im Verlassenen Mädchen. Dünsers Instrumentation trägt sehr wohl zur Vertiefung der Eindrücke bei. Er hat sich übrigens eng an Zemlinskys Klaviersatz gehalten, sodass in seiner Bearbeitung einige Stellen ungeachtet der neuen Klangfarben auffallend klavieristisch anmuten.
Die Mezzosopranistin Anne Schuldt darf man durchaus als ideale Besetzung für diese Lieder betrachten. Allgemein passt ihre kräftige, dunkel getönte und lyrisch-samtene Stimme sehr gut zur Grundstimmung der Musik Zemlinskys, doch versteht sie sich gleichfalls darauf, sich in den individuellen Charakter jedes einzelnen Liedes hineinzuversetzen und ihm zu adäquaten Ausdruck zu verhelfen. Hervorheben muss man außerdem ihre gute Textverständlichkeit. Karlheinz Siessls umsichtige Leitung bewährte sich auch hier. Das Orchester bot der Sängerin eine sehr belebte Bühne, auf der sie sich entfalten konnte, ohne fürchten zu müssen, von den Instrumenten übertönt zu werden.
Die Akademie St. Blasius kann sich diesen Abend als großen Erfolg verbuchen.
In einem Programm von hohem Repertoirewert präsentieren Christoph Schlüren und das Orquestra Simfònica Camera Musicae Musik von Johann Sebastian Bach, Reinhard Schwarz-Schilling, Wolfgang Amadeus Mozart, Giorgio Federico Ghedini, Douglas Lilburn und Paul Büttner, überwiegend für Streichorchester. Als Solisten treten die Flötistin Raquele Magalhães und der Geiger Joel Bardolet hinzu.
„Resurrection“ ist das neue Album von Christoph Schlüren am Pult des katalanischen Orquestra Simfònica Camera Musicae (bzw. seit 2021 Franz-Schubert-Philharmonie) benannt, und was hier „aufersteht“, ist die Musik wenig bekannter, sorgsam ausgewählter Komponisten des 20. Jahrhunderts. So werden im Rahmen eines auch dramaturgisch sehr schlüssigen (Konzert-) Programms Werke (in der Regel für oder mit Streichorchester) von Paul Büttner, Reinhard Schwarz-Schilling, Giorgio Federico Ghedini und Douglas Lilburn den „Klassikern“ Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart gegenübergestellt. Es geht also gerade nicht darum, vermeintliches „Nischenrepertoire“ einzuspielen, sondern ein Plädoyer für den Wert der Musik all dieser Meister abzulegen und sie in exemplarischer Manier zusammen mit den Größen des Repertoires zu präsentieren. Dabei handelt es sich bei nahezu allen hier versammelten Werken um Bearbeitungen.
So steht gleich am Beginn als kleine „Ouvertüre“ eine Einrichtung von Johann Sebastian Bachs Fuge g-moll BWV 578 für Streichorchester durch Lucian Beschiu. Diese Wahl ist insofern charakteristisch, als dass kontrapunktisch geprägte Werke stets ein Markstein von Schlürens Programmen sind, und außerdem handelt es sich bei G um so etwas wie den Zentralton des vorliegenden Albums (nur die Werke von Schwarz-Schilling und Mozart stehen nicht in irgendeiner Weise „in G“). Hervorragend die Transparenz der Darbietung und die sorgfältige Gewichtung der einzelnen Stimmen, ausgezeichnet artikuliert vorgetragen (wie gleich zu Beginn bei der ersten Präsentation des Themas zu beobachten), auch im Sinne der Vitalität und Spielfreude, die diesem kleinen Stück zu eigen sind.
Deutsche Musik der Nachkriegszeit ist lange äußerst avantgarde-dominiert rezipiert worden, was aber die Bandbreite dessen, was in diesen Jahrzehnten tatsächlich komponiert worden ist, in keiner Weise zutreffend widerspiegelt. Unter den überhaupt nicht wenigen Komponisten, die nicht mit der Tonalität brachen, ist Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985), Schüler von Braunfels und Heinrich Kaminski, eine signifikante Erscheinung. Seine „kanonische Choralbearbeitung“ der Passionsmelodie Da Jesus an dem Kreuze stund für Orgel (bzw. Flöte, Violine und Orgel) entstand zwischen 1936 und 1942. Für die vorliegende Aufnahme hat wiederum Beschiu sie für Flöte, Violine und Streichorchester eingerichtet, wobei der erste Abschnitt den Streichern, der zweite den beiden Soloinstrumenten mit Bass vorbehalten ist und erst der letzte alle Stimmen vereint. Aufbauend auf barocken und vorbarocken Modellen (man beachte namentlich die starke modale Färbung der Musik) erschafft Schwarz-Schilling eine gemessene, verinnerlichte, aber doch sehr expressive Klagemusik in gedeckten Farben. Die Flötistin Raquele Magalhães und der Konzertmeister des OSCM, Joel Bardolet, liefern gemeinsam mit den Streichern eine ungemein beseelte, die weiten, kunstvoll miteinander verflochtenen melodischen Linien dieser Musik vorzüglich nachvollziehende Interpretation.
Bardolet erlebt man anschließend noch einmal als Solisten in einem weiteren Bach-Arrangement. Bekanntlich sind Bachs Werke oftmals nicht in ihren Erstfassungen überliefert, sondern in der Form, wie sie uns vorliegen, Bearbeitungen und Neuzusammenstellungen, die Bach selbst in späteren Jahren vorgenommen hat. Im Falle seines Klavierkonzerts f-moll BWV 1056 etwa gilt als gesichert, dass wenigstens der erste Satz ursprünglich einem nicht erhaltenen Violinkonzert entstammte, und so findet sich hier eine Einrichtung des gesamten Konzerts für Violine und Streicher, nun in g-moll. In den Ecksätzen betonen Bardolet, Schlüren und ihre Mitstreiter die polyphonen Strukturen wie gleich zu Beginn die durch die Stimmen laufende Dreitonfigur oder später immer wieder ausgesprochen expressiv herausgearbeitete Nebenstimmen in den Solopassagen. Ganz im Fokus steht der Solist im langsamen Satz, wo Bardolet der außerordentlichen Kantabilität des Soloparts (nicht umsonst stammt dieser Satz vermutlich aus einer verschollenen Kantate) eindrucksvoll Rechnung trägt, mit leichten agogischen Freiheiten, die aber niemals den Fluss der Musik stören, und nota bene in einem echten Largo-Tempo, das dem wundervollen Melos dieser Musik wahrhaft Zeit zum Sich-Entfalten gibt.
Mit Wolfgang Amadeus Mozarts Fantasie f-moll KV 608 folgt nach Schwarz-Schilling faktisch eine zweite Trauermusik, denn wie auch ihr Schwesterwerk KV 594 ist dieses Werk für das Mausoleum Gideon Ernst von Laudons entstanden, was auch die für uns gewiss erst einmal kurios erscheinende Originalbesetzung für ein mechanisches Musikinstrument erklärt. Ein hochexpressives, chromatisch gefärbtes spätes Meisterwerk von reicher Polyphonie, von dem es etliche Bearbeitungen gibt, die das Werk für den Konzertsaal „retten“, so etwa die vorliegende für Streichorchester von Edwin Fischer. Die ausgeprägte Kontrapunktik der Fantasie ist natürlich ein Fest für Schlüren und seine Mitstreiter, die die komplexen Strukturen mit großer Umsicht und gestalterischer Stringenz realisieren, geprägt von ernster, gravitätischer, würdevoller Expression, unter Verzicht auf jedwede Manierismen, die Binnenspannung (auch in der Harmonik) exzellent nachvollziehend, mit viel Richtung und Präzision. Wenn hier etwas noch besonders hervorzuheben ist, dann die geradezu dramatische Wucht, die der Schluss in dieser Einspielung entfaltet, auch durch ein leichtes, wohldosiertes Anziehen des Tempos.
Im Programm folgt ein kleines Intermezzo aus zwei kurzen Stücken, das Raquele Magalhães gewidmet ist. Noch vor etwa 15 Jahren sah es auf dem Tonträgermarkt in Sachen Giorgio Federico Ghedini (1892–1965) eher dürftig aus, und auch wenn sich die Situation mittlerweile erfreulicherweise etwas gebessert hat, dürfte der Name dieses italienischen Meisters nach wie vor eher wenigen Musikfreunden geläufig sein. Dabei ist seine Musik von bemerkenswerter Originalität, hervorstechend insbesondere ihr eminenter Klangsinn, der aber nicht vom Impressionismus kommt, nicht vielfarbig schillert, sondern ihren „demone sonore“, wie er auch genannt worden ist, eher auf Kargheit und Reduktion gründet: man höre etwa die kristalline Klarheit der langsamen Passagen oder den aufregend schrägen, zwischen Archaik und Moderne pendelnden Schlusshymnus seiner Architetture (für Orchester). Auf dieser CD nimmt Ghedini von der Besetzung her eine Sonderstellung ein, da von ihm ein Stück für Flöte solo ausgewählt wurde (zugleich das einzige Werk auf diesem Album, das im Original gespielt wird), und zwar mit Canto, o della solitudine das dritte seiner 1962 entstandenen Tre pezzi per Flauto solo. Hier kommt Magalhães’ Kunst des Flötenspiels exemplarisch zum Zuge; eine famose Darbietung, die die weit aufblühenden Linien dieses Stücks ebenso wunderbar realisiert wie seine Momente des Zögerns, des Stockens, all dies auch klanglich sehr fein differenziert.
Klassische Musik in Neuseeland ist wesentlich mit dem Namen Douglas Lilburn (1915–2001) verbunden, hier vertreten mit seiner Canzona Nr. 1, 1943 ursprünglich als Schauspielmusik entstanden, 1980 dann etwas erweitert und hier in einer Fassung für Altflöte und Streicher von Lucian Beschiu eingespielt. Im Rahmen dieses Programms knüpft diese kleine „Aria“ stimmig etwa an Schwarz-Schillings Choralbearbeitung oder den Mittelsatz von Bachs Konzert an, wobei die barocke Inspiration durch einen leicht archaischen, fast rituell anmutenden Einschlag ergänzt wird, mit sparsam, aber sehr präzise eingesetzten Mitteln viel Atmosphäre erzeugend. Das Dämmerlicht dieses kleinen Stimmungsbilds korrespondiert vorzüglich mit dem betörenden Ton von Magalhães’ Altflöte.
Am Schluss des Programms steht das 1916 entstandene Streichquartett g-moll des Dresdners Paul Büttner (1870–1943) in einer Streichorchesterfassung von Schlüren selbst. Büttner war ein Schüler Draesekes; seinen Durchbruch als Komponist erlebte er 1915 mit der Uraufführung seiner Dritten Sinfonie im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Nikisch. Sozialdemokrat und in der Arbeiterbewegung engagiert, wurde er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aller Ämter enthoben. Nach dem Krieg wurde sein Schaffen bis zu einem gewissen Grad in der DDR gepflegt und seine Vierte Sinfonie auf Schallplatte eingespielt, wodurch er in Westdeutschland wiederum mit dem Etikett „DDR-Komponist“ in Verbindung gebracht wurde, was faktisch bis zum heutigen Tag Vorbehalte mit sich bringt (sodass einiges an großartiger Musik aus dem Osten nach wie vor weitgehend ignoriert wird).
Büttner ist ein Komponist in der Tradition der deutschen Romantik, ähnlich wie Draeseke zwischen Brahms und Bruckner stehend, aber auch an älterer Musik interessiert. Und so mutet das Hauptthema des ersten Satzes mit seiner kontinuierlichen Achtelbegleitung durchaus klassizistisch an, ganz ähnlich übrigens wie das verwandte erste Thema des ersten Satzes der Zweiten Sinfonie von Leo Spies (müßig, hier über eventuelle Einflüsse zu spekulieren). Hieraus entwickelt sich ein dramatisch geschärftes, mit aufbegehrend-heroischen Gesten arbeitendes, kontrapunktisch geprägtes Sonatenallegro. Nach diesem „Ersten Hauptstück“ wird im „Ersten Zwischenspiel“ ein leicht pastoral anmutendes, laut Partitur „sinnig hingleitendes“ Stimmungsbild angedeutet, das dabei aber wiederum ausgesprochen polyphon gearbeitet ist. Der dezidiert folkloristische Tonfall der ersten Takte des folgenden Scherzos täuscht, denn was sich hieraus entwickelt, ist ein phantastischer Ritt, der sein Material (chromatisch) verfremdet, mit weiten Glissandi geradezu persifliert und sich insofern tatsächlich als der angekündigte „Zweite Hauptteil“ erweist. An vierter Stelle steht der wohl schon längst erwartete langsame Satz, allerdings im reduzierteren Rahmen eines choralartigen „Zweiten Zwischenspiels“, eines Moments „andächtig versunkenen“ Innehaltens. Der „Dritte Hauptteil“, das Finale, beginnt in größter Entschlossenheit mit scharfen Punktierungen und einem Thema à la hongroise, kombiniert mit Reminiszenzen an die vergangenen Sätze. Überraschenderweise kommt das Werk kurz vor Ende noch einmal gänzlich zur Ruhe mit einem kontrapunktisch geprägten Abschnitt, der sich bei näherem Hinschauen als eine Widmung an Büttners Frau Eva entpuppt. Erst danach kommt es wirklich zu einer effektvollen finalen Zuspitzung nebst Wendung nach Dur in beinahe letzter Sekunde.
Schon die Ersteinspielung von Büttners konziser, kontrapunktisch geprägter (bzw. inspirierter) Triosonate für Streichtrio bei Aldilà Records vor einigen Jahren ließ erkennen, dass die epische Breite und meisterhafte Beherrschung der großen Form der Vierten Sinfonie nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf Büttners übriges Schaffen erlaubt. Und so ist auch das Quartett wiederum keine Kammerversion der Sinfonie, sondern ein ein Werk, das seine eigenen Wege geht, die sich oft genug als anders entpuppen als der Hörer vielleicht zunächst vermutet, und das sich insofern immer wieder (spielerisch) über Erwartungen und Konventionen hinwegsetzt. Es ist Schlüren und seinem katalanischen Orchester hoch anzurechnen, dieses Stück nun erstmals in einer Einspielung (noch dazu in dieser Qualität) zugänglich gemacht zu haben.
Hervorragend wie üblich Schlürens Begleittext, der Werke und Komponisten (sinnvoll gewichtet) ausführlich vorstellt und dem Hörer allerlei Beachtenswertes an die Hand gibt; sehr aufschlussreich auch (als eine Art Blick „hinter die Kulissen“) die Informationen zur Genese des Programms. Summa summarum einmal mehr ein erstklassiges, sehr verdienstvolles Album.
Auf dem Album Resurrection spielt das Orchestra Simfònica Camera Musicae unter der Leitung von Christoph Schlüren Werke von Johann Sebastian Bach, Reinhard Schwarz-Schilling, Wolfgang Amadeus Mozart, Giorgio Federico Ghedini, Douglas Lilburn, Paul Büttner. Als Solisten sind Joel Bardolet (Violine) und Raquele Magalhães (Flöte) zu hören.
Im Laufe der vergangenen Monate hat Aldilà Records kurz hintereinander drei Alben veröffentlicht, auf denen Christoph Schlüren als Dirigent zu erleben ist. Bei allen handelt es sich um Mitschnitte von Konzerten, zum Teil ergänzt durch „Studio-Live“-Aufnahmen, also quasi-konzertante Aufführungen ohne Publikum nach dem eigentlichen Konzertereignis. Die CD Quintessence, die ein Konzert der Symphonia Momentum in Lehrberg dokumentiert, vereint drei Werke für fünfstimmiges Streichorchester: Felix Mendelssohn Bartholdys Introduktion und Fuge (auch Streichersymphonie Nr. 13 genannt), Reinhard Schwarz-Schillings Bitten (die Bearbeitung eines A-cappella-Chorwerks), und Anton Bruckners Streichquintett in Schlürens Einrichtung für Streichorchester. Mit Zodiac erschien Schlürens erste Doppel-CD als Leiter eines großen Symphonieorchesters. Neben Arvo Pärts Festina lente und dem Adagio aus Benedetto Marcellos Oboenkonzert d-Moll enthält sie als Hauptwerk die Symphonie Nr. 3 von Martin Scherber, deren Uraufführung hier zugleich festgehalten ist. Wie im Falle von Zodiac, ist auch auf dem dritten Album Resurrection das katalanische Orchestra Simfònica Camera Musicae zu hören, nun allerdings in reiner Streicherbesetzung.
Resurrection basiert auf einem Konzert, das im Juli 2021 in Tarragona stattfand. Ganz wie man es von Schlüren kennt, wird man als Zuhörer auf einen Streifzug durch verschiedene Epochen und Stile mitgenommen. Im Gegensatz zu Quintessence, wo das konsequente Festhalten an einer Besetzung das Programm bestimmt, tritt das Streichorchester hier in Dialog mit zwei Solisten: dem Geiger Joel Bardolet und der Flötistin Raquele Magalhães. Die Vortragsfolge ist dabei so aufgebaut, dass Anfang, Mitte und Abschluss von einem Werk für Streichorchester allein bestritten werden; dazwischen erklingen jeweils zwei Kompositionen, in denen die Solisten zu hören sind. In Hinsicht auf die Entstehungsdaten der Werke lässt sich der Verlauf des Programms durchaus als sinusartig bezeichnen. In der Mitte steht Wolfgang Amadé Mozarts Fantasie f-Moll KV 608, in seinem Todesjahr 1791 für eine mechanische Orgel komponiert und im 20. Jahrhundert von Edwin Fischer für Streicher gesetzt. Ihr voran gehen zwei Werke Johann Sebastian Bachs, die Orgelfuge g-Moll BWV 578 und das durch Rücktranskription aus dem Cembalokonzert BWV 1056 gewonnene Violinkonzert g-Moll, die ein Werk Reinhard Schwarz-Schillings einrahmen: Da Jesus an dem Kreuze stund, eine 1942 vollendete kanonische Choralfantasie für Orgel mit Melodieinstrumenten ad libitum, hier als Streicherwerk mit Violine und Flöte aufgeführt. In der zweiten Hälfte der CD dünnt sich zunächst das Klangbild aus: Mit Giorgio Federico Ghedinis Canto, o della solitudine für Flöte solo (1962) erklingt das einzige Stück des Programms, das in seiner originalen Gestalt zu hören ist. In Douglas Lilburns Canzona Nr. 1, kommen die Streicher wieder hinzu, um die Flöte mit Pizzicato-Bässen und dezenten Arco-Linien zu begleiten. Die hier gespielte Fassung des Stücks wurde von Lucian Besciu erarbeitet, der auch die Bachsche Fuge und Schwarz-Schillings Choralbearbeitung transkribiert hat. Er kombinierte dabei zwei vom Komponisten selbst stammende Versionen: die Erstfassung für Violine und Viola von 1943 und die Überarbeitung von 1980 für Streichorchester. Wie in der ersten Fassung spielt ein einzelnes Instrument die Melodie (hier die Flöte), wie in der zweiten bildet ein Streichensemble das klangliche Fundament. Krönender Abschluss des Albums ist Paul Büttners Streichquartett g-Moll aus dem Jahr 1916, das mit dieser Aufnahme überhaupt erstmals auf CD gelangt – das Album ist offenbar vor allem wegen dieser Pioniertat Resurrection benannt. Von Christoph Schlüren für Streichorchester eingerichtet, erklang es als Streichersymphonie zum ersten Mal 2017 in Neuß.
Beim Hören dieser CD fällt sofort auf, wie sehr sich der Klang des Streichorchesters im Verlauf des Programms verändert. Die deutlichen stilistischen Unterschiede der Kompositionen finden ihren Widerhall in ihrer klanglichen Umsetzung. So werden die beiden Bach-Stücke sehr leichtfüßig und agil vorgetragen. Mit athletischem Schwung bewegen sich die Sechzehntelketten der Fuge, doch auch dem Gesang der breiteren Gegenstimmen wird Genüge getan. Dieser Bach funkelt wahrlich hell! Unmittelbar anschließend wird der imaginäre Raum in Dunkel gehüllt: In Schwarz-Schillings Da Jesus an dem Kreuze stund geben die Streicher plötzlich Klänge von sich, die in ihrer kernigen Innigkeit an ein altes, hölzernes Orgelpositiv gemahnen. Mit Joel Bardolet und Raquele Magalhães hat Christoph Schlüren zwei Solisten gefunden, die sich wunderbar in dieses Farbenspiel einfügen. Bei Schwarz-Schillings sind sie gewissermaßen die Lichtstrahlen im gotischen Kirchenraum. Bardolet, den man von einer früheren Aldilà-Produktion (German Counterpoint) her bereits als exzellenten Kammermusiker kennt, erfüllt danach in Bachs Violinkonzert seine Stimme mit Anmut und langem Atem. Im Adagio vergisst er nirgends, dass seine Kantilenen von den Orchesterbässen gestützt werden, und in den Ecksätzen ist er dem Orchester ein anspornender primus inter pares. Raquele Magalhães ist eine Ausnahmeflötistin, die man getrost zu den ganz großen Meistern ihres Instruments rechnen darf. Selten hört man die Flöte derart menschlich, mit all den feinen Schattierungen, wie sie der menschlichen Stimme gegeben sind! Ganz auf sich allein gestellt, entfaltet Magalhães in Ghedinis Canto eine fesselnde Klangrede, die durch zahlreiche Atempausen gegliedert, aber nicht unterbrochen wird, wobei sie ihre farbenreiche Tongebung klug einsetzt, um die Spannung zu halten. Ebenso aus dem Vollen schöpft sie in der Darbietung der Lilburnschen Canzona auf der Altflöte, wobei dieses liedhafte Stück – ein Juwel schlichter Schönheit, das durchaus Ohrwurmqualität besitzt – ihrer „sängerischen“ Begabung besonders entgegenkommt. Die Stücke Ghedinis und Lilburns bilden als Monodie und instrumentales Arioso den Ruhepol der CD. Geschickt sind sie hinter ein Werk Mozarts platziert worden, das zu dessen exzessivsten kontrapunktischen Arbeiten gehört. Schlüren lässt das Orchester in der Fantasie KV 608 wuchtiger klingen als in den Bach-Stücken, wie gleich in den Einleitungstakten nach Art französischer Ouvertüren deutlich wird. Die beiden Allegro-Teile zu Beginn und am Schluss werden langsamer gespielt als in allen anderen mir bekannten Aufführungen des Werkes. Bezugspunkte für diese Tempowahl sind offensichtlich die darin enthaltenen Fugen, deren lebhafte Kontrapunkte sorgfältigst phrasiert dargeboten werden. Dadurch verhindert der Dirigent den Eindruck mechanischen Abspulens, der namentlich bei zu hastiger Aufführung des Schlussteils aufkommen kann. Das zentrale Andante, ein Variationssatz, klingt zart und gesanglich – nicht nur in den Violinen, sondern in allen Stimmen: Mozarts herrliche Polyphonie darf auch hier aufblühen.
Mit Paul Büttner ist man am Ende bei einem der großen deutschen Symphoniker des frühen 20. Jahrhunderts angelangt, einem Meister des opulenten Orchesterklangs, der zugleich – als Schüler Felix Draesekes – einer der geistvollsten Kontrapunktiker seiner Generation gewesen ist (man höre diesbezüglich einmal seine ganz aus Kanons bestehende Triosonate für Streichtrio!). Büttners Streichquartett g-Moll dauert etwas mehr als eine halbe Stunde und gliedert sich in fünf Sätze: Ein zentrales Scherzo wird von zwei langsamen Interludien umrahmt, diese wiederum von einem ausgedehnten Allegro-Kopfsatz und einem lebhaften Finale. Letzteres ist eine Art Rondo, das in seinen Zwischenteilen auf Themen der früheren Sätze zurückgreift und auch einen langsamen Doppelkanon über das Thema E-F-A (eine versteckte Widmung an Büttners Ehefrau) enthält. Das Quartett ist durchaus kein verkapptes Orchesterwerk – Büttner wirft nicht mit Doppelgriffen und Tremoli um sich und schreibt kaum homophon-flächig –, doch geht durch das ganze Stück ein Zug ins Große, der es mehr als rechtfertigt, es in chorischer Besetzung aufzuführen. Das Orchestra Simfònica Camera Musicae widmet sich hingebungsvoll der Ausgestaltung jedes einzelnen Moments, und tatsächlich meint man ständig, im Streicherklang versteckte Holzbläser, Hörner, Trompeten, Posaunen zu hören. Wer wissen will, wie man mit einem monochronen Klangkörper ein Maximum an Differenziertheit erzeugen kann, der findet hier ein vorzügliches Beispiel. Zum stillen Höhepunkt des Ganzen gerät das zweite Interludium – es ist keine bloße Floskel, wenn man angesichts dessen von einem Streicherchor spricht.
Ein sehr umfangreicher Einführungstext aus Christoph Schlürens Feder, der nicht nur viele interessante Fakten zur Entstehung der einzelnen Werke, sondern vor allem wertvolle Einsichten bezüglich ihrer Aufführung enthält, rundet diese wunderbare Produktion ab, die jedem Freund kultivierten Musizierens wärmstens empfohlen werden kann.
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielte in seinem ersten musica viva Konzert der neuen Saison am 25. Oktober 2024 im Münchner Herkulessaal unter Edward Gardner zwei Orchesterwerke des Briten Oliver Knussen: „Flourish with Fireworks“ und die„Cleveland Pictures“. Von Knussens Schüler Mark-Anthony Turnage erklang„Three Screaming Popes“. Die größte Aufmerksamkeit erregte jedoch die Australierin Liza Lim mit der bejubelten Uraufführung von „A Sutured World“, eine Art Cellokonzert für den Solisten des Abends, Nicolas Altstaedt.
Nach Meinung des Rezensenten erklingen ja Werke britischer Herkunft, gemessen an ihrer Bedeutung, generell zu wenig auf deutschen Konzertpodien. Nun hatte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks für diesen Abend nicht nur Edward Gardner, den derzeitigen Chef des London Philharmonic Orchestra zur musica viva eingeladen, sondern auch Musik zweier kompositorischer Schwergewichte der letzten Jahrzehnte programmiert, die gerade in München zuletzt nicht oft zu hören waren. Oliver Knussen (1952–2018) war eine eminente, frühreife Doppelbegabung, dirigierte schon mit 15 die Premiere seiner 1. Symphonie beim London Symphony Orchestra. Als Dirigent ein kongenialer Interpret komplexer zeitgenössischer Musik, – etwa der Werke Elliott Carters – bezog sich seine eigene Musik stark auf Strawinsky, knüpfte gerade an dessen Spätwerk an. Seine Instrumentationskunst war immer exzeptionell. Dies beweist das BRSO gleich in Flourish with Fireworks (1993): Zwar nur eine Gelegenheitskomposition für das Antrittskonzert von Michael Tilson Thomas als Chefdirigent des LSO, leitet Gardner den 4-Minüter präzis, ohne mit der linken Hand allzu viel anzuzeigen und kreiert einen mitreißenden Klang, der sich offenkundig an Strawinskys frühem Feu d’artifice orientiert –immerhin ein positiv einstimmendes Warm-up.
Die Australierin Liza Lim (Jahrgang 1966) braucht man in München nicht mehr vorzustellen. Sie erhielt den Happy New Ears Preis der Hans und Gertrud Zender Stiftung für 2021, und ihre Musik erklang mehrfach im Herkulessaal. Vieles davon zeugt von starkem politischem Engagement und Umweltbewusstsein. A Sutured World, dem deutsch-französischen Solisten Nicolas Altstaedt quasi auf den Leib geschrieben, darf das Publikum neben allem philosophischen Über- und Unterbau inklusive Begrifflichkeiten wie Wundheilung, Riss, Sutra oder Narbe schlicht als ein grandioses Cellokonzert genießen. Die für den Hörer klar strukturierte, vierteilige Anlage sowie Altstaedts hochengagierter, zudem von einer enormen emotionalen Spannweite geprägter Vortrag können durchgehend überzeugen: von mystischer Versenkung über Halluzination bis zu ekstatischer Spielfreude – der letzte Abschnitt ist mit Simon says: Alle Vögel fliegen hoch betitelt. Natürlich werden alle spiel- und klangtechnischen Möglichkeiten des Instruments genutzt: So beginnt Altstaedt sein erstes Solo mit einem Barockbogen. Für den wieder intimen Schluss nutzt er gar zwei Bögen gleichzeitig, darf auch mal in durchaus tonal gedachten Kantilenen schwelgen. Das mit nur 2-fachen Bläsern besetzte Orchester tritt oft mit Einzelinstrumenten (Harfe) oder kleineren Gruppen in interessante Dialoge mit dem Solisten und verzaubert mit schlüssiger, fein austarierter Farbigkeit, wird vom Dirigenten mit größter Übersicht und klarer Dynamik so geleitet, dass Altstaedt mit seinem Cello stets durchkommt. Selten hat das musica viva Publikum mit derart ungeteiltem, begeistertem Applaus ein Solistenkonzert bejubelt wie Liza Lims staunenswertes Stück; da verbot sich jede Zugabe.
Nach der Pause gibt es dann zwei Orchesterwerke, die sehr konkret von bildender Kunst inspiriert wurden. Mark-Anthony Turnage (*1960) studierte u. a. bei Oliver Knussen und bezeichnete den Lehrer als Vaterfigur, zu der er eine geradezu familiäre Beziehung unterhielt. Zu Weltruhm gelangte der junge Komponist auf einen Schlag bei der ersten Münchner Biennale 1988 mit seiner Oper Greek. Auch Three Screaming Popes – nach Francis Bacons berühmten Studien über Papstporträts von Velázquez – aus der gleichen Zeit ist eigentlich mittlerweile ein Klassiker. So wie Bacon die alten Gemälde verzerrt, benutzt Turnage historische spanische Tänze als Grundlage. Es ist jedoch weniger die elaborierte Umformung musikalischen Materials als pure Ausdrucksintensität, die sofort unter die Haut geht. Turnage konnte immer mittels Elementen aus Jazz und Pop zusätzliche Härten in seine Musik einbringen, was hier voll aufgeht. Gardner – jetzt mit noch mehr Detailkontrolle als vor der Pause – und das BRSO, die eine unglaubliche Spannung aufrechterhalten, erzielen nebenbei eine bessere Durchsichtigkeit als Simon Rattle in seiner 1992er Aufnahme mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, mit dem Turnage seinerzeit assoziiert war: faszinierend. Der Komponist freut sich sichtlich über diese Darbietung und die Ovationen der Zuhörer.
Zuletzt erklingen Knussens Cleveland Pictures: Sieben geplante Stücke, entstanden zwischen 2003 und 2009, die bereits die letzten Orchesterwerke des Briten darstellen, leider teils unvollendet geblieben sind und erst vor zwei Jahren uraufgeführt wurden. Tatsächlich wollte er quasi neue Bilder einer Ausstellung – nach Exponaten aus dem Cleveland Museum of Art – erschaffen, die freilich weit mehr als pittoreske, mimetische Umsetzungen einzelner Kunstwerke sein sollten. Im ersten Satz mit Bezug auf Rodin wird ein völlig tonaler Streichersatz mit aufmüpfigem Blech konfrontiert, im zweiten (Velázquez) gibt es kurze Renaissance-Anklänge, im dritten (Gauguin) eine knappe, sehr effektiv energiegeladene Streicherlinie. Im freundlichen, fast Tschaikowsky-nahen vierten (Two Clocks) findet sich ein unüberhörbares Zitat aus Mussorgskys Boris Godunow. Der Goya-Satz (St. Ambrose) mit äußerst delikater Harmonik – Mark-Anthony Turnage gewidmet – richtet seinen Blick gebetsartig nach oben, aber wohl, allein durch die verwendeten spanischen Tanzrhythmen, ebenso auf die Three Screaming Popes. Wäre es fertiggestellt worden, hätte man im letzten Bild (Turners The Burning of the Houses of Lords and Commons) mit Sicherheit die Entwicklung einer gewaltigen Feuersbrunst hören können. So bricht das Werk nach einer unglaublich starken, düster-bedrohlichen und unheilschwanger initiierten Atmosphäre schnell ab. Knussen zeigt bei all diesem fast schon unverschämten Schönklang nochmals seine ganze Instrumentationskunst, die Bewunderung verdient. Das Publikum findet großen Gefallen an dieser durch und durch verständlichen Musik. Dirigent und Orchester können mit einem gelungenen, mal überhaupt nicht verkopftem musica viva Abend mehr als zufrieden sein.
Für das erste räsonanz Stifterkonzert der neuen Münchner musica viva Saison – es folgt noch ein zweites im Januar – hatte die Ernst von Siemens Musikstiftung am 28. 9. 2024das Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música mit seinem Chefdirigenten Stefan Blunier ins Münchner Prinzregententheater eingeladen. Zunächst erklang das großangelegte Orchesterwerk „Ruf“ des portugiesischen Komponisten Emmanuel Nunes. Helmut Lachenmanns „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ benötigt zusätzlich als Solisten ein Streichquartett: hier spielte kein Geringeres als das weltberühmte Arditti Quartet. Wie gewohnt ein staunenswertes Programm.
Die räsonanz Stifterkonzerte der Ernst von Siemens Musikstiftung bleiben ihrem Prinzip treu, einerseits höchst aufwändige Werke zu programmieren, die bereits historische Relevanz haben, ohne allzu oft aufgeführt worden zu sein, andererseits dem Münchner Publikum Klangkörper vorzustellen, die bislang selten oder gar nie hier zu Gast waren. Letzten Samstag brillierte im „Prinze“ das Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música, 1947 zunächst als Konservatoriumsorchester gegründet, nun nach dem 2001 für den Auftritt Portos als eine Kulturhauptstadt Europas neu errichteten musikalischen Zentrum Casa da Música benannt und dort ab 2006 beheimatet. Der Schweizer Stefan Blunier – in Deutschland u. a. von 2008-2016 GMD in Bonn – ist seit 2021 Chef des 94-köpfigen Ensembles. Leider hatten wohl selbst Teile des geladenen Publikums wegen der bereits grassierenden Erkältungswelle absagen müssen: Etliche Plätze blieben frei.
Nach anfänglichen Studien in seiner Heimat bei Fernando Lopes-Graça war Emmanuel Nunes (1941–2012) Schüler von Boulez, Pousseur und Stockhausen, gehört somit bereits zur zweiten Komponistengeneration, die man mit den Darmstädter Ferienkursen verbindet. Seine großangelegten Vokal- und Orchesterwerke führten bald zu internationalen Erfolgen. Später unterrichtete der Portugiese selbst in Lissabon, Freiburg und Paris. Ruf – für Orchester und Tonband (1977, revidiert 1982) – verwendet nicht einmal einen Riesenapparat: 28 Streicher, nur doppelt besetzte Bläser, 2 Schlagzeuger, Klavier (+ Celesta) und Harfe. Der 45-Minüter besteht aus sechs verbundenen Abschnitten. Bei vier davon wird der zeitliche Ablauf unerbittlich durch das Zuspielband vorgegeben. Das Orchester spielt seine Parts hochdifferenziert – jeder Spieler quasi als Solist – und der Dirigent muss trotz des engen Korsetts einerseits präzises Zusammenspiel, andererseits ein gehöriges Maß an kontrolliert aleatorischen Ereignissen koordinieren. Stefan Bluniers Schlagtechnik ist von makelloser Klarheit, dabei zum Glück nie mechanisch. Er formt den Klang der einzelnen Orchestergruppen immer gestisch äußerst dynamisch mit, agiert zugleich als emotionaler Katalysator dieses sich anfangs als recht chaotisch darstellenden, jedoch mit feinst austariertem Innenleben gestalteten musikalischen Stromes. Die elektronischen Klänge erscheinen als echte – gerade auch räumliche – Erweiterung, wirken streckenweise mit ihrem Gewobbel wie aus zeitgenössischen Science-Fiction-Filmen dem doch recht natürlichen Geschehen im Orchester dialektisch entgegen. Am Schluss wird es sehr leise, mit ganz unterschwelligen Zitaten aus spätromantischer Musik – Wagner und Mahler: ein überwältigendes Erlebnis. Hier ist bereits klar, dass man das tolle Orchester aus Porto einfach liebgewinnen muss.
Ganz anders nach der Pause Helmut Lachenmanns„Tanzsuite mit Deutschlandlied“ von 1979/80. Hier ist alles bis ins letzte Detail ausnotiert, mit schwäbisch-protestantischer Gründlichkeit. Dabei ist dies ein perfektes Beispiel der vom bald 89-jährigen Komponisten selbst so benannten Verweigerungsästhetik, die er über Jahrzehnte gepflegt und Teile des Publikums damit häufig ziemlich provoziert hat. So bleibt also hier das „Unerhörte“, lediglich Mitzudenkende, zentrales Element des großbesetzten Stücks, wohingegen das tatsächlich Erklingende konsequent so gut wie jede Hörerwartung enttäuscht. Nicht nur das Orchester, sondern ebenso das solistische, kaum merklich verstärkte Streichquartett, das anfangs die Führung übernimmt, spielen fast nur geräuschhafte Maskierungen. Der Prozentsatz „normal“ herausgebrachter „Töne“ ist minimal, dann jedoch meist verstörend. Das Arditti Quartet kennt das Stück genau; die vier Streicher schütteln die komplexen Spielanweisungen locker aus den Ärmeln. Die den 17 Abschnitten zugrunde liegenden Tanzrhythmen werden noch am ehesten erkennbar, wenn man optisch (!) dem wieder absolut souveränen Dirigenten folgt. Nach und nach wird klar, mit welch subversiver Energie und tiefgründigem Humor hier Altbekanntes komplett dekonstruiert wird. Selbstverständlich kommt auch das Deutschlandlied in der letzten der fünf Abteilungen – Mahler lässt grüßen – nur als „leeres Gerüst“: Nicht mal ansatzweise erscheinen Text oder Ton verbatim. Lediglich in der Partitur sind Stimmen mit den Silben der ersten (!) Strophe unterlegt, bereits zu Tode geritten (Galopp), bevor diese überhaupt anklingen könnte. Trotz des anstrengenden Appells von Lachenmanns Musique concrète instrumentale ans Publikum, hier zu versuchen, ständig zwischen den Zeilen zu hören, wird diese von Blunier und seinen fabelhaften portugiesischen Musikern sorgfältigst erarbeitete Darbietung keinen Moment langweilig. Und irgendwie passt Lachenmanns Werk auch zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution. Provozieren kann das heutzutage kaum mehr – und Musik wie Ausführende, die hier wirklich alles gegeben haben, erhalten verdient langen Applaus. Das Stifterkonzert ist einmal mehr seinen hohen Ansprüchen gerecht geworden.
Zum 50-jährigen Jubiläum der Ernst von Siemens Musikstiftung im vorigen Jahr gab man fünf Autoren den Auftrag, relativ übersichtliche Essays zu verfassen, die sich mit der Geschichte der Stiftung, vor allem aber mit der Entwicklung und den Zukunftsperspektiven „Neuer Musik“ generell auseinandersetzen sollten. So entstanden vier – einzeln veröffentlichte – Essays und ein eher belletristischer Beitrag: 1. Lydia Goehr:Musik, Maß, Klima; 2. Sophie Emilie Beha: Katalysator am Puls der Zeit – 50 Jahre Ernst von Siemens Musikstiftung; 3. Tim Rutherford-Johnson: Neue Räume, neue Zeiten: Neue Musik seit 1973; 4. Christian Grüny: Höllisch kompliziert. Das Neue, das Zeitgenössische und die Musik – und 5. Cia Rinne: notes on music.
Die vier erstgenannten Essayhefte erscheinen im Klavierauszugformat (DIN D4 ~ 19 cm x 27 cm) auf hochwertigem Papier und in erstklassigem Druck, haben einen Umfang zwischen 37 (Grüny) und 48 Seiten (Goehr) und enthalten die Essaytexte jeweils im Original – englisch bzw. deutsch – sowie zusätzlich in der Übersetzung in die jeweils andere Sprache. Die eigentlichen Texte sind somit sehr knappgehalten: 13 Seiten bei Grüny und Rutherford-Johnson, 15 Seiten bei Beha und 17 Seiten bei Goehr. In der Mitte der Bändchen finden sich jeweils acht Seiten in Kunstdruckqualität, die Abbildungen von Skizzen oder Ausschnitten von Partiturautographen moderner Komponisten – oft Preisträgern des EvS Musikpreises oder Förderpreisträgern – zeigen und nicht zwangsläufig in direktem Zusammenhang mit den Essays stehen müssen. Die einzelnen Beiträge seien hier kurz beleuchtet:
Lydia Goehr:Musik, Maß, Klima
Die Philosophieprofessorin an der Columbia University unternimmt, ausgehend von Elementen aus Ray Bradburys berühmtem Roman Fahrenheit 451 (1953) und dessen späterer Bemerkung, er habe damit die Vorhersage einer Welt „wie sie sich in vier oder fünf Jahrzehnten entwickeln könnte“ schreiben wollen, einen Spaziergang durch Frankfurt am Main. Entlang des Weges, der sie u. a. ans Opernhaus Frankfurt, die Alte Oper sowie ins Cafe Utopia führt, möchte sie „die Klimaveränderungen in den heutigen Musikinstitutionen, der Musikpraxis und den Paradigmen der modernen klassischen Musik […] untersuchen“. Bald greift sie dabei auf André Malraux‘ Begriff des Musée Imaginaire zurück – Goehr hat 1992 selbst ein wegweisendes Buch mit dem Titel The imaginary museum of musical works verfasst. Hochinteressant sind ihre klug gesammelten Zitate zum Thema: Hass auf moderne klassische Musik, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Ihr Ausblick auf deren Zukunft in Anbetracht sozio-kulturellen Wandels, dessen musikgeschichtlicher Aufarbeitung – Stichwort: Erweiterung/Inklusion jenseits des nach wie vor bestehenden Eurozentrismus – und des veränderten Konsumverhaltens etwa durch digitale Medien bleibt indes vage. Schade, dass – anders als bei den Essays von Rutherford-Johnson und Grüny – hier die genauen Quellenangaben zu den von Goehr zitierten Bemerkungen, denen man gerne weiter folgen möchte, fehlen. Da hätte man vielleicht bei der Stiftung nacharbeiten sollen.
Sophie Emilie Beha: Katalysator am Puls der Zeit – 50 Jahre Ernst von Siemens Musikstiftung
Die Musikjournalistin gibt in ihrem knappen, dabei jedoch hochinformativen Essay einen Abriss der Geschichte der Ernst von Siemens Musikstiftung. Sie informiert über den Werdegang deren Gründers, erwähnt durchaus seine Bemühungen um Wiedergutmachung an ehemaligen jüdischen Zwangsarbeitern beim Siemens Konzern, verrät aber kaum etwas über dessen Musikgeschmack. Ein wenig unbefriedigend angesichts der später mehrfach erwähnten Missbilligung der Preisvergabe 1986 an Karlheinz Stockhausen durch Ernst von Siemens. Sicher nach so vielen Jahren erfolgreicher Förderung „Neuer Musik“ wissenswert, dass diese anfangs gar nicht zentral im Fokus stand, und es Persönlichkeiten wie Paul Sacher oder Pierre Boulez – 1979 selbst Hauptpreisträger des EvS Musikpreises – im Stiftungsrat zu verdanken ist, dass die Stiftung heute maßgeblicher Geldgeber für zahlreiche Zeitgenössischem gewidmete Projekte ist. Beha beschreibt die Struktur und Finanzierung der gemeinnützigen Stiftung, die Förderungen neben der immer die größte Öffentlichkeit erreichenden Preisverleihung sowie die Entwicklung, dass die Preisträger nun endlich diverser werden. Der Band erfüllt seinen Zweck ohne Beweihräucherung und gibt eine präzise Standortbestimmung, ohne dass der Leser auf die existierenden, umfangreicheren Dokumentationen angewiesen ist.
Tim Rutherford-Johnson: Neue Räume, neue Zeiten: Neue Musik seit 1973
Der britische Musikkritiker nimmt die politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Marksteine dreier Jahre – 1973, das Gründungsjahr der EvS Musikstiftung, 1989, das Jahr der großen politischen Umbrüche in Europa, und 2020, den Beginn der Covid-19-Pandemie – sowie deren unmittelbare zeitliche Umfelder näher ins Visier, um maßgebliche Strömungen der Neuen Musik zu skizzieren, was auf derart begrenztem Raum natürlich nur rudimentär erfolgen kann. So bleibt etwa eine musikalische Postmoderne – bereits der Begriff erweist sich als Streitthema – komplett unbeachtet. Rutherford-Johnson verweist auf Manuel Castells Buch The Information Age (2010), und sieht durchaus Parallelen in der Entwicklung der Informationstechnologie und der modernen Musik. Sehr klar beschreibt er die Verdrängung linearer Strukturen – noch zentral in der Musik des ersten EvS-Preisträgers Benjamin Britten (1974) – zugunsten nichtteleologischer Musiklogik, beginnend beim parametrischen Denken serieller Musik über frühe Loop-Formen bei Harrison Birtwistle (The Triumph of Time, 1971) bis zu Helmut Lachenmanns Pression für Solocello. Er erwähnt die wachsende Popularität von Spektralismus und Minimalismus ab den 1980ern, kommt dann allerdings schnell auf das Genre der Netzwerkmusik – anhand von Werken Peter Ablingers, Anthony Braxtons und Jennifer Walshes, als „Beispiele eines parametrisch organisierten Raums der Ströme“. Die Corona-Zeit beschreibt er als „wirklich zeitlose Zeit, eine Ära ohne Zukunft oder Vergangenheit, ein endloses Jetzt“ und bringt für die musikalischen Reaktionen darauf einige recht spezielle Hör-Anregungen. Die in diesem klug sondierten Beitrag vermerkten Strategielinien haben – wen wundert’s? – natürlich auch in den Preisen der EvS Musikstiftung ihren Niederschlag gefunden.
Christian Grüny: Höllisch kompliziert. Das Neue, das Zeitgenössische und die Musik
Im Essay des in Stuttgart lehrenden Ästhetik-Professors Christian Grüny geht es nicht etwa um die meist hohe inhärente Komplexität Neuer Musik selbst, sondern um die Klärung und Abgrenzung der Begriffe des Neuen und des Zeitgenössischen. Dies ist eine recht abstrakte Angelegenheit und ein wenig schwierig zu verfolgen, aber äußerst lesenswert. Hatte Paul Bekker, der als einer der ersten von „neuer Musik“ sprach, noch beide Begriffe miteinander gekoppelt, erscheint das historisch Neue bei Reinhard Koselleck differenzierter. Insbesondere „in dem Sinne des ganz Anderen, gar Besseren gegenüber der Vorzeit“ (Koselleck) unterscheidet Grüny das Andere nochmals: als Abweichung, (dialektische) Negation bzw. Utopie (radikaler Bruch). Er untersucht die Kategorie des Neuen bei Adorno und erwähnt die Ablehnung eines „fetischistischen“ Materialfortschritts bei vielen Protagonisten der zeitgenössischen Musik. Das Zeitgenössische ist fast noch komplizierter zu fassen. Peter Osbornes Theorie beschreibt es als „im historischen Sinne die Zeitlichkeit der Globalisierung“, was allerdings zu Heterochronie führt und somit den Begriff als Fiktion bzw. Aufgabe bezeichnet. Eine institutionalisierte, internationale Vernetzung sieht Grüny – verglichen mit den Biennalen der bildenden Kunst – bei der Neuen Musik höchstens in ersten Ansätzen und plädiert zum Schluss für die „Rettung einer Perspektive, die wirklich über die wie auch immer komplexe Gegenwart hinausgeht“.
Cia Rinne: notes on music
Hat man von der finnlandschwedischen, jedoch in Deutschland aufgewachsenen Autorin Cia Rinne tatsächlich einen wissenschaftlichen Essay erwartet? Wohl nein. So liefert die von Fluxus und Dadaismus beeinflusste Literatin auch eher ein belletristisches Kunstwerk ab: in Form von zwei Postkarten – eine zeigt 32-mal denselben gedrückten (Tür?)-Klingelknopf, die andere das Klingeldisplay einer großen Wohnanlage – und eines ca. 1 m langen vertikalen Leporellos. Auf dessen Vorderseite findet der Leser am rechten Rand extrem kurze Aphorismen, die zumeist musikalische Begriffe – mal mehr, mal weniger intelligent bzw. humorvoll – dekonstruieren. Hier nur zwei Beispiele (Zitat):
c dur
c’est dûr
…
sinfonica domestica
after Richard Strauss
see sharp
b flat
age minor
…
[usw.]
Manche davon sind nur typographische Spielereien, wie man sie allerspätestens vom Dadaismus her kennt. Die Rückseite – in Pink – zieren längs zwei Zeilen in mikrokleiner Schrift mit einem quasi Bewusstseinsstrom über „this movement“: „this movement would like to extend endlessly in time | this movement could be a bad idea | this movement wishes it could start all over again |…” usw. Maximal eine recht originelle Grußbotschaft.
Mehr Infos über die anregende Essayreihe mit der Möglichkeit, Druckexemplare – übrigens kostenlos – anzufordern, finden ernsthaft interessierte Leser hier:
Den Höhepunkt der St. Florianer Brucknertage bildet traditionell das abschließende Symphoniekonzert, das seit gut einem Jahrzehnt in den Händen Rémy Ballots liegt. Ballots Aufführungen der Bruckner-Symphonien mit dem Altomonte-Orchester St. Florian und dem Oberösterreichischen Jugendsinfonieorchester wurden von Gramola mitgeschnitten und seit 2014 auf CD veröffentlicht. Mit der annullierten d-Moll-Symphonie wurde dieser Zyklus im vergangenen Jahr abgeschlossen, sodass das diesjährige Konzert in gewisser Weise eine Zäsur markiert. Dies und die Feierlichkeiten zu Bruckners 200. Geburtstag ließen für 2024 ein besonderes Programm erwarten, und man wurde nicht enttäuscht. Am 23. und 24. August kamen in der Stiftsbasilika durch das Altomonte-Orchester unter der Leitung von Rémy Ballot die drei abgeschlossenen Sätze der Neunten Symphonie zur Aufführung; vorangestellt wurden ihnen acht Fragmente des unvollendeten Finales, wobei der Bruckner-Biograph Felix Diergarten die Moderation übernahm.
Um Bruckners Neunte Symphonie ranken sich mancherlei Legenden. In letzter Zeit hört man beispielsweise häufiger die Vermutung, der Komponist habe in der Coda des Finales die Hauptthemen seiner früheren Symphonien (oder zumindest eine Auswahl derselben) noch einmal verarbeiten wollen. Nikolaus Harnoncourt hing diesem Gedanken an (er äußerte ihn in seinem auf CD festgehaltenen Vortrag über die Finale-Fragmente), anscheinend auch Augustinus Franz Kropfreiter; der belgische Komponist Sébastien Letocart legte ihn seiner Vervollständigung des Finales zugrunde. Gern wüsste ich, wann und durch wen diese Idee aufgekommen ist. Mir erscheint sie widersinnig, zumal im erhaltenen Material nichts darauf hindeutet, dass zum Abschluss der Neunten Themen hätten herangezogen werden sollen, die nicht im Finale oder den vorangehenden Sätzen bereits erklungen sind.
Keine Legende ist dagegen, dass Bruckner über der Arbeit an einem Partitur-Entwurf des Finales starb. Er hatte also bereits eine sehr klare Vorstellung vom Verlauf des Satzes, wenngleich er, wie die erhaltenen Bögen zeigen, mit der Instrumentation nicht fertig wurde. Dass diese Partitur bis zum abschließenden Doppelstrich gediehen war, liegt durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen. Umso mehr muss man das Versäumnis der Behörden bedauern, die Wohnung des Komponisten nach seinem Tode rechtzeitig zu versiegeln. In den Worten von Bruckners Arzt Richard Heller stürzten sich, kaum hatte die Nachricht von Bruckners Ableben in Wien die Runde gemacht, „Befugte und Unbefugte wie die Geier auf seinen Nachlass“. Die Andenkenjäger griffen offenbar nach den nächstliegenden Notenblättern, darunter die Partiturbögen des Finales der Neunten Symphonie. So erklärt sich die zerrissene Gestalt des überlieferten Materials. Heute sind 22 Bögen der Partitur bekannt. Vermutlich waren es ursprünglich 40. Der Verlauf des Satzes lässt sich nach einer beinahe vollständig vorhandenen Exposition bis weit in den zweiten, Durchführung und Reprise verknüpfenden Satzteil hinein verfolgen. Eine Fuge über das Hauptthema, die dessen Reprise ersetzt, bildet offensichtlich die Peripetie der musikalischen Handlung. An ihrem Ende kommt das Triolenmotiv aus dem Hauptthema des Kopfsatzes, zu einer Fanfare in Dur umgebildet, wieder zum Vorschein. Dieses bricht in den letzten vorhandenen Takten der Partitur erneut durch und sollte wohl den Beginn der Coda ankündigen. Zuvor war das choralartige Schlussthema zu seiner Reprise gelangt, begleitet vom Te-Deum-Motiv, das in den letzten Takten der Exposition eingeführt worden war. Man sieht, wie positiv konnotierte Elemente in der zweiten Hälfte des Satzes zunehmend die Oberhand gewinnen. Die Coda sollte zweifellos diese Entwicklung zum krönenden Abschluss bringen und damit eine Antwort auf die Schlüsse der vorangegangen Sätze geben.
Aufführungen der Neunten Symphonie mit Finalsatz stehen vor dem Problem, dass man letzteren nicht so spielen kann wie beispielsweise Contrapunctus 14 aus Bachs Kunst der Fuge oder das Dies Irae aus Max Regers Lateinischem Requiem, die ja bis zum Abbruch vollständig ausgearbeitete Stücke sind. Dagegen ist Bruckners Neunte als viersätziges Werk nur spielbar, wenn ein Bearbeiter das Finale zu Ende instrumentiert und mit Takten eigener Komposition ergänzt. Unter den verschiedenen Versuchen erscheint mir nur die Arbeit von Nicola Samale, Giuseppe Mazzuca, John Philips und Benjamin-Gunnar Cohrs diskutabel, denen es als einzigen gelang, die Lücken ohne Stilbrüche zu schließen. Ob allerdings ihre Coda hält, was Bruckner verspricht? Da sich das originale Material zur Coda auf wenige Takte beschränkt, stehen alle Bearbeiter des Finales, wie Felix Diergarten in seiner Einführung treffend sagte, vor der Aufgabe, „Bruckner seine letzten Worte in den Mund zu legen.“ Dass im Jahr von Bruckners 200. Geburtstag im Schlusskonzert der Brucknertage in der Stiftsbasilika von St. Florian – ein Stockwerk tiefer liegt in der Krypta die sterbliche Hülle des Meisters in Hörweite aufgebahrt! – nicht von dieser Option Gebrauch gemacht wurde, ist völlig verständlich. Man wollte dem Publikum zeigen, in welchem Zustand der Satz überliefert ist, wie weit Bruckner mit der Arbeit kam und wie stark das Werk durch die posthume Fragmentierung beschädigt wurde. Verzichtet wurde bei der Aufführung auf alles Material, in welchem ein endgültiger Wille Bruckners nicht erkennbar schien, weswegen beispielsweise weniger Takte aus der Durchführung des Finales erklangen als von der Hand des Komponisten vorhanden sind. „Wir spielen nicht alles, was Bruckner geschrieben hat, aber alles, was wir spielen, hat Bruckner geschrieben“, so Diergarten. Das heißt auch, dass unvollständig instrumentierten Abschnitten nicht eine Note hinzugefügt wurden. Besonders deutlich wurde dies in der zentralen Fuge, die Bruckner nur in Streicherstimmen niederschrieb, und in den letzten Fragmenten, in denen sich der Orchesterklang in den Bläsern ausdünnt.
Den Finalsatz in seiner fragmentarischen Gestalt ans Ende eines Konzerts zu stellen, ist unmöglich. Man muss ihn folglich zu Beginn bringen, vor den drei fertigen Sätzen. Die Lückenhaftigkeit des Materials macht es notwendig, mit kurzen Erklärungen durch die Musik zu führen. So präsentierten Rémy Ballot und das Altomonte-Orchester, moderiert von Felix Diergarten, insgesamt acht Fragmente des Finales. In der Generalprobe, die vom klingenden Ergebnis her durchaus als vollwertiges Konzert angesprochen werden konnte, wurden dem Anfang des Finales die letzten Takte des Adagios vorangestellt: ein sinnvoller Gedanke, wird dadurch ja der Zuhörer am Ende der Aufführung, wenn diese Takte ein weiteres Mal zu hören sind, daran erinnert, dass ihnen eigentlich nach dem Willen des Komponisten noch etwas folgen soll! In den beiden Konzerten selbst gingen die Musiker allerdings von diesem Einfall wieder ab und begannen direkt mit dem Finale. Man kann diese Entscheidung bedauerlich finden, aber angesichts der Anforderungen, die der Schluss des Adagios an die Hörner stellt, ist es nachvollziehbar, den Hornisten einen solch heiklen Einsatz gleich zu Beginn nicht zuzumuten.
Was die Qualität der musikalischen Darbietung betrifft, so war es angesichts des sich im Raumhall des Marmorsaales verlierenden Beethoven-Quartetts höchst erfreulich, hier nun ein Musizieren erleben zu können, das sich in voller Übereinstimmung mit den Gegebenheiten des Raumes abspielte. Rémy Ballot stellte wieder einmal unter Beweis, wie trefflich er auf den langen Nachhall der Basilika zu reagieren und die Aufführung an diesem auszurichten weiß. Er nimmt relativ breite Tempi, die aber stets flüssig und nirgends übertrieben langsam wirken, ganz einfach weil sie der Entfaltung des Klanges im Kirchenraum Rechnung tragen. Die Brucknerschen Generalpausen hört man hier nicht als Unterbrechungen der Musik, sondern als ein Ausatmen der Musik in den Hall hinein. Ist der Ton ganz entschwunden, nimmt das Orchester den Faden wieder auf. Musik und Raum befinden sich permanent im Zwiegespräch miteinander. Dieses Eingehen auf den Aufführungsort ist die eine wesentliche Stärke Ballots, die andere ist sein Sinn für Harmonik und Kontrapunkt. Wo manch anderer Dirigent nur Begleitfloskeln oder Stütztöne wahrnimmt und folglich nicht weiter beachtet, hört Ballot Melodien, die mit anderen Melodien in einem Verhältnis gegenseitiger Beeinflussung stehen und vermittelt seinen Orchestermusikern, was hier Wichtiges zu sagen ist. Welche Aktivität in Bruckners Bässen herrscht, zeigte sich gleich zu Anfang des Kopfsatzes: In der mit T. 27 beginnenden Steigerungspartie agierten die tieferen Streicher nicht als bloßer Hintergrund für die Ersten Violinen, sondern fassten ihre Noten als langgestreckte Linien auf. So befeuerten die Orchestergruppen einander von Beginn an gegenseitig. Besonders innig gelang der Seitensatz, in welchem man perfekt das feine Spiel der Wellen wahrnehmen konnte, welches die differenziert instrumentierten, ineinander verschlungenen Themen bildeten. Aber auch sonst herrschte schönste Sorgfalt in der Darstellung des kontrapunktischen Gewebes und der instrumentatorischen Feinheiten. Die Hauptstimmen ließen die Nebenstimmen durchklingen, ohne ihren Charakter als Hauptstimmen einzubüßen, alles getragen von einem kräftigen, lebendigen Bass. Zum Scherzo ist zu sagen, dass es lebhafter und zupackender klang als in Ballots auf CD festgehaltener früherer Aufführung der Neunten. (Mit 14 Minuten ist dieses wohl die wohl langsamste Einspielung des Scherzos überhaupt, allerdings durchaus spannungsvoll!) Das zunächst von den Violinen allein vorgestellte Anfangsthema des Adagio wurde nüchtern dargeboten, ohne zu schleppen. Man vertraute ganz auf die dem Thema innewohnenden Spannkräfte und sparte sich jede sentimental-rhetorische Übertreibung. Solcher Mittel bedarf es nicht, wenn man, wie Ballot, es schafft, die Musik aus den harmonisch-kontrapunktischen Prozessen emporwachsen zu lassen. Wie tief die Musiker in den Stoff eingedrungen sind, zeigte sich namentlich anhand der großen Steigerung im letzten Drittel des Adagios, wo wirklich in jeder der übereinandergelagerten Klangschichten lebhaft der Puls schlug. In der Generalpause nach dem Höhepunkt konnte man am eigenen Leibe spüren, wie die im Tredezimakkord zusammengeballten Töne auseinanderstoben und den Kirchenraum durchrasten. Wie der Anfang des Satzes hatte auch der Schluss nichts Rührseliges. Es gab keine gekünstelten Ritardandi, kein aufgesetztes Schmachten in der Artikulation. Ganz natürlich löste sich die Spannung und die Musik kam zur Ruhe.
Wie gesagt, hatte die Generalprobe bereits die Qualität einer vollwertigen Aufführung. Allerdings fiel doch auf, dass sich die Verbindung zwischen den Musikern im Verlauf der drei Tage zwischen Generalprobe und zweitem Konzertabend noch einmal intensivierte, was sich auch anhand der Reaktion des Publikums zeigte: Während es am Ende des ersten Konzerts nach einer längeren Pause in Applaus ausbrach, herrschte nach dem zweiten Konzert völlige Stille. Alle Anwesenden waren derartig von der soeben gehörten Aufführung gebannt, dass offenbar jedem Einzelnen eine Unterbrechung dieser Stille unpassend erschien. Erst als der Dirigent dem Konzertmeister die Hand reichte, war der Bann gebrochen und tosender Beifall füllte das Kirchenschiff.
Angesichts der Tatsache, dass sich 2024 der Geburtstag Anton Bruckners zum 200. Male jährt, nimmt es nicht Wunder, dass die Veranstaltungen im Stift St. Florian dieses Jahr besonders opulent ausfallen. Das Stift feierte das Jubiläum seines größten Musikers bereits mit der Ausstellung Bruckners Visionen, die noch bis Oktober besucht werden kann und neben klassischen Vitrinen auch drei im Stiftshof aufgestellte Pavillons mit virtuellen Präsentationen umfasst. Dazu traten nun im August die St. Florianer Brucknertage, in deren Rahmen diesmal nicht nur ein einfaches wissenschaftliches Symposium abgehalten wurde, sondern ein viertägiger Internationaler Bruckner-Kongress, den die Brucknertage gemeinsam mit der Bruckner Society of America ins Werk setzten. Auch gipfelte das musikalische Programm in zwei Symphoniekonzerten besonderer Art: Am 23. und 24. August spielte das Altomonte Orchester St. Florian unter der Leitung von Rémy Ballot Bruckners Neunte Symphonie einschließlich erhaltener Fragmente des unvollendeten Finalsatzes. Neben diesen Konzerten besuchte der Verfasser dieser Zeilen das Kammerkonzert am 21.August, in welchem das Varga Quartett, verstärkt durch Florian Eggner am zweiten Violoncello, Ludwig van Beethovens Streichquartett e-Moll op. 59/2 und Franz Schuberts Streichquintett C-Dur vortrug. Dazwischen kam ein weiterer Meister aus St. Florian zu Wort: Franz Xaver Müller mit seinem Quartettino D-Dur von 1928.
Christoph Lettner: Franz Xaver Müller. Priester, Musiker, Mensch.
Bevor wir zur Schilderung des auf den Brucknertagen Gehörten kommen, sei der Blick auf ein neues Buch gerichtet, das in engem Zusammenhang mit St. Florian steht und im dortigen Stiftsladen erhältlich ist. Anton Bruckner ist zwar der überragende, keineswegs jedoch der einzige große Komponist in der Geschichte des oberösterreichischen Augustiner-Chorherrenstiftes. Franz Xaver Müller (1870–1948), der selbst Augustiner-Chorherr war, darf als die bedeutendste Musikerpersönlichkeit gelten, die im frühen 20. Jahrhundert in St. Florian wirkte. Wie einst Bruckner begann er seine musikalische Laufbahn als Sängerknabe im Stift. 1904 wurde er dort Stiftsorganist und zwei Jahre später Regens Chori, was er bis 1924 blieb. Danach wirkte er bis 1943 als Domkapellmeister in Linz. Müller war kein Schüler Bruckners – er studierte bei Johann Evangelist Habert und Josef Venantius von Wöss –, doch hatte er in seiner Jugendzeit ausgiebig Gelegenheit, diesen als Mensch und Musiker näher kennenzulernen. So assistierte er Bruckner wiederholt bei der Überprüfung der Stimmführungen in dessen Partituren und hörte ihn oft an der Orgel der Stiftskirche improvisieren. Diesen Tagen gedenkend verfasste Müller 1931 für die schweizerische Zeitung Der Bund den kurzen Text „Anton Bruckner. Persönliche Erinnerungen“, der zu den lebendigsten Schilderungen der Persönlichkeit Bruckners gehört. Müller komponierte vorrangig geistliche Musik, darunter sechs lateinische Messen in verschiedenen Besetzungen, ein Requiem für A-cappella-Chor und, als Hauptwerk, das 1924 uraufgeführte Oratorium Der heilige Augustinus. Unter seinen Instrumentalkompositionen ragt eine D-Dur-Symphonie von Brucknerschen Ausmaßen hervor. – In wie weit Müller als Symphoniker stilistisch auf Bruckners Spuren wandelt, müsste eine Aufführung dieses zuletzt 1960 gespielten Werkes klären.
Das Interesse an Müller kommt nun erfreulicherweise wieder in Gang. Lange Zeit existierte nur eine einzige Monographie zu Leben und Schaffen des Komponisten, das 1970 anlässlich seines 100. Geburtstages erschienene Buch von Joseph Mayr-Kern: Franz Xaver Müller. Ein oberösterreichischer Komponist zwischen Anton Bruckner und Johann Nepomuk David. (David war Schüler Müllers und sang unter seiner Leitung als St. Florianer Sängerknabe.) Es enthält neben einer Biographie eine ausführliche Betrachtung der Müllerschen Messen und im Anhang Aufsätze aus Müllers Feder, darunter die oben erwähnten Erinnerungen an Bruckner. An die Seite dieser Veröffentlichung ist im vergangenen Jahr ein weiteres Buch über Müller getreten. Herausgegeben von der Markgemeinde Dimbach, Müllers Heimatort, erschien Christoph Lettners Dokumentation: Franz Xaver Müller. Priester, Musiker, Mensch. Wichtigste Grundlage des Buches ist der private Nachlass des Komponisten, der von seinen Verwandten sorgfältig aufbewahrt wurde, bislang aber der Forschung unbekannt war. Christoph Lettner stellt nun erstmals dieses reiche Korpus an Dokumenten vor: Die Briefe, die Müller mit seinen Verwandten und Freunden gewechselt hat, finden ihre Ergänzung in zahlreichen Photographien sowie zeitgenössischen Zeitungsberichten. Es wird dadurch nicht nur der Lebenslauf des Komponisten nahezu lückenlos abgedeckt, auch tritt daraus Franz Xaver Müllers Charakter plastisch hervor. Wir lernen einen Menschen kennen, der sich sowohl als Musiker, als auch als Priester hingebungsvoll seinen Aufgaben widmet und stets um das Wohl seiner Mitmenschen, namentlich seiner Geschwister (die er alle überlebt) und deren Kinder, besorgt ist, der aber auch herzlich lachen kann, eigene Theaterparodien zur Aufführung bringt und bei Kuraufenthalten seine Mitgäste gut zu unterhalten weiß; der auf Reisen von den Schweizer Bergen und der Blauen Grotte von Capri schwärmt, und gegen Ende seines Lebens ohnmächtig zusehen muss, wie Linz im Zweiten Weltkrieg verheert wird; der Nachforschungen über Bruckner betreibt und Auskünfte ehemaliger St. Florianer Sängerknaben sammelt. Gleichsam im Vorübergehen erhalten wir Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse des ländlichen Oberösterreich, wo der „Fleischhacker-Franzl“ als Neffe des Bürgermeisters im schwer erreichbaren Dimbach heranwächst, wo seine Schwestern sich in ihrer Jugend als Dienerinnen bei örtlichen „Herrschaften“ verdingen müssen und wo man in der Familie zum Feierabend mehrstimmig das Andreas-Hofer-Lied singt. Natürlich kommen auch Linz und das Stift St. Florian nicht zu kurz. Lettner lässt sich als Autor nur dort ausführlicher vernehmen, wo Hintergrundinformationen nötig sind, etwa zu Beginn bei der Schilderung Dimbachs und der Vorstellung der Familie Müllers. Ansonsten begnügt er sich damit, den Rahmen zu setzen und Müller bzw. seine Zeitgenossen selbst sprechen zu lassen. Er gliedert den Stoff, der im Wesentlichen chronologisch präsentiert wird, in eine Vielzahl kurzer Kapitel, die meist nur eine Doppelseite umfassen und jeweils eine bestimmte private oder berufliche Situation Müllers in den Fokus rücken. Diese Form der Darstellung bewirkt, dass man sich als Leser den Personen stets sehr nahe fühlt. Man legt das Buch aus der Hand mit dem Empfinden, tief in den Brunnen der Vergangenheit eingetaucht zu sein.
Lettners Buch ist eine biographische Arbeit, keine Werkmonographie. Es möchte mit Müllers Persönlichkeit und seinen Lebensumständen bekannt machen, wozu selbstverständlich auch Erwähnungen seiner Kompositionen gehören. Ausführliche Werkbetrachtungen enthält es allerdings ebenso wenig wie ein Verzeichnis der Kompositionen Müllers. Da auch bei Mayr-Kern ein solches fehlt (er beschränkt sich auf genaue Angaben zu den Messvertonungen), ist eine Übersicht über sämtliche Werke des Komponisten nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Die Musikwissenschaft lasse sich also von Christoph Lettners schöner Vorarbeit dazu anregen, diese Lücke alsbald zu schließen!
Franz Xaver Müller stand im Mittelpunkt des vom Varga Quartett (Pavol Varga, Katharina Veselská, Peter Zwiebel und Stefanie Huber) im Marmorsaal des Stiftes dargebotenen Kammerkonzerts der Brucknertage – zumindest stand sein Quartettino in D-Dur in der Mitte der Vortragsfolge. Davor und danach hörte man je ein Gipfelwerk der Kammermusikliteratur: Beethovens Streichquartett e-Moll op. 59/2 (das zweite der Rasumowskij-Quartette) und das Streichquintett C-Dur D 956 von Franz Schubert, bei welchem Florian Eggner als zweiter Cellist zum Quartett hinzustieß. Müllers Komposition bestand in dieser Nachbarschaft, wie die freundliche Blumenwiese zwischen zwei Bergriesen besteht: als anmutiger Kontrast. Der Name „Quartettino“ ist durchaus angemessen, denn das viersätzige Werk dauert keine zehn Minuten. Es entstand 1928 als Geschenk zur Silberhochzeit für den St. Florianer Musiklehrer Karl Aigner, der einst zu den Ausbildern des Sängerknaben Müller gehört und sich für Bruckner als Notenkopist betätigt hatte. Entsprechend ist jeder Satz als Gratulationsadresse gedacht. So steht über dem einleitenden Adagio: „Bruckner kommt zu gratulieren.“ Im Folgenden erhält Aigner außerdem Glückwünsche für die weitere Lebensfahrt mittels eines ganz kurzen Allegros, den Segen des Himmels für seine Chordienste in Form eines choralhaften Andantes und schließlich im fugierten Schluss-Allegro Gratulationen der früheren Chorregenten Ignaz Traumihler und Bernhard Däubler, sowie aller Sängerknaben. Wüsste man nicht um Müllers enges Verhältnis zu Bruckner, man würde ein solches sofort anhand der ersten Takte des Quartettinos vermuten: Sie könnten tatsächlich einem Brucknerschen Adagio entnommen sein. Das gleiche lässt sich vom ebenfalls langsamen dritten Satz sagen, einem äußerst zarten, in sich gekehrten Stück. Auch die raschen Sätze zeugen in Harmonik und Kontrapunkt von Bruckners Einfluss, ohne dass sich aber aus dessen Schaffen konkrete Vorbilder benennen ließen. Gerade die leichtfüßige Schlussfuge belegt, dass Müller originell genug war, auf der von Bruckner übernommenen Grundlage eigenständig weiter zu schaffen. Alles in allem ein handelt es sich bei dem Quartettino um ein ungemein ansprechendes kleines Meisterwerk – und man fragt sich, was ein Komponist, der eine solche Gelegenheitsarbeit zustande bringt, in seinen Hauptwerken geleistet hat.
Das Beethovensche Quartett und das Schubertsche Quintett bedürfen keiner näheren Vorstellung. Die Aufführungen erinnerten daran, wie wichtig es ist, die akustischen Gegebenheiten des Aufführungsortes zu berücksichtigen. Ist die St. Florianer Stiftskirche für ihre hallige Akustik bekannt (und berüchtigt), so stellt der Marmorsaal die Musiker vor nicht geringere Herausforderungen. Für ein Streichquartett ist es hier nicht schwer, eine orchestral anmutende Klangfülle hervorzubringen. Die Töne fluten gewichtig durch den Raum, aber sie verhallen nur langsam. Rasche Tempi können hier leicht zu rasch erscheinen, da der Nachhall die Konturen der Musik verschwimmen lässt. Leider hat das Varga Quartett nicht genug Rücksicht auf die akustischen Bedingungen dieses Raumes genommen, sodass in den raschen Sätzen des Beethoven-Quartetts viele Einzelheiten im Hall untergingen. Weniger schnelle Tempi wären hier von Vorteil gewesen. Schuberts Quintett erwies sich – ähnliches lässt sich von Müllers Quartettino sagen – aufgrund seiner insgesamt gemächlicheren Zeitmaße und des mehr flächigen Tonsatzes als weniger anfällig, sodass die zweite Hälfte des Konzerts gegenüber der ersten eine Steigerung bedeutete. Auch wirkte das Ensemble nun ausgewogener als noch in der ersten Konzerthälfte, wo der Primgeiger gegenüber seinen Mitspielern mitunter gar zu dominant auftrat, namentlich im Finale des Beethoven-Quartetts. So gelang eine schöne Aufführung des Schubertschen Quintetts, die im langsamen Satz die Kontraste deutlich herausstellte und im Scherzo wie im Finale durch musikantischen Schwung bestach.
Das Konzert war dem Andenken an Thomas Wall gewidmet, den langjährigen Intendanten des Altomonte-Orchesters St. Florian, dessen Tod im Mai dieses Jahres eine schmerzliche Lücke in das Musikleben des Stiftes riss. Wall hatte 1996 gemeinsam mit Augustinus Franz Kropfreiter das Altomonte-Orchester gegründet und diesem seither als Solocellist selbst angehört.